der narr in der ferne

Der Narr in der Ferne. Reisebericht Thailand -Laos -Zypern. Vigor Calma
Der Narr in der Ferne. Reisebericht Thailand -Laos -Zypern

Thailand – Laos – Zypern

Ein anderer Reisebericht
von Vigor Calma

 



Einleitung:

Dieser Reisebericht könnte viele Untertitel haben. „Von einem der auszog um Stille zu finden“, „Die große Desillusionierung“, „Die Zweibeiner sind verrückt“, oder „Wenn die Zweibeiner verschwinden, wird sie niemand vermissen“.

Fairerweise möchte ich alle Lesewesen vorwarnen. Dies ist kein süßer Reiseführer, mit dem ich Touristen Empfehlungen aussprechen möchte, wo sie besonders schön „die Seele baumeln lassen können“. Im Gegenteil. Ich habe den Massentourismus als etwas kennengelernt, der in Sachen Fragwürdigkeit kaum zu überbieten ist. Es ist mir  schwer begreiflich, was dahinter steckt, und wie irgendjemand schwer verdientes Geld für eine Illusion ausgeben kann.

Ich sah und sehe mich als Reisenden im klassischen Sinn, und als solcher, nahm ich lieber Unannehmlichkeiten in kauf, als in die Konsumfalle zu stolpern. Wie in all meinen anderen Texten lege ich es nicht darauf an, mir neue Freunde zu machen, geliebt werden zu wollen, oder Erwartungen zu entsprechen. Ich habe unzählige Reiseberichte gelesen, bevor ich aufbrach, und auf die eine oder andere Art, schienen alle die Welt mir sehr sonderbaren Augen zu sehen. Ich versuche noch heute zu verstehen, ob das wirklich einfach nur Blindheit ist, oder ob sich die Wenigsten eingestehen können, wann sie scheitern, oder ob es Bequemlichkeit ist, und alle so sehr im Konsum gefangen sind, dass sie sich von jeder noch so erbärmlichen Bequemlichkeit einkaufen lassen.

Tiefer gehende Stimmen gibt es bei Reiseberichten erstaunlich selten – aber was mich noch mehr erstaunte: kaum jemand scheint mit der Nase und den Ohren zu reisen. Ich staunte nicht schlecht, wie massiv Nase und Ohren belästigt wurden – aber außer meiner Mitträumenden und mir, schien das niemand aufzufallen, und niemand eine Erwähnung in den Reiseberichten wert zu sein.

Was ich stattdessen in allen Reiseberichten fand, waren Entschuldigungen, mit denen hochgradige Absurdität als „nationale Eigenheiten“ gerechtfertigt wurde. Wenn man nicht an Nationalitäten glaubt, und wenn man Kultur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert – das Blut, das durch unsere Adern fließt – zeigt sich die Welt von einer äußerst sonderbaren Seite.

Somit sei gewarnt. Dies wird keine weitere Lobpreisung des wunderschönen Thailands, und auch für Laos möchte ich keine Hymne anstimmen. Es sind zwei völlig verschiedene Schuhe, ob man als Tourist unterwegs ist, bereit jede Bequemlichkeit dankbar aufzusaugen, oder ob man als Reisender offen für Authentizität, Natur, und Stille ist.



1. Aller Anfang...

...ist verwirrend.

Die Entscheidung dem Berliner Winter mit thailändischer Hitze eins auszuwischen, war bereits im schönsten Sommer gefallen. Wenngleich ich da weder gewusst hatte, wie ich das finanzieren wollte, noch wann es losgehen sollte. Die Wohnungskündigung meines Vermieters setzte das Datum fest. 1.11.2015 – am mexikanischen Tag der Toten, heute eher als „Halloween“ bekannt.

Meine Entscheidung stand fest, und ungeachtet aller Wirrungen mit meiner möglichen Reisebegleitung und geliebten Mitträumenden, blieb alles sonderbar fern. Als hätten weder das Datum, noch der nahende Winter etwas mit mir zu tun. Ich machte im Stumpfsinn-Modus Schritt für Schritt, der mich meinem Abflug näher bringen würde.

Bis sich, genau eine Woche vor meinem Abflugdatum, alles subtil änderte. Ich wachte auf, mit einem sonderbaren, feinen Vibrieren in mir. Das sollte mein ständiger Begleiter werden, die letzten Tage in Berlin. Ein Zustand, der mein Herz schneller schlagen, und die Nächte kürzer werden ließ. Gleichzeitig dringende Aufforderung, das Atmen nicht zu vergessen.

Es war nicht gerade leicht, all die amtlichen Schritte zu gehen, um die ich selbst als Träumer nicht herum kam. Das waren:

- Reisepass besorgen
- Flugticket finden
- Visum kaufen (Visum = Eintrittskarte in die Nationalitäten-Vergnügungsparks)

Wie nicht anders zu erwarten, schlugen Bilder der Idiotie der EgoÄffchen auf mich ein, denn welchen Sinn macht ein Reisepass? Oder ein Visum? Außer, dass daran jemand verdient? Genau wie unsere Vorfahren, die Affen, bilden sich die Menschen bis heute was auf nationale Traditionen ein, und statt eine Kultur des Wachstums und gegenseitiger Inspiration zu feiern, werden Grenzen hochgezogen, und es wird so getan, als wäre da etwas „Schützenswertes“. Das ist gerade in einem Land wie Thailand ein wenig absurd, da es wohl kaum ein Land auf dieser Erde gibt, das leichter und heiterer Traditionen mit modernen Gimmicks verrührt.

Somit war die Gebühr für den Reisepass Förderung altmodischer Gedankenkonstrukte, und mein Beitrag am Untergang des Deutschen Reiches. Das Visum Förderung altmodischer Traditionen und mein Beitrag am Untergang des Thailändischen Reiches. Und sie werden untergehen, die Länder, die nicht lernen sich zu öffnen... Aber das ist eine andere Geschichte, und wird ein anderes Mal erzählt werden. Momentan soll es reichen, dass ich all die fremden befremdenden  Regeln artig erfüllte, und mit Reisepass und Flugticket eine Einreisegenehmigung erkaufte. Wenngleich ich nicht die Absicht hatte, die Regeln des Spieles all zu lang zu befolgen. Schließlich ist es immer nur eine Frage der Zeit, bis man weiß, wie der Hase läuft, und wie man ihn überholen kann.

2. Der Tod im Leben (I)

Es darf gestorben werden. Mitten im Leben. Es darf losgelassen werden. Mitten im Leben. Alles hat begrenzte Haltbarkeit. Wenn das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, darf neu gewürfelt, und neu gespielt werden. Das Alte, das Altbekannte, darf verabschiedet werden. Die Reise ins Leben begann ohne alles. Welch meisterlicher Schritt. Die Reise ins neue Leben, während man lebt, wird kaum so rein und nackt möglich sein. Aber die Dokumente und Relikte vergangener Torheit und Größe, dürfen leichten Herzens zurück gelassen werden. Vielleicht ist es so, dass Festhalten an alten Ideen, wer man sei, und was man erreicht hat, verhindern, dass man nach vorne tanzt. Je leichter das Gepäck auf dem Weg in den neuen Lebensabschnitt ist, desto offener wird das Leben einfließen können. Vielleicht begrüßt das Leben Narren und Abenteurer mit offenen Armen. Vielleicht ergibt sich die Möglichkeit alle Vermutungen zu überprüfen.

Als Minimalist, der seit Jahren das Prinzip des Loslassens verfolgt, staunte ich einigermaßen, als ich vor meinem Abflug bemerkte, was sich doch noch alles angesammelt hatte, und wie wenig es mich für meine neuen Lebenseinfälle unterstützte.
Bei meinem letzten Umzug von Friedrichshain nach Hermsdorf, am äußersten Rand Berlins, hatte ich mir noch mächtig etwas eingebildet, dass der Umzug ohne Fahrzeit gerade mal 15 Minuten gedauert hatte. Zehn Minuten um meine Sachen in Friedrichshain aus dem dritten Stock zum Auto zu befördern, und in Hermsdorf fünf Minuten, um die Sachen in mein neues Heim tragen zu lassen.

Doch was, wenn man nur einen (!) Rucksack auf Reisen mitnehmen will?
Und was, wenn man keine Lust hat, all zu schwer zu tragen?

Überhaupt: wie entscheidet man, was sinnvoll sein wird, und was gehört wirklich der Vergangenheit an? Oh, Überraschung: Vigorchen kann nicht in die Zukunft gucken.

Ich ging also nach dem Prinzip vor, das ich als Loslass-Coach anderen Leuten vorschlage:

iIch warf alles was zu werfen war, in die Mitte des Raumes (wenn es zu groß war, tat ich es mit meiner unendlichen Vorstellungskraft), und überprüfte, was ich längere Zeit nicht angefasst hatte. Und man staune: sogar mir geschieht es, dass sich Dinge an meinem Ausscheidungsraster vorbei schieben. In meinem Fall, waren es fast ausnahmslos Dinge mit nostalgischem Wert. Dinge, die ich für besonders wertvoll hielt, weil damit bestimmte Erinnerungen verknüpft waren. Z.B. eine olle Goa-CD, für die ich auf Ibiza das Cover gemacht hatte. Eine CD, die ich gefühlte 300 Mal hatte wegwerfen wollen, aber dann doch Jahr um Jahr, Umzug um Umzug mitgenommen hatte, weil es solchen Spaß gemacht hatte, dieses Cover zu basteln, und dafür bezahlt zu werden.

Hier wurde mir ein entscheidender Denkfehler klar: meinen Spaß hatte ich bereits gehabt. Sei es bei dem CD-Cover, oder mit mancher Zeichnung, bei der ich bis zum letzten Augenblick darauf hoffte, irgendwer würde einen Wert darin entdecken.


3. Der Tod im Leben (II)

Ich verwandelte ein paar mäßig produktive Streitereien mit meiner Geliebten, in die feurige Energie, die nötig war, um endgültige Schritte zu tun. Ich zerriss einige Zeichnungen und zerfetzte einige Gemälde, die ich seit Jahren nicht losgeworden war.

Ich höre nun einige Kunstliebhaber empört aufschreien, dass man das doch nicht machen könne. Doch. Es ist ein ziemlicher Graben, zwischen der Freude des Schaffens, und den mitunter zähen Versuchen, einem Kunstinteressierten ein Bild zu verkaufen. Für alle Künstler oder angehenden Künstler, hier ein ungefragter, kostenloser Hinweis:

Die Mehrzahl aller Kunstkäufer, kaufen nicht das Motiv, oder den Inhalt, die Liebe, die Seele, die ein Künstler in das Werk fließen ließ. Sie kaufen Prestige oder einen Namen. Die großartigsten Ausflüsse meinerseits, sind nur für sehr wenige von wert.

Also machte ich mir das Prinzip buddhistischer Sandgemälde zu eigen. Es war um die Meditation des Schaffens gegangen – nicht um Verkauf, Eitelkeit, oder irgendwelche anderen Ideen. Als die Bilder starben, tat sich die Erde nicht auf. Es fuhr kein Blitz hernieder. Keine Erschütterung irgendwelcher Art fand statt. Letztlich war es nur Materie, die gehen wollte, und Platz schuf, um noch mehr gehen zu lassen.

Am Ende war mein „Besitz“ auf folgendes Inventar geschrumpft:
- mein grüner, runder Futon (den ich vorerst nicht verkaufen wollte, solange nicht klar war, wie lange meine Reise dauern würde)
- mein schickes, schnelles Silberrad (Ein Rad, das sich anfühlte, wie für mich entworfen)
- zwei Kartons mit jeweils 3 Gemälden
- ein Karton mit meinem ovalen Spiegel und zwei gerollten Gemälden
- drei kleine Kartons mit Arbeitsmaterial, ein paar Winterklamotten, und Kleinkram (der mir zu dem Zeitpunkt noch sinnvoll erschien)
- ein Video-/Musikcomputer

All das durfte ich freundlicherweise bei lieben Freunden unterstellen, wenngleich mich ununterbrochen das Gefühl ansprang, dass nichts davon jemals wieder zu mir zurückkehren würde.

Wichtigstes Ergebnis meiner vorerst letzten Ausmist-Loslassaktion: Je mehr ich los wurde, desto größer und erfreulicher fühlte sich der Freiraum in mir an. Es war, als würden meine Sinne freier aufnehmen können. Ohne Ablenkungen. Dazu kam noch, dass ich null Verlangen nach Musik, Büchern, Filmen, oder Pornos spürte. Alles nur unbrauchbare Fremdinformationen, die herzlich wenig mit meinem Leben zu tun hatten. Da hatte die Natur ganze Arbeit geleistet. Mir zu zeigen, was wirklich mit mir zu tun hatte, und wie wunderschön es war, einfach nur einen Baum als Baum erfahren zu können – ohne währenddessen an zehntausend andere Dinge zu denken.

Mit jedem Ding das ging, fühlten sich meine Hände leerer an. Bereit, das Leben zu empfangen.
Was auch immer das heißen würde...



4. Reisenötig

Nachdem ich allen Ballast abgeworfen hatte, galt es herauszufinden, was für meine Reise nötig wäre. Lasst es mich kurz machen: Ich hatte keine Ahnung.

Ich spürte, dass als freies Wesen unmöglich ist, zu planen, und daher keine Chance bestand, die richtige Entscheidung zu treffen. Es war relativ klar, dass ich von manchem zuviel, von anderem zu wenig mitnehmen würde. Die Antwort, die mir zufiel, war so überraschend wie einfach:

Hab dich lieb, für die Fehler, die du begehst, und begehen wirst.

Das machte die Auswahl meiner Reiseutensilien sehr viel einfacher. Egal was ich im Internet fand – niemand schien so richtig auf meiner Wellenlänge zu sein, und fast alle schienen vor allem Angst in ihrem Gepäck zu haben. Die eine Sache, die ich ganz eindeutig in Berlin lassen wollte. Einzige überraschende und positive Ausnahme ist Conny Biesalski mit ihrem Reiseblog (www.planetbackpack.de) – deren Vorgehensweise ich nicht 1 zu 1 adaptieren konnte und wollte, die jedoch meinen allergrößten Respekt hat, für ihren Weg ein reisender Weltbürger zu sein.

Ich hatte z.B. schon beim Kauf meines Rucksacks ein paar Kilo mehr fantasiert, als ich jemals bereit wäre zu tragen. 70 Liter Volumen Stauraum wollte ich unter keinen Umständen nutzen. Meine Idee lag bei circa 10 Kilo – inklusive Laptop und Kabelsalat. (Es verwundert wohl niemand, dass meine elektronischen Spielsachen den schwersten Ballast ausmachten).

Wichtigstes Auswahlkritierium war der bevorstehende Langstreckenflug. Ich erinnerte mich noch gut, an meinen Thailandflug vor der Jahrtausendwende. Ich hatte mir mit meiner damaligen Partnerin stundenlang den Arsch abgefroren. Trotz der lausigen Minidecken, die von der Fluggesellschaft gestellt worden waren. Das sollte mir dieses Mal nicht passieren. Darum waren ein paar Sachen ausgewählt, die ich ganz sicher nicht in Asien nutzen würde: - ein dicker Winterpulli
- eine lange Baumwollstrumpfhose
- eine Mütze
- Baumwollkuschelsocken
Ja, ich bin eine Frostbeule, und Kälte ist der eigentliche Grund, warum ich aufbrechen wollte. Fast 30 Jahre Hardcore-Kältewinter in Europa und Grauberlin waren genug.

Die restlichen Dinge ergaben sich aus meinen Ideen, was ich machen wollte, wenn ich nicht gerade die Natur bestaunen würde:

- Laptop (um mit der Welt in Verbindung zu sein)
- 2 externe Festplatten
- Digicam
- Stativ
- Steadycam Vorrichtung
- MP 3 Player
- dazugehörende Kabel und Ladegeräte (alles zusammen ein beachtliches Gewicht, doch für meine zukünftigen Reisedokumentationen unerlässlich)
- meine dünnsten Klamotten (von denen ich bereits beim Einpacken ahnte, dass sie in Thailand schnell durch neue Klamotten ersetzt würden).


5. Die Langstreckenfolter (I)

Fliegen ist eine tolle Sache. Es katapultiert einen aus einer Welt in eine andere. Das hat seinen Preis, sowohl für die Umwelt, als auch für alle Beteiligten. Wenn ich alle romantischen Anwandlungen aus der Betrachtung raus nehme, dann spricht  mehr gegen das Fliegen, als dafür. Auch das ist eine andere Geschichte, und soll ein anderes mal erzählt werden.

Ich hatte mich dagegen entschieden, mit dem Fahrrad die 10770 Kilometer von Berlin nach Bangkok zurück zu legen. Klar, mögen jetzt manche von euch denken. Nein, eigentlich nicht, denn das Reisen mit dem Rad hat mir einige meiner liebsten Lebenserinnerungen geschenkt, und sicher wäre es ein wundervolles Abenteuer gewesen. Was mich wirklich abhielt, war die Aussicht, durch ein paar Länder radeln zu müssen, die nicht gerade dafür berühmt sind, die wärmsten Orte der Welt zu sein. Unter anderem: Polen, Ukraine, Russland, Kasachstan, Usbekistan, und spätestens bei Afghanistan war meine Toleranzgrenze erreicht. Fuck it. Ab in den Flieger, raus aus der Kälte, rein ins Schwitzen. Soviel zum Thema ökologisches Bewusstsein. Es ist eine Frage der Bequemlichkeit, wann sich wo bei wem das Ego einschaltet, und alle schönen Ideale über den Haufen geworfen werden. I mean... Thailand ist nicht gerade dafür bekannt, das fortschrittlichste Land in Sachen Umweltschutz und veganer Ernährung zu sein, was mich nicht davon abhielt, mich genau dahin zu bewegen...

Was ich mir an Radtour ersparte, wollte an anderer Stelle durch andere Preise bezahlt werden. Einer der Preise erwartete mich gleich am Flughafen Tegel, wo ich in der längsten Schlange landete, die ich mir seit Jahren gegeben hatte. Was damit zu tun hatte, dass ich mit einer Jordanischen Fluggesellschaft fliegen wollte, und Jordanier nach allem was ich bisher erfahren durfte, bevorzugt halb Berlin im Gepäck nach Jordanien mitnehmen. Der Check-In dauerte sagenhafte und rekordverdächtige 1 1/2 Stunden. Also anders gesagt: alle Zeit, die ich als Puffer eingeplant hatte, wurde mit rumstehen aufgeraucht, und der Flug startete 20 Minuten später.

Während des Wartens versuchte mich ein jordanischer Pharmavertreter davon zu überzeugen, mir unbedingt die Sehenswürdigkeiten Jordaniens anzuschauen. Irgendwer hat da mal was aus nem Fels geschnitzt, und das gehört heute zu den Weltwundern. Da stellte sich mir die Frage, warum ich irgendwas Menschen-Geschaffenes als Wunder ansehen sollte, wo mich doch ein banales Blatt an einem Baum, oder ein krabbelndes Insekt in Verzückung bringen konnte. Nein, Jordanien, Amman, war nur ein Zwischenstopp, und ich würde den Transitbereich des Flughafens nicht verlassen. Soviel war schon vor dem Check-In klar.

Meine Gesamtflugzeit (abzüglich aller Zeitzonen-Verwirrungen) sollte 11 Stunden betragen, plus einem Aufenthalt von 6 Stunden in der schönen Transitwartehalle von Amman. 17 Stunden sind eine lange Zeit. Vor allem, wenn diese Zeit kaum sinnvoll genutzt werden kann.


6. Die Langstreckenfolter (II)

Seit meinem letzten Langstreckentrip hatte sich viel getan. Die Sitze im Flieger haben alle einen kleinen, aufdringlichen Monitor bekommen, auf dem man sich mit allerhand pseudowichtigen Quatsch berieseln lassen kann. Die Auswahl der Filme und Musik drücken ziemlich genau den Massengeschmack aus, dem ich mit meiner Reise ebenso entkommen wollte, wie der Kälte von Berlin.

Mal ehrlich: wo liegt der Sinn darin, sich auf einer Reise Filme reinzuziehen, wo sich Leute umbringen oder von Katastrophen weg dezimiert werden. So cool „Mad Max Fury Road“ an einem öden Abend in Berlin sein mochte, so wenig Lust hatte ich in Zeitlupe explodierende Autos auf meinem Flug in mein neues Leben zu sehen. Dennoch blieb es nicht aus, dass ich beobachten konnte, wie andere Mitreisende sich von den Errungenschaften moderner Technik hypnotisieren ließen.

Warum ließen sie sich nicht wirklich hypnotisieren? Hypnose als Dienstleistung, im Flugpreise enthalten. Bei Abflug in Trance versetzen lassen, stundenlanger Tiefschlaf, und erhohlt im Zielland aus dem Flieger tanzen...

Natürlich hatte ich zum Zeitpunkt des Abhebens bereits so wenig geschlafen, dass ich sofort hätte wegpennen müssen. Allerdings laden die Sitze im Flieger auch heute nicht zum Schlafen ein. Warum gibt es bis heute kein schlaf-freundliches Design für Flugzeugsitze?

Als alter Meditations-Heini und Entspannungs-Fuzzi fiel es mir relativ leicht, die ersten vier Stunden durchzusitzen. Ich bekam von der Jordanischen Fluglinie sogar ein vegetarisches Menü spendiert, obwohl ich es nicht bestellt hatte. Hm... Hatte nicht gewusst oder irgendwo gesehen, dass man das bestellen könnte... Glück gehabt. Es schmeckte sogar erstaunlich gut, für einen Flug-Essens-Bausatz. In der letzten Stunde vor Amman merkte ich jedoch, wie mein Körper den bevorstehenden Jet Lag herzlichst einlud, und heiter sagte: „Komm her!“ Jet Lag antwortete: „Juhu“, und stürzte sich in mich mit Gebrüll.

In Amman wurde ich gleich Zeuge der sonderbaren Energien, die Moslems für mich auf Distanz halten. Jede Menge Machos in Machtpositionen. In Uniformen. Cool spielend. Typen mit verhüllten Ladys. Etc... Hatte schon einen Grund, warum ich buddhistische Kulturen ansteuerte...

In den paar Stunden im Flughafen von Amman sah ich genug Macho-Bullshit, um all meine Vorurteile gegenüber islamische Kulturen zu bestätigen. Nein, Leute, ich bin mäßig scharf darauf weiteres Geld in diese hoffnungslos veralteten Traditionen stecken. Wie sehr sich veraltete Traditionen von modernem Leben unterscheiden, wurde deutlich, als mehr und mehr Reisende Richtung Bangkok in der Transithalle eintrudelten, und Energien mit sich trugen, die ich bei den Flugreisenden nach Dubai komplett vermisst hatte...

 

 

7. Die Langstreckenfolter (III)

Was für ein bunter Haufen Unikate den Flieger nach Bangkok besteigen wollte! Jung, alt, und keiner einfachen Schublade zuzuordnen. Am meisten faszinierte mich ein uralter, bärtiger Kerl, der bereits im Flieger von Berlin gesessen hatte. Ein Typ, der in jeder Beziehung vom Leben gezeichnet war, mit bandagierten Beinen und Füßen, der stoisch die gleiche Zeit wie ich in der Halle wartete. Ob er sich auch fragte, warum niemand in der Lage zu sein schien, schlaf- und entspannungsfreundliche Sitzgelegenheiten in Transitwartehallen zu stellen? Oder warum sich ein Mensch, der in der Lage ist den Verstand einzusetzen, sich solchen masochistischen Episoden aussetzte?

War es wirklich nicht im Sinne der Fluggesellschaften, dass sich Kunden wohlfühlten – obwohl sie in der Werbung all das versprachen? Ich fühlte mich von einer älteren Chinesin gespiegelt, die alle halbe Stunde eine andere unbequeme Haltung auf den Sitzmöbeln einnahm. Erst die letzte halbe Stunde vor Abflug war ich bereit mich genug gehen zu lassen, um mich auf den Boden zu schmeißen, den Kopf auf mein Handgepäck gebettet, um wenigstens kurz weg dösen zu können.

Die letzte Etappe der Langstreckenfolter stand mir erst noch bevor.

Übermüdet und bereits an meiner körperlichen Grenze angelangt, machte ich mich auf weitere 6 Stunden gefasst. Ich könnte das nun pervers ausschmücken, welche 50 shades of pain ich durchsessen habe, aber wozu? Wer nicht weiß, wovon ich schreibe, wird es eh nicht verstehen, und alle, die es schon erlebt haben, haben es erfolgreich verdrängt.

Alle kennen den Umstand, dass schöne Momente wie nichts vergehen. Umgekehrt, können sich qualvolle Momente unendlich ausdehnen. Genau das geschah. Jede Minute, die ich mir nicht verkneifen konnte, auf die Uhr zu schauen, dehnte sich um zehn Minuten. Ich hätte mir vielleicht eine der Hardcore-Schlafpillen reinziehen sollen, die mir ein befreundeter Zahnarzt empfohlen hatte. Nur wollte ich mein neues Leben nicht gleich damit beginnen, irgendwelche Chemie aus meinem Körper rausbekommen zu müssen.

Hier nun, die positive Botschaft für alle Optimisten, die sich bis hierher durch mein Geschichte gequält haben: Es heißt, dass gebärende Frauen alle Geburtsschmerzen in dem Moment vergessen, wenn sie überstanden sind. Nicht anders war es mit meiner Geburt ins neue Leben. Auch dieser Flug endete, und völlig unspektakulär, so wie man sich das als lebensbejahender Reisender wünscht, landete der Flieger auf thailändischem Boden. Rief da jemand „Willkommen Vigor!“? Leider nicht. Ich war eh zu fertig um klar zu hören oder zu denken.



8. Flughafenhotel

Meine Auswahlkriterien für das Flughafenhotel waren denkbar einfach. Ich brauchte nach der Langstreckenfolter einen Ort zum Langstrecken. Es sollte nicht in Bangkok liegen, nah am Flughafen sein, und nicht all zu viel kosten. Kurz hatte ich mit dem Gedanken gespielt, mir eine krasse Luxusnacht zu schenken, doch den Luxus, den ich mir wünsche, würde ich ohnehin von der Natur geschenkt bekommen. Eines steht außer Frage: Bangkok ist so weit von Natur entfernt, wie es nur geht.

