Druckmittel Angst
 
Als Säugetiere werden wir nach neun Monaten des friedlichen Träumens, sofern unsere Mütter nicht durch irgendwelche mentalen oder körperlichen Höllen gejagt wurden, in ein völlig fremdes Element gepresst. Es gibt Herzen, die sprechen vom „Geburtstrauma“. Nicht unbegründet. Erst seit ein paar wenigen Jahren kommen Herzen auf die Idee, Geburten unter Wasser, in gedämpftem Licht stattfinden zu lassen. Um den Übergangsschock kleiner zu machen. Um ein Urvertrauen zu erzeugen, das bei Geburten im Krankenhaus schwer entstehen kann. Da wird ein Kind in eine maximal unnatürliche, fremde Welt geschleudert. Gleich darauf beginnt ein lebenslanges Bioüberlebensprogramm.
 
Das heißt, dass ein Baby Nahrung und Berührung braucht. Nicht „will“. Es braucht Nahrung um zu wachsen, es braucht Berührung, um Sicherheit zu fühlen. Idealerweise wird ein Baby das an der Mutterbrust finden, was gleich die Erklärung bietet, warum Sex und Sicherheit miteinander verknüpft sind. Berührung bietet Sicherheit, weil die Nahrungsaufnahme mit Körperkontakt stattfand. Woraus Lust erwuchs, und ein Leben lang beibehalten wird. Es ist unsere Basisprogrammierung, und gleichzeitig das tiefste und fieseste Druckmittel der Angst.
 
Wenn der Nahrungsfluss unterbrochen wird, verwandeln wir uns ohne Vorwarnung in kleine, schreiende Babys. Wir sind praktisch ununterbrochen auf der Suche nach Nahrung, oder wenn wir eine Nahrungsquelle gefunden haben, wollen wir sie bewahren. Was praktisch bedeutet, dass wir sogar in der Sicherheit fürchten, dass uns die Sicherheit genommen werden könnte. Produktbezeichnung: Gier oder Geiz.
 
Spatzen sind ununterbrochen in Bewegung und Unruhig. Sie springen auf ihren putzigen Beinchen oder flattern hektisch herum, und sind entweder auf der Suche nach Futter, oder im Zustand von Dauerpanik, von größeren Tieren gefressen zu werden. Obwohl wir Zweibeiner uns so viel auf unser Bewusstsein einbilden wollen, ist uns selten bewusst, dass genau dieses angstgetriebene Verhalten eine Art Dauerzustand unseres Seins ist. Wir wollen es nicht anschauen, es uns nicht eingestehen, und weil Nahrung heute mit Geld verbunden ist, wollen wir Geld als böses Konzept verurteilen. Weil, sogar wenn genug da ist, nie genug da zu sein scheint.
 
Weder Geld noch Angst sind böse.
 
Mit Sex oder Nahrung erzeugen wir Gefühle von Sicherheit, die von jeder Abweichung des Gewohnten erschüttert werden können. Was zur Folge hat, dass ein Bioüberlebensprogramm aktiviert wird, das alle anderen Denkprozesse abschaltet. Außer, man hat irgendwann gelernt, wie dieses Programm funktioniert, und schafft es, sich mit Meditation, motivierenden Affirmationen und Atmung zu beruhigen.
 
Angst ist ein ganz mieser Ratgeber.
Ja, in der Ruhe liegt die Kraft.
 
Meist kommt es bei Herzen nicht so weit, dass sie ihre Angst ergründen. Sie befinden sich in einem lebenslangen festen Griff der Angst, ohne es jemals zu bemerken. Sie leben etwas, das banalisierend „Normalität“ genannt wird. Sie gehen nicht durch die Angst, sie stellen sich nicht ihrer Angst, und sie erforschen ihre Angst nicht. Sie springen von einer Nahrungsbeschaffungsmaßnahme zur Nächsten, genau wie Spatzen in Panik. Genau wie Spatzen, merken sie nicht, dass sie in Panik sind. Wenn Bedarf besteht, und meist besteht Bedarf, lenken sich ängstliche Herzen ab. Mit Entertainment. Mit Essen. Mit Zucker. Mit Drogen. Mit Sex. Fast alle tun es, also ist es für fast alle richtig.
 
Was einigen berechnenden Herzen sehr gelegen kommt.
Haben Herzen Angst, sind sie nicht in ihrer Mitte. Sind sie nicht in ihrer Mitte, sind sie lenk- und manipulierbar.
Weshalb gerne zur omnipräsenten Bioüberlebensangst, von uns Säugetieren noch zusätzliche Ängste erfunden werden. Um gleich im Anschluss Angebote zu verkaufen, mit denen die Angst aufgelöst werden kann. Angeblich.
Wer den Ursprung der Angst zurückverfolgt, wird unweigerlich auf das Schreckgespenst „Tod“ stoßen.
 
