Hall of shame

 

Solltest du noch nicht in irgendeine hall of fame aufgenommen worden sein – mach dir nichts draus. Und wenn du vielleicht auch nie in einer landen wirst – auch egal.

Du bist längst anerkanntes Mitglied der hall of shame. Das ist viel, viel mehr wert. Ich muss das wissen, denn ich bin auch schon da.

 

Die Hall of shame ist der wundervolle Palast, wo wir uns alle brüderlich und schwesterlich vereint finden. Weil wir alle mit Schande geimpft wurden, und gelernt haben damit leben müssen zu sollen, obwohl der quatsch nichts mit uns zu tun hat. Klar, die Religionen, die sagen, wir wären schon mit Schuld und Schande geboren. Ich sag: Bullenscheiße. Schande wird in uns gesteckt. Wir alle sind in diesem Sinne Vergewaltigungsopfer. Weil man uns schlechte Gefühle machte, indem man uns verglich, bewertete, und verurteilte. Alles was wir sind, gerade unsere außergewöhnlichen, besonderen Merkmale, konnten gegen uns verwendet werden. Das kann deine Hautfarbe sein. Deine Genitalien und die damit verbundenen Rollenprägungen. Deine Kleidung. Deine Haare. Deine Berufung. Ob du Geld hast oder keines. Was du glaubst, Was du sagst. Wie du es sagst. Die Form deines Körpers. Dein kultureller Hintergrund. Wo du wohnst. Ich könnte die Aufzählung unendlich Fortsetzen. Du könntest dein ganzes Leben damit verbringen, allen Anforderungen gerecht zu werden, und dann würde dir eben dieses Verhalten vorgehalten werden.

 

Absolut jedes Merkmal konnte in Schande verwandelt werden. Denn das ist, wie sich verletzte Kinder rächen, wenn sie nicht zu verzeihen lernen. Sie nehmen einen beliebigen Punkt, und überprüfen, ob der Stich eine blutende Wunde verursacht. Falls nicht, wird weiter gestochen, bis eine Ader getroffen wird. Erst wenn Blut fließt, war der Stich gut platziert.

 

Wer sich mit Sado-Maso-Spielchen ein wenig auskennt, weiß, dass der Sadist aus jedem Verhalten einen Strick drehen kann und wird. Dass es ein krankes Vergnügen ist, Fehler zu finden, auf jemand zu projizieren, und sich am schlechten Gewissen der Beschuldigten aufzugeilen. Aber du musst dafür kein Sadist sein. Es ist das allgemein anerkannte und übliche Verhalten der Zweibeiner. Bis sie aufhören, erhaltene Schmerzen weiter zu geben.

Das, liebe Lesewesen, ist eine bewusste Entscheidung. Das fliegt dir nicht zu, sondern du artikulierst es. Du sprichst es aus. Du lenkst deinen Willen in Worten, und sprichst aus:

„Ich unterbreche hiermit den Kreislauf des Leides. Ich höre auf, mich für erfahrenes Leid zu rächen“.

In dem Augenblick geschieht etwas.

Du wirst deutlich sehen, wie ständig und überall Zweibeiner nach Punkten suchen, wo sie ihre Stiche setzen können. Dass sie weder deine Botschaften, noch dich als Botschafter wahrnehmen, sondern eine Gelegenheit suchen, dir gegenüber triumphieren zu können. Sich über dich stellen zu können.

Da du aus dem Spiel ausgestiegen bist, gibt es keinen Konflikt mehr. Du bietest weder Angriffsfläche, noch gibst du dem gegenüber Energie, indem du ihn als Feind bekämpfst. Oder ihn mit Rechtfertigungen glücklich machst.

Das macht dich unheimlich. Was umgehend als Grund genutzt wird, dich mit Schande zu überschütten. Aber es spielt keine Rolle mehr, weil du bereits offiziell in der hall of shame bist, und nicht mehr beweisen willst, wie wertvoll du bist, oder wie gut das sei, was du tust.

Dann wirst du eine ganz neue Art von Schönheit und Frieden finden. Weil du umgeben bist, von wirklichen, unperfekten, lebendigen Wesen. Die ihre Makel, Schwächen, Ängste, Verletzungen und Verletzlichkeit nicht verbergen, sondern als Auszeichnung und Schmuck tragen.

 Deine Narben sind, wie meine Narben, verdiente Preise. Für das Scheitern, das wir erfahren haben, weil wir den weg nicht gegangen sind, wie man es uns vorschreiben wollte. Dann wirst du erkennen, der place to be ist die hall of shame. Da, wo die Superstars gerne wären, aber irgendwie verpasst haben, sich und ihrem Weg treu zu bleiben.

Ist dir denn noch nicht aufgefallen, dass die großen, berühmten Helden der Menschheit einen gewaltigen Schatten hinter sich her ziehen. Einen Schatten aus Lügen und Kompromissen. Die sie in Kauf genommen haben, um zu gefallen.

 

Natürlich wollen wir geliebt werden und gefallen. Doch was sind wir bereit dafür zu tun? Wann werden wir unserer Wahrheit untreu, damit andere sich gut fühlen können?

Kritik sei gut, heißt es. Kritik müsse man aushalten können.

Ich sage: ich will nichts aushalten. Ich will nicht, dass irgendwer einen Maßstab auf mich anwendet. Ich will weder verglichen noch verurteilt sein. Weil es nichts mit mir zu tun hat. Oder verurteilt irgendwer eine Rose dafür, Rose zu sein? Fordert irgendwer eine Rose auf, etwas anderes als eine Rose zu sein? Ich hab zwar viel Unfug gehört und erlebt, aber das nicht.

 

Meine lieben Mitvergewaltigten: wir sind Rosen, die immerzu aufgefordert werden, etwas anderes zu sein.

Das tut weh. Es nervt.

Und irgendwann langweilt es nur noch. Wenn es dich so richtig anödet, heiße ich dich willkommen in der hall of shame. Gib den Besserwissern und Kritikern ein freundliches „Ja“, und lass sie stehen in ihrer Müllhalde aus Wertungen und Urteilen.

Lass uns ne anständige Party feiern, in unserer hall of shame.

Lass und unsere angeblichen Fehler als unsere eigentliche Schönheit und Individualität zelebrieren.

Shame on you crazy diamond.

 



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