Außerhalb der Schublade

 

Liebe Kathy, aus Birmingham

 

Ich weiß nicht, wo Du heute bist, aber ich will Dir danken. Nicht nur dafür, dass Du mich mit Deiner außergewöhnlichen Oberweite unter Deinem Snoopy-T-Shirt als Teenager so mächtig beeindruckt hast. Ich möchte Dir für einen Satz danken. Ein Satz, der mich als 18-jähriger Teenager völlig überfordert hatte. Noch weit mehr als Deine beachtliche... Ich schweife ab...

 

 

„Bleib doch einfach hier“, hattest Du gesagt.

 

Wir saßen an einem griechischen Strand, und ich war den Tränen nah. Nicht weil gerade die Sonne unterging. Nicht weil ich keine Ahnung hatte, was ich mit Deinen Brüsten tun könnte oder sollte. Ich war total aufgelöst, weil es mein letzter Sonnenuntergang auf meiner griechischen Trauminsel war, und ich Dir eben gestanden hatte, dass ich nicht weg wollte. Nicht zurück ins triste Deutschland, wo mich nichts erwartete, als die dunkelblaue Bürgerlichkeit Hamburgs, in der ich damals lebte und litt.

 

„Bleib doch einfach hier“, hattest Du gesagt.

Ich hatte gesagt, dass ich nicht kann.

Erinnerst Du Dich?

Ich hatte mir nicht vorstellen können, wie ich auf der griechischen Insel mit Orangen pflücken Geld hätte verdienen können. Ich hatte mir so viel nicht vorstellen können. Dass Du womöglich gemocht hättest, dass ich Deine Brüste berühre oder küsse.

Ich hatte keine Ahnung, was möglich war. Das wurde einem in Deutschland nicht beigebracht. Groß und frei zu träumen. Das wurde hinter die Notwendigkeit der harten Arbeit gestellt. Etwas, das Du sicher auch kennst.

 

Ich war geprägt worden. Ich war in Deutschland aufgewachsen, und hatte deutsche Bequemlichkeit genossen, und mit deutscher Engstirnigkeit bezahlt. Wie war das bei Dir, in England? Womit bist Du geprägt worden? Hast Du auch erst andere Länder bereisen müssen, um zu erfahren, dass sie fast überall freier denken und leben, als da, wo Du herkommst?

 

Ich lebe heute auf Zypern. Natürlich ist hier auch nicht alles perfekt. Aber in einem Land zu leben, wo ich mir meiner deutschen Regelgläubigkeit bewusst werde, bedeutet, dass es sich da sehr viel freier lebt, als selbst ich mir es hatte vorstellen können.

 

Ich habe immer gegen Regeln rebelliert. Hier auf Zypern, gibt es eine generelle Freiheit des Leben-Lassens, die meine Rebellion überflüssig macht. Kathy, Du würdest es lieben, hier.

 

Nach so vielen Jahren in Deutschland, erfahre ich nun, wie es sich lebt, ohne Zäune und Mauern im Kopf. Wie selbstverständlich es war, bestimmten Wahnsinn, bestimmte Krankheiten, als „gegeben“ hin zu nehmen. Zypern ist anders. Die Leute hier sind anders. Sie dringen nicht ein. Sie fordern nicht. Sie besitzen die Gelassenheit, Dinge geschehen zu lassen, und statt etwas zu erzwingen, das Leben zu genießen. Selbst im so freien Berlin, gab es überall die deutsche Ordnung. Sie durchdringt das Land wie ein Geschwür. Bis in die hintersten Winkel. Man muss erst richtig raus sein, nicht nur ein Urlaub, sondern die Verbindung richtig durchtrennen, um zu spüren, wie irrwitzig die deutsche Bevormundung ist.

 

Liebe Kathy, ich weiß nicht, wie Du zu Deinem Heimatland stehst. Für mich fühlt es sich so an, als wäre ich im Exil geboren worden, und nach vielen Jahren in meine Heimat zurück gekehrt.

 

„Bleib doch einfach da“, hast Du einem ahnungslosen, ängstlichen und verunsicherten Teenager damals gesagt. Heute, als gereiftes Herz, lebe ich Deine Worte. Ich bleibe einfach hier. Solang mich das Land haben will. Ich mag es, und bin ewig dankbar, wie frei und warm ich hier sein darf. Ich fühle mich dem deutschen Schubladendenken entkommen.

 

Wo auch immer Du bist, liebe Kathy, ich wünsche Dir, dass Du auch Dein Leben genießt.

 

Dein Vigor

 



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