Ich entschied mich für ein Hotel, in dem ich knapp unter 1000 Baht pro Nacht zahlen würde, was schon weit mehr war, als ich gewillt war, zu zahlen, aber ich wollte ohnehin nur maximal zwei Nächte bleiben.

Dafür erhielt ich ausreichenden Service, Internet im Zimmer, Kühlschrank, eine Mega-Boost-Klimanlage, mit der ich mein Zimmer in einen Kühlschrank verwandeln konnte, naja, eben alles was so ein Hotelzimmer haben sollte. Es war sauber, die Matratzen auf magische Weise bequem (denn eigentlich fühlten sie sich steinhart an, aber ich schlief fantastisch darauf), und alle Angestellten waren freundlich und hilfsbereit. Man könnte also sagen, ich hatte es gut getroffen.Was allerdings wenig nützte, weil meine Seele irgendwo zwischen Amman und Bangkok über den Wolken hängen geblieben war. Leute, was lebt es sich schräg, ohne Seele. Da verwandelt sich alles in Schlafwandeln und Drogenambivalenz ohne Drogen. Und erzählt mir nix über Meditation. Das war so absolut das Letzte worauf ich Lust hatte.
Es dauerte bis tief in die Nacht, ehe meine Seele nachgereist war, und ich endlich einschlafen konnte. Die Zeit bis dahin verbrachte ich mit ersten Einkäufen in nahen Supermärkten, und mit meinem ersten Thai Essen.

Eigentlich hatte ich ja gedacht, dass mich meine erste Thai Massage nahtlos in den Schlaf beamen würde. Tatsächlich rollte sie nur den Teppich ins Land des traumlosen Schlafes aus, und den Teppich sollte ich erst Stunden später betreten.

 

 

9. Thaimassage

Es wird viel geschwärmt, wenn es um Thaimassagen geht. Lasst mich die Pointe vorweg nehmen. Zu Recht. Sie war jeden Baht wert. Man möge mir verzeihen, dass der Zweifler in mir befürchtete, da könnte freche Abzocke auf mich warten. Massage ist eine Kunstform, und ich war wirklich fällig für eine Massage. Die Erwartungshaltung war also groß... auch wenn ich unvoreingenommen an die Sache rangehen wollte.

Die Thailänderin, undefinierbares Alter zwischen 17 und 30, kam in mein Hotelzimmer, was ich als alter Sexfreak ganz schön intim fand. Sie brachte eine unbeschwerte, heitere Art mit, in der Entspannung stattfinden konnte, und ich nicht an ihre großen Brüste denken musste. He, ihr denkt vielleicht das wäre selbstverständlich, aber es gab Zeiten, da hätte mich das ziemlich in Verlegenheit gebracht, mit einer sympathischen, unbekannten Frau in einem Hotelzimmer zu sein. Aus Sicherheitsgründen behielt ich züchtig meine Unterhose an.

Dann versuchte sie mir geschäftstüchtig eine besondere oder andere Massage zu verkaufen. Was weniger in meinem Sinne war. Es war die Ankündigung dessen, was wohl inzwischen „normal“ geworden ist, in Thailand. Alle wollen was verkaufen, und überschreiten schnell mal die Grenze zur Aufdringlichkeit. Zumal ich nicht hergekommen war um zu kaufen, sondern um zu verkaufen... Sie rettete die Situation mit ihrer Heiterkeit, und kurz darauf, lag ich unter ihr auf der Matratze.

Als Instruktion hatte ich angegeben, dass ich es sanft und nicht all zu heftig haben wollte, und gleich bei ihren ersten Berührungen staunte ich. Diese Hände hatten schon öfter massiert. Eindeutig. Es fiel mir leicht, mich augenblicklich ihren warmen, festen Händen hinzugeben, meine Atmung zu vertiefen, und meinen Jetlag rauszuhauchen.

Sie ging zügig zur Sache, und wieder befürchtete der Zweifler in mir, über den Tisch gezogen zu werden. Ich hatte für eine Stunde bezahlt, und konnte mir nicht vorstellen, wie sie das mit dem Tempo einhalten wollte. Ich rechnete damit, dass nach 20 Minuten alles vorbei wäre. Aber nach 15 Minuten hatte sie gerade erst die eine Seite meines Rückens vorgenommen, und arbeitete buchstäblich jeden Bereich meines Körpers durch (meinen Schwanz ausgenommen), und schickte mich ins Nirvana der Entspannung. Dreimal wachte ich davon auf, dass ich leicht schnarchte. Halleluja. Die hatte es drauf.

Nach einer Stunde war ich perfekt durchgeknetet worden, mit einer Technik, die ich bislang nicht kennengelernt hatte. Wissende, begabte Hände und Griffe, und ein wunderbarer 2. Willkommensgruß von Thailand.

Ich bedankte mich, sie flatterte heiter aus dem Zimmer, als wäre nichts gewesen, und ich war bereit für meine erste Nacht in Thailand. Es war gerade 21:00 Uhr Bangkok Zeit, und die Entspannung brauchte noch etwas um anzukommen. Um 01:00 war es soweit, und ich möchte schwören, dass die Massage daran beteiligt war, dass ich fantastisch schlief.


10. Lehrgeld (I)

Thailand ist noch nicht so wahnsinnig lang im Tourismus-Spiel. Es wird viel gerätselt, was da vorgehen könnte, aber die Antwort ist international. Da gibt es keinen „Kultur-Bonus“, den manche Reisende sich gerne zusammendichten wollen. Das Ego ist gierig. International. Es hat Angst nicht genug zu bekommen, und wenn man sich Bangkok ansieht, dann schreit hier fast alles, dass mehr gekauft werden muss, und nur der schöne Schein Bedeutung hat. Die Autos müssen glänzen und neu sein, die Kleidung neu und edel, Prestige überall.

Damit befindet sich Thailand wohl an dem Punkt, wo alle Kulturen durch müssen, ehe sie verstehen, dass die wahren Werte des Lebens nicht gekauft – sehr wohl aber verkauft werden können. Die Thailänder verkaufen gerade eine Menge ihrer alten Werte – und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie damit auf die Nase fallen. Wer wissen will, was damit gemeint ist, schaue sich die Lage in Griechenland oder auf spanischen Mittelmeerinseln an. Das gierige Ego bekommt nicht genug, und will mehr, mehr, mehr, überschreitet alle Grenzen des guten Geschmacks, bis das, was einst wie ein betörender Duft wirkte, sich in abstoßenden Gestank verwandelt. Sogar in Berlin ist das zu sehen, wo sämtliche Gründe Berlin zu lieben, meistbietend verhökert werden, bis die Seele aus Berlin flüchtet, und Orte zum Atmen wiederfindet.

Ich ging davon aus, ich würde hier etwas Lehrgeld zahlen müssen, ehe ich begreife, wie es läuft. So gesehen, ist jeder verlorene Baht, ein gewonnener Baht. Zuerst hatte mich die Massagequeen versucht zu überreden, mehr auszugeben, als ich bereit war auszugeben.

Dann kam meine Taxi-Erfahrung. Ich hatte zwei Dinge zu erledigen, und wollte deshalb in die berüchtigte Khaosan Road. Nun ja... Eigentlich drei Dinge. Ich wollte auch wissen, ob die Straße wirklich so wild wäre, wie allgemein gesagt wird. Sicher, ein Postamt hätte ich auch hier um die Ecke gefunden, aber vor allem, galt es einen Selbstversuch der besonderen Art zu wagen. Dazu später.

Das Taxi wurde von einem Angestellten im Hotel gerufen, und da unterlief mir der erste Fehler. Der Fahrer war mir mittelschwer unsympathisch. Ich stieg ein, obwohl ich kein gutes Gefühl hatte. Und das Gefühl, tja, das war so ungut, weil er sagenhafte 1000 Baht (ca. 25.-€) für die Strecke vom Hotel in die Khaosan Road haben wollte. Das erschien mir etwas viel, für eine Strecke, die im Internet mit 30 Minuten angegeben war.

Generell bin ich allerdings so drauf, dass ich es genau wissen will, darum stieg ich entgegen meinem Gefühl ein, und bekam eine äußerst preiswerte Lektion in Sachen „Hühnerauge sei wachsam“.

Wir fuhren im krassesten „Berufsverkehr“. Die Straßen waren überfüllt, und die Highways sogar noch mehr. Die veranschlagten 30 Minuten dehnten sich auf die vierfache Zeit aus, in der ich einen Mitschnitt fremdartiger Klänge im Stereo des Taxifahrers belauschte, und die Hässlichkeit des Straßenverkehrs versuchte in mein naturverwöhntes Bewusstsein integriert zu werden. Wer jemals im Stop and Go rund um Bangkok gefangen war, weiß, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, da irgendwas „integriert“ zu bekommen.

Für den Highway fielen Gebühren an, die der Fahrer mit einer Lässigkeit einforderte, die in Berlin zu einem unschönen Mord auf offener Straße geführt hätte. Aber ich hatte bereits „Ja“ gesagt, und war gespannt, wie weit es noch gehen würde. Und es ging noch weiter. Vorm Aussteigen, forderte der Fahrer zusätzliche 500 Baht ein, und ich hatte die Lektion gelernt. Sie lautet:
Buddhistische Bescheidenheit ist in Thailand – wenigstens in Bangkok – nicht mehr so leicht anzutreffen.
Ich bestimme hier den Preis, und wer mitgeht, hat gewonnen, wer nicht, auch egal. Ich sollte gleich auf der Rückfahrt Gelegenheit bekommen, zu üben.


11. Lehrgeld (II)

Vermutlich liegt es in der Natur des Reisens selbst begründet, dass man als Anfänger stets etwas mehr Kraft aufwendet, als nötig wäre, und etwas schneller und hektischer agiert, als man es machen möchte. Was in vertrauter Umgebung langweilt, oder lästige Routine ist, kann in fremden Ländern ein Abenteuer werden. Speziell wenn man die Sprache nicht spricht, oder die Schrift nicht lesen kann.

Als völliger Thai Analphabet versuchte ich in der Nähe der Khaosan Road ein Postamt aufzutreiben. Da staunte ich nicht schlecht, als ich tatsächlich über ein DHL-Geschäft stolperte. Die Angestellte sprach englisch, und ich schilderte, was ich zu tun hatte. In meiner Reiseaufregung hatte ich schlicht vergessen bei meinem Auszug zwei wichtige Dokumente für meinen Vermieter zurück zu lassen. Dumm gelaufen. Also würde er sich über Post aus Thailand freuen...

Für nur 1900.- Baht hätte ich einen etwas unangemessen großen Umschlag nach good old germany schicken können. Wenn ich verrückt genug gewesen wäre. Für 1900.-Baht hätte ich zwei, drei Tage wie ein Gott in Thailand leben können. Also ließ ich mir den Weg zum Thailändischen Postamt beschreiben. Die Beschreibung war gut genug, dass ich das Postamt tatsächlich fand. Ja, auch in Bangkok führen Straßen nach vorne, links, oder rechts. Der Brief dort, kostete gerade 110.-Baht – und damit kam ich der Sache schon näher.

Dann wollte ich noch meinen Selbstversuch klar machen. Dazu an späterer Stelle mehr.

Ich schob mir noch etwas Gemüse mit Reis rein, und dann galt es ein Taxi für den Weg zurück zu finden. Da stand auch prompt eines, mit ner Frau hinterm Steuer, die mich für nur 5500.- Baht zum Hotel fahren wollte. Ob sie mit der Masche jemals Erfolg hatte? Ich war kurz davor, einen Lachkrampf zu bekommen. Ich bot ihr 1000.- Baht an, wohl wissend, dass das immer noch eine Menge Schotter war. Der Weg zurück dauerte gerade mal 20 Minuten, und ich erfuhr ein wenig über das Leben der Taxifahrerin. Sie kam vom Dorf, hatte ein Taxi abzuzahlen, und würde dafür 3 Jahre jeden Tag arbeiten. In irrwitzigem Verkehrschaos, gegen das Berlin absolut geordnet und wundervoll erschien.

Am Abend fühlte ich mich leer, und auf unerfreuliche Weise ausgenommen. Man könnte nun sagen, dass ich schlecht informiert gewesen war, doch im Internet kursierten allerhand unterschiedliche Aussagen, die sich sehr widersprachen, und selten ansatzweise das verrieten, was ich wissen musste. In Thailand war ich tatsächlich auf mich zurück geworfen, und aufgefordert, selbst herauszufinden, was für mich funktionierte. Eines hatte sich schnell herausgestellt. Ich wollte Taxis fortan meiden. Egal wie ich es drehte – Taxi in Bangkok bedeutete mit größter Wahrscheinlichkeit abgezockt zu werden. Ein Regelsystem scheint es zwar zu geben – aber mal ehrlich: wer will schon auf Reisen einen Kampf mit Taxigesellschaften durchfechten? Eben.

Somit stellte sich die Frage, wie die Reise weitergehen sollte. Wohin, und mit welchem Transportmittel?


12. Ins kalte Wasser

Eine der ersten Einsichten in Thailand war wohl, dass alles ganz anders ist, als im Internet vermittelt. Irgendwie sonderbar, aber egal wo ich geschaut hatte – nirgendwo war eine brauchbare Info über die Beschaffenheit der Bus - oder Zugverbindungen zu finden gewesen. Ja, sicher, nimm den Bus, oder den Zug, und, und, und, aber es gestaltet sich total anders, wenn man vor Ort ist.

Nach meinen 2 Nächten im Flughafenhotel, war es höchste Zeit etwas anderes zu finden. Nach Möglichkeit ohne nochmal von einem Taxifahrer ausgenommen zu werden.

Nicht weit vom Hotel gab es eine Haltestelle für Minibusse. Ob die jedoch bei der Eisenbahnstation hielten? Unmöglich zu sagen – und wer hat schon Lust auf einen vagen Verdacht hin, das Gepäck herum zu schleppen? Ich rechnete mir aus, dass zwischen 100 und 150 Baht für ein Taxi angemessen wären – nach Berlin Standards. Ich schwor mir, dieses Taxi würde mein Letztes in Thailand sein.

Auch dieses mal wollte der Taxifahrer mich zu etwas bequatschen, was ich nicht wollte. Mich für 3200.- Baht bis nach Hua Hin zu fahren. Da war es mal Zeit, ihm die Verhältnismäßigkeit vorzurechnen. Dass ich für um die 100.- Baht auch ans Ziel kam. Mit dem Zug. Und dass ich mit 3200.- Baht zwei Wochen in Thailand leben könnte. War zwar etwas großzügig geschätzt, brachte den Fahrer aber zum Schweigen. Auch dieses mal hatte ich das Gefühl, der Fahrer war von Gier getrieben.Beim Einladen des Rucksacks hat er mir geholfen – ausladen musste ich ihn dann selber, ich böser Farang.

Da erlebte ich meine zweite positive Thailand-Überraschung. Was haben sich die Thai ins Zeug gelegt, wenn es um ein anständiges Bahnnetz in und um Bangkok ging. Alles wirkte relativ frisch gebaut, neu, glänzend, und gut durchorganisiert. An den Ticketschaltern saßen Angestellte, die englisch sprachen, Auskünfte geben konnten, und zum ersten Mal seit meiner Ankunft, fühlte ich mich in guten Händen. Alles war gut ausgeschildert, leicht verständlich, und unterschied sich nur dadurch von Berlin, dass erstaunlich viele Thailänder unterwegs waren. Die allerdings waren ebenso von ihren Handys hypnotisiert, wie die Berliner.

Bis zum Bangkok Zentralbahnhof Hua Lumphong stieg ich zweimal um. Problemlos. Am Bahnhof gab es ein Ticketbüro für Ausländer, und im nächsten Augenblick hatte ich alles komplett im Griff. Ich machte es mir in der großen Wartehalle bequem, und döste 2 Stunden vor mich hin. Zwischendurch kaufte ich mir noch einen Mundschutz. Nachdem ich im Bahnhof ein Schild gesehen hatte, das sachlich riet, sich für wenigstens 20 Sekunden die Hände zu waschen, ehe man Essbares berührte, und in öffentlichen Räumen mit vielen Leuten, einen Mundschutz zu tragen. Auch wenn ich nicht an Viren glaubte, hatte die Maske einen gigantischen Vorteil – sie filterte auch manchen unangenehmen Geruch heraus. Anders als die modernen Neubauten in Bangkok, war die Linie nach Süden nicht mehr so frisch. Der Haltereich stank nach so ziemlich jeden erdenklichen Mief, den ich nicht in mich aufnehmen wollte. Natürlich machte ich auch nochmal eine Pinkelpause, bevor es losging, und liebe Leute, der eigentliche Kulturschock findet in Thailand auf öffentlichen Toiletten statt. Oder sollte ich besser von „Scheißhäusern“ sprechen..?

Als ich in meinem Wagen, an meinem Fensterplatz saß, war klar, dass nun meine Ankunft in Asien begonnen hatte. Es gab offene Fenster, und im Gang, an der Decke angeschraubt, ein hypnotisches Ballett von Ventilatoren . Seit in Deutschland der IC Geschwindigkeitsrekorde aufstellt, ist nix mehr mit lässig rausschauen und genießen. Hier in Thailand schon. Ich machte von der Möglichkeit ausgiebig Gebrauch, filmte, und nahm die grandiosen Sounds des Zuges auf.

Zug in Thailand bedeutet offenbar auch heute noch Langsamkeit, und augenblicklich war klar, wie ich zukünftig durch Asien reisen würde.


13. Zugfahrt

Dass Thailänder geschäftig und geschäftstüchtig sind, das ist mir kein Geheimnis mehr. Dass sie gerne essen ist auch bekannt. Darum rennen sie vor der Abfahrt neben dem Zug her, oder durch den Zug, und bieten ihre Leckereien an. Wenngleich mit mäßigem Erfolg, weil sich alle Reisenden bereits vor der Abfahrt mit allem eingedeckt hatten.

Ich hatte einen Platz neben einer älteren Engländerin am Fenster, 2.Klasse. Wenngleich das Treiben neben dem Zug, und im Wagon beachtlich war, steckte in all dem eine gewisse Lässigkeit. Als hätten alle jede Bewegung unzählige Male geübt. Ich meine damit nicht ein paar Mal. Nicht hundert Mal. Sondern lebenslang. Es machte den Anschein, das jeder Handgriff - sowohl von den Bahnangestellten, als auch von den Verkäufern und Verkäuferinnen - auch Blind gemacht werden hätte können. Natürlich nicht zu schnell. In der Hitze machte niemand etwas schnell. Schwitzen ist einfach nicht angesagt.

Als der Zug los düste, schnappte ich mir meine Digicam, und filme, was das Zeug hielt. Kaum waren wir aus dem Bahnhof Bangkok raus, wanderte ein freundlicher lächelnder Militär durch den Wagon, und kontrollierte stichprobenartig ein paar Taschen und Rucksäcke. Ach ja. Es hatte in Bangkok einen Bombenanschlag gegeben. Darum waren auch einige Zugänge bei der U-Bahn mit Metalldetektoren versehen gewesen. Eine nette Geste, die Sicherheit suggerieren sollte.

Warum diese Sicherheit trügerisch war, stellte sich gleich darauf heraus, als ich wiedermal an die Ausmaße Bangkoks erinnert wurde. Es ist für mich als Europäer einfach nicht begreiflich, wie eine Stadt keinen Stadtkern und keine Stadtgrenzen haben kann. In einem solch unendlich riesigen Raum, mit so vielen Menschen kann es keine Sicherheit geben. Der Zug fuhr und fuhr, doch hinter jeder Baustelle, folgte die nächste Baustelle. Es war, als ob Bangkok noch schneller wuchs, als die Bevölkerungszahl, und was ich hier an Baugigantomanie sah, lässt sich nicht mehr beschreiben. Es war nur deutlich zu erkennen, dass hier niemand Ökologie im Sinn hatte, sondern dass ein Highway dem Nächsten folgen musste, und ein Betonpalast dem Nächsten. So ging das geschlagene zwei Stunden.

Nach zwei Stunden schoben sich öfter und öfter ein paar Büsche oder Bäume ins Blickfeld. Ab und an winkte mir ne Palme zu, während der Zug mit dem absolut fantastischsten beat vor sich hin tuckerte und ratterte und schepperte. Ich zuckte mein Aufnahmegerät, und nahm den Sound auf. Wer weiß, vielleicht würde ne Klangcollage daraus.

Nach Jahren im klimatisierten Vakuum IC war die Fahrt in dem offenen, langsamen Thaiwagon einfach pure Romantik. Der Wind streichelte meine Glatze, und nach vier Stunden gewann die Bahnfahrt an Reiz. Die Sonne ging gerade unter, vor mir Reisfelder, Kraniche, die darin herum stelzten, Palmen, ferne Berge – die wie Beulen aus der Erde ragten – und Palmen, Palmen, Palmen. Die Palmen erinnerten mich daran, dass ich weit, weit weg von meinem alten Zuhause war. Ich hatte mich längst an den für mich unverständlichen Singsang der Verkäufer und Verkäuferinnen gewöhnt, die im Zug auf und ab gingen.

Einmal kam ein magisch wirkender Berg ganz nah, und ich überlegte kurz, bei genau dem Bahnhof auszusteigen, der vor dem Berg läge – und ausgerechnet an dem Bahnhof hielt der Zug nicht. Na, dann halt nicht.

Als die Sonne weg war, was in Thailand sehr, sehr viel schneller geht, als die Abenddämmerung in Deutschland, war es Zeit ein wenig zu pennen. Der Zug hatte inzwischen über 1 ½ Stunden „Verspätung“ - aber anders als in Deutschland, empfand ich das nicht als Fehler. Ich hätte wohl ewig in dem Zug weiterreisen können. Aber er hielt an meinem Zielbahnhof Hua Hin. Und wieder stellte sich die Frage, wo ich schlafen wollte.

 

 


14. Hua Hin und weg (I)

Auf der Suche nach dem Übergang ins Paradies, brachte mich eine bezaubernde Zugfahrt nach Hua Hin. Für einen Bruchteil des Preises und der Geschwindigkeit einer Busfahrt, kam ich an die Grenze zum „Süden Thailands“ Also: Westküste, zwischen den ehemaligen Urlaubsparadiesen im Süden, und dem Moloch Bangkok. Die Idee war: von Hua Hin würde ich sicherlich einfach zum Nationalpark Kaeng Krachan kommen können. Und bei der Gelegenheit könnte ich auch gleich mal wieder dem Meer Hallo sagen – auch wenn ich nicht die Absicht hatte, zu lang mit Meerestourismus in Kontakt zu kommen.

So bezaubernd die Fahrt bei offenem Fenster in einem alten Zug war, so hübsch war der Bahnhof Hua Hin anzusehen. Ganz eindeutig ein kleines Schmuckstück von einem Bahnhof. Rote Säulen, goldene Verzierungen. Und anders als in anderen Ländern, die ich bisher bereist hatte: jede Menge Sitzgelegenheiten. Das ist einer der entscheidenden Unterschiede Thailands (sofern ich es bisher kennengelernt habe) und dem mir bekannten Europa. Man darf sich setzen. Man darf sich auch hinlegen. Man darf wo man ist, einfach mal die Seele baumeln lassen – und wenn das am Rand eines Highways ist, und eigentlich kein Mensch auf die Idee käme, in dieser Lärmkulisse zu schlafen.

Es war bereits dunkel als ich Hua Hin erreichte. Die Dunkelheit fällt schnell, in Thailand. Kein unentschlossenes dahindämmern wie in Berlin. 18:00 Uhr. Peng. Licht aus. Ich verließ den Bahnhof, und tauchte in das Nachtleben Hua Hins. Das im Großen und Ganzen nicht weiter verschieden ist, von dem Quatsch, der ziemlich überall auf dieser Welt als „Urlaub am Meer“ verkauft wird. Tavernen mit blinkenden Lichtern, Tafeln mit schreienden Sonderangeboten, sonnenverbrannte Farang, die allein oder mit Begleitung mehr oder weniger gelangweilt ihr Bier trinken, parkende Roller, rollende Roller... Ihr kennt das, wenn ihr auch nur ein einziges Mal am Meer wart. Man könnte meinen, auch dafür gibt es eine Industrie. Eine Gleichmach-Fabrik.

Ich war gerade erst 100 Meter weit gekommen, da wusste ich bereits, was mich am Strand erwarten würde. Ich rechnete mit Tavernen, wie auf Ibiza, und jeder Menge Fressstände. Mit der Möglichkeit den einen oder anderen mietbaren Bungalow dazwischen zu finden. Naja, für eine Nacht konnte ich auch zwischen Meerestouristen verbringen. Da war ich mir ganz sicher.

Ich schleppte meinen 10 Kilo Rucksack zum Strand – und siehe da: keine Tavernen, keine Stände. Der Strand war menschenleer. So richtig wollte das Rauschen der Brandung keine Freude aufkommen lassen. Was hatte das zu bedeuten? Und wo waren die Bungalows, die ich von Koh Tao noch in Erinnerung hatte? ...und was zum Henker waren das für endlose Zäune? Es war zwar dunkel, aber Beleuchtung entlang dieser Zäune ließ keine Zweifel offen: ich befand mich direkt am Pseudo-Luxus-Strand Thailands. Inklusive auf Tierformen getrimmte Büsche und Überwachungskameras.

Irgendwo wird’s auch aufhören, dachte ich, und stapfte durch den Sand. Aber es hörte nicht auf. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit fand ich einen Durchgang, von dem ich hoffte, er würde mich zu einem Hotel führen. Ausnahmsweise wurde ich nicht enttäuscht. Ich fand ein Hotel, mit der obligatorischen Mega-Klimaanlage auf dem Zimmer. Allein, in der Dunkelheit, befiel mich eine mittelschwere Krise. Wo hatte ich mich da hin katapultiert? Was war bitte mit der Natur? War irgendwo was zu finden, wo Pflanze und Tier noch nicht von Menschen vergewaltigt wurden?

