Eltern-Rolle, Kinder-Rolle

 

Schon klar. Das willst du nicht wissen. Da willst du nicht hinschauen. Du möchtest lieber das Bild beibehalten, das man dir mitgegeben hat, oder das du dir mühsam zurechtgeschustert hast. Ich habe inzwischen erfahren, dass das sich schützende, ängstliche Ego perfekte Scanner hat, mit denen es allem ausweichen kann, das am Status Quo rütteln könnte. Das Ego will weiterschlafen. Es will nicht wissen, was wirklich war, und wo der Ursprung für Verhaltensmuster liegt. Das Ego sagt einfach: „Das bin ich. So bin ich. Ich bin ich.“ Aber ist das so?

 

Wer nicht damit angefangen hat, minimale Aufräumarbeiten in sich voran zu bringen, lebt in einem fremden Haus. Voller Krempel anderer Leute. Du bist vom Leben aufgefordert, dich zu erkennen, und dass das Haus in dem du lebst, von anderen Leuten aufgestellt wurde. Mit größter Wahrscheinlichkeit, wurde dieses Haus von deinen an- oder abwesenden, liebenden oder überforderten Eltern gebaut. Und egal was sie dir mitgegeben haben – das bist nicht du.

 

Es ist natürlich fein, wenn dir deine Eltern Eigenschaften mit auf den Weg gegeben haben, die dir beim Leben helfen. Selbst die, sind nicht du. Du hast sie vielleicht aus Liebe, aus Abhängigkeit, oder aus Zwang adaptiert. Aber wann in deinem Leben hast du ein Update installiert, und überprüft, ob diese Eigenschaften dir noch passen? Rennst du als Erwachsener noch mit drückenden Kinderschuhen rum? Mach dir nichts draus. Fast alle tun das. Selbst Opas und Omas rennen meist noch in ihren Kinderschuhen rum, weil sie nie durch einen Initiationsritus gegangen sind, und nie ihre Vater- oder Mutterwunde geheilt haben.

 

Das Haus ist dem du lebst, wurde von anderen gebaut, und gestrichen, und eingerichtet. Vielleicht hat man dir irgendwann mal zugestanden, dass du auch was ins Haus stellen darfst. Doch wann willst du dein eigenes Haus beziehen?

 

Richtig anspruchsvoll wird es, wenn Eltern ihre Verletzungen weiter gegeben haben. Ich habe keinen Zweibeiner getroffen, bei dem das nicht der Fall gewesen wäre. Als lebendes Wesen sammelst du Niederlagen, Enttäuschungen, und Verletzungen. Ganz besonders gerne in Partnerschaften, Beziehungen, und Ehen. Ich habe erst vor einigen Wochen zum ersten Mal von der „Vaterwunde“ gehört, und erkennen müssen: auch ich hatte eine Vaterwunde, viele Jahre lang. Nicht weil mein Vater überwiegend abwesend war, oder ich in meiner Pubertät, als ich etwas über selbstbestimmte Menschlichkeit hätte lernen können, von meinem Vater keine Unterstürzung bekam. All das war im Frieden aufgelöst worden. Doch mein Vater selbst hatte eine Vaterwunde, und wie hätte er da Königlichkeit überzeugend weitergeben können, wenn er selbst damit beschäftigt war, seine Verletzungen nicht weiter zu geben? Was ihm übrigens grandios gelungen war. Er hatte das Rad des Leides angehalten, das von männlicher Seite in seiner Familie von Generation zu Generation weiter gegeben worden war.

 

Überhaupt hatte ich großes, großes Glück mit meinen Eltern. Sie haben mir gute Eigenschaften mit auf den Weg gegeben. Doch auch meine Mutter hatte eine Mutterwunde. Als mein Vater nach 13 Jahren Ehe den Mut fand, in seine erträumte Freiheit zu flüchten, wissend, dass er seinen Sohn und seine Frau verletzen würde, schenkte er auch meiner Mutter und mir Freiheit. Die Enttäuschung, dass eine andere Frau im Spiel war, überwand meine Mutter nie – und gab diese Wunde weiter. Sie versuchte fair zu sein, doch es gelang ihr nicht recht. Sie wollte mir immer vermitteln, dass mein Vater „auch gute Seiten hatte“. Aber wenn sie aus ihrer Verletztheit sprach, war sie für ihren Sohn massiv überzeugender.

 

Diese verletzte Mutter habe ich in den meisten Freundinnen meines Lebens wiedergetroffen. Verlassene, enttäuschte, und verletzte Mütter hatten ihren Töchtern Verachtung gegenüber Männern beigebracht. Jemand ne Idee, was das konkret bedeutet?

 

Zunächst mal wurde mir grundsätzlich mit Misstrauen begegnet.

