Alter

 

Wenn man ein gewisses Alter erreicht, werden einem bestimmte Reaktionen, für die man früher gehasst wurde, mit hoher Wahrscheinlichkeit als „Weisheit“ ausgelegt. Sollte ich jemals in diese Situation kommen, werde ich sicherlich darüber genauso abkotzen, wie ich das über manche Fragen der Zweibeiner seit jeher tat.

 

Als Reisender wirst du zum Beispiel mit höchster Wahrscheinlichkeit gefragt, wo du her kommst. Und dann wird von dir erwartet, dass du mit einem Länder- oder Städtenamen antwortest, und danach hörst du irgendeine Einschätzung deines Gegenübers über dieses Land.

 

Wogegen es ein sicherer Gesprächskiller ist, wenn ich auf diese Frage mit „von der Erde“ antworte, oder mich als „Erdling“ bezeichne. Obwohl ich nur meine Wahrheit zum Ausdruck bringe, wird das von fast allen Zweibeinern als Schlag ins Gesicht bewertet. Beziehungsweise als Einladung, ein heiteres Geburtsort-Raten zu beginnen. Das kann geradezu fanatische Ausmaße annehmen, wenn mein Gegenüber merkt, dass ich auf das Spiel nicht einsteige, und darauf beharre Erdling vom Planeten Erde zu sein.

 

Auch das Ding mit dem Namen wurde mit zunehmender Reife sonderbarer. Was ist es nur, mit des Zweibeiners Besessenheit, alles betiteln und benamen zu müssen? Da ich schon als Teenager die Frechheit besaß, mir nicht nur „Spitznamen“ zu geben, sondern darauf zu bestehen, dass „Moonhunter“ oder „Sundance“ meine wirklichen Namen wären, erlebte ich häufig ähnliche Phänomene, wie bei der Herkunftsfrage. Es begann das lästige Nachbohren, was mein „wirklicher“ Name sei. Wenn ich darauf erwiderte, „Der Träumer“ sei mein „wirklicher“ Name, wollten viele wissen, was in meinem Ausweis stünde. Was wiederum mich sehr befremdete, denn welchen Wert hatte irgendwas, was irgendwer in irgendein Papier geschrieben hatte? Zumal der Name, den mir meinen Eltern gaben, allein ihr Problem gewesen war. Beziehungsweise ihr Vergnügen, ihr kleines, lebendiges Spielzeug mit „ihrem Namen“ zu markieren.

 

Ich verstehe heute weniger denn je, wie ein Name irgendwas über eine Person ausdrücken soll. Der Name, den ich heute nutze, ist vor allem eine Produktbezeichnung, damit Kunden mich finden können, und an zweiter Stelle, meine private Erinnerung, was in diesem Lebensabschnitt meine wichtigsten Aufgabenstellungen sind. Dem entsprechend, kann mein Name so plötzlich geändert werden, wie er sich von „Der Träumer“ zu „Vigor Calma“ verwandelt hatte.

 

Wenig haut mich so aus den Schuhen, wie die Frage nach dem Alter. Ich habe diese Frage schon als kleiner Junge gehasst, auch wenn ich damals nicht genau benennen konnte, warum eigentlich. Erst als Teenager erkannte ich, dass die Altersfrage eine Bewertungsfrage war. Je nachdem, wie mich jemand bewertete, war ich entweder „ganz schon reif für mein Alter“, oder „ganz schön unreif für mein Alter“. Je älter man dann wird, desto mehr verwandelt sich die Bewertungsfrage in ein „siehst aber gut aus für dein Alter“ oder „oh weia, der sieht ja schlimm aus, für sein Alter“. Es scheint einem elementaren Bedürfnis der Zweibeiner zu dienen, irgend einen Anker in jemand schlagen zu können, damit man sich nicht vor Augen führen muss, dass man niemals jemand verstandesmäßig kennen oder begreifen kann.

 

Früh hatte ich mir angewöhnt, auf die Frage nach meinem Alter mit dem Satz zu antworten: „Ich hab mein Alter vergessen“. Oder ich nannte einfach eine absurde Zahl, die mir in den Sinn kam. Was in etwa gleichbedeutend war, sich als Scientologe oder Kinderschänder zu outen. Wenig scheint den Zweibeiner mehr zu provozieren, als das Alter zu verschweigen. Häufigste Reaktion: dass ich irgendein unreifes, eitles Problem mit meinem Alter hätte. Eine Vermutung, die vor allem etwas über die Sichtweise meines Gegenübers aussagte. Wenn ich nachfragte, was es brächte, wenn ich ein Alter nennen würde, hörte ich häufig, dass es natürlich egal sei. „Aber trotzdem...Wie alt bist du denn nun?“ Als könnte irgendeine Zahl irgendetwas über mein Wesen, meine Gefühle, oder Gedanken ausdrücken. Dagegen sind Gespräche über's Wetter regelrecht poetisch.

 

Inzwischen ist klar, dass bestimmte Fragen vor allem dazu dienen, von vorneherein klar zu machen, dass ein Gespräch nirgendwo hin führen wird. Bis heute, sind mir wenige Herzenswesen begegnet, die auf Herkunfts-, Namens-, oder Altersfragen verzichten konnten. Und noch weniger Wesen habe ich getroffen, die wirklich relevante Fragen gestellt hätten. Nicht nur in einer Begrüßung, sondern generell. Wogegen ich oft, aus wahrem Interesse eben solche Fragen stelle – und dann oft Antworten bekomme, die für mich ähnlich unbefriedigend sein dürften, wie wenn jemand mein Alter wissen will, und es nicht erfährt.

 

Was soll man auch darauf antworten, wenn man gefragt wird, was dein neuester Stand zur Beschaffenheit des Universums ist, wann und wie du den letzten befriedigenden Orgasmus hattest, oder was deine größte Angst oder dein größter Schmerz ist. Da könnte ja wirkliche Kommunikation entstehen...


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