Ich klinkte mich ins Internet ein, und nahm Kontakt mit meiner Liebsten auf, die noch in Berlin saß. Sie baute mich seelisch auf, machte mir Mut, und ihr Optimismus verschaffte mir genug Ruhe, um ein paar Stunden tief und fest zu schlafen.


15. Hua Hin und weg (II)

Am nächsten Morgen tigerte ich zum Strand, lang bevor Hua Hin erwacht war. Ich hatte das dringende Bedürfnis, ohne Ablenkungen ein Bild vom Meer zu bekommen. Und da war es dann auch. Weit, rauschend berauschend, und graublau. Ich hatte andere Farben in Erinnerung, aber es war bedeckt, und die Sonne noch nicht zur vollen Kraft aufgestiegen. Ich setzte mich hin, wanderte herum, schoss Fotos für meine Freunde, die in Berlin auf aktuelle Nachrichten von mir warteten. Nun sah ich auch die fetten – mehr oder weniger luxuriösen – Hotelanlagen hinter den Zäunen. Und in der ferne, links und rechts von mir, Betonbunker, die dem Ballermann von Mallorca in nichts nachstanden. Somit war klar, dass ich mich mit Hua Hin massiv vertan hatte, und mal besser in Cha Am ausgestiegen wäre – wenn der Zug gehalten hätte...

Ich freute mich das Meer zu sehen, bereit einen kleinen Sprung zu wagen, als ich auch schon den nächsten Schock erfuhr: ein Warnschild. Feuerquallen. Klar. Wo Menschen übermäßig ihre Scheiße ins Meer spülen, fühlen sich Feuerquallen ordentlich wohl.

Da ich eh nicht zum Planschen hergekommen war, ging ich zurück auf mein Zimmer, und versuchte Energie zu sammeln. Die Erlebnisse der letzten Tage hatten mächtig Kraft gekostet. Zuviel Geldgier, zu viel Naturzerstörung, unglaublich viel Lärm, und vor allem: es schien, als hätten die Thais ihre Freundlichkeit verloren. Was war geschehen? Wieso unternahm niemand was? Wieso sagte den Thais niemand, dass sie gerade all das verkauften, was die Legenden begründet hatte? Sie passten sich internationalen Konsumstandards an – und nähern sich damit der Beliebigkeit all der Pauschalreiseziele dieser Welt an.

Es ist ein kleiner, hauchzarter Unterschied, ob Reisende mit ein paar grundsätzlichen Dingen versorgt werden, die das Leben eines Reisenden erleichtern, oder ob eine Umgebung geschaffen wird, in der Urlaubsorte das Zuhause von Reisenden in besserem Wetter zu simulieren versuchen.

Am Nachmittag versuchte ich etwas vorzufinden, was mit einem Rest vom „wahren Thailand“ zu tun hätte. Was einigermaßen absurd war, inmitten von stinkendem, lärmenden Verkehr und dröhnenden Baustellen. Ich fand es, an einem Markt, wo alles erdenkliche Essen zu fantastischen Preisen angeboten wurde – und nur wenige Touristen hinfanden. Der Markt war nicht wirklich nah am Meer, und darum wohl uninteressant. Ich kaufte bei einer ausgesprochen sympathischen und offenen, älteren Thailänderin, Frühlingsrollen und frittierten Tofu, und setzte mich damit später an den Strand. Es schmeckte spektakulär. Ich entspannte mich, sah mir die Strandläufer an, Thais auf kleinen Pferden, wie junge thailändische Nonnen sich gegenseitig fotografierten, oder Pärchen am Strand flanierten. Ich fragte mich, wie meine Reise bisher verlaufen wäre, mit meiner Freundin.Wäre sie mit mehr Heiterkeit in andere Situationen gefallen? Oder wäre sie noch viel tiefer erschüttert worden?

Die Sonne machte sich daran, hinter den Hotelanlagen unterzugehen. Über dem Meer trieben flockige Wolken, und am Horizont, links von mir, war ein dunkler Dunstschatten zu sehen; die Smogglocke über Bangkok. Ob es irgendwen gab, der diesen Smog für natürliche Wolken hielt?

Mein Wunsch nach Ruhe und Natur war ins Unermessliche gewachsen.



16. Cha Am

Thailand ist für einen verwöhnten Europäer wie mich eine Prüfung. Speziell dann, wenn er eigentlich Natur und Stille wünscht, aber mit Lärm und Konsumwahn konfrontiert wird. Ich brach also leichten Herzens wieder auf, um zu der Station zu fahren, bei der ich auf der Hinfahrt gerne ausgestiegen wäre – hätte die Bahn gehalten. Hohe, dunkle Berge in der Ferne hatten mich gelockt, und Natur, Dschungel, und Abgeschiedenheit versprochen.

Wie gewohnt, stellte sich die Frage: wie komme ich da hin? Ich nahm die Bahn – und zahlte für die Strecke sagenhafte 6 Baht. 3.Klasse. Und hier bekam ich endlich mein „wahres Thailand“.

In einem Wagon, der eindeutig durch keinen deutschen TÜV gekommen wäre, in dem die Deckenventilatoren keinen hypnotischen Tanz vollführten, und der Lack schon seit wenigstens 10 Jahren ab war, saß ich zwischen Einheimischen, für die ich eindeutig ein vollkommen exotischer Anblick war. Hier wurde ich grundlos angelächelt, und niemand verfolgte mit dem Lächeln die Absicht, mir Geld abzuluchsen. Damit war klar, dass ich zukünftig nicht nur Zug fahren wollte, sondern bevorzugt die 3.Klasse wählen würde. Scheiß auf den Komfort. Ich war in Thailand um zu leben – nicht um Leben zu simulieren.

Wie nicht anders zu erwarten, wurde die kurze Fahrt hindurch, alles verkauft, was irgendwie zu essen oder trinken war, während vor meinem Fenster Palmen, Bananenbäume, und andere fremde Bäume und Sträucher vorbei zischten. Auch wenn die Stationen zweisprachig ausgeschildert waren, halfen mir zwei ältere Thailänderinnen, dass ich meine Station nicht verpasste.

Cha Am war eindeutig kleiner als Hua Hin. Der Bahnhof war winzig, und weniger beeindruckend anzusehen – tja... und dann war da wieder die Frage, wie's weitergehen sollte. Ich hätte ganz gerne einen wartenden Bus gesehen, der mich direkt nach Kaeng Krachan transportiert hätte. Bloß war da keiner. Es gab ein paar Motorradtaxis, die nicht die weite Strecke fuhren. Ich schleppte mich und meinen Rucksack durch die Nachmittagshitze, und war für einen Straßenhund offenbar ein so ungewöhnlicher Anblick, dass er mich von hinten attackierte, und nach meiner Wade schnappte. Ich knurrte den unfreundlichen Gesellen an, und gleich darauf schleuderte eine alte Thaifrau ihre Flipflops nach dem Hund, der eilig das Weite suchte. Ich hatte schon von den streunenden Hunden gelesen – hätte aber nicht geglaubt, dass mir einer so nah, und so feindselig kommen würde. Er muss was gegen mein grünes Hemd, oder meinen grünen Rucksack gehabt haben.

Wie üblich: weit und breit kein Bus. Und vor allem: niemand den ich hätte fragen können. Cha Am war kleiner, älter, und noch nicht touristisch erschlossen. Weit und breit keine Schilder, die mir auf Englisch etwas verkaufen – oder mir weiterhelfen wollten. So sah es also aus, wenn Thailand noch nicht total von Tourismus vereinnahmt war. Dann hatte ich ohne Thaikenntnisse ein kleines Problem... Somit wurde ich erstmal meinem Versprechen untreu, kein Taxi mehr zu nehmen. Kaeng Krachan war weit genug weg, dass ich alles, was ich bei der Bahnfahrt eingespart hatte, einem Thailänder mit einem Pickup in die Hand drückte. Wir fuhren eine Stunde durch die Pampa. Es fühlte sich an, als würde ich meinem Ziel näher kommen. Links und rechts von der Straße: grün. Dschungelgrün. Kein Wald, wie ich ihn aus Europa kannte. Echter, asiatischer Dschungel, und Berge im Hintergrund.

Der Fahrer setzte mich an einem Ressort, direkt an einem breiten, grünen Fluss ab. Und endlich, endlich, endlich fühlte ich, dass der eigentliche Teil meiner Reise begann.



17. Das verlorene Paradies

Das Ressort am Fluss, von dem ich weder den Thailändischen Namen lesen noch sprechen konnte, war nah an dem dran, was ich mir unter einem traumhaften Ort vorstellten. Kleine, bunte Hütten, inmitten von Palmen und exotischen Blumen. Allerhand Spielmöglichkeiten um in den Fluss zu springen. Ein Kletterturm, eine Wasserrutsche, eine Brücke aus Seilen. Ich war weit und breit der einzige Gast. Darum bekam ich einen Spezialpreis – der zwar immer noch weit über dem lag, was ich ausgeben wollte – doch was tut man nicht alles, für ein paar Tage im Paradies?

Ich saß auf meiner kleinen, hölzernen Veranda, und schrieb meinen Reisebericht der letzten Tage, als mich gigantische Erschöpfung anfiel. Da war so viel, was ich ausprobieren wollte, aber augenblicklich wurde all das nebensächlich. Das Bett rief, und ich war bereit mehr zu zahlen, und länger zu bleiben. Wenn ich nur endlich ein wenig Ruhe und Frieden finden würde.

Ich war gerade dabei die Augen zu schließen, als ein paar Hütten weiter, wilder Tumult ausbrach. „He“, dachte ich, „das ist ja fast wie in Berlin!“ Ich ging vors Haus und beobachtete ungläubig, wie drei Fuhren quietschender Asiaten abgeladen und in Schwimmwesten gepresst wurden. Dann wurden sie in aufblasbare Flöße verfrachtet, und paddelten lachend, schreiend, grölend den Fluss runter. Hatte ich wirklich einen Moment geglaubt, dieser schöne Flecken würde zur Ruhe einladen? Besinnung? Meditation? Mir dämmerte plötzlich, dass der Nationalpark und die angrenzenden Ressorts zur allgemeinen Belustigung dienten. Halli Galli mit exotischem Tropendschungel-Flair. Würde ich doch nicht so lange bleiben? Ich war wieder wach, wenngleich das nur auf ein erschöpftes, müdes Wabern drauf gesetzt worden war.

Ich bekam das gewohnt fantastische Essen zum Haus gebracht, verputzte es auf meiner gemieteten Terrasse, und schaute dabei auf den grünen Fluss, der gleichmütig vor sich hin trieb, und nicht den Eindruck machte, dass ihn irgendwas tangieren könnte. „Ein Fluss müsste man sein“, dachte ich, und wunderte mich, wie wenig ich meinen Fluss genießen konnte, seit ich Berlin, Hermsdorf, verlassen hatte. Hatte ich noch nicht ganz kapiert, worum es hier ging? Und wenn nicht – was hatte ich nicht kapiert?

Ein Thailändischer Scharfschütze schoss wieder das Licht aus, und ich zog mich in meine Hütte zurück. Es galt ein Maximum an Moskito-Bohrungen nicht zu überschreiten. Ich fühlte mich getröstet, dass meine Liebste mir kleine SMSen schickte. Hätte ich auch nicht gedacht, dass ich mich über paar Pixel auf einem Micromonitor mal so freuen könnte. Dann war ich aber wirklich reif für die Falle. Ich legte mich nackt und verschwitzt aufs Bett, und begann gleichmäßig zu atmen. Weil hier allerhand Hähne und Hennen rumsprangen, hatte ich mir vorsorglich Lärmstopps eingestöpselt. Ich driftete ab, und war bereit, alles bisher erlebte zu verdauen...

...als ich zum ersten Mal die nahe Straße und den brummenden Verkehr darauf wahr nahm. Das war nicht wirklich Paradies. Richtig sonderbar wurde es, als zu späterer Stunde, das Brummen seltener wurde, und von merkwürdigem Dröhnen und Scheppern abgelöst wurde. Klänge, die mich entfernt an eine Berliner Großbaustelle erinnerten. Moment... Echt jetzt? Es war schon weit nach 21:00 Uhr. Je mehr ich versuchte mich auf meinen Atem zu konzentrieren, desto aufdringlicher schob sich das Scheppern in den Vordergrund. Ich musste der Sache auf den Grund gehen. Ich stand auf, zog mich an, und ging Richtung Lärmquelle. Auf der Straßenbrücke über den Fluss bekam ich einen Logenplatz auf einen Bagger, der gerade im Fluss schaufelte. Wozu? Das wusste der Baggerführer allein. Es war höchste Zeit einmal herzhaft aufzulachen, und wo ich schon draußen war, konnte ich doch ein wenig auf der Straße durch die Nacht wandern, oder? Nachtwanderungen waren in Berlin doch so eine Erholung für mich gewesen. Bis mich paar Straßenköter kläffend und bösartig darauf hinwiesen, dass ich sie nicht um ihre Erlaubnis gefragt hatte, und mich wieder in mein sicheres, kleines Hüttchen vertrieben, wo ich irgendwann nach Mitternacht in erschöpften Schlaf fiel.


18. No credit

Wie es scheint, war die Aufgabenstellung noch nicht anspruchsvoll genug, oder ich noch zu hochmütig..?

Dabei hatte der Tag so gut angefangen. Ein freundlicher Thai fuhr mich mit seinem Pick Up bis zum nächsten ATM Bankautomaten, wo ich mich mit Geld auffrischte. Internet konnte jedoch auch er nicht herbei zaubern. Wo war ich da nur gelandet? Im Dschungel mit völlig falscher Ausstattung. Ein Computer, der kein Handy-Net empfangen konnte, eine Kreditkarte, mit der ich ewig weit vom nächsten Automaten entfernt war, und mit einer Fremdsprache, die hier nicht verstanden wurde. Ich hatte Abgeschiedenheit gewünscht – aber hatte mir nicht vorstellen können, wie gering meine Möglichkeiten wurden, ohne Thai zu sprechen. Ich hatte mir genau genommen gar nichts vorstellen können, ehe ich hierher kam.

Anders ist eben anders. Grundsätzlich. Und egal was ich mir angelesen und angeschaut hatte: es sah hier völlig, völlig anders aus. Wo Englisch gesprochen wurde, war der Geldvirus schon angekommen. Wo Abgeschiedenheit war, fehlte alles, was mich mit meinem alten, gewohnten Leben verband, und mit meiner vermeintlichen Illusion von Sicherheit.

Als ich meine Sachen packen wollte, um einen Ausflug in den Dschungel zu wagen, sprang mich eine Erinnerung an. Eine, auf die ich liebend gerne verzichtet hätte. Bzw. das Fehlen einer Erinnerung.

Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich meine Kreditkarte aus dem Schlitz des Automaten gezogen hatte...

Ich erinnerte mich an meinen Mitbewohner aus Berlin, der mir geschildert hatte, dass die Automaten in Asien nicht piepten, wenn man die Karte noch nicht raus gezogen hatte. Dass er sie stecken gelassen hatte.

Genau wie ich.

Ich zog mich an, rannte zu Fuß zu dem Automaten, niemand hatte sie in den Nebenläden abgegeben... und kleine schwitzige Panikschübe tanzten durch mich. Vor allem, konnte ich es nicht fassen, dass MIR das passiert war. Unglaublich. Mr. Superschlau... HA! Wie genial... Ich durchwühlte ungefähr 30 Mal ungläubig alle Taschen, in die ich meine heilige Kreditkarte versehentlich hätte stecken können. Umsonst...

Es boten sich mehrere Sichtweisen an:
- ich sollte von den letzten Sicherheiten loslassen
- ich sollte mit Thais in Kontakt treten
- ich sollte schleunigst aus dem Dschungel verschwinden, ehe es richtig böse würde

Etwas später flog mir noch eine Idee zu. Eventuell wollte das Leben sichergehen, dass ich ausnahmsweise einmal nicht schummeln würde? Dass diesmal niemand angesprungen und für mich den Karren aus dem Dreck ziehen würde? War das nicht, worauf ich insgeheim immer und immer wieder gehofft hatte? Hatte ich nicht immer wieder gerne andere für mich Retter und Helfer spielen lassen? Sicher, ich konnte mir etwas darauf einbilden, mich tiefer und ehrlicher meiner Angst zu stellen, als das üblich ist. Aber hatte mir das Leben nicht tausendfach unter die Nase gerieben, dass da ein Rest Unehrlichkeit geblieben war? Eine winzige, clevere Lüge. Ein Bereich, wo ich nicht hinschauen wollte. Wo ich nicht hinschauen musste. Von dem kaum jemand etwas mitbekam, weil mich niemand gut genug kannte, um diesen Punkt zu sehen.

Wie war das noch gleich, mit dem Loslassen? War ich wirklich bereit zu sterben? War ich wirklich bereit, meine höchst eigene Antwort für mein eigenes Leben zu finden? War ich bereit, die Aufgabe zu meistern? Fern ab von allem was mir bekannt ist?


19. Verloren und Gewonnen

Eine verlorene Kreditkarte in der Ferne, bringt einen Narren mächtig zum Nachdenken. Was war die Botschaft? Worum ging es da eigentlich? Und vor allem: was fange ich damit nun an? Ich setzte mich auf meine Terrasse, schaute auf den Fluss, und bekam relativ schnell die Eingebung, ich könnte den Thais einen hübschen Cartoon zeichnen. Das würden sie schon verstehen. Also malte ich auf, wie ich heiter zum ATM Automaten gegangen war, wie ich meine Karte reinsteckte, wie ich strahlend mit Geld vom Automaten weg ging, und wie die Karte noch im Schlitz steckte. Mein Entsetzen, wie ich vor meiner Hütte erkannte, dass ich sie vergessen hatte.

Ich ging zu den Thais, fast ausnahmslos Frauen, die gerade Mittagspause machten, und zeigte ihnen meinen Cartoon. Sie verstanden. Sie riefen einen Jungen mit Moped herbei, und ich sollte mit ihm zum Automaten fahren, um in den Läden drumherum nachzufragen, ob sie abgegeben worden wäre. Tja. Das hatte ich schon getan. Aber wie erkläre ich das ohne Worte?

Also fuhr ich mit. Vielleicht würde sich was ergeben.

Im nächsten Moment saß ich ohne Helm, mit hauchdünnen Klamotten auf dem Moped von einem Thai. Ich wusste nichts über seine Fähigkeiten als Fahrer. Ohne Vorwarnung sprangen mich düsterste Visionen von Unfällen an, und mir wurde schlagartig klar, wie unglaublich verletzlich ich doch war, allein in der Ferne, ohne das Sicherheitsnetz meiner Freunde. Ich atmete paarmal tief durch, erinnerte mich an meine Sterbegedanken, und daran, dass ich schon seit Jahren immer auf der Klippe balancierte. „Was auch immer passieren wird, ich nehme es an“, dachte ich. „Und wenn hier mein Ende kommen soll, dann ist es eben so“. Ich war sofort völlig entspannt, genoss die Fahrt zu Automaten, traf eine Thailänderin die ein paar Brocken englisch konnte, und staunte, mit welcher Geduld und Ruhe sie gut zwei Stunden versuchte mir zu helfen. Hier wurde ich Zeuge der legendären Hilfsbereitschaft der Thais. Auch mit Kommunikationsproblemen taten alle, was sie nur konnten, um mir zu helfen – was letztlich an der Warteschleife der Bank mehrmals scheiterte.

Ich bedankte mich höflich mit Verbeugung und saß gleich darauf wieder auf dem Moped zurück zu meiner Hütte. Diesmal hatte ich das Gefühl, mein Lenker war total sicher und Zuhause auf seiner Maschine, und staunte wieder, was für eine sonderbare Sache das mit der Angst doch war.

Aber die Aufgabe blieb.

Ich musste mit der Bank Kontakt aufnehmen. Die Karte sperren lassen. Meine Freundin in Berlin half diesbezüglich. Und nun musste ich ins Internet. Rund um Kaeng Krachan schien es weit und breit nichts zu geben. Ich hatte es am Vortag probiert, und mein Laptop zeigt nur das dämliche rote Kreuz über dem Verbindungsdisplay an. Kein Empfang. Also: kein netter Mini-Urlaub bevor meine Freundin ankäme. Kein weiterer Dschungel, und kein weiterer Überraschungslärm. Ich musste zurück nach Cha Am. Ich brauchte ein Hotel mit Internet. Schnellstens.

Eins der interessanteren Phänomene hier in Thailand war, dass es mir erstaunlich schwer viel, klare Gedanken zu fassen. Dass ich irgendwie nicht logisch denken konnte. Die einfachsten Zusammenhänge wollten neu entdeckt werden. Denn wenig von dem, was ich gewohnt war, funktionierte hier. War es die Hitze? Oder das Chaos des Ankommens? Erklärungen gab es viele, die aber nichts zur Problemlösung beitrugen. Hier ging es nicht um Philosophie oder Eso. Ich hatte Aufgaben, und es galt sie zu lösen.



20. Verloren und Gewonnen

Eine verlorene Kreditkarte in der Ferne, bringt einen Narren mächtig zum Nachdenken. Was war die Botschaft? Worum ging es da eigentlich? Und vor allem: was fange ich damit nun an? Ich setzte mich auf meine Terrasse, schaute auf den Fluss, und bekam relativ schnell die Eingebung, ich könnte den Thais einen hübschen Cartoon zeichnen. Das würden sie schon verstehen. Also malte ich auf, wie ich heiter zum ATM Automaten gegangen war, wie ich meine Karte reinsteckte, wie ich strahlend mit Geld vom Automaten weg ging, und wie die Karte noch im Schlitz steckte. Mein Entsetzen, wie ich vor meiner Hütte erkannte, dass ich sie vergessen hatte.

Ich ging zu den Thais, fast ausnahmslos Frauen, die gerade Mittagspause machten, und zeigte ihnen meinen Cartoon. Sie verstanden. Sie riefen einen Jungen mit Moped herbei, und ich sollte mit ihm zum Automaten fahren, um in den Läden drumherum nachzufragen, ob sie abgegeben worden wäre. Tja. Das hatte ich schon getan. Aber wie erkläre ich das ohne Worte?

Also fuhr ich mit. Vielleicht würde sich was ergeben.

Im nächsten Moment saß ich ohne Helm, mit hauchdünnen Klamotten auf dem Moped von einem Thai. Ich wusste nichts über seine Fähigkeiten als Fahrer. Ohne Vorwarnung sprangen mich düsterste Visionen von Unfällen an, und mir wurde schlagartig klar, wie unglaublich verletzlich ich doch war, allein in der Ferne, ohne das Sicherheitsnetz meiner Freunde. Ich atmete paarmal tief durch, erinnerte mich an meine Sterbegedanken, und daran, dass ich schon seit Jahren immer auf der Klippe balancierte. „Was auch immer passieren wird, ich nehme es an“, dachte ich. „Und wenn hier mein Ende kommen soll, dann ist es eben so“. Ich war sofort völlig entspannt, genoss die Fahrt zu Automaten, traf eine Thailänderin die ein paar Brocken englisch konnte, und staunte, mit welcher Geduld und Ruhe sie gut zwei Stunden versuchte mir zu helfen. Hier wurde ich Zeuge der legendären Hilfsbereitschaft der Thais. Auch mit Kommunikationsproblemen taten alle, was sie nur konnten, um mir zu helfen – was letztlich an der Warteschleife der Bank mehrmals scheiterte.

Ich bedankte mich höflich mit Verbeugung und saß gleich darauf wieder auf dem Moped zurück zu meiner Hütte. Diesmal hatte ich das Gefühl, mein Lenker war total sicher und Zuhause auf seiner Maschine, und staunte wieder, was für eine sonderbare Sache das mit der Angst doch war.

Aber die Aufgabe blieb.

Ich musste mit der Bank Kontakt aufnehmen. Die Karte sperren lassen. Meine Freundin in Berlin half diesbezüglich. Und nun musste ich ins Internet. Rund um Kaeng Krachan schien es weit und breit nichts zu geben. Ich hatte es am Vortag probiert, und mein Laptop zeigt nur das dämliche rote Kreuz über dem Verbindungsdisplay an. Kein Empfang. Also: kein netter Mini-Urlaub bevor meine Freundin ankäme. Kein weiterer Dschungel, und kein weiterer Überraschungslärm. Ich musste zurück nach Cha Am. Ich brauchte ein Hotel mit Internet. Schnellstens.

Eins der interessanteren Phänomene hier in Thailand war, dass es mir erstaunlich schwer viel, klare Gedanken zu fassen. Dass ich irgendwie nicht logisch denken konnte. Die einfachsten Zusammenhänge wollten neu entdeckt werden. Denn wenig von dem, was ich gewohnt war, funktionierte hier. War es die Hitze? Oder das Chaos des Ankommens? Erklärungen gab es viele, die aber nichts zur Problemlösung beitrugen. Hier ging es nicht um Philosophie oder Eso. Ich hatte Aufgaben, und es galt sie zu lösen.

Am (erst) siebten Tag meiner Reise, dem Tag, an dem ich aus dem selbstgewählten Dschungelexil ohne Internetanschluß flüchten wollte, begann einer dieser herrlichen Tropenregenfälle. Unter anderen Umständen hätte ich mich nackt mitten rein gestellt. Aber mir war nicht nach nackt Tanzen im Tropenregen. Ich war mir ganz sicher, diese Gelegenheit würde sich ebenso wieder ergeben, wie entspanntes Planschen in einem traumhaften Fluss. Ich musste irgendwie von hier wieder nach Cha Am zurück. Zur Abwechslung war „viel Geld ausgeben“ keine unangenehme Möglichkeit, sondern schlicht und ergreifend ausgeschlossen. Wieder galt es ohne Thai zu sprechen, mit den Leuten eine Art von Kommunikation hinzubekommen. Herauszufinden, ob es einen Bus gäbe. Ich schaute aus dem Fenster mit dem Moskitogitter, und sah wie es Eimerweise in den Fluss regnete. War das nicht grandios? Auf jede Prüfung folgte die Nächste. Ich hatte zum Glück alles halbwegs Wasserdicht verpackt – doch ausgerechnet mein wichtigstes Werkzeug, mein Laptop, meine Restverbindung mit einer mir bekannten Welt, hatte ich nicht besonders gesichert. Ich erinnerte mich an die Frage meiner Freundin: „Keine Tasche für deinen Computer?“ „Ist bloß ein Computer“, hatte ich lässig geantwortet. Pustekuchen. In Thailand war dieses kleine Ding weit mehr. Da hatte ich wohl mäßig Weitblick gehabt.

Als ich zu den Thaifrauen kam, waren sie am Frühstücken. Eigentlich scheinen sie alle fast ständig zu essen. Sofort hatte ich eine Traube Thaifrauen um mich herum, die alle versuchten zu helfen, so gut sie konnten, aber diesmal ging es sehr, sehr viel besser als am Tag zuvor. Ja, es gab einen Bus, und er würde mich für 100 Baht nach Cha Am zurück bringen.

Minibusse fahren hier überall, und sie halten an wenigen festgelegten Punkten, und man kann sie auch bestellen. Ich wurde also abgeholt, und genau zu dem Zeitpunkt hörte der Regen auf – nachdem ich mir echt Mühe gegeben hatte, alles wasserdicht einzupacken. HA HA HA!

Ich musste einmal Umsteigen, was mich nochmal 40 Baht kostete, und schwupps, war ich in Cha Am. Ich folgte Schilden, auf denen „Beach“ stand, und keine zehn Minuten Fußweg später, stieß ich auf Darren, einem Engländer, der mir ein mickriges, lautes, dunkles Zimmer anbot, für einen angemessenen Sparpreis. Denn was wusste ich schon, wann ich mit der Bank klar käme, und wann ich wieder Zugriff auf Geld hätte.

Ja, es darf gelacht werden, ich befand mich nun so weit weg von Natur, wie es nur ging. Cha Am, die Straße, in der ich gelandet war, stank nach verbranntem toten Tier, aus unzähligen Buden dröhnte uralte Rockmusik, und es stank nach Benzin. Wie war das noch gleich gewesen..? Natur und Ruhe..? HA HA HA


21. Ballermann in Thailand (...oder: Ballermann ist überall?)

Ich erinnere mich noch, wie sich paar Kumpels aus der Partyszene beschwerten, dass die böse Polizei die Einhaltung von Sperrzeiten kontrollierte, und rigoros durchgriff.
Leute, macht mal ne Drogenpause, und seht das größere Bild. Das, was in Thailand als Party verkauft und praktiziert wird, unterscheidet sich null, von dem was du auf RTL oder SAT1 als Horrorberichte über den Ballermann siehst. Da kommen Leute in ein fremdes Land, freuen sich eigentlich über die Wärme und Herzlichkeit, und setzen dann buchstäblich alles daran, sich mit grenzenlos banalem Verhalten zu disqualifizieren.

Zum Mitschreiben, liebe Partygemeinde: In ein anderes Land zu fahren, „um die Sau rauszulassen“, ist das gleiche koloniale Verhalten, das auch in vergangenen Jahrhunderten wenige Freunde geschaffen hat.

Qualitäten der Thais sind grandiose Gelassenheit und Höflichkeit. Sie haben ein unglaubliches Maß an Toleranz, und dass das partylüsternen Besuchern willkommen ist – verständlich. Weshalb müssen die Egos jedoch ausreizen wie weit sie gehen können? Wieso müssen sie sich aufführen, wie Durchgeknallte, und Verhalten an den Tag legen, mit dem sie in keinem Club in Europa am Türsteher vorbei kämen? Ist es zuviel verlangt, bei sich einen „Türsteher“ zu installieren, der dem ungezügelten Wilden sagt: „He, jetzt ist gut. Geh nach Hause. Du störst die Grundschwingung.“

Ja, Thailand ist laut. Aber da ist auch das Ding, mit dem Gesicht wahren. Das dürfte ruhig auch allen Gästen, egal welches Alter, egal welcher Nationalität klar werden.

Bei meinen Reisevorbereitungen fragte ich mich noch, warum Thailand die Visaregelungen so drastisch verändert hatte. Die Antwort ist einfach und eindeutig: um die bis zum Anschlag zugedröhnten Dauertouris wenigstens mal für ein paar Tage loszuwerden. Vielleicht denkt die Thairegierung auch: Asien den Asiaten, und setzt zunehmend auf gut zahlende Chinesen?

Ob das so viel besser ist, bezweifle ich. Denn wo ist der Unterschied, ob man Touristenbusse mit Chinesen in Nationalparks fährt, wo sie dann kein besonders taoistisches und bescheidenes Verhalten an den Tag legen, oder ob man Farang einfliegt, die mit ihrem Drogen- und Sexwahn, jede noch so kleine Freundlichkeit missverstehen? Irgendwas läuft ganz entschieden falsch, in diesem Tourismus Ding. Der Schlüssel ist wiedermal das Ego. Es scheint internationaler Standard zu sein, dass Touristen glauben, weil sie Geld bezahlen, dürften sie Verhalten an den Tag legen, mit dem sie im Heimatland unangenehm auffallen würden. Egos scheinen zu glauben, dass „Urlaub“ ein Freiraum ist, alles machen zu dürfen – weil man ja nach paar Wochen eh wieder weg ist. Die Folgen des eigenen Verhaltens bekommen die Täter nicht mit. Nur die, die nachkommen...

Ich wundere mich, mit welch beschönigendem Wischiwaschi in Reiseführern und Berichten so getan wird, als wäre das halt einfach so. Sofern in Reiseführern überhaupt irgendwelche brauchbaren Informationen vermittelt werden.

Ich beobachte gerade das Phänomen, dass fast alles, was im Netz oder sonst wo geschrieben wird, sich an brave, unreflektierte Konsumenten richtet. Was ich überwiegend vor Ort sehe, sind erschreckende Karikaturen dessen, was da beschrieben wurde. So findet man auf „lonely planet“ ein paar bedeutungslose Floskeln zu Hua Hin, die so tun, als wäre dieser Ort das St. Tropez von Thailand. Es wird getan, als gehörte man zu einer Elite, wenn man da ist. Keine noch so winzige kritische Silbe.

Weder das Wetter, noch die Restnatur, noch die Freundlichkeit der Thailänder sind zu kaufen. Das sind die Aspekte, die wirklich in das Land locken. Nicht der internationale Standard von Urlaubsfallen, wo buntes Plastik, überflüssiger Plunder, Halli Galli Unterhaltung, oder billiges Bier verhökert werden.

Ich erinnere mich, dass ich mir stets schwer damit tat, die ausgetretenen Pfade zu gehen. Dass ich es liebte, etwas mehr Zeit zu haben, um genauer hinschauen zu können. Gleichzeitig ist es genau das, was dem herkömmlichen Touristen fehlt. Sie wollen für ihren hart erarbeiteten Urlaub möglichst viel Inhalt in möglichst kurzer Zeit haben. Aus der Perspektive mag alles ungeheuer toll scheinen. In der Eile, ist es leicht, die Müllberge auszublenden. Die Mehrzahl der Touristen sind mit dem „Problem anderer Leute“ Schutzschirm ausgestattet.

Ich frage mich am 10ten Tag meiner Reise: Wie kann ich vor Ort den Unterschied machen?



22. Alles Neu

Nach tatsächlich einer ganzen Woche hin und her mit Banken, Kreditkartenfirmen, und Visa Karten Notfall Callcentern, habe ich heute wieder ein wenig Geld in der Tasche, und kann erleichtert den nächsten Wochen entgegen sehen. Es ist schlicht unglaublich, was für fatale Folgen eine im Automaten vergessene Kreditkarte haben kann. Und passiert ist das nur, weil ich zum Einen, einen winzig kleinen Augenblick nicht aufgepasst hatte, und zum Anderen, weil ich wirklich jede noch so winzige Kleinigkeit neu lernen darf. Eben, dass Automaten hier das Geld ausgeben, ohne vorher sicher zu gehen, dass die Kreditkarte abgezogen wurde.

Wie meine werten LeserInnen sich vielleicht noch erinnern, schrieb ich am Anfang dieses Berichts von meinem Sterbeprozess. Als ich aus dem Flieger in Bangkok ausstieg, war das wohl meine Geburt. Und nun bin ich mitten im allerschönsten Krabbelalter.

Es ist schwer zu beschreiben, was eigentlich den Unterschied ausmacht, denn äußerlich bin ich weiterhin Vigor, und eigentlich müssten alle meine Fähigkeiten noch vorhanden sein. Nur funktioniert wenig bis nichts, hier in der Ferne.

Da sind die offensichtlichen Schwierigkeiten, herauszufinden, wo die beste Unterkunft für einen angemessenen Preis ist. Die ständige Frage nach der besten Fortbewegung, ohne über den Tisch gezogen zu werden. Aber auch die Frage nach dem Essen, ist hier eine ständige Herausforderung – sofern man kein totes Tier essen will. Vegetarischer, oder womöglich veganer Spirit ist hier noch nicht mal ansatzweise angekommen. Auf Straßen, die einen neuen Blick auf Zen ermöglichen. Wer auf Thailands Straßen vorwärts kommt, ohne zu stolpern, hat Zen wirklich verinnerlicht...

Soweit, ist das anstrengend, herausfordernd und lehrreich. Was mich allerdings wirklich fertig macht, sind die bescheuerten Kleinigkeiten, die mir in der Berliner Routine nie passierten, weil ich da bereits so durch und durch organisiert war. Zum Beispiel die Notfallanweisung von Western Union abholen – und am Schalter entdecken, dass ich die Nummer und Daten, die ich in mein Notizbuch geschrieben hatte, im Hotel liegen gelassen hatte. Obwohl ich Sekunden vor dem Aufbruch das Buch noch in der Hand gehalten hatte. Es ist manchmal, als ob bestimmte Bereiche meines Gehirns, die hier lebenswichtig sind, noch nicht aktiviert wurden.

Und dann sind da mysteriöse... Merkwürdigkeiten. Dass Dinge zu funktionieren scheinen, aber anders. Internet zum Beispiel. Obwohl alles zu funktionieren scheint, sind da subtile Verschiebungen in der Matrix. Es deckt sich fast mit meinen Vorstellungen, aber eben immer nur fast. Da sind ständig diese unerklärlichen Überraschungen. Vielleicht werde ich das irgendwann noch besser beschreiben können – im Moment ist es nur eindeutige Aufforderung zur Wachsamkeit.

Noch drei Tage, bis meine Ersatzkreditkarte ankommt, wenn mir die thailändischen Göttinnen wohl gesinnt sind. Noch drei Tage, bis ich wieder frei bin, mich zu bewegen, wohin ich will. Weiter auf der Suche nach dem kleinen Flecken unberührter Natur, wo ich meine ersehnte Ruhe finde. Mein großes Trostpflaster ist täglich, dass ich mich daran erinnere, dass November ist, es sich jedoch wie der Sommer anfühlt, den ich in Berlin die letzten 6 Jahre gerne gehabt hätte.



23. Geld

Was ist es nur, was Leute dazu verleitet, für Geld die edelsten Aspekte aufzugeben? Traditionen in den Wind zu schießen? Die Seele zu verkaufen, und alles andere gleich mit.

Dass Bangkok ein krasses Pflaster ist, kann man überall nachlesen. Dafür muss man gar nicht da gewesen sein. Okay, es live zu erleben, ist eine Erfahrung – aber keine, die man unbedingt mehrmals wiederholen müsste. Smog, Hektik, Chaos, und Stinkattacken für die Nase. Da muss man schon ziemlich bedürftig unterwegs sein, um dem etwas abzugewinnen. Keine der Angebote dieses Molochs richten sich an „Bewusstsein“, sondern an „Konsum“. Wer konsumieren will, ist dort perfekt aufgehoben. Wie das aussieht, kann gerne in der Khaosan Road erfühlt werden. Nur... Wozu?

Vermutlich muss es auch solche Orte geben – aber faszinierenderweise, dehnt sich Bangkok weiter aus. Es frisst Natur, und die Dunstglocke aus Gestank ist selbst 200 Kilometer entfernt in Hua Hin oder Cha Am am Horizont als graue Dreckswolke zu sehen. Bangkok ist ein Schlag ins Gesicht der Erde. Selten habe ich das klarer und deutlicher sehen dürfen, als vom Zug aus, als ich sah, wie neue Betonkonstrukte aufgebaut wurden, die zukünftige Highways tragen würden. Als wäre es das, was die Welt bräuchte. Noch mehr Highways.

Richtig problematisch wird es, wenn das Bangkok-Prinzip auch in andere Teile des Landes übertragen wird. Nach nur wenigen Stunden im Land, scheint es mir, als wäre nirgendwo ein Platz zu finden, der nicht darauf aus gerichtet ist, irgendwem das Geld aus der Tasche zu ziehen. Inklusive krasseste manipulativer Informationen via Internet, die in keinster Weise dem entsprechen, was ich real vorfinde. Tourismusindustrie ist gleich Lügenkonstrukt..? Oder haben sich einfach meine Bedürfnisse so weit von den Bedürfnissen der Masse entfernt, dass ich nicht länger nachvollziehen kann, was da verkauft wird?

Ja, Strände, Sonne, und Wärme sind schön. Immer wieder. Was drum herum geschieht, ist für mich weder schön, noch nachvollziehbar. Hier wird nach dem gleichen Prinzip verfahren, wie in europäischen Touristenfallen. Irgendwie scheint es mir widersinnig, dass alle Touristenfallen der Welt sich gleichen. Da werden Bilder von glücklichen, zufriedenen Touristen gezeichnet – die aber zu keinem Zeitpunkt jemals das wahre Land, die wirkliche Natur kennenlernen. Sie wollen ihre gewohnte Umgebung in schönerem Wetter wiederfinden. Was hat das mit Reisen zu tun? Ja, so was liest sich mäßig erfreulich, und verkauft sich noch schlechter. Wird deshalb in Reiseangeboten das Blaue vom Himmel runter gelogen?

Ich frage mich, von welcher Lebensfreude da geredet wird, wenn alles nur darauf ausgerichtet ist, den „Fremden“ Geld aus der Tasche zu ziehen. Es wird dafür die allgemeine Touristen-Pauschal-Qualität abgeliefert – und das gilt für die Luxusklasse, die Mittelschicht, und die Rucksacktouris. Sogar die Hippies, die glauben, auf thailändischen Inseln ein extravagantes Leben zu führen, befinden sich mit in der Touristenfalle.

Wo ist also der Ausweg?
Zum Beispiel darin, die Weigerung, die ich Taxis gegenüber ausgesprochen habe, in andere Bereiche zu übertragen. Ich habe kaum jahrelang geübt, dem Konsum zu entkommen, um nun wieder mitten rein zu fallen – nur weil die Temperaturen angenehm sind, und die Sonne scheint. Gerade die Schönheit der Restnatur hier, erfordert das Auge zu schärfen, und die Aufmerksamkeit auf alles jenseits des Lauten, Aufdringlichen zu lenken - ohne der Illusion zum Opfer zu fallen. Die Zerstörung ist omnipräsent...

Dies ist mein 14.Tag in Thailand, und ich fühle, dass radikale Schritte nötig sind...



24. Weiterreise

Nach meiner unfreiwilligen Woche in Cha Am, die überwiegend mit Geldbeschaffung und Warten auf meine Notfall Kreditkarte ausgefüllt war, kann ich heute, am Samstag, den 14.11.2015 der Touristenfalle entfliehen. Natürlich war ich wieder viel zu früh, wie das meine Angewohnheit zu sein scheint.

Ich nahm ein Motorradtaxi vom Hotel zum Bahnhof. Ich hatte Glück. Ich wurde von einer Frau gefahren. Es ist etwas am Verhalten der männlichen Taxi-, Bus-, und Motorradtaxifahrer, was ich mäßig erfreulich finde. Mein „schwerer“ Rucksack (circa 7 Kilo) landete vorne zwischen Lenker und ihren Beinen, der kleine Rucksack mit meinem Laptop (circa 3 Kilo) blieb auf meinem Rücken. Anders als auf der Mopedfahrt in Keang Krachan, auf dem Moped des jungen Thai, saß ich auf dem Taximoped völlig sicher und ausbalanciert, und sie fuhr mit der Gelassenheit, mit der auch ich mich auf einem Zweirad fortbewegen würde.

Auf der Fahrt dachte ich, dass es genau diese Augenblicke sind - auf einem Moped entspannt zum Bahnhof gefahren werden - die das Reisen ausmachen. Alles was ich fühlte, fühlte sich neu an. Die Sonne schien, der Wind strich mir ins Gesicht, und ich erinnerte mich, wie unfreundlich ich von Cha Am durch einen Straßenhund begrüßt worden war. Ich war nun schon weit gelassener, als vor einer Woche. Ich hatte wieder einiges dazu gelernt, einige Krisen durchgestanden, und auch das eine oder andere Chaos überwunden. Ich hatte Unterstützung und Hilfe von Freunden in Berlin erfahren. Was sich wunderbar anfühlt. Zu wissen, dass da Freunde sind. Dann war da noch der Altrocker Darren gewesen, der mir ohne Geldgedanken geholfen hatte.

Die Fahrerin lud mich am Bahnhof ab, und ich hatte nicht vergessen, dass die Fahrkartenschalter erst eine halbe Stunde bevor der Zug einrollt Tickets verkaufen. Eine halbe Stunde vor geschätzter Ankunftszeit. An allen Bahnhöfen ist eine Tafel zu finden, auf denen die planmäßige Abfahrtszeit eingetragen ist, und mit abwaschbaren Stift daneben die geschätzte Abfahrtszeit eingetragen wird. Mein Zug hatte bei meiner Ankunft bereits eine halbe Stunde Verspätung. Genug Zeit also, ein paar Fotos vom Bahnhof zu schießen, und diese Zeilen zu schreiben.

Ich habe keine Ahnung, was mich an meinem nächsten Hafen erwartet, doch hoffe ich, dort die Zeit entspannt überbrücken zu können, bis ich meine Liebste wiedersehe. Ohne Jet-Ski Spektakel, ohne Krachmucke aus 50 verschiedenen Buden, und vielleicht sogar ohne heftigen Verkehrslärm. Wobei letzteres mir in Thailand inzwischen eher unwahrscheinlich erscheint.

Die Hitze lässt nichts zu Wünschen übrig. Der Schweiß läuft mir runter, genau so, wie ich es mir erträumt habe. Und mein staatlich geprüftes Laptop aus Berlin beginnt zunehmend sonderbares Verhalten an den Tag zu legen. Merke: Belastbarkeitstests welcher Art auch immer, können in Berlin tausendfach bestanden werden – das sagt nichts, sobald die Grenzen zu Thailand überschritten werden. Hier herrschen andere Regeln, und die Belüftung meines Laptops sagt ständig nur noch: „Spinnen Sie, Herr Calma, wie konnten Sie mich nur hierher bringen?“



25. Plastik

Während in Deutschland wilde Diskussionen entbrennen, ob es ökologisch sei, weiter Sachen in Plastik zu verpacken, erste Läden ohne Verpackungswahn eröffnen, und Dokumentationen den Irrsinn der weltweiten Plastikvergiftung aufgreifen, ist davon in Thailand nicht nur nichts zu spüren, sondern hier scheint ein beinahe sexuell-fetischistisches Verhältnis zu Plastik zu existieren. Absolut alles wird hier in Plastik gepackt, zwei, drei, zehnfach. Hier werden Äpfel und Bananen einzeln in Plastik abgepackt, und egal was man macht: an Plastik kommt man nicht vorbei. Du kannst in Deutschland der größte Öko aller Zeiten sein – das endet, wenn du die thailändische Grenze überschreitest.

Ich bin zu neu hier, um klar sagen zu können, wie ich mich aus dem Plastikwahn raus ziehen kann. Doch ist bereits klar geworden, dass die japanische Supermarktkette „7/11“ zum größten Horror gehört, den sich ein Mensch mit einem Hauch von Gefühlen für Natur vorstellen kann.

Der Eintritt ins Reich „7/11“ (nicht zu verwechseln mit „9/11), ist einerseits ein Schritt in einen Kühlschrank. Hier tobt die Klimaanlage in maximalem Hardcoremodus. Man könnte mit Winterklamotten in dem Laden stehen, und es wäre die angemessene Ausstattung. Klimaanlage ist gleich Luxus ist gleich Gut. Der Strom kommt in Thailand aus der Steckdose. Wie? Magie natürlich!

Das Innere des Ladens erinnert an ein knallbuntes, durchgeknalltes Manga. Je wertloser die Produkte, desto knalliger, bunter, größer und schreiender die Verpackungen. Die zu 95% aus Plastik bestehen. Der Unterschied zu europäischem Plastikwahn? In Europa würde kaum mehr jemand Mogelpackungen kaufen. Genau das ist es, was in Thailands „7/11“ Standard ist. Da werden 100 Gramm Müll, in Verpackungen angeboten, die locker 1 Kilo Müll beinhalten könnten. Die Mehrzahl aller „7/11“ Produkte sind Junkfood in allen erdenklichen Formen und Farbgebungen, eingepackt mit viel, viel, viel Luft in buntes, glänzendes Plastik.

Als Europäer, mit dem anerzogenen guten Gewissen für Müllrecycling, halte ich natürlich Ausschau nach dem gelben Wertstoffcontainer. Den gibt es nicht. Weder in gelb noch sonst einer Farbe. Altglascontainer..? Welches Altglas? Papierrecycling? Nichts gesehen.

Könnte mir egal sein, wäre da nicht der offensichtliche Widerspruch zwischen der Touristennation Thailand, und dem völligen Fehlen jeglicher Weitsicht, was die Zukunft des Landes angeht. Es sieht mir nicht so aus, als würde irgendwer hier auch nur eine Sekunde die Fakten zusammen Zählen. Welcher Tourist wird in 10 Jahren (oder ist das schon zu großzügig gerechnet?) noch Lust haben in einer Müllhalde Urlaub zu machen?

Bislang leuchten die Augen in verklärtem Blick, wenn man von Thailand spricht. Da wird an Inseln mit Palmen und weiße Sandstrände gedacht – und egal wohin ich schaue: das Umweltproblem wird einfach ausgeblendet oder gar eiskalt weggelogen. Du wirst weder in Reiseführern, noch im Internet, mehr als eine Randnotiz zu Umweltsünden finden. Die Touristen hier, scheinen sich dafür mäßig zu interessieren. Schließlich haben sie ihren Urlaub „hart“ erarbeitet, und wollen nun einfach ihren Spaß. War Thailand nicht ein Garant für Spaß..?

Wie es scheint, muss jede Nation, erst an den Abgrund gelangen, ehe das Umdenken stattfindet. Vielleicht ist es den Thailändern egal, wer ihr Land besucht, und vielleicht ist die Gleichgültigkeit der chinesischen Touristen was Natur und Umwelt angeht, eher kompatibel mit dem was hier stattfindet. Bleiben die Europäer und Amerikaner weg, egal, dann kommen halt die Chinesen. Irgendwem wird man Müll schon verkaufen können.

Mir ist klar, dass dies hier nur die Stimme eines Farang ist, der keine Ahnung von thailändischer Kultur hat. Doch ich erkenne Müll, wenn ich ihn sehe, und ich rieche, wenn etwas stinkt. Was ich seit meiner Ankunft hier erlebe, stinkt gen Himmel. Der Himmel, der so leuchtend blau verkauft wird, aber bald nur mehr mit Photoshop blau gemacht werden kann. Und einsam schaukeln leere Plastikflaschen, Essensverpackungen, und Flipflops durchs Meer in einen makellosen Sonnenuntergang.



26. Dritte Zugfahrt

Auf die Empfehlung einer Freundin einer Freundin, fuhr ich nochmal ein Stück weiter in den Süden. Der Zug tuckerte, wie gewohnt, und außer mir waren zwei andere Bleichgesichter im Zug. Zwei Ladys, die so ausgesprochen miesgelaunte Gesichter machten,dass ich es beinah mit der Angst zu tun bekam. Die eine Lady hatte ein paar üble Schrammen an Füßen und Beinen, die verdächtig andeuteten, dass sie mit dem Moped ordentlich über den thailändischen Straßenbelag geschliddert war. Schätze, dann darf man mies drauf sein. Vielleicht missfiel ihnen auch, was sie in ihren Büchern lasen, aus denen sie nicht hoch guckten. Fast als wäre Zugfahren das Schlimmste, was ihnen passieren konnte. Ich dagegen, war ganz in meinem Element. Ich ließ mich vom Tuckern des Zuges mitreißen, und war bald in einem ganz wunderbar entspannt, schläfrigen Zustand. In Hua Hin – das ich nochmal passieren musste - stiegen die Ladys aus, und ne Ladung Thailänder ein, die entschieden anders aussahen, als was mir bislang begegnet war. Natürlicher? Entspannter? Überhaupt war die Besetzung des Wagons sehr angenehm.

Nur soviel: eines scheint sich nie zu ändern – Kinder strecken gerne ihre Köpfe aus fahrenden Zügen, lassen ihre Haare im Wind wehen, und kriegen davon nicht genug. Das war wohl immer so, und hat sich zum Glück auch in Zeiten der Handys nicht geändert. Die Kinder und Familien verbreiteten eine ganz zauberhaft heitere Atmosphäre, ich döste vor mich hin, und immer wenn ich die Augen öffnete, schienen die Natur noch grüner und weiter, die Berge noch beeindruckender, und die Wolkenlandschaften noch wattiger zu werden. Okay, der Tag hatte fantastisch mit einem hübschen Sonnenaufgang begonnen. Nun setzte sich eine ganz andere angenehme Energie fort. Je weiter ich mich von Cha Am entfernte, desto lässiger fühlte sich die Zugfahrt an. Dass ich mich nun in eine völlig andere Energie Thailands begab, wurde endgültig deutlich, als eine Essensverkäuferin im Zug ihren Reis nicht in Plastikverpackungen anbot, sondern in sympathischen Schalen aus Blättern. Ich dachte wirklich für einen Moment, ich träumte. Es war das erste mal, seit ich in Thailand angekommen war, dass ich etwas sah, was „biologisch“ genannt werden konnte.

Der Zugschaffner informierte mich persönlich, dass ich gleich meine Zielstation erreichen würde. Schon die ersten Schritte offenbarten eine andere Energie als an allen Orten, die ich bislang in Thailand erlebt hatte. Es fühlte sich sofort an, wie: „Hier bin ich richtig.“ Ich konnte schon vom Bahnhof sehen, wo es zum Strand ging, und beschloss kein Motorradtaxi zu nehmen, mich stattdessen vom Schicksal führen zu lassen, und völlig unüblich zu Fuß durch die gleißende Sonne zu stapfen. (Einer der Vorteile, wenn man mit wenig Gepäck reist.)

Zuerst sah ich auf einem grünen Berg ein Kloster, das aussah, wie eine abgedrehte Kitsch-Filmkulisse. Dann das Meer und eine beachtliche Strandpromenade, auf der gerade ein Markt aufgebaut wurde. Drei Hotels weiter, leuchteten mich ein paar knallbunte, selbst bemalte Balkons an – und ich fühlte mich sofort genau dort hingezogen. Selbst wenn das eine Hippiekaschemme sein sollte – es fühlte sich wieder richtig an.

Ich läutete ein Glocke – eine, mit der man in früheren Zeiten einen Diener herbei gebimmelt hätte - und wurde von einer perfekt englisch sprechenden Thailänderin begrüßt. Hennabemalungen auf den Händen. Sie zeigte mir ein Zimmer ohne Dusche und Klo, beides nur für alle drei Parteien im Haus gemeinsam zu nutzen – aber der Preis war unwiderstehlich. Letztlich nahm ich das Zimmer, weil mein Balkongeländer grün war, und das Meer sich dahinter mächtig ins Zeug legte. Tja, Vigor ist recht einfach gestrickt... Zeig ihm ein grünes Balkongeländer...

Seit meinem Aufbruch in Berlin habe ich das erste vage Gefühl von „Zuhause“.


27. Glaube und Illusion

Seit ich auf Reisen bin, schiebt sich auf ganz subtile Art eine Erkenntnis in mein Leben. Dass sehr viele Leute auf die eine oder andere Art Techniken der Verdrängung praktizieren, mit denen sie ihre Illusionsblase aufrecht erhalten. Es ist das, was Robert Anton Wilson in seinen Büchern „Realitätstunnel“ nannte. Man könnte meinen, es gäbe so viele Realitätstunnel, wie es angehende Menschen auf der Erde gibt. Tatsächlich gibt es jedoch vor allem Glaubenskonstrukte, die als Traditionen verkauft werden, als „praktikabel“ also, und denen sich große Mengen an Leuten anschließen.

Reisen bildet, heißt es, doch nur, wenn man wirklich reist, und vielleicht auch den Mut hat, sich zu verirren, vom Weg zu katapultieren, und in persönliche Höllen schubsen zu lassen. Seit jeher hatte ich ein gewisses Talent mich an Ort zu begeben, wo weder Netz noch weiche Matratzen den Aufschlag weicher gestalteten. Ich wünschte Natur, und fand Touristenhöllen und Zivilisationsabgründe.

Man möchte meinen, wenn etwas offensichtlich ist, gibt es Stimmen, die aufschreien, und Finger, die auf die Wunden deuten – aber das Gegenteil ist der Fall. Da sitzen Leute mitten in Müll, Lärm, und Gestank, und reden vom „wunderbaren Thailand“. Wie kann das sein? Oder sie schwelgen in Nostalgie, und haben sich mit den Abgründen des Heute arrangiert. Das Prinzip dahinter, ist altbekannt. Nicht am Status Quo rütteln. Solange auf der Wiese noch gegrast werden kann, besteht kein Grund sie zu verlassen. Nur... welche Wiese?

Inzwischen drängt sich mir die Ahnung auf, dass Touristen wie Zugereiste einen guten Grund haben, alles wahnsinnig toll zu finden. Sie arbeiten ihr ganzes Leben für die Illusion von Zufriedenheit. Dafür braucht es nur: Sonne, Meeresrauschen, Essen, das einem unter den Sonnenschirm geliefert wird, und totale Sorgenfreiheit. Heißt: den Müll machen bitte die anderen weg. Es reicht schließlich, Zuhause den Stress mit der Mülltrennung (gehabt) zu haben.

Ich habe oft erlebt, wie Gruppenzwang und die Regeln des allgemein gültigen Realitätstunnels nicht erlauben, eine andere Sicht auszusprechen. Genau das will ich machen. Kaum mach ich das, wird das als meine „individuelle Wahrnehmung“ abgetan, frei nach der esoterischen Superausrede „ich habe es angezogen“. Mal angenommen es ist so – dann bleibt immer noch die Botschaft. Warum sehe ich ausgerechnet DAS – und nicht die bunten, duften Sachen, die Touristen sehen?

Es wird allerhöchste Zeit für ein Update. Viele Orte, in Thailand (und nicht nur), scheinen komplett die Zeichen der Zeit zu verpassen. Es ging jahrelang gut, warum sollte man nun etwas ändern?

Zum Beispiel, weil die Touristen von übermorgen kein Entertainment mehr wollen, sondern Stille? Und gutes Essen, statt Angsthormone und Chemikalien in Fleisch von toten Tieren? Weil sie Heilung wollen, nicht noch mehr Verseuchung? Ich habe sie gesehen, die alt gewordenen Farang, die hier ihren Lebensstil von Sex, Beer, and Sunshine praktiziert haben. Sie sehen krank und halbtot aus. Sie sehen aus, als würden sie bald von der Bildfläche verschwinden, und mit ihnen ein Industriezweig der Weltflucht durch Illusionen. Die nächste Generation der Touristen wird keinen Tourismus der Bequemlichkeit suchen, sondern Orte der Besinnung, wo Wahrheit und Heilung Platz hat.

Wo wird sich Thailand positionieren? Oder all die anderen Länder, die glauben, sie könnten mit Raubbau an der Natur schnelles Geld machen? Es ist so eine einfache Rechnung. Wenn es noch kein selbstverständlicher Aspekt eines Reiselandes geworden ist, über das Müllproblem nachzudenken, wird das Müllproblem den Tourismus auffressen. Damit wird auch der schnell und leicht gewonnene Reichtum sich wieder auflösen, so schnell, wie er gekommen war.

Dass es auch anders geht, sehe ich gerade in meinem geheimen Hafen, der für Urlauber noch zu "langweilig" ist, weil hier kein Touristenentertainment stattfindet. Hier fliegt weniger Müll herum, ich hab schon gesehen, dass Plastikflaschen gesammelt wurden, und die Leute generell etwas vorsichtiger mit ihrer Natur umzugehen scheinen...



28. Der geheime Hafen

Da es bislang reichlich schockierende Eindrücke gegeben hatte, war ich schwer beeindruckt, als ich über den Markt an der Strandpromenade meines geheimen Hafens schlenderte. Endlich sah ich auch Obst und Gemüse angeboten! Die Verkäuferinnen wirkten heiter und schienen Spaß an dem zu haben, was sie da taten. Ich glaube, da entschied ich, von meinem Aufenthaltsort nur noch als „geheimen Hafen“ zu sprechen. Denn so schön die Atmosphäre war, so wenig wollte ich, dass dieser Ort von Touristenhorden heimgesucht würde. (Eingeweihte werden ohnehin an den Fotos erkennen, wo ich mich befinde, doch ich muss es nicht an die große Glocke hängen.) Es gab zwar Hotels und Touristen, doch alles hatte die Lässigkeit, die ich in Thailand vor 20 Jahren erlebt hatte. Auf dass diese Lässigkeit weitere 20 Jahre erhalten bliebe! (Ja, ich weiß, utopischer, frommer Gedanke...)

Auf einem Steg ins Meer, fügte ich mich nahtlos in die Massen asiatischer Selfie-Schützen ein – und machte meinerseits ein paar Selbstportraits. Wie lustig. Vor 30 Jahren hätte sich niemand ausmalen könne, dass es einmal eine Zeit gäbe, in der die Leute ihre Minikameras vor sich halten, und Beweisfotos schießen, vor erinnerungswürdigen Hintergründen. Ich lachte, und staunte – der ganze Steg war voller Leute, die sich selbst im Sonnenuntergang ablichteten. Mark Zuckerberg... Was der angerichtet hat... Nationen, die sich der Illusion von Unvergänglichkeit hingeben. Ich poste, also bin ich... Sagenhaft.

Dann deckte ich mich mit gesundem, veganen Futter für den Abend und Morgen ein, kehrte in mein kleines Zimmerchen mit Ventilatoren zurück, und freute mich unbändig über einen Kerzenständer, in dem geschmolzene Kerzen wie schlappe Schwänze hingen. Was brauchte ich noch, um glücklich zu sein, außer diese Temperaturen, das Meer, das Gefühl endlich an einem entspannten Ort angekommen zu sein, und die Möglichkeit überall ratzfatz in Natur abtauchen zu können? Es liegt ein Versprechen in der Luft. Eine Ankündigung. Plötzlich schienen mir zwei Wochen Herumirren gar nicht so lang, um hierher zu kommen.

Ich war zwar von der Natur und Ruhe entfernt, die ich mir wünschte, doch immerhin gab es hier keine Jet-Skis und Technobars. Dafür das Meer, das mit vollkommener Ruhe hin und her wellte. Grandiose Wolkenlandschaften ganz ohne Chemtrailmuster. Oh, wie ich das vermisst hatte. Wolken, die wie echte Wolken aussehen. Wenn noch irgendwer wirklich naiv genug sein sollte, dass die Deutschen nicht ins Wetter eingreifen – einfach mal einen Kurztrip nach Thailand buchen, und erinnern, wie echter, natürlicher Himmel aussieht.

Weiterhin hatte ich nichts zu tun, außer dann und wann meine Bilderverkäufe in Deutschland zu checken, und viel zu ruhen. Siesta. An Schlaf war bei der Hitze selten zu denken. In der Hitze rumhängen und träumen. Wenn ich schlief, war es ein völlig anderer Schlaf als im vertrauten Berlin. Bisher war ich nirgendwo lang genug, um ein Gefühl von „vertrauter Umgebung“ zu haben, und wie es scheint, ist das ziemlich wichtig, für mich Krebs und Träumer.

Doch in jedem Augenblick bekomme ich eine unglaublich befriedigende Information: ich habe warme Füße. Nicht wie sonst zu der Jahreszeit, wenn ich mich in Berlin egal mit wie vielen Klamotten nicht warm halten konnte. Heißt es nicht, sind die Füße warm, wird sich alles zum Guten fügen..? ;)



29. Thailändischer Klettergarten

Hoch über meinem neuen, vorübergehenden Wohnort, dem geheimen Hafen, leuchtet für alle sichtbar eine Tempelanlage auf einem Berg. Beziehungsweise... es sieht von unten wie eine Tempelanlage aus. Vielleicht ist es auch ne alte Filmkulisse, die jemand nicht abgebaut hat..? Da ich wissen wollte, was es wirklich ist, machte ich mich in wildester Affenhitze auf den Weg, um Klarheit zu finden.

Zunächst galt es den Zugang zu den Treppen zu finden. Ich ging einmal um den kleinen Berg herum, vorbei an einem Affenbrunnen, ehe ich ein paar Stufen fand. Sie wirkten ein wenig arg zerfallen, aber ich dachte mir nichts dabei. In Deutschland führen mindestens zwei bis fünfzehn Wege auf jeden noch so winzigen Hügel, und darum glaubte ich, dass ich schon irgendwie zu den weißen Treppen gelangen würde, die man von Weitem überdeutlich sehen konnte. Ich machte mir auch keine Gedanken, als die Stufen plötzlich aufhörten. War eben der zweite Weg. Ich wunderte mich auch nicht, als der Trampelpfad immer steiler wurde. War es doch das, was ich wieder und wieder tat: den „anderen Weg“ wählen. Klassisch, gewissermaßen.

Im nächsten Augenblick sah ich mich in wilde Kletterei verstrickt, durch stachelige Pflanzen, die eindeutig darauf hinwiesen, dass diesen Weg lange, lange, lange niemand gegangen war. Wieso machte ich das? Wieso konnte ich nicht einfach einmal etwas so wie „alle“ machen? Ich schwitzte, trank Wasser wie blöde, und überlegte umzukehren. Was mir keine gute Idee schien, weil der Weg zurück entschieden schwieriger abwärts zu bewältigen war, als aufwärts. Weiter gings bergauf.

Bis ich zu dieser Leiter kam. Eine alte, mäßig Vertrauen einflößende Leiter, die aus einigen Rohren zusammengeschweißt war, und gut 25 Meter über eine steile Felswand führte. Da hatte ich mir ja wieder eine schöne Suppe eingebrockt. Ich kletterte hoch, und Sprosse um Sprosse wurde ich mir bewusst, was ich da tat, und wie unglaublich rostig die Schweißnähte der Sprossen wirkten. Und hatte die Leiter nicht ziemlich lässig auf nur einem winzigen Vorsprung gestanden? War diese Leiter eigentlich irgendwie gesichert..? Verdammt... Wiedereinmal sprang mich Angst an. Wenigstens das dritte, oder vierte Mal, seit ich in Thailand gelandet war. Je höher ich kam, desto wackliger wurde die Leiternummer. Ich beschloss die letzten Sprossen nicht zu nutzen, und lieber Halt in den Felsen zu finden.

Und dann war ich schon fast da. Ich konnte die weißen Mauern asiatischer Architektur sehen – aber vor allem hatte ich einen spektakulären Ausblick über das weite Land. Die letzten Meter gab es eigentlich keinen wirklichen Weg mehr, ich kroch zwischen Büschen, über Felsen, und plötzlich war ich „da“ - wo auch immer das sein sollte. Ein einsamer Mönch in oranger Robe schloss sich gerade in seiner privaten Meditationskammer ein – und sonst... war es wohl so was wie ein Aussichtspunkt, der buddhistisch gestaltet war. Aber so was von! Egal wohin ich ging oder schaute: Der Anblick war überwältigend. Meer, Land, Wolken, Weite.

Dann war da dieser überdachte Aussichtspunkt, von dem aus ich auf den Horizont starren konnte. Eindeutig wie für mich gemacht. Ich atmete paarmal tief durch, setzte mich auf ein Bänkchen, und meditierte – während warmer Wind mein nassgeschwitztes Hemd trocknete.

Ich ging stark davon aus, dass ich allein bleiben würde, aber nach einer halben Stunde kam eine Gruppe Touristen aus Java vorbei. Eine Rechstanwältin Namens Sing Sang (kein Witz) kam mit mir ins Gespräch. Wir lachten, tauschten heiter kleine Reiseepisoden aus, und ehe sie ging, bat ich sie, ein Beweisfoto von mir zu machen.

Als ein paar Thai-Jungs rum kamen, und Steine von diesem Aussichtspunkt runter in die Tiefe warfen, war es für mich Zeit zu gehen. Diesmal traf ich auf die regulären Treppen, auf denen viele, viele Affen herumlungerten. Sie waren einigermaßen friedlich, aber sahen ehrlich gesagt ziemlich räuberisch aus.

Unten angekommen, waren meine Beine nach gefühlten 500 Stufen weich wie Gummi – und die Hitze hatte mich weichgekocht. Es war Zeit, dringendst noch mehr Wasser zu besorgen, und gegen eine Melone hatte ich auch nichts einzuwenden.



30. Die Filmkulisse

An meinem geheimen Hafen, hielt meine Freude genau einen Tag. Bereits am nächsten Tag stellte sich mir die Frage: „Und sonst?“ Was bot mir das drollige Leben an, außer einen tollen Meerblick, imposante Wolken, missgünstige Affen, bösartige Straßenhunde, und eine buddhistische Filmkulisse auf einem Berg? Man sollte meinen, einen Träumer würde das zu Höhenflügen treiben. Aber was, wenn außer visueller Stimulation sonst recht wenig vorzufinden ist?

Die anderen Reisenden machten bislang nicht den Eindruck auf mich, ich müsste sie unbedingt kennenlernen, oder mir ihre Geschichten anhören. Die wirklich entspannte, heitere Vermieterin war sehr erfreulich, gemessen an Thailand Standards, aber über ein recht oberflächliches Austauschen von Freundlichkeiten ging es dann doch nicht hinaus. So nahm ich mir am dritten Tag in meinem geheimen Hafen die Freiheit, alles an mir vorbei ziehen zu lassen. Ich glaube, es war die wichtigste und richtigste Entscheidung, seit ich Thailand betreten hatte. Ich pflanze meinen müden Hintern auf einen Plastikstuhl auf meinem Balkon, und schaute aufs Meer hinaus, bis mich Müdigkeit überfiel, und die vorbeirauschenden Autos nicht länger von Bedeutung waren. Ich driftete ab, in entspannte Gelassenheit, und immer wenn ich blinzelte, blinzelte das Meer zurück. Auf das Meer ist verlass. Es ist einfach da, schön weit, und türkisblau, und suggeriert die Idee von Weite und unbegrenzten Möglichkeiten.

Allerdings spürte ich auch, dass mein unübliches Verhalten, schon wieder wertend beobachtet wurde, und als ich später etwas Obst einkaufen wollte, wurde ich mit tiefer Verwunderung meiner Vermieterin konfrontiert – warum ich erst jetzt raus ging… Gefragt, von einer Frau, die bis auf wenige Augenblicke das Haus nicht verlässt. Ein kurzer, harmloser Moment, der aber deutlich machte, welche Erwartung von Thailand an Reisende gerichtet ist: „Geht verdammt nochmal raus und konsumiert!!!“
Es ist wirklich eine ziemlich einfache Sache: Irgendwie schaffe ich es immer, anzuecken, oder die Dinge auf eine Art zu machen, wie sie von anderen Leuten nicht verstanden wird. Oder wie sie eben einfach nicht der thailändischen Touristen Norm (TTN) entspricht.

Vom erfolgreichen Obsteinkauf auf einem versteckten Markt, wo ich endlich Früchte und uneingeschweißtes Gemüse fand, aus dem ich mir was Leckeres basteln konnte, kehrte ich in mein relativ ruhiges Gästezimmer zurück, schaltete ruhige Klänge aus meinem Computer ein, und aß nach vielen Tagen äußerst befriedigendes, gesundes Zeug. Der Tag war einfach so, mit einem Schnipp vorbei gezogen, und gegen Abend wurde ich von dem üblichen Überraschungs-Lärmpaket nicht mehr sonderlich überrascht.

Auf der Strandpromenade bauten paar Thailänder einen Tisch auf, schalteten Musik in einem geparkten Pickup ein, und zwei kleine Jungs spielten Szenen aus allgemein bekannten Bruce Lee Filmen nach. Ihr Schreien und Randalieren, wurde bis nach Mitternacht durch laute Lachen der Erwachsenen unterbrochen, und erst zu später Geisterstunde, als nur noch ängstliche Straßenkatzen mit eingezogenem Schwanz, das Revier der schlafenden Straßenhunde, durchquerten, bekam ich einen kleinen Moment der Ruhe. Das Meer erzählte seine Geschichten, klagte nicht, jammerte nicht, und wusste einfach, dass es noch rauschen würde, wenn die kleinen EgoÄffchen längst vergangen wären. Welch tröstlicher Gedanke. Eine Erde ohne den schlimmsten Virus überhaupt.

Ich schlief ein, und entschied kurzerhand, auch den nächsten Tag meinem inneren Frieden zu widmen, und das hektische Treiben draußen an mir vorbei ziehen zu lassen.



31. Weiterströmen

Unaufhaltsam rückte der Tag näher, an dem ich meine Liebste in Bangkok wiedertreffen würde. Sie war inzwischen heil in Thailand gelandet – und hatte mir bereits die erste Schock-SMS gesendet. Natürlich war es ihr nicht großartig anders ergangen, als mir bei mit ersten Eindrücken vom lauten, hektischen, und absolut unbewussten Bangkok. Nun galt es wieder in den Zug zu steigen, und wieder ins grauenhafte Bangkok zurück zu kehren, um meine Liebste aufzusammeln, und den Weg ins Paradies zu finden.

Ach, wie süß das klingt, und wie leicht es sich schreibt. „Paradies“. Doch wenig schien mir ferner, als eben dieses Paradies. Nicht in Thailand, und 100 mal nicht in Bangkok. Doch gab es da die engelhafte, wunderbare Intuition meiner Liebsten, und eventuell war da eine minimale Aussicht, dass sich der Weg mit ihr ändern würde.

Ich checkte am frühen Morgen aus, der Zug hatte über zwei Stunden Verspätung. Wunderte mich nicht, und irgendwie vergingen die zwei Stunden wie im Flug. Die Zeit in Thailand strömt anders. Dieses mal hatte ich schon eine Ahnung was mich auf der Strecke erwartete, und schlief die meiste Zeit. Zwei Stunden vor Bangkok wurde die Luft schlecht, und die Anblicke von düsteren Armutsregionen und Müllbergen waren seit meiner letzten Begegnung mit Bangkok nicht besser geworden. In Bangkok ließ ich mich mit einem Motorradtaxi in zur Shanti Lodge fahren. Natürlich gab es vor der Fahrt wieder die übliche reißerische Anmache der Taxifahrer, die mich alle möglichst schnell für ihr Taxi, ihr TukTuk, oder ihr Motorrad gewinnen wollten. Ich wusste inzwischen, dass es galt, alle zu ignorieren, und mir den auszusuchen, der mir am Meisten vielversprechend erschien. Es war der Fahrer, der am wenigsten aufdringlich erschien. Fast schon gelangweilt. Dass er den Weg nicht kannte und paar Kilometer in die falsche Richtung fuhr, änderte wenig am Abenteuer mit Mundschutz durch den wilden Verkehr Bangkoks zu fahren. Wenn schon, denn schon. No risk, no fun. Und ich hatte fun. Wenngleich die Luft dazu geeignet war, mich zu ersticken.

Irgendwann hatte der Fahrer diese Shanti Lodge gefunden – und so beeindruckend sie von außen aussah, wild, zugewachsen mit irgendwelchen Lianen, so enttäuschend war bereits der erste Schritt in das Gästehaus. Es sah original wie eine lausige Rucksacktouristen Kaschemme aus – und ein kurzer Blick genügte, um zu erkennen, dass dort niemand zu finden wäre, um einen halbwegs interessanten Austausch zu haben. Die nächste Touristenfalle.

Die Begrüßung meiner Liebsten fiel warm und zart aus, und unser Raum war rein äußerlich hervorragend dazu geeignet, einen schönen Moment vor der Weiterreise zu haben. Wären da nicht Lärm, Gestank, und noch mehr Lärm gewesen. Erdbebenähnlicher Lärm. Vermutlich ist es unrealistisch davon auszugehen, dass selbst mit bester Lärmdämmung und besten Filteranlagen jemals irgendwo ein ruhiger Raum in Bangkok aufzufinden wäre. Wir pfropften uns Lärmstopps in die Ohren und versuchten zu schlafen. Was uns nicht recht gelang. Ich versuchte meiner Liebsten irgendwann verständlich zu machen, was in Thailand vor sich ging, worauf sie sich einstellen könnte, und was ich bislang erlebt hatte – aber merkte, dass die Botschaft einigermaßen missverstanden wurde. Wieder wurde es darauf reduziert, dass es einfach meine „Anziehungskraft“ wäre, die mich an die „falschen Plätze“ brachte. Und ja, ich hatte dieses Talent, von zwei Möglichkeiten, grundsätzlich die weniger bequeme Variante zu wählen. Aber verdammt, das hieß doch nicht, dass ich blind und taub war, und nicht fühlen konnte, und keine Intuition hatte. Diese Intuition sagte, dass hier in Thailand was entschieden falsch lief, und Universen von Bewusstheit entfernt war. Jede Stunde, die ich in Thailand war, fragte ich mehr, wo sie sei, die „Spiritualität“, die mit Klöstern und Mönchen vorgegaukelt wurde. Je länger ich hier war, je genauer ich schaute, desto mehr fühlte sich alles was ich über Thailand erfahren hatte, wie naiv verklärte Romantik von Westlern an. Es schien manchen Reisenden völlig zu reichen, dass etwas „Fremd“ und anders als Zuhause war, anders geformte Hausdächer mit etwas Gold drauf, um völlig absurde Bildchen vom außergewöhnlichen Wunder Thailands zu finden. Ja, es ist richtig, dass Thailand sehr vielschichtig ist. Was jedoch kaum als Entschuldigung für Gier und Konsumgeilheit herhalten kann. Und was ich noch nie verstanden habe, war die eitle Wichtigkeit von Reisenden, die meinten, sie dürften nicht ihre Sicht mit in ein anderes Land tragen. Wieso bitte nicht, wenn man im eigenen Land Dinge erfahren hat, die äußerst positiv waren, und zumindest darauf hindeuten, dass ab und zu andere Aspekte in den Vordergrund rücken, als der Erde blutige Fetzen raus zu reißen.

Die Ökobewegung in Deutschland oder Europa mag ihre Schattenaspekte haben – doch was mir sehr gefällt, ist die Idee, nicht mehr weitermachen zu wollen, wie es die Wirtschaftswundergeneration vorgelebt hatte. Hier in Thailand scheint man noch völlig vom Wirtschaftswunder überwältigt zu sein – mit der Aussicht, das Land in einen traurigen Müllberg zu verwandeln. Oder einen Konsumtempel von gigantischen Ausmaßen.



32. Leaving Bangkok

Heute weiß ich bereits, dass ich – sofern es überhaupt möglich ist – einen weiten Bogen um Bangkok machen würde. Vielleicht würde ich andere Flughäfen ansteuern. Dummerweise ist Bangkok zentraler Verknotungs- und Verstrickungspunkt Thailands, und bereits bei unserem Aufbruch, waren wir nicht sicher, ob wir um Bangkok herum kommen würden. Erstmal reichte es völlig, aus dem Moloch zu flüchten. Eigentlich schien verglichen mit Bangkok alles besser. Nur weg, nichts wie weg!

Das allerdings, ist eine Herausforderung der besonderen Art. Nichts wie weg? Ja, klar, gerne. Aber wohin, und wie? Das Internet gab ebenso wenig verlässliche Aussagen, wie die Reiseführer, die ich in meinem Gästehaus im geheimen Hafen durch studiert hatte. Inzwischen gibt es eine grundsätzliche Aussage, die sich über fast alle Reiseführer und Reiseberichte machen lässt: sie sind von Konsumenten für Konsumenten gemacht. Durchtränkt von eitler Schlauheit. „Guck mal, was ich weiß“. Drauf geschissen. Ich möchte Reiseberichte, in denen Reisende beschreiben, was sie FÜHLEN. Und das scheint in der rationalen Welt nicht erlaubt zu sein – oder es fehlt den Leuten schlicht der Mut, die Welt und die angehenden Menschen mit ihren Herzen zu sehen.

Tja… Mein Herz… Es war die letzten Monate in der Natur am Rand Berlins oft berührt worden. Weil es Momente der Stille gegeben hatte. Weil ich in dunkler Nacht allein herumwandern hatte können, ohne dass die Geschäftigkeit aktiver Egos mich mit Lärm und Hektik zugemüllt hatten vielleicht würde die Anwesenheit meiner Liebsten etwas zum Positiven wandeln.

Schon die ersten Minuten unserer gemeinsamen Reise waren durchflutet von einer wilden, aufgeregten Energie. Wie bezaubernd meine Liebste anzusehen war, als wir in einem Taxi saßen, und ihr ganzer Körper kleine Funken versprühte. Ja, ein Taxi, weil uns kein TukTuk den weiten Weg hatte fahren wollen. Einmal mehr das Erlebnis, dass die Freundlichkeit hier durchaus Grenzen hatte, und der TukTukFahrer hatte eine Art drauf gehabt, die einem mürrischen Berliner Taxifahrer in nichts nachstand. Oh, Überraschung. Ja, auch Thais sind Menschen. Nicht wie die Reiseführer suggerieren wollen. Nein, sie haben kein Freundlichkeits-Gen mitbekommen. Sie können genauso stinkig, unfreundlich, und mies gelaunt sein, wie Berliner, und sie lassen auch ihre Mundwinkel runter hängen, genau wie im Berufsverkehr in der Berliner U-Bahn. Ich hab das vor 20 Jahren anders erlebt - aber das ist wirklich lange her...

Was dann geschah war einerseits magisch, und gleichzeitig schockierend.

Obwohl wir unvorbereitet wie sonst was waren, mussten wir uns praktisch um nichts kümmern. Wir wurden ins Taxi geladen, bei der Bushaltestelle abgeladen, in den Minibus eingeladen, dann auf einen Pickup geladen (wo wir fast an Auspuffgasen erstickt wären), vor der Fähre abgeladen, dann mit der Fähre auf eine Wunderinsel übergesetzt, dort gegen unseren Wunsch auf einen weiteren Pickup geladen, und PENG! Wir waren an unserem Zielressort. Eins, das meine Liebste gefunden hatte, weil dort – laut Website – ökologische Ansätze vorzufinden sein sollten. Weil es eben nicht wie die übliche Touri-Falle ausgesehen hatte. Nicht durchgeplant. Nicht auf Geld abzocke ausgelegt. Mit „familiären Flair“.

Die Fahrt dorthin hatte sechs Stunden gedauert. Gefühlt: ein paar Minuten, und gleichzeitig mit Eindrücken vollgepackt, von wenigstens einer Woche.

Erschreckend war an diesem Trip gewesen, wie sehr bereits alles vorgeplant und durchgecheckt war. Man hatte bereits auf uns gewartet. An den Bushaltestellen, am Fährhafen, überall. Wir mussten nur in unsere Geldbeutel greifen, und den Wegezoll abdrücken – alles andere geschah von selbst. Kein Denken nötig. Keine Entscheidungen gefragt. Zielort nennen, und ein Thailänder schleust einen an den richtigen Platz.

Das lässt sich als Service auslegen. Es ist sehr bequem. Aber ist es Reisen?

Und die unglaubliche Insel… Die Straße, auf der uns ein Pickup zum Ressort gefahren hatte, hatte uns an leuchtenden, lärmenden Konsumtempeln vorbei gefahren. Riesen Halligalli. Nix „unberührte Insel“, nix „ruhige Natur“. Nix „weniger touristisch erschlossen“. Aber wir waren an unserem ersten Ziel angekommen, und wagten uns kurz zu freuen. Nach Bangkok freut man sich einfach, wenn die Erde mal nicht bebt.



33. Willkommen in der Natur?

Das Ressort, das uns meine Liebste ausgesucht hatte, warb auf der Homepage im Internet mit ökologischem Bewusstsein und einfachen, freundlichem Design. Es wirkte einladender als andere Orte. Wir kamen an, als es bereits dunkel war. Somit konnten wir wenig über die Beschaffenheit der Natur sagen. Nur eins sprang uns augenblicklich an: auf einem Nachbargrundstück fand gerade Technoparty statt. Halleluja.  Berlin entkommen, um an einem Ort der Natur mit lärmenden Nachbarn klarkommen zu dürfen. Yeah, da kam Freude auf. Es half, dass meine Liebste und ich darüber lachten, und darauf spekulierten, dass das auch irgendwann aufhören würde. Und es hörte auf. Irgendwann wurde der Saft abgedreht, und einen Augenblick strömte Stille des Gartens zu uns. Geckos, die ihr „O-Oh!“ in die Nacht schrien, Grillen, unbekannte Vögel. Ein Augenblick der Stille – bis irgendein Arsch auf dem Grundstück irgendeine Berieselungsanlage einschaltete. Es muss echt zu viel sein, für manche Leute, auch nur 5 Sekunden mal nicht irgendwelche so genannte „Musik“ rein zu dröhnen. Als müssten sich die kleinen EgoÄffchen ununterbrochen mit Lärm ihre Existenz bestätigen. Und als würden sie fürchten, dass sie aufhören zu sein, sobald sie in die Stille tauchen.

Was in der Stille für unvorstellbare Klänge zu finden sind, scheint niemand zu glauben, und niemand wissen zu wollen. Heftige Zeiten, für Freunde von Stille.

Gegen Mitternacht ging dann tatsächlich die letzte Musikanlage aus, und ich schlief mit meiner Liebsten tatsächlich inmitten echter Naturgeräusche ein. Nur dann und wann knatterte ein ferner Motor über die Straße, auf der wir angekommen waren. Für thailändische Verhältnisse war das tatsächlich erstaunlich ruhig. Dennoch hatten meine Liebste und ich bereits eins ausgesprochen. Dass wir erst wieder aufhören würden zu reisen, wenn wir den Ort der Ruhe gefunden hätten, wo wir einfach sein, und ohne Anstrengung den Schlag unserer Herzen hören können – weil es still genug dafür ist.

„...und wenn wir dafür auf den höchsten Berg, im fernsten Land steigen müssen...“

Es gab genau eine entspannte Nach, tiefen und erholsamen Schlaf, um am nächsten Morgen in einem relativ natürlichem Ambiente aufzuwachen. Relativ. Denn was sich da „Blue Lagoon“ nannte, und auf Fotos im Internet wild und frei und nicht völlig durchgeplant schien, erwies sich dann bei Tageslicht als eine Sammlung von Bungalows, die auf viel zu engem engem Raum eilig zusammengewürfelt worden waren. So richtig überzeugen wollte mich die Anlage nicht. Die viel gepriesene Detailfreude der Thais sah ich nicht. Dafür hübsch anzusehende Bungalows, die keinem größeren Standhalten würden. Dieser Ort hatte weniger den Charakter von liebevollem Ökospace, als von unaufgeräumter Touristenanlage in der Entwicklungsphase. Womit ich hätte leben können… Wäre da nicht von „hinter den Bäumen“ die Lautsprecheranlage eines Fußballplatzes gewesen, wo irgendein fanatischer Thai die idiotischen Sportmanöver von irgendwelchen Jungs kommentierte. Irres Getöse. Und hinter paar anderen Bäumen, kam ein Geräusch, wie von einem Megastaubsauger… Der saugte, und saugte, und saugte… Als ich der Lärmquelle auf die Spur kommen wollte, war das ein Handwerker, der ein riesiges Stück Holz abschliff. Direkt in dem ach so natürlichen „Blue Lagoon Ressort“. Abschließend, war da noch eine Thailady an der Rezeption, die unbedingt wissen musste, wann wir auschecken, bzw. wie lange wir bleiben – was zum Streit mit meiner Liebsten führte, und heraus kitzelte, wie wenig unsere Vorgehensweisen sich ähnelten. Willkommen im Fiasko Tango. Inmitten des Universums aus Konsumzwang, war das letzte was ich mir wünschte, ein Streit mit meiner Liebsten. Was scheinbar unvermeidbar war, und nur eine Frage der Zeit, wann die, die sich am Nächsten stehen, aufeinander schießen würden. Komische Sache, dass dem so ist. In meiner Vorstellung sollten Liebende zueinander stehen, und gegen den Rest der Welt antrotzen, wenn es denn sein muss – und tatsächlich schwächen sich die Liebenden, statt sich zu stärken. Da wird Schuld gefunden, wo keine ist, und keine Liebe gesehen, obwohl sie lauter als Donner ist, und es werden Missverständnisse zelebriert, statt Lösungen. Tja… Am 22.Tag in Thailand ist Gefühl für dieses Land komplett abhanden gekommen, und es interessiert mich nicht ansatzweise, wo das Meer ist, oder irgendein Schmetterling rumflattert.

Ich hab mir Cocteau Twins eingestöpselt, und mich in unserer windigen Hütte in einen Kokon eingekapselt. Ich höre das Stück, mit dem ich mich vor 300 Ewigkeiten mit Judith auf Griechenland entjungfert hatte. „Pandora“. Auch heute noch ein wahnsinnig grandioses Stück Musik. Wie leicht damals alles war, als ahnungsloser Teenager. Ohne Erfahrungen. Ohne Bewusstheit. Einfach nur ein putziger, kleiner, verliebter Junge, der davon träumte das Leben aufzusaugen. Ich hatte es aufgesaugt. Ich hatte Geschenke bekommen. Und jedes Geschenk wurde ein weiteres Puzzle-Teil. Das heute praktisch unmöglich macht, die Lüge zu schlucken. Wie auch. Wer Wahrheit erfahren hat, dem geht sie ins Blut über. Bis in die kleinste Zelle. Da kann mir die grandioseste rosa Brille aller Zeiten angeboten und aufgesetzt werden – die Lüge wird sich immer als Gestank zu erkennen geben. Wo stinkt es bitte nicht? Wo darf ich Mensch sein? Wo darf ich lieben und leben? Wo tanzen, wo frei sein, wo tief durchatmen? Und wo zum Henker mischt sich mal kein Ego in meine Angelegenheiten?



34. Die rosa Brille

Wie bereits in anderen Texten beschrieben, scheint es so was wie eine Massenhypnose zu geben. Den Wunsch aller Reisender und Touristen, sich völlig der Illusion hinzugeben. Im Glauben, die heilige und bequeme Illusion wirklich Preiswert zu bekommen, und dafür ihre letzten Hemden zu geben.

Seit ich die Reise begonnen habe, wird systematisch ein hübsches, romantisches Bild nach dem Anderen zerklopft. Es scheint sie nicht mehr zu geben, die Reise, in der man von Eingebungen und Schicksal von einem Ort zum Nächsten gelenkt wird. - denn irgendwo hat immer schon jemand einen Grenzposten aufgebaut, um Wegezoll einzunehmen. Als ich noch von „Lehrgeld“ schrieb, als ich in Bangkok frech abgezockt wurde, da ging ich davon aus, es wären „Anfangsschwierigkeiten“. Zustände, die mit zunehmender Vertrautheit des Landes aufhören würden.

Inzwischen bin ich mehrere Orte weiter – und staune noch immer, mit welcher unvorstellbaren Besessenheit hier nach dem Geld der Reisenden, und meinem Geld, geschielt wird. Ich frage mich: was schreiben die Leute über das tolle Thailand? Wie gesagt, Sonne, Meer, ja, vorhanden. Tolle Sonnenaufgänge und Untergänge, okay, vorhanden. Sonst?

Was genau suchen die anderen Reisenden und glauben sie hier zu bekommen? Geht es tatsächlich nur darum, etwas „billig“ abzustauben? Müsste da nicht eine Komponente sein, die es wirklich erfreulich macht, das Geld wegzugeben? Eine Art „Befriedigung“ von etwas mehr als ein paar Bequemlichkeitsaspekten. Und müssten da nicht ein paar mehr Stimmen existieren, die den Mut haben, die Wahrheit auszusprechen? Oder ist es vielleicht einfach so, dass alle sich inzwischen in skrupellose Verkäufer verwandelt haben, die alles verkaufen, alles versprechen, und wissen, dass sie damit durchkommen werden, weil nach den einen unzufriedenen Touristen, sowieso die anderen nachkommen. Selbst negative Kritiken im Internet ändern wenig daran, dass die Verkäufer weiter machen. Scheint für alle Käufer völlig okay zu sein. Ich frage mich Stunde um Stunde mehr: was geht hier vor? Ist das die neue, moderne Welt? Sind die räuberischen Verhaltensmuster auf Ibiza, die ich als „wilden Westen“ beschrieben hatte, inzwischen internationaler Standard?

Jeder steht sich selbst am Nächsten, und erlaubt ist, was machbar ist?

Ich lebte zuletzt in einer Wohnung in Berlin, wo der Vermieter vor allem ein Augenmerk hatte: das Geld einzustreichen. Was ich dafür bekam, stand in keinem Verhältnis zur Miete. Nicht viel anders begegnet mir das bislang auf meiner Reise.

Dass Flughäfen inzwischen in Geldfallen umgewandelt wurden, in denen nicht der geringste Service (Toiletten, frisches Wasser, frisches Obst) gratis angeboten werden, dürfte kaum jemand verwundern – wenngleich es irgendwie sehr schade ist, weil es doch aussagt, dass menschliche Bedürfnisse nicht länger geachtet und beachtet werden. Dass dieses Verhalten überall angewandt und auf alle Bereiche ausgeweitet worden ist, erschüttert mich tief.

Neulich habe ich mich in einem unachtsamen Moment auf meine Brille gekniet und sie kunstvoll verbogen. Ich fand in Bangkok einen Optiker, der sie mir wieder tragbar zurecht bog – und als ich ihm Geld anbot, winkte er freundlich ab – und ich wäre beinahe vor Freude explodiert. Nicht weil ich ein paar Baht gespart habe, sondern weil es tatsächlich noch Ausnahmen zu geben scheint. Das heißt: vielleicht ist noch nicht alle Hoffnung verloren, und irgendwo wartet ein Ort, wo noch Reste von menschlichen Werten gelebt werden. Das ist momentan der Hauptantrieb mich weiter zu bewegen.

Im übrigen scheint es tatsächlich einen großen Unterschied zu machen, ob man ohne Verlangen reist, und mit offenen Sinnen das Leben – auch in hässlichsten Aspekten erkennt – oder ein braver Konsument ist, und unreflektiert kauft, was man beigebracht bekommen hat, und man angeblich zu brauchen hat.


35. Schleusland

Reisen. Was für ein einzigartiges, lehrreiches Abenteuer das doch sein kann, wenn die Überraschungen des Lebens Platz finden. Idealerweise bedeutet es auch, dass man sich verirren und verlieren kann, um sich zu finden. Gerade die gruseligsten Aspekte sind es, die das Reisen lehrreich und faszinierend machen. Als ich vor vielen, vielen Jahren ein halbes Jahr mit dem Mountainbike das griechische Festland lang geradelt war, hatte ich so ziemlich alles verbockt, was man verbocken kann – und habe wohl gerade deshalb Wunder erlebt und Engel getroffen. Wie soll das geschehen können, wenn an Orten wie Thailand alles nur noch abläuft, wie das durchschleusen von Flüchtlingen an der mexikanischen Grenze? Nur das hier keine Flüchtlinge geschleust werden, sondern Touristen. Was für ein unglaubliches System von ineinander greifenden Zahnrädchen. Ich wage zu behaupten, dass man kein Wort Englisch oder Thai können muss, sondern nur seinen Zielhafen auswendig vor sich hersagen können braucht – und die Schleuser werden dich absolut zielsicher genau dort abladen. Das ist wohl, was für die meisten Touristen absolut ausreichend ist. Angsterfüllt und panisch wie sie sind, muss ihnen das wie Lebensrettung und Wunder zur gleichen Zeit erscheinen. Was aber, wenn man nicht panisch oder ängstlich ist? Wenn man nicht, wie ich es oft beobachtet habe, durchdreht, weil der Zug nicht zur vereinbarten Zeit auftaucht? Was, wenn man Spaß daran hat, chaotisch und überraschend zu reisen? Wenn man keine zeitliche Begrenzung hat, und nicht in möglichst kurze Zeit möglichst viel Entertainment und Eindrücke pressen muss?

Dann gehört man in Schleusland zu einer absolut unverständlichen Minderheit. Schleusland hat sich darauf eingestellt, Touristen, die hier für reich gehalten werden, das zu bieten, was man glaubt, was die Touristen haben wollen. Versucht man eine Kommunikation aufzubauen, die auf etwas anderes als Routine hinausläuft, ist Kommunikation nicht mehr möglich. Oh, ja. Schleusland ist ein Touristenparadies wie es im Buche steht. Allerdings könnte jeder Tourist ebenso gut nach Mallorca, Ibiza, oder sonst wohin fahren – denn der Touristenstandart ist inzwischen absolut beliebig geworden. Das Meer ist überall, Strände auch, die Umweltverschmutzung auch, die Quallen auch… Nur Ruhe, die scheint es nirgendwo mehr zu geben.

Das permanente Dröhnen, das ich von Berlin gewöhnt bin, und eigentlich nur zu Weihnachten von 20 Uhr bis zum 2. Weihnachtsfeiertag unterbrochen wird, ist überall anzutreffen. Und in Schleusland in einem Ausmaß, dass ich hiermit alle für verrückt erklären, die erzählen wollen, hier gäbe es etwas wie Bewusstheit. Die Tempel sind zur Touristenattraktion verkommen - und um ehrlich zu sein, machten die Mönche auch in ihren tollen orangen Roben nicht wirklich den Eindruck, sie wären besonders bewusst unterwegs. Vielmehr scheinen auch sie gelernt zu haben, sich ihre Scheibe vom internationalen Touristentörtchen abzuschneiden. Kann es sein, dass all die schönen Ideen von Buddhismus und Bewusstsein idealisierte, romantische Ideen von Westlern sind, die gerne glauben wollen, dass irgendjemand Geheimnisse kennt, das Leben leichter zu machen?

Mir möchte es scheinen, dass permanentes Dröhnen der sicherste Hinweis dafür ist, dass ein riesiges Missverständnis Richtung Leben besteht. Es ist eine Sache, ob man lacht, ob man tanzt, Musik macht, aus Freude, um das Leben zu feiern – oder ob man mit Lärm imaginäre Dämonen vertreiben will. Diese Idee hat in Schleusland eine lange Tradition. Vertreibe Dämonen, indem du Böller abfackelst. Und diese Einstellung treffe ich überall an. Die viel beschriebene Liebe zum Detail finde ich hier nicht – nur ein maximales Fehlen an Sensibilität und Einfühlsamkeit. Das mag von Manchen als Freiheit ausgelegt werden, denn jeder kann hier jederzeit den Schwingschleifer rausholen, und zu jeder Zeit sein Haus oder Motorrad modifizieren. Ungeachtet dem Ort, der Nachbarn, der Uhrzeit. Alles egal. Wie kann jemand Scheißegaleinstellung mit „Spiritualität“ verwechseln, und „Freundlichkeit“ mit professionellen Verkaufstechniken bzw.  Gier? Diese Art von „Freiheit“ ist weniger die, die ich mir wünsche oder vorstelle.

Es gibt da diese lustige Einstellung: „Wenn es dir in einem Land nicht gefällt, dann geh halt“. In der tat. Nach nicht mal einem Monat, bin ich nur zu bereit zu gehen. Nur: Wohin? Alle Freunde und Verteidiger Thailands möchte ich beruhigen, denn wie es scheint, geht es hier vor allem um die wichtige Erkenntnis: Wo ist kein Schleusland? Wo werde ich nicht als Teil des Bruttosozialprodukts gesehen, als Geldmaschine, die wen auch immer reicher machen, und alle glitzernden Lügen glauben soll? Wo?

Ich bin nach Thailand geflogen, mit der Erinnerung an über die Maßen freundliche Menschen. Mit Erinnerungen an Freiheit. Mit Erinnerungen an Schönheit der Natur, und erstaunlich viel Ruhe. Ja, vor 20 Jahren habe ich auf Koh Tao Momente der Ruhe erlebt, und nur ein übereifriger Hahn hatte mir ein paar Nächte die Laune verdorben, weil seine innere Uhr nicht auf Sommerzeit eingestellt gewesen war. Ich meine, welcher Hahn kräht bitte um 3 Uhr in der Nacht? Bei aller Tierliebe, hätte ich diesem Hahn gerne den Hals umgedreht – wenn ich ihn gefunden hätte. Doch wem soll ich heute den Hals umdrehen? Ich käme aus dem Hals umdrehen gar nicht mehr raus. Da werden lärmende Partys gemacht (alle paar hundert Meter), da gibt es irre Lautsprecheransagen, die Eisverkäufer auf Mopeds machen mit nervigen Nintendo-Piepsmelodien auf sich aufmerksam, tausende Mopeds, tausende Autos, Busse, Jetskis, Motorboote, Aircondition, surrende Kühlschränke, BohrmaschinenSchleifmaschinenHämmerSägenAlarmeSchreieUndUndUndUnd… alles zur gleichen Zeit.

Nein, von Lärmverschmutzung hat hier niemand gehört. Es könnte auch anders klingen, hier. Rauschende Wälder, Vögel, Insekten, ein einzigartiges Konzert der Natur – doch dafür scheint hier niemand Sinne zu haben. Der wahre Klang Thailands wird überdeckt mit hässlichem Lärm. Weiter nichts, und wer mir hier mit „nationalen Eigenheiten“ kommen will, kann mich schlicht am Arsch lecken. Lärmverschmutzung ist internationale Dummheit, aufgebaut auf panischer Angst vor der Stille. Weil in der Stille wirst du mit dir konfrontiert – und da scheint es gerade in Europa mehr mutige Vorfühler zu geben, als im legendären Asien, wo gerade das Wirtschaftswunder Europas 1950 nach simuliert wird. Mit allen unsäglichen Begleiterscheinungen. Unter anderem, dass alles zur permanenten Ablenkung und Geschäftigkeit verkommt. Nicht innehalten. Weiter machen Wachstum, Wachstum, Wachstum, bis Thailand aussieht, wie jedes andere Land. Das Phänomen der Gleichschaltung ist der größte Fluch des 21sten Jahrhunderts. Dank moderner Telekommunikation weiter getragen in die fernsten Winkel der Erde… Es darf geweint werden. .



36. Reiselust

Immerhin 17 Tage hatte ich Thailand allein durchreist – und manchmal an meiner Wahrnehmung gezweifelt. Es ist eine Sache, wenn man sich einzig auf die eigene Intuition und Wahrnehmung verlassen muss, und umgeben ist von Leuten, die auf einem völlig anderen Trip sind. Oder wenn man plötzlich mit seiner Geliebten Austausch haben kann – und sie die Wahrnehmung bestätigt. Weil sie auch sensibel ist, und ebenso schockiert ist, was im angeträumten Paradies für Schwachsinn veranstaltet wird.

Dennoch bleibt ein Rest von sonderbarem Gefühl. Müsste man nicht in der Lage sein, einfach einen Schalter umzulegen, und sich der allgemeinen Banalität anpassen können? Die Sonne scheint, es ist warm, sogar das Meer ist warm, während im heimischen Berlin die Leute langsam zu schlottern anfangen… Was stimmt nicht mit uns sensiblen Träumern, die das Getöse nicht auszublenden schaffen?

Meine Liebste fand dafür ein gutes Bild: Wir sind wie Bäume. Unsere Äste der Wahrnehmung werden immer feiner, immer zarter, und immer mehr. Wir brauchen sie nicht mehr, die großen, lauten Hau-Drauf-Special-FX, mit denen Kinder bis ins hohe Alter beeindruckt werden. Unsere Inspiration findet in den feinen, zarten Bereichen statt. Und mit den feinen Verästlungen unserer Wahrnehmungssensoren, ist alles Laute doppelt und zehnfach laut. Alles Banale zehnfach banal. Alles Aufdringliche zehnfach aufdringlich.

Meine Liebste und ich befinden uns in der Masse, die sich darauf geeinigt hat, sich auf jede erdenkliche Art zuzudröhnen. Selbst wenn wir versuchen zu erklären, was wir wollen oder wünschen, stößt das auf Nichtbegreifen – denn wie kann sich jemand inmitten all des Entertainments bitte nicht wohl fühlen?

Umgekehrt stellt sich mir und uns die Frage: Wie kann es sein, dass hier an alles, sogar an süßen Mangosaft, noch Zucker geschüttet wird? Selbst beim Bestellen oder Kaufen von einfachstem Essen, können wir nicht so blöd denken, wie hier das Laute, Aufdringliche und Künstliche zelebriert wird.

Gestern trafen wir ein anderes Reisepärchen, und fragten sie, ob sie die Technomucke gehört, und ebenfalls nicht schlafen hatten können. Sie hatten nichts gehört. Denn sie waren erschöpft gewesen – höchst wahrscheinlich von dem vielen Entertainment, das ihre überforderten Körper dringend verdauen mussten. Das ist das Prinzip der Masse. Sich so zuballern mit Infos jeder Art, dass man nach dem Trip in todesähnlichen, traumlosen Schlaf fällt. Und am nächsten Tag das Programm in anderer Farbe wiederholt. Und wieder. Und wieder. Bis irgendwann der Körper erkrankt oder einfach stirbt, ohne jemals einen Hauch von realem Leben aufgesaugt zu haben.

Was es ist, dieses „Wahre Leben“, von dem ich ständig schreibe? Es springt einen dann an, wenn alle künstlichen, sprich von Egos geschaffene Fremdeinflüsse aufhören. Das ist, was ich als Stille bezeichnen möchte. Die Abwesenheit von plappernden, wichtigen Ideen anderer Leute. Die Abwesenheit von „soll“ und „müssen“. Die Abwesenheit von Verlangen nach der nächsten Ablenkung.

Mit dieser Einstellung landeten meine Freundin und ich im Land des Halli Galli. Jeden Tag Jahrmarkt. Jeden Tag Party. Ist das, was die Reisenden den Thai gelehrt haben? Oder war es stets latent vorhanden gewesen, und nahm zu, je mehr Geld ins Land strömte? Ich erinnere mich immer wieder an den genialen Buchtitel „Wir amüsieren uns zu Tode“. Das könnte die Kurzfassung all dessen sein, was ich in Schleusland und im Touristenzirkus beobachte. Sie amüsieren sich zu Tode – ohne ein einziges Mal auch nur eine Sekunde aufzuwachen. Denn Aufwachen, ist gefährlich. Dann befindet man sich plötzlich außerhalb des Spiels, und fühlt sich wie ein Außerirdischer. Und fragt sich: wo ist mein artgerechtes Reservat?



37. Wahrheitsfindung

Ich bin ein merkwürdiger Reisender. Ich bin gewohnt, mit LSD, Psilocybin, und anderen psychedelischen Substanzen, tief in meine verborgenen Winkel zu reisen, und meine persönlichen Wahrheiten auszugraben. Da kann es schon befremdlich werden, wenn das Reisen in der „realen“ Welt zu einem Themenpark verkommen ist. Die ganze Welt, ein einziger, riesiger Disney Park.

Ich gestehe, ich habe einen gigantischen Fehler im Vorfeld gemacht. Ich habe nicht darauf gewartet, dass Thailand oder jemand in Thailand mich einlud. Wer auch? Doch ist heute sehr klar, dass sich das wirkliche Thailand nicht erschließen kann, wenn man wegen seiner Hautfarbe sofort als Tourist abgestempelt und dementsprechend behandelt wird. Man wird auf den Highway gelenkt, ob man will oder nicht… Aus meiner jetzigen Perspektive, scheint kein alternativer Weg mehr zu existieren.

Auf der Insel meiner Wahl gibt es zwei Straßen. Eine im Osten, eine im Westen. Auf der im Westen findet ein stetiger Strom von Touristentransporten statt. Auf Mopeds oder in Pickup-Taxis. Dazwischen transportieren Thais ihre Waren von A nach B – und soweit ich bisher sehen konnte, ist hier nichts, wirklich absolut nichts, dafür ausgelegt, zu Fuß zu gehen. Oder Rad zu fahren. Beziehungsweise einen eigenen Weg zu wählen… Dies ist eine durch und durch motorisierte Gesellschaft. Was zur Folge hat, dass alle Wege vielfach benutzt sind. Es scheint überhaupt nicht gedacht zu sein, dass hier irgendwer sich zurückziehen wollen könnte. Da sind keine Schleichwege in die Berge. Egal was man vorhat: man muss sich hinfahren lassen, oder geführte Touren buchen... Das wiederum hat zur Folge, dass egal wohin ich komme, schon andere vor mir waren und sind. Allerdings mit etwas anderen Intentionen als ich. Sie wollen ein Erinnerungsfoto – ich möchte einen Ort der Stille in der Natur. Ein verstecktes Plätzchen zum Beobachten und Träumen.

Interessanterweise dürften meine Fotos ziemlich genau das Gleiche darstellen, was Millionen Touristen festhalten. Hübsche Szenarios – die nichts über die Umstände und Energien aussagen, in denen die Fotos geschossen wurden. Ich habe inzwischen manches Foto geschossen, während ich in tosenden Lärm gehüllt war. Oder während sich links, rechts und hinter mir der Müll stapelte. Oder während hinter mir Touristen faul in der Sonne brutzelten. Die Fotos sagen auch null über die Gerüche aus, oder die Wärme, oder die Luftfeuchtigkeit. Sie sagen nichts darüber aus, wie ich mich gerade fühle, oder nicht fühle. Interessanterweise lassen die fertigen Fotos viel, viel Raum für Interpretationen. Das ist, was ich als Maler so liebe. Dass ein Bild auf viele Weisen gelesen werden kann. Für Dokumente einer Reise, oder Bebilderungen eines Reiseführers wünsche ich mir allerdings Wahrheit – nicht Bestätigung meiner Illusionen.

Seit ich meine Reise angetreten habe, lese ich Fotos anders. Wie ich mich bei Pornobildern schon vor langer Zeit immer öfter gefragt hatte, in welchem Ambiente und aus welcher Motivation heraus das Bild entstanden war, lasse ich mich heute nicht mehr vom schönen Schein einlullen – sondern möchte wissen: was wird auf dem Bild NICHT abgebildet? Das tolle Haus – wie nah sind die Nachbarn? Ist da ne Motorradvermietung nebenan? Etc… Man könnte sagen, ich habe schon etwas dazu gelernt. Fatal ist nur, dass die wenigsten Fotos, auch meine, nicht die Wahrheit einfangen, sondern eine subjektive Betrachtung. Um zu wissen, wie es ist, gilt es das Risiko einzugehen, sich an die Orte zu begeben – auch auf die Gefahr hin, desillusioniert zu werden.

Wie mir scheint, gibt es auf dem einen Weg zwei Möglichkeiten, wahrzunehmen: sich der Illusion hingeben, oder sich in die Desillusionierung fallen zu lassen. Ich fand es seit jeher etwas Schade, dass ich mich mit der Illusion nicht zufrieden geben kann. Ich konnte der Jahrmarktatmosphäre, mit der sich bequeme Egos ablenken und einlullen lassen, leider nie wirklich abgewinnen. Auf den ersten Blick scheint es soviel einfacher, mit der Illusion zu leben. So viel bequemer. Was zur Folge hat, dass man an den schönsten Plätzen der Welt dennoch nur einen Film sieht. Ist es das, worum es beim Schmerz geht? Dass der Film aufhört, und man sieht, was „wirklich“ da ist? Dass das, was man hinter dem Schleier der Illusion sieht, keinerlei Ähnlichkeiten hat, mit dem, was man sich wünscht zu sehen? Es nicht mal Ähnlichkeit hat, mit dem was man glaubt, wie „Wahrheit“ aussehen sollte. Sehr subtile Sache…

Mal sehen, was mir die Reise noch bereit hält...



38. Ein Moment der Ruhe

Das Loy Krathong Festival ( 25.11., Kerzenfest, in dem Kerzen und Blümchen in kleinen Schälchen in Flüsse gesetzt werden) ist vorbei – und eine völlig andere Energie findet statt. Das lärmende Dauergetöse ist Vogelgezwitscher und dem Rauschen von Palmblättern gewichen. Ich kann es noch nicht fassen. Es ist das erste Mal, seit ich hier bin, also fast einem Monat, dass hier so was wie Ruhe zu spüren ist. Kann es sein dass alle besessen waren, wegen Loy Krathong? So wie in Deutschland die Leute wegen Weihnachten am Rad drehen? Da kommt ein schönes, entspanntes Gefühl in mir hoch. Juhu! Ich höre Vögel!!! Die Büsche, Bäume und Bungalows wiegen sich im Sonnenlicht. Blauer Himmel. Einen gigantisch leckeren, selbstgemachten Fruchtsalat mit Melone, Drachenfrucht, Ananas und Kokosmilch in mir. Der Tag beginnt gut. Jetzt bloß nichts unüberlegtes machen.

Ich legte mich also nochmal hin, und fragte mich: „Weshalb bin ich hier?“

Von meiner ersten Reiseüberlegung an, hatte ich nicht die Absicht gehabt, mich „zu beschäftigen“. Also all die netten Ablenkungsangebote für zahlungskräftige Touristen anzunehmen. Ich war davon ausgegangen, ich könnte unberührte Natur entdecken. Videos machen. Klangcollagen basteln. Tiefe Eindrücke wiedergeben. Stattdessen bin ich hier aufgefordert mich dem allgemeinen Strom anzupassen – der allerdings weit von dem entfernt ist, was ich als interessant und lebenswert betrachte.

So freue ich mich über die Wärme, die Sonne, und das viele Grün um mich herum, das wenigstens fürs Auge Natur zu sein scheint – auch wenn es von Menschen angelegte Natur ist. Damit lässt sich durchaus leben, und durchatmen, und nachdenken, wie es weitergehen soll.

Wenn ich die aktuellen, weltweiten Berichte anschaue, relativiert sich mein kleines Leid doch ganz schön. Das scheint gerade ein gewaltiger Angstwahn umzugehen – von dem ich hier zum Glück nichts spüre. Alles worum es in meinem Leben gerade geht, ist die große, ewige Sinnfrage. Warum bin ich hier? Was mache ich mit meinem Leben? Wo finde ich den Raum, wo ich artgerecht träumen darf? Ja, liebe Leute, ich hab nicht viel mit dem politischen Geschehen der heutigen Tage am Hut. Ich möchte endlich mal wieder die Augen schließen, und nicht irgendjemandes fremde Ideen in mir sehen, hören, oder spüren. Das ist, warum die Stille für mich essentiell wichtig geworden ist. Ich wollte schon in Berlin keine weiteren Produkte, ich will hier in Thailand zehnmal keine weiteren Produkte.

Was für mich mehr Bedeutung hat, als alle Tragödien der modernen Welt: gestern fiel in Babygecko vom Baum unter dem ich saß. Circa zweikommafünf Zentimeter kurz, und noch liebenswerter als die ausgewachsenen Geckos. Im Glas meiner Freundin war noch ein letzter Rest Mango-Karotten- und-so-weiter-Shake. Ich kleckerte einen Tropfen vor dem Gecko auf den Tisch. Das stell sich mal einer vor – dieser Gecko war noch so klein und ahnungslos, dass er erst kapierte, was das für lecker Fresschen war, als ich ihm den Saft an die Nase stupste. Da begann er/sie die lange Zunge auszurollen und zu schlabbern. Für einen Augenblick wurde ich von ultimativem Putzi Wutzi weg geschossen – und war glücklich.

Ja, so einfach ist ein Vigor glücklich zu machen. Baby-Gecko-Füttern, und Vigor lacht. Da wurde wieder mal deutlich, wie wenig mich die Welt der angehenden Menschen wirklich interessiert. Mich interessieren all die vielen, bunten Lebensformen – die kein Ego zu haben scheinen, und einfach nur ihren Lebensrufen folgen. So wie ich meinem eigenen Lebensruf folgen will, und nicht dem nächsten Marktschreier.

Ja, heute lacht mir die Sonne, und es ist noch nicht mal Mittag. Nichts geschieht, und ich will dass das so bleibt. Bitte, bitte, bitte, lasst diesen Tag einfach verstreichen, ihr Göttinnen, damit sich mein voller Biocomputer endlich wieder leeren kann.



39. Das Geheimnis

Alle, die bis hier her meiner Geschichte gefolgt sind, kommen nun endlich in den Genuss der Auflösung meines großen Geheimnisses. Zur Auffrischung: ich hatte geschrieben dass mich drei Dinge in die berühmte Khao San Road in Bangkok geführt hatten. Zum Einen, wollte ich wissen, wie cool die Straße wirklich war. So la la. Zum Anderen wollte ich einen wichtigen Brief nach Deutschland schicken. Hat geklappt. Und dann wollte ich einen Führerschein kaufen.

Alle braven Deutschen, die nun empört aufschreien, dass man so was ja wohl nicht macht, brauchen ja nicht weiterlesen. Denn die Erfindung des Führerscheins ist letztlich auch nur eine weitere Masche geworden, Leuten Geld abzuzocken. Letztlich hindern auch Führerscheine die Leute nicht gewissenlos unter Alkohol andere Leute umzufahren, oder auf öffentlichen Straßen Wettrennen zu machen. Aber egal. Ich hatte schon vor Jahren geplant, mir so einen Lappen zu kaufen, damit ich ruhigen Gewissens mit nem Moped rumgurken könnte. Gedacht, getan.

Ich fand einen der vielen Stände, an denen alle erdenklichen Führerscheine aller Länder angeboten wurden, und man auch das eine oder andere Diplom hätte kaufen können… Oder einen Doktortitel. Als ob jemand so was haben wollte…

Als braver Deutscher, wählte ich natürlich einen heimischen Führerschein, den ich für 1000 Baht ne Stunde später abholen durfte. Ich fragte, ob das Stück Plastik auch ein Hologramm hätte. „No hologram“ war die Antwort. Hm… Damit war klar, dass ich in Deutschlala nix damit anfangen könnte, aber naja, da wollte ich eh so bald nicht wieder einschlagen.

Ich wanderte etwas auf der stinkigen hässlichen Straße herum, und nach 1 ½ Stunden hielt ich das Stück Plastik in Händen. Ich bekam einen Lachkrampf. Es war höchste Zeit die Herren Fälscher aufzuklären, dass es sich um die lausigste Fälschung aller Zeiten handelte. Die hatten sich tatsächlich nicht mal die Mühe gemacht, eine druckfähige Vorlage aus dem Netz zu ziehen. Ich erklärte dem Fälscher was alles mit dem Stück Plastik nicht stimmte, aber den schien das nicht zu jucken. Er hatte ja sein Geld bekommen. Für einen Augenblick dachte ich, dass ich mich als Fälscher betätigen sollte. Ich hätte eine Arbeit abgeliefert, in der gleichen Zeit, die nicht mal ein deutscher Polizeibeamter als Fälschung identifiziert hätte. Tja… Was man nicht selbst macht…

Andererseits befand ich mich in Thailand. Erstens interessierte sich hier niemand für solche nebensächliche Details, wie mangelnde Auflösung beim Druck, zweitens galt es Mopeds und Autos zu vermieten. Um jeden Preis. Also wollte ich bei Gelegenheit prüfen, ob das Stück Plastik seine 1000 Baht wert war.

Was heute morgen war. Heute morgen wollte ich ein Moped mieten, weil ich ins nächste Dorf fahren musste. Ich wollte kein Taxi nehmen, also ging ich zum nächsten Mopedvermieter, zeigte meine Plastikkarte – et voilà: Helm in die Hand gedrückt, Tank gefüllt, Brumm Brumm, ab dafür. Sie hatte meine Karte ungefähr 0,0003 Sekunden angeschaut. Es stimmte also: man konnte in Thailand auch mit ner Krankenkarte Mopeds mieten. Nun… Ich hatte nun einen funktionierenden Führerschein, wenigstens für Asien.

Und was den Verkehr anging: lässiger war Fahren wohl kaum irgendwo möglich. Hier wird erwartet, dass die Leute mitdenken – und wenigstens auf meiner kleinen Urlaubsinsel war das der Fall. Ich fühlte mich sicher auf den Straßen, und das Moped schnurrte, wie frisch aus der Schnurrfabrik. Es war höchste Zeit die andere Seite der Insel zu checken, von der es im Internet hieß, sie wäre „ruhiger und weniger touristisch erschlossen“. Klang ja vielversprechend. Noch schnell Wasser, Knabberzeug und ne Drachenfrucht für unterwegs besorgt, und los gings.



40. Thailand den Geckos

Bei all meinem ökologischen Bewusstsein, gibt es einen kleinen, dunklen Fleck: ich sitze gerne auf Mopeds und weiß es wirklich zu schätzen, mit einer leichten Drehung am Griff mich und das motorisierte kleine Ding in Bewegung zu setzen. Das ist eben das Blöde am Mensch-Sein: auch ich bin nicht vor Bequemlichkeiten sicher. Nachdem ich den Unterschied am eigenen Körper erfahren hatte, wie es ist, einen Berg mit dem Rad hoch zu hecheln, oder elegant von einem Moped hochgezogen zu werden, ziehe ich – wenn möglich – das Moped vor. So auch auf der Insel. War das plötzlich lässig, einfach und angenehm mit dem Moped herum zu gurken. Die Hitze war zwar noch da, aber praktisch nicht spürbar.

Endlich hatte ich Gelegenheit, einen genaueren Blick auf die Insel zu bekommen, die im Internet in Reiseberichten so hoch gelobt wurde. Als „weniger touristisch“, als „natürlich“, als „nicht so überrannt“, etc…

Ich fuhr erst in den Süd-Westen. Und je weiter ich südlich kam, desto dichter schienen die Bungalowsiedlungen zu wuchern. Links von mir dichter, unzugänglicher Dschungel, rechts von mir: Ressorts aller Preisklassen. Unterbrochen von Touristenverkaufsläden. Einer neben dem anderen. Am Südzipfel angekommen, hatte ich nichts gesehen, was nur einen Bruchteil besser gewesen wäre, als der Platz, an dem ich mich bereits befand. Im Gegenteil. Ich bewohnte eine Hütte, die relativ abgeschieden von allem Touristenzirkus und anderen Bungalows stand. Volltreffer, sozusagen. Und alle Fehler, die bislang aufgefallen waren, verblassten, als ich andere Ressorts besichtigte.

Kehrt gemacht, zurück gefahren, und nen Bogen um die Insel gemacht, bis ich auf der Ostseite angekommen war. Tatsächlich stimmte es. Diese Seite, war wegen der Festlandnähe, weniger erschlossen. Das hieß: rechts von mir unzugänglicher Dschungel, links von mir wenige Ressorts, und jede Menge Privatgrundstücke, die wohl nur darauf warteten in Verkaufsläden oder Bungalowsiedlungen verwandelt zu werden. Keine freien Zufahren ans Meer.

Letztes Experiment: einen Wasserfall besichtigen. Empfangen wurde ich von einem aggressiven Thai-Bauern, der mit einer Machete in der Hand (er kam gerade von der Arbeit) Wegezoll forderte. Was für ein Anblick. Es fühlte sich im wahrsten Sinne des Wortes wie ein Überfall an – und nur der Betrag war so lächerlich, dass ich mich nicht ausgeraubt fühlte. Auf dem Weg zum Wasserfall fragte ich mich, ob ich gerade wirklich wegen 50 Cent aggressiv angeschrien worden war. Oder hatte ich bloß halluziniert? Zuviel Melone gegessen? High vom Mopedfahren?

Es ging durch umwerfend grünen Wald. Dann war ich da. Ein hübscher Wasserfall. Ein hübsches, natürliches Auffangbecken. Eigentlich eine Einladung zum Eintauchen. Wären da nicht die vielen Plastikrohre gewesen, mit denen angrenzende Bewohner offenbar ihr Gratiswasser aus dem Fluss abzweigten. Schon lustig. Dieses kleine, aber sehr aufdringliche Detail, war in allen Werbungen für den Wasserfall ausgeblendet worden… Zum tausendsten Mal erlebte ich, wie auf der Insel jeder Ansatz von Natürlichkeit dadurch zunichte gemacht wurde, dass irgendwelche unsensiblen Leute ihre unmenschlichen Spuren hinterlassen hatten. Willkommen auf Planet Plastik.

Ich stellte meine Kamera auf, versuchte kurz zu meditieren, und schon wieder passierte, was auch überall sonst auf Thailand bisher passiert war: ich bekam keine Verbindung zur Erde auf der ich saß. Ich brach nach einer halben Stunde ab, und machte mich wieder auf den Rückweg. Es war nun offiziell. Meine werte Mitreisende und Mitleidende hatten diese Insel zum letzten Anlaufpunkt erkoren. Unser letzter Versuch, in Thailand etwas anderes als Konsumwahn zu finden. Der Versuch war gescheitert. Auch diese Insel, die angeblich „abseits vom Touristenrummel“ liegen hatte sollen, war laut, und völlig ungeeignet um etwas anderes zu tun, als Geld auszugeben und zu konsumieren. So begann eine lange Diskussion, wo es nun hingehen sollte - und wann. Sollten wir Laos probieren? Gab es da eine reelle Chance etwas anzutreffen, was weniger dekadent war? Den vielen Hinweisen folgen, dass der Norden Thailands „schöner und ruhiger“ sei? Warum sollten wir das noch glauben? Aber lohnte es, das zu überprüfen? Oder war es Zeit eine erschreckende Wahrheit zu akzeptieren? Dass asiatische Weisheit, wie wir Westler sie gerne hübsch interpretieren, und in unsere Konstrukte einfügen, der Vergangenheit angehört? Und vor allem: dass die Asiaten, wie ich sie in meiner träumerischen Fantasie gebastelt hatte, einfach nicht existierten. Oder nicht mehr.

Harte Zeiten für Träumer. Da waren einst Zeiten, in denen Träumer viel Raum hatten, ihre Wege und Räume zu finden. Wenigstens möchte ich das glauben. Heute ist das eine Suche, die der Suche nach dem heiligen Gral ähnelt.

Aber hatten wir eine Wahl? Hatten wir uns nicht lang genug versucht in die geordneten und vorgeschriebenen Systeme Deutschlands einzufügen? Es musste irgendwo auf der Erde ein warmes Plätzchen in der Natur geben, wo wir unsere innere Ruhe im Außen wiederfinden durften. Irgendwo…

Sofern es Thailand betraf, musste ich mir eingestehen, dass ich hier ebenso viele mies gelaunte Leute getroffen habe, wie in Berlin. Die viel beschriebene Freundlichkeit, die ich vor 20 Jahren selbst in Thailand angetroffen hatte, scheint nur mehr Legende. Somit ist auch Thailand nur ein weiterer Ort, wo zu viele Egos auf zu engem Raum leben. All die tollen Eigenschaften, die ihnen heute noch angedichtet werden, sind subjektive Wahrnehmungen, die sich null mit meiner subjektiven Wahrnehmung decken. Aber die eigentlichen Einwohner des Landes – die ich abgöttisch liebe – sind ohnehin die Geckos. Man darf davon ausgehen, dass sie da waren, lange bevor die ersten Menschenaffen ihr Unheil ausbreiteten – und ich wünsche mir, dass sie noch da sein werden, wenn die letzten Reste menschlicher Dekadenz sich in Sand verwandelt haben.



41. K(l)eine Inseln

Da sich die Entscheidung, wohin die Reise weiter gehen sollte, wieder etwas verzögerte, vertraute sich meine werte Mitreisende meinen Fahrkünsten auf dem Scooter an. Ein ziemlicher Vertrauensbeweis, aber dennoch war ich aufgefordert Rekorde im Langsamfahren aufzustellen. Die Anzeige meines Tachos pendelte sich auf sagenhafte 20 km/h ein. Hervorragende Übung, meine Vorstellungen von Langsamkeit um einen weiteren Aspekt zu erweitern. Als Belohnung, und als Bestätigung für die Vorsicht meiner Freundin, kamen wir an einer Stelle der Straße vorbei, wo helle Aufruhr herrschte, und als wir an vorbeifuhren, sahen wir ein Paar regungslos im Straßengraben liegen. Unweit ihres Rollers. Wir schluckten. Ist schon ne düstere Sache, wenn man an zwei Touristen vorbei fährt, für die der Urlaub eindeutig vorbei war. Vor Schreck verpassten wir die Ausfahrt Richtung Wasserfall Zwei. Es gab einige Wasserfälle auf der Insel. Der, den wir diesmal besuchen wollten, lag in einem Naturschutzgebiet, und kostete Eintritt. Aber was spielte das in dem Moment für eine Rolle? Wir stoppten bei einem Supermarkt um uns mit Nervennahrung (süß und klebrig, hochgradig ungesund, aber ebenso befriedigend) ein, und versuchten das Bild der leicht bekleideten Unfallopfer aus dem Kopf zu bekommen. Ich hatte kein Blut gesehen. Praktisch ein fast friedliches Bild. Wäre da nicht die Bewegungslosigkeit gewesen. Und die Notarztwagen, die uns mit Sirene entgegen gekommen waren.

Wie bei kleinen Kindern, funktionierten auch bei uns der Zuckerschock und die Knusperentladung hervorragend, und wir waren in der Lage, weiter zu fahren. Die Sonne bretterte full on.

Obwohl wir die Absicht gehabt hatten, vor Mittag da zu sein, schafften wir es, genau zur heißesten Stunde beim Eingang zum Wasserfall anzukommen. Muss ich eigentlich noch großartig erwähnen, was uns erwartete? Touristenshops, mit Verkäuferinnen, die uns mir Rufen in den Laden locken wollten, Gebühren fürs Parken, Gebühren für den Wasserfall, kassiert von megafrustrierten, übelgelaunten Parkangestellten. Es war eindeutig: wollte ich einen Hauch von Ruhe und Natur, galt es früher aufzustehen. Nur dann wäre gewährleistet, dass die Touristenschrecken noch schliefen.

Wir wanderten über einen wunderschönen Pfad durch wilden Inseldschungel. Bis wir einen Platz am Fluss fanden, wo wir unsere Füße ins kalte Wasser streckten, und tatsächlich eine halbe Stunde Ruhe fanden. Wir fotografierten Libellen, Wasserläufer, und froren auf unseren SD Karten die Bewegung des Wassers ein. Für einen ganz außergewöhnlich wertvollen Augenblick war da glückliches Naturerleben, und fast gelang es uns auszublenden, dass keine 30 Meter von uns entfernt, Touristen aus tausend Ländern Richtung Wasserfallfalle pilgerten.

Bis eine Truppe Chinesen ankam, und ausgerechnet den Platz, den wir für uns entdeckt hatten, als Fotokulisse für Portaitschnappschüsse auswählten. Da war es wieder, dieses Phänomen, das ich seit Wochen beobachten musste. Keine der sieben Personen schien in der Natur etwas anderes zu sehen, als einen Hintergrund für Selfies. Niemand schien die Natur wahrzunehmen, oder auch nur einen Moment inne zu halten. Es wurde schnell gescannt wo der beste Hintergrund für die Beweisfotos für Facebook wäre, Smartphone raus, klick, neue Pose, klick, freundlich gegrinst, klick, noch eins, klick, klick, klick. Als dann auch noch der Gestank von aufdringlichem Parfum der Ladys rüber wehte, war es Zeit, Richtung Wasserfall aufzubrechen.