 

Ich wurde als „Mann“ identifiziert, und vor denen waren die Töchter gewarnt worden. Wenn ich dann zu ihrer Überraschung zärtlich, mitfühlend, ein sanfter Liebhaber, und unterstützender Freund war, waren die meisten Töchter so überwältigt, dass sie sich in mich verliebten. Oft verliebten sie sich in ein Vaterbild, dass sie sich erträumt hatten.

 

Einziger Haken: sobald ich auch nur einen Hauch von Schwäche zeigte, erntete ich alle Verachtung ihrer Mütter in ihnen. Eigentlich wünschten sie sich einen Mann, der Gefühle zeigte. Aber in Wahrheit konnten sie nicht damit umgehen. Weil sie nie ein väterliches Vorbild erlebt hatten, das Gefühle erlaubte. Im besten Fall, waren mir Tränen erlaubt, weil sie die von sich kannten. Aber wehe, ich wurde laut, wehe ich wurde wütend, und wehe ich rutschte in den Bereich Gewalt ab. Es gibt nichts, was weniger erlaubt ist, als Wut. Es brauchte viele solche, für beide Seiten schmerzhafte Erfahrungen, ehe ich erkannte, dass ich damit all das bestätigte, was die verletzten Mütter, ihren Töchtern beigebracht hatten. Viele Töchter hatten bereits mehrfach Gewalt, aber wenigstens Demütigung erfahren. Ich durfte niemals diese Erwartung erfüllen!

 

Gleichzeitig hatte ich oft das Gefühl, dass die verwundeten Töchter es geradezu darauf anlegten, dieses Bild aus mir heraus zu kitzeln. Dass sie so lange provozierten, bis „ihr“ Bild, ihre Erfahrung, und die Lehre der Mutter bestätigt wurde. Das Spiel lief immer nach dem gleichen Prinzip ab. Weil die Töchter so wenig Anerkennung von männlicher Seite erfahren hatten, forderten sie sie ein, selbst wenn das nicht nötig war, und selbst dann, wenn sie massiv daneben lagen. Gewissermaßen hatten die meisten Töchter, die ich traf, einen massiven Selbstgefälligkeitswahn am Start. Geboren aus dem Zwang, immer richtig sein zu müssen. Widerspruch konnte nicht als andere Meinung stehen gelassen werden. Sie wollten „richtig sein“, in jedem Fall. Womit ich kein Problem hatte. Bis sie in mein Reich eindrangen, und auch dort bestimmen wollten, was richtig sei. Wenn ich das nicht erlaubte, begann der Krieg. Der leiseste Anflug von eigener Meinung wurde ins männliche Feindbild gelegt. Bis ich das Feindbild tatsächlich bestätigte. Kommt das irgendwem bekannt vor? Ich wiederum befand mich mitten in der Vaterwunde, und führte das Spiel der Männer weiter, die von Generation zu Generation Hilflosigkeit weiter gegeben hatten. Was ich nie gelernt hatte: Konflikte friedlich aufzulösen, oder Dinge nicht persönlich zu nehmen, also auf mich zu beziehen. Heute weiß ich, dass die Wunde der Töchter anerkannt werden wollte, und das nicht bedeutet, mich auf das Spiel der verletzten Mütter einzulassen.

 

Eine Auflösung wäre zu finden gewesen, wenn wir uns als Kinder unserer Eltern zu erkennen gegeben hätten. Wenn wir uns unsere Wunden als Kinder eingestanden hätten. Und letztlich, dass wir die Wunden unserer Eltern lebten, und sie an ihrer Stelle heilten. (Es macht keinen Sinn darüber zu jammern und zu klagen. Das ist das Spielfeld auf dem wir uns befinden.)

 

Deshalb denke ich, wäre es dringend nötig einen Elternführerschein einzuführen. Dass es Zweibeinern gesetzlich verboten ist, sich fortzupflanzen, ehe sie nicht ihre Elternwunden geheilt haben, und ein paar emotionale und psychologische Grundkenntnisse gelernt haben. Die häufigste Straftat von Eltern ist Eitelkeit. Die Fähigkeit ein Kind in die Welt zu schmettern, wird eitel als großartiges Wunder ihrer Liebesfähigkeit gefeiert, ohne ein einziges Mal zu bedenken, dass die rein biologische Fähigkeit dazu, nicht bedeutet, dass da bereits fähige, fühlende Menschwesen in die Elternrollen springen. Und Liebe, oh, was für ein großes Wort. Wie viele Eltern lieben ihr kleines, lebendiges Spielzeug nur genau so lange, bis es anfängt einen eigenen Willen zu erfinden. Und geben dann, in Ermangelung an selbst gefundenen Alternativen, den Blödsinn der verletzten Eltern weiter, weil sie sich an irgendwas festhalten müssen...

 



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