Das alles wird aktiviert, wenn wir morgens unsere Augen öffnen, und in einen neuen Tag springen. All das ist die Basis dessen, was wir uns als Leben gebastelt haben. Solange wir es nicht bewusst betrachten, sind wir Sklaven unserer Angst. Dann können wir uns tausendfach einreden, wir würden „machen was wir wollen“, aber werden bis zum letzten Atemzug nicht herausfinden, was unser wirklicher Existenzgrund ist.
 
Zur Zeit schmeißen Millionen Herzen mit schlauen Kalendersprüchen im Internet um sich. Ohne das, was sie da teilen, weil es ihnen irgendwie gefällt, bis zum Ursprung zurück zu verfolgen. Statt in die Angst zu springen, durch sie zu gehen, wurden uns verlockende Angebote gemacht, wie wir die Angst überbrücken könnten. Was zur Folge hat, dass die, die über diese Brücke gehen, niemals die wahre Natur ihrer Angst kennen lernen werden. Es ist, als würden sie aus großer Höhe in die Tiefe schauen, und einen gewaltigen Fluss sehen, der ihnen bedrohlich erscheint. Sie halten sich am Geländer der Brücke fest, und sind froh, nicht durch den Fluss schwimmen zu müssen. Sie könnten untergehen. Von Piranhas gefressen werden. Von der Strömung mitgerissen werden.
 
Ich lebe seit fast 25 Jahren in einem ständigen Zustand der Unsicherheit. Ich weiß selten, wo mein nächstes Essen herkommt. Wer mein nächster Kunde sein wird. Wo ich als Nächstes wohnen werde. Wie schon oft geschrieben, hätte ich nichts gegen Sicherheit einzuwenden – doch alle Sicherheiten, die mir angeboten wurden und werden, haben einen Rattenschwanz. Es sind fast nie Sicherheiten, die aus Liebe geschenkt werden. Meist werden sie mit der praktischen Erwägung verknüpft, dass ich für meine Illusion von Sicherheit zahlen soll, damit jemand anderes die Illusion von Sicherheit erhalten kann. Es wird nicht so kommuniziert. So wenig Herzen in Sex springen, mit der ehrlichen Aussage „Ich hab Angst, bitte tröste mich mit Orgasmen“, so wenig verraten Verkäufer, dass ihr einziges Interesse ihre eigene Sicherheit ist.
 
Sie wollen nicht mein Geld, sondern Geld als Symbol für die Illusion von Sicherheit.
 
Aber wie könnte ich Sicherheit geben, wo ich doch nicht im Besitz eines solchen Zustands bin? Wo doch niemand im Besitz von Sicherheit ist oder sein kann.
Ich lebe relativ frei, weil ich keine Lust habe, mir Angst machen zu lassen, oder meinen Angstprogrammen Macht über mich zu geben. Nicht weil ich Angst besiegt hätte. Wie ließe sich etwas besiegen, das Teil des Lebens ist?
Angst ist auch so wandlungsfähig, dass jeder Sieg nur ein Teilsieg sein kann, weil die besiegte Angst als unerwartete, unbekannte Angst am nächsten Tag neu geboren wird. Aber so, wie die Angst ständig neu geboren wird, werde auch ich neu geboren. Nicht im Sinne von Reinkarnation, oder wie es der Dalai Lama verkauft, dass wir von einem Körper in den anderen geworfen werden. Neu geboren, im Sinne von, jeder Anfang ist ein Ende, jedes Ende ein Anfang. Davor könnte ich auch Angst haben, doch wie meine verehrte Frau Mama so richtig sagte: „Wieso soll ich mich um was sorgen, was ich sowieso erfahren werde?“
 
Ich kann Angst vor dem Unbekannten vielleicht nicht abstellen, doch ich weigere mich, ihr zu erlauben, mich in einen Sklaven zu verwandeln. Noch weniger erlaube ich, dass irgendwer diese Angst füttert. Egal wie richtig oder edel die Intentionen auch sein mögen. Liebe drückt sich dadurch aus, Mut zu machen, oder einen Schlüssel zu schenken, der hilft, die Angst beobachten und erfahren zu können.
 
(Anmerkung: Diese Worte sind keine Second-Hand Infos. Es ist kein geklauter Scheiß von Gurus oder Selbsthilferatgebern. Diese Worte spiegeln meine heutigen, morgendlichen Gedanken und Gefühle. Meine Fragen werden vom Leben aufgeworfen, meine Antworten kommen direkt aus der Quelle. Kein Übersetzer, Guru oder Verkäufer nötig. Bitte nimm das als Anreiz, DEINE innere Stimme zu finden, zu hören, und anzunehmen.)
 
(Vigor Calma, 22.9.2019)
 



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