Angeblich waren es nur 500 Meter, auf denen uns unzählige Nationen entgegen kamen oder überholten. Aber als wir beim Wasserfall ankamen, waren wir fertig. Die Hitze hatte uns wirklich weichgekocht, sogar im Schatten wilder Bäume, und wir mussten in einem Unterstand erst wieder Kräfte sammeln. Ehe wir richtig wahrnehmen konnten, was sich vor uns befand. Ein eleganter Wasserfall schüttete in einem konstanten Strom Wasser über Felsen in die Tiefe. In ein Becken zwischen steilen Klippen, und wildem Dschungelgrün. In dem Becken tummelten sich unzählige Männchen und Weibchen – und auch dieses Szenario war zur Kulisse für einen extravaganten Badespaß verkommen. Es wurde gepostet, es wurde geklickt, und selbst als ich ins Wasser eintauchte, das herrlich frisch und kühlend war, stellte nichts in mir Verbindung zu irgendwas her. Sogar die Fischchen, die an meiner kleinen Zehe alte Haut abknabberten, fühlten sich sonderbar fern an.

Dann die größte Überraschung überhaupt. Nach dem Bad waren wir nicht erfrischt, sondern noch fertiger. Wir schleppten uns zu einer relativ versteckten Stelle, abseits vom Wasserfall und schliefen eine Runde. Wir hatten jeweils 1,5 Liter Wasser weg gesoffen, wie nichts – aber hätten lieber 6 Liter mitnehmen sollen. Merke: Aktivitäten in Thailands Mittagssonne, sind extrem, extrem, extrem anstrengend.

Nach einem kurzen, erholsamen Schlaf im Schatten, konnten wir die Heimfahrt antreten, und wussten einmal mehr: wir brauchten einen Ort, der anders ist. Wo wir Ruhe, unberührte Natur, und wenn überhaupt, gleichgesinnte Menschen finden könnten. Wo war dieser Ort? Wo waren die Leute, die nicht nur an unserem Geld interessiert waren? Es war ziemlich eindeutig. Wenn überhaupt, gab es auf diesem Planeten inmitten unbeschreiblicher Idiotie und Lügen, nur noch wenige, kleine Inseln. Und es war ebenso eindeutig, dass diese Inseln nicht via Internet ausfindig gemacht werden konnten. Denn sollte irgendwer ihren Standort verraten haben, wäre es gleichsam der Todesstoß. Ich fühlte mich an „the beach“ erinnert. Dieser dämliche Film mit Leonardo di Caprio, wo eine Gruppe Leute einen „perfekten“ Strand gefunden hatten – und versuchten ihn geheim zu halten. Soviel ist klar: finde ich diesen magischen Ort, werde ich ihn nicht verraten. Mit oder ohne Strand.



42. Der frühe Vigor fängt die Sonne

In Berlin hatte ich es mir zur Selbstverständlichkeit gemacht, nur zu bestimmten Zeiten das Haus zu verlassen – und an speziellen Hochzeiten der braven Bürger unter keinen Umständen auch nur einen Schritt vor die Tür zu machen. Warum sollte es im schönen Thailand anders sein? Ab 11:00 kommen Herr Hängebauch und Frau Flipflop aus ihren Bungalows gekrochen, rollen auf der Suche nach dem nächsten Schnäppchen über die Straßen, rennen posend und klickend über die Strände, und sind fast so erschreckende Anblicke wie Straßenhunde. Ich frage mich noch immer, wer dieser fiese Sadist gewesen ist, der die internationalen Touristenmodestandards festgelegt hatte. Sie sehen überall gleich aus. Zu weite, kurze Hosen, hässliche Shirts, Baseballmützen, und Frauen bevorzugt in neonfarbenen Bikinis… Begleitet von Platsch Platsch Platsch der Sandalen oder Flipflops.

Um dem zu entgehen, und wenigstens einen brauchbaren Sonnenaufgang als visuelle Untermalung eine Klangcollage zu filmen, stellte ich den Wecker auf 4:30 – entschlossen, nochmal in den Osten der Insel zu fahren.

Als der Wecker klingelte, war ich bereits ne halbe Stunde wach. Ich wanderte vorbei an kläffenden Hunden („Was ist denn das für einer? Wieso schläft der nicht? Darf der das? Ich belle mal lieber!“) zu meinem Moped. Weit und breit kein Mensch wach. Gutes Gefühl. Ich fahre auf die Straße, die ich nur heftigst befahren kannte. Kein Auto, kein Roller, kein Mensch. Sogar die Straßenhunde schienen noch zu schlafen. Über mir, Sternenhimmel. Vor mir die freie Straße in die Dunkelheit. Wiedermal lebte ich meinen Vampiraspekt. Bewegte mich außerhalb von Sonnenlicht, damit ich von den lärmenden Menschs nicht erschüttert werden konnte. Wieder fühlte ich diese subtile, wunderbare Freiheit, die ich immer spüre, wenn keine Menschs um mich sind. Das Band, das meinen Helm an meinem Unterkiefer festhielt, flatterte wild im Fahrwind und schlug mir in regelmäßigen Abständen ans Ohr. Das einzige Geräusch, außer dem Surren des Mopeds. Nicht ein Auto unterwegs. Ich hatte die Zeit weise gewählt.

Am nördlichen Wendepunkt der Insel angekommen, hellte sich der Himmel bereits ein wenig auf. Bäume und Hügel begannen sich gegen den Himmel abzuzeichnen, und ich ahnte, dass ich einen wunderschönen Sonnenaufgang geschenkt bekäme. Ich musste nur eine Stelle finden, von der ich einen guten Ausblick hätte. Inzwischen wurde ich dann und wann von einem vereinzelten Pickup überholt, oder Fischer kamen mir auf ihren knatternden Mopeds entgegen. Dennoch war das nichts, verglichen zum üblichen Treiben auf der Insel. Es war Zeit zu danken. Während ich auf dem Roller meinem Sonnenaufgang entgegen fuhr, bedankte ich mich für alles, was ich bisher erleben hatte dürfen. Für alles, was ich gelernt hatte. Für die Wärme, die mich umgab und durchströmte. Was für ein Segen, endlich einmal nicht zu frieren. Keine bekloppte tausendste Grippe, die mich jeden Winter in Berlin bisher wenigstens einmal angesprungen hatte.

Keine fünf Meter von der Straße entfernt, fand ich ein Stück Strand, stellte da meine Kamera in den rot gefärbten Himmel, drückte Aufnahme, und schaute auf die Wellen.

Hier war ich nun. Am Meer, in der Sonne, in der Wärme, in einem Land, das sich mir nicht erschließen will. Umgeben von Leuten, die sich mir nicht erschließen wollen. Und mit der Frage, ob das überhaupt sein soll. Ich finde nicht, dass Ego interessanter oder faszinierender wird, nur weil es in einer anderen Kultur stattfindet. Bislang hatte ich bestenfalls professionelle Freundlichkeit erlebt. Rebellen? Freidenker? Vorfühler? Waren mir nicht begegnet. Reisende, ohne rosa Brille auf der Nase? Auch nicht. Konnte es sein, dass all die tollen Ideen vom asiatischen Bewusstsein, oder östlicher Spiritualität nur Legenden waren? Westliche Interpretationen, mit romantischen Huchs und Hachs durchtränkt? Der Tag brach an, und so wenig ich mich in Hermsdorf der Rasse der angehenden Menschen zugehörig gefühlt hatte, fühlte ich mich nun irgendwo zugehörig. War ich „der Mann, der vom Himmel gefallen war“? Wie David Bowie, in dem 70er Jahre Sci Fi Film? Ein Außerirdischer, gestrandet auf einem fremden Planeten? Nun, das Meer, die Sonne, die Wolken, gefielen mir auch auf diesem Planeten. Nach 20 Minuten hatte ich meine Aufnahme im Kasten, und es war Zeit zurück zu fahren. Bevor der krasse Verkehr begann. Wissend, dass ich bevor die Meisten auf der Insel in den Tag starteten, mein Highlight bereits hinter mich gebracht hatte.



43. Ahnung von Stille

Die Insel, auf der ich mich befinde, ist in zwei Seiten geteilt. Die West- und die Ostseite. unüberwindbar getrennt durch Dschungel und Berge. Selbst wenn es Schleichpfade von Ost nach West geben sollte, könnte man sie wohl kaum tagsüber gehen, weil es einfach zu heiß würde, und die Nacht gehört den Tieren. Und ich meine keine Moskitos… Es bleibt also die eine Straße, die mehr oder weniger an der Küste entlang geht.

Die Westseite ist heute eine Einkaufsstraße, auf der alles angeboten wird, was Touristen sich wünschen. Nur Stille ist dort keine zu finden. Das soll – laut Erinnerungen eines Freundes – vor 20 Jahren sehr anders gewesen sein.

Die andere Seite der Insel ist nur mit Auto oder Moped zu erreichen, und auch nur, wenn man in Kauf nimmt, ein paar ziemlich anspruchsvolle Serpentinen im Norden bergauf und bergab zu fahren. Die erste halbe Stunde auf der Oststraße sieht man das Festland, begleitet vom Dröhnen der Fähre. Je weiter ich südlich kam, desto ruhiger, verkehrsärmer, und unberührter wurde die Insel.

Dann war da dieser pittoreske Steg ins Meer… Und die hellblauen Bänke, direkt zwischen Meer und Straße. Ich stoppte. Machte paar Fotos, trank etwas Wasser und schaute auf das Meer. Von diesem Augenblick änderte sich alles. Plötzlich verwandelte sich die Insel in das, was ich seit einem Monat gewünscht hatte. Palmen säumten den Weg, links von mir immer neue, wundervolle Ausblicke auf das Meer. Bis die Straße in den Wald führte, und ganz eindeutig klar wurde, dass der Tourismus bis hierher kaum vorgedrungen war. Es gab vereinzelte Ressorts, ein paar Buden, die Essen oder Benzin in Tequila Flaschen verkauften – doch sonst… nur Natur, Natur, und noch mehr Natur. Allerdings keine Wege die in den Dschungel führten. Weiter nur die eine Straße, die von Norden nach Süden führte.

Ich fuhr bereits seit über einer Stunde, als ich an etwas vorbei kam, was laut Schildern als „City“ angekündigt worden war. Ein paar Häuser, eine Schule, ein Geschäft, ein Tempel, und schon war ich durch die „City“ durch, und bog in eine Straße, die sich in eine Schotter- und Geröllpiste verwandelte. Riesige Palmen, die sich in den blauen Himmel streckten, und weit und breit kein Mensch. Plötzlich ein Strand, der aussah, wie aus irgendeinem Hollywoodfilm. Ein paar verrottete Bambushütten, ein Steg ins Meer, ein kleines Boot im Sand, kein Lärm, keine Lautsprecher, die miese Musik auskotzten, und nur ein einziger Thailänder auf einer Wiese, der gemütlich Laub zusammenkratzte. Es war dies das allererste Mal seit einem Monat, dass ich an einen wunderschönen Ort gekommen war, ohne dazugehörige Lärminvasion von Touristen oder Handwerkern. Das hatte Traumqualität. Ich sah mich ein wenig um, und überlegte, ob dies der erste Ort der Ruhe werden könnte, den ich mir so gewünscht hatte.

Ja, visuell entsprach dieser Ort so sehr einem Paradies, wie es die romantischen Vorstellungen fremdgeprägter Urlaubsästhetik erlauben. Doch dann schob sich eine Frage in den Raum: Könnte ich mich dort Zuhause fühlen?

Ein schlauer Mensch hat einmal geschrieben, dass man sich „da Zuhause fühlt, wo man sich verstanden fühle“. Und hatte ich nicht vom ersten Augenblick in Thailand das Gefühl gehabt, in einem völlig falschen Film zu sein? Sicher, auch in Berlin und an anderen Orten habe ich die Hatz nach Geld gespürt. Dennoch hatte ich auch immer Freiräume gefunden. Orte, an denen keine Zäune, Grenzen, oder Kassiererhäuschen aufgestellt waren. Ich erinnere mich noch, wie ich mich auf der Reise nach Spanien darüber geärgert hatte, dass in Frankreich Barrieren für Busse an die Strände gebaut worden waren. Um zu verhindern, dass Campingbusse ans Meer fahren konnten. Es war mir pervers vorgekommen, den freien Zugang zum Meer zu behindern. Wenn das pervers war, wie soll ich es nennen, wenn es an praktisch allen schönen Orten in Thailand keinen Zugang mehr gibt, ohne Wegezoll zu zahlen, oder sich in ein Mietverhältnis zu begeben? Ich hatte mich in Berlin und Deutschland oft darüber aufgeregt, wie begrenzt die Räume waren. Dass überall Zäune standen, und dass freie Wahl der Wege unmöglich war. Ich war mit der Vorstellung nach Thailand gekommen, hier freiere Bewegungsmöglichkeiten zu finden. Doch selbst der Paradiesstrand war eingekeilt von einem anderen Ressort, rechts, und links von Felsen und Dschungel – was bedeutete: es war nichts weiter als ein hübsches Gefängnis. Auslauf für zahlende Touristen. 200 Meter links, 200 Meter rechts, und weiter Ausblick. Palmen, ja. Aber am Ende hätte ich mich doch nur bewegen können, wie Steve McQueen in der Gefängnisszene von „Papillion“. Ein paar Schritte, Wand, umdrehen, paar Schritte, Wand, umdrehen, paar Schritte, Wand, umdrehen, und so weiter… Ich warf noch einen letzten Blick auf das vermeintliche „Paradies“, und wunderte mich, dass ich es einfach nicht schaffte, mich der Illusion hinzugeben, dass dieser traumhafte Anblick irgendwas mit meiner erträumten Freiheit zu tun hatte.

Ich setzte mich wieder auf mein Moped und fuhr zurück in mein vertrautes, kleines Gefängnis mit minimaler Natur, auf einer Straße, die ich nicht entdeckt hatte, sondern die nur die einzige Straße war, die ich befahren konnte. Vorbei an Shops, die nichts anboten, was ich wollte oder brauchte, vorbei an Gefängnissen, die im Internet als „Traumlocations“ und „silent beaches“ angepriesen wurden.

Allmählich kristallisierte sich heraus, worauf ich zukünftig zu achten hatte, wenn ich „meinen“ Ort finden wollte. Wie mir scheint, lerne ich gerade die Sprache der Lüge genauer kennen, und glaube erst mal nichts mehr. Und so sehr ich die Annehmlichkeiten zu schätzen weiß, die mir Geld verschafft, so sehr scheinen sie – wenigstens hier – zu verhindern, dass ich mit dem wirklichen Leben in Berührung komme. Dieser Teil der Reise scheint somit davon gekennzeichnet, dass wenig ist, wie ich es mir wünsche, aber meine generelle Lebensaufgabe widerspiegelt. Hatte ich nicht seit jeher den einen Fleck gewünscht, wo ich durchatmen durfte? Wo ich nicht das Klimpern der Geldsammelbüchse im Nacken spürte? Und wie verrückt – es soll Leute geben, die glauben, mit „mehr Geld“ könnten sie mehr Freiheit bekommen. Tatsächlich erhalten sie nur clevere, besser gestylte Gefängnisse.

In meiner kleine Hütte, genoss ich die Wärme, war dankbar, für die kleinen Freiheiten, die ich mir bereits geschaffen hatte, und visionierte die nächst größere Freiheit. Fortsetzung folgt...



44. Silencio !!!

Fünf Wochen hat es gedauert. Fünf Wochen, seit ich Berlin verlassen und in Thailand herumgeirrt bin, ehe ich einen Ort meiner Träume gefunden habe. Zur Erinnerung: Ich definiere „Ruhe“ inzwischen als „Abwesenheit menschlicher Einflüsse“ - egal welcher Art. Und in 5 Wochen, war es mir nicht gelungen, einen solchen Platz zu finden.

Ich musste in den verborgensten Winkel im Süden der Insel, und eine zerfressene Straße in den Dschungel einschlagen, ehe das Wunder zu mir gelangen konnte. Diese Straße war eine echte Herausforderung auf dem Moped. Rauf, runter, Erdrutsch, Schlagloch, Schotter – und plötzlich das unerwartete Ende des Weges. Für einen Moment war ich enttäuscht, aber dann ging ich ein paar Meter zu Fuß, kam an die Betonreste dessen, was einmal ein Damm gewesen sein mag, und vor mir ein ausgetrockneter Fluss. Steine ohne Ende, aber kein Wasser. Auch wenn das kein sehr erfreulicher Anblick war, hörte ich wenigstens keine Menschen. Seit 5 Wochen das erste Mal. Keine scheußliche „Musik“, keine Motoren, kein menschliches Geschnatter und Geschrei. Ich lauschte und ein stilles Flüstern sagte: „Geh. Trau dich. Folge dem Flusslauf.“ Ich balancierte über das Geröll, und meine Schritte scheuchten links von mir ein paar Affen auf, die in schwindelerregender Höhe von Baum zu Baum flüchteten, dass die Äste krachten. Da wurde mir klar, dass ich im Dschungel war. Dass ich wirklich allein war. Dass hier die Natur noch das Sagen hatte. Ich sah mich um, und staunte.

Ich war wirklich allein. Nicht nur ein bisschen. Paar Meter von der nächsten Zivilisationsfalle entfernt. Ich war im OFF. Weg. Raus. Da wo ich seit Wochen hin hatte wollen. So richtig wollte ich es noch nicht glauben. Bis ich Wasser rauschen hörte. Der Fluss war also nicht ganz ausgetrocknet. Nach paar Minuten Wandern, stand ich in der Naturkulisse, die ich mir so lange erträumt hatte. Kleine Wasserflächen, die von einem leise plätschernden Bach gespeist wurden. Große Felsen. Umgeben von grünem, unberührtem Dschungel. Ich war da! Endlich! Endlich!

Ich setzte mich auf einen Stein, und atmete eine Runde. Und während ich atmete, gewöhnte ich mich an die fremden Geräusche des Dschungels. Irgendwo war ständig was am Rascheln oder Knacken. Das war kein ruhiger, schlafender Wald, wie ich ihn aus dem Berliner Umland kannte. Es war ein wilder, freier Wald. Hier hatten die Tiere keine Angst. Hier sagte jedes Geräusch: Vigor, hab du mal ein bisschen Angst, und benimm dich respektvoll. Kaum hatte ich das gedacht, fühlte es sich an, als würde mich der Wald umschließen. Mich aufnehmen. Ich nahm den Wald auf, die Bäume, die Sträucher, die Insekten, und alle unbekannten Tiere, die im Verborgenen raschelten.

Die einzigen Hinweise auf menschliche Anwesenheit, waren zwei schwarze Kabel, die am Flussbett langliefen, und eine vertrocknete, alte Plastikflasche, die ich aufsammelte. Bisher war dies so viel Natur, wie ich sie seit Jahren nicht erlebt hatte. Das Wasser war klar und sauber. Große Schmetterlinge, rote Libellen – und zu meiner Überraschung: keine Mücken. Ich fühlte, wie ich tief durchatmen konnte. Es war angenehm kühl, obwohl die Sonne Richtung Mittag wanderte. Erst badete ich meine Füße, dann tauchte ich nackt in eins der natürlichen Wasserbecken. Das Wasser war kühl und erfrischend. Ich planschte ein wenig und fühlte tiefste Befriedigung. Überall sprach die Natur zu mir – und sie war mir freundlich gesonnen. Spätestens jetzt, fühlte ich alle meine bisherigen Wahrnehmungen bestätigt. Was alles in Thailand und mit dem Tourismus falsch lief, und wie sehr die eigentlichen Qualitäten des Landes mit Füßen getreten und bespuckt wurden. Dies war eigentlich ein Paradies – und für ein paar Baht und die Illusion von Bequemlichkeit wurde ein unbezahlbarer Wert billig verschachert.

Ich tauchte tief in die Stille – und fühlte mich von Sekunde zu Sekunde mehr erfrischt. Es war also wahr. Ich musste das unwegsame Gelände wählen. Ich musste die guten Straßen und ausgeschilderten Wege verlassen. Es gibt sie, die Paradiese – unbeachtet von den vergnügungsgeilen Konsumenten. Ich musste nur noch waghalsiger werden, und früher aufstehen. Ein geringer Preis, für etwas Wahrheit und Stille.

Ich befand mich in einem Zeitvakuum. Die Sonne wanderte über die Wipfel fremdländischer Bäume. Lianen schaukelten im Wind. So richtig wollte mir nicht einleuchten, warum die EgoÄffchen gegen die Natur kämpften, statt mit ihr in Harmonie zu leben. Es war sehr eindeutig. Hier in der Natur spürte ich, wie sehr ich noch Teil der Zerstörung bin, und nicht der Heilung. Wie weit auch ich mich von der Natur entfernt hatte. Aber meine Sensoren waren noch vorhanden, und ich konnte noch hören, wenn die Natur zu mir sprach.

Ich stellte mich auf einen Felsen und verbeugte mich. Vor der Erde, die mich nicht nur in diesem Augenblick so reich beschenkte.



45. Der Schmetterlingsfelsen

Glücklicherweise ist auf Touristen verlass. So sicher, wie sie im Ausland nicht ihre heimische Partyenergie haben, und früh nach Hause gehen (spätestens um 2 Uhr morgens ist hier Feierabend), so sicher nutzen sie ihren Urlaub, um möglichst lang zu schlafen. Als ich um 6:30 zu meinem Wunderplatz der Stille aufbrach, war wieder kaum ein Mensch unterwegs. Nur ein paar Straßenhunde – die auf der Insel sehr viel entspannter als auf dem Festland sind – gähnten mich vom Wegesrand an. Da ich die Strecke nun kannte, wusste ich auch, bei welcher Steigung ich Gas geben könnte, und bei welchen Kurven ich besser gemütlich vorwärts tuckerte. Darum war ich nach nur einer halben Stunde an dem felsigen Flussbett. Die Sonne war noch hinter den hohen Bäumen versteckt. Kaum blitzten die ersten Strahlen durch Blätter, begannen die Zikaden ihr einzigartiges, monotones Konzert. Für die, die nur die europäischen Zikaden kennen: die thailändischen Kollegen machen ein Geräusch, das wie ne Rückkopplung bei einem Metallica Konzert klingt. Ein hohes, fast elektronisch klingendes Fiepen. Ich war inzwischen beim höher gelegenen Teil des Flusses angekommen, da, wo ich auch am Vortag ins Wasser getaucht war. Im linken Ohr das Plätschern des Flusses, im rechten Ohr das monotone Fiepen der Zikaden. Moment… Nicht ganz Monoton. Da waren minimale Variationen zu hören. Ich war begeistert. Was für außergewöhnliche Musiker. Die Geräuschkulisse ließ mich weg dösen. Ruhe umschloss mich, wie liebende Arme einer Mutter.

Relativ bald war mir warm genug, um wieder in den Fluss zu tauchen. Nackt. Nur mit Brille und Schiebermütze bekleidet. Als ich wieder auf den Felsen am Fluss stieg, tropfte von mir reichlich Wasser runter – und ein brauner, schön gezeichneter Schmetterling landete auf meinem Fuß. Das war genau die Art von Wunder, auf die ich es von Anfang an angelegt hatte. Klein, unscheinbar. Ja, nicht mal wirklich zu fühlen. Der Schmetterling wog nichts, und schlürfte offenbar Wasser von meiner Haut. Sicher konnte ich das nicht sagen, denn die Berührungen waren schmetterlingszart. Aber ich war durch und durch erschüttert. Wann hatte sich jemals ein Schmetterling auf mir niedergelassen..?

Dann kamen mehr und mehr Schmetterlinge, und nutzten die Wassertropfen auf dem Felsen, um sich zu erfrischen. Nicht nur ein paar Schmetterlinge. Erst waren da 5, dann 10, dann 15, und irgendwann machte das Zählen keinen Sinn mehr, weil es einfach zu viele waren, die zu schnell ihre Positionen änderten. Kleine Schmetterlinge, große, einfarbig, mehrfarbig, durstig, oder sehr durstig. Ich versuchte zu begreifen, was hier gerade geschah. Ich war umgeben von Schmetterlingen. Eine solche Szene wurde heute in Hollywood am Computer generiert. Doch das war kein Film. Es war mein Leben.

Ich saß an einem Fluss im Dschungel, und nichts, wirklich überhaupt nichts erinnerte an den kurzen Augenblick von Fremdheit, den ich am Vortag noch gespürt hatte. Es fühlte sich an, als wäre ich ein Tier im Paradies. Der Mist, den ich wochenlang gesehen, erlebt, gehört, gespürt hatte, war weg. Ausradiert. Mit ein paar Flügelschlägen. Ich warf meine Kamera an, filmte das Spektakel, obwohl mir klar war, dass es nicht ansatzweise wiedergeben konnte, wie es sich ich der Wärme, im Sonnenlicht, inmitten von Affenpisse ausschwitzenden Felsen anfühlte. Ach ja, die Affenpisse. Sie deutete darauf hin, dass die Affen den Schmetterlingsfelsen auch liebten und reichlich markierten. Ich sah und hörte sie nicht. Sie waren mit ihrem scharfen Gestank anwesend, und machten mir klar, dass ich nur Gast war, und auch nur tagsüber. Dankbar.

Ich erlebte ein Stück Thailand, das friedlicher war, als was sich den meisten Thailändern und Touristen erschließen konnte. Oder wofür sie sich interessierten. Es war nix los. Außer Wunder. Es war einfach kein Ort wo sie hinkamen. Ich war mir sicher, dass es Zeiten gab, wo Eindringlinge wie ich auch weniger freundlich aufgenommen wurden. Ich wollte mir nicht vorstellen, was hier Nachts abging, und welch unvorstellbare Insekten dann aus ihren Löchern krochen. Aber jetzt, war ich mitten in friedlichster Umgebung. Auch war klar, dass dieses Flussbett sich bei Monsun in einen reißenden Fluss verwandelte. Dann war da sicherlich nicht so einfach von einem Stein zum anderen zu springen. Jetzt war da ein ruhiges Flüsschen, das kleine Fische beherbergte, die gerne an meinen Füßen knabberten, und das dazu einlud, entspannt den Körper und die Seele abzukühlen.

Und vor allem war es das perfekte Abschiedsgeschenk von Thailand. Ich wusste nun, dass es das Paradies gab, sogar auf scheußlichsten touristenverseuchten Inseln – es galt nur, daran zu glauben, und diesen Ort zu finden. Der Schmetterlingsfelsen versöhnte mich mit Thailand, und lässt mich mit einem entspannten Gefühl gehen.

Der Rucksack ist gepackt, und die neue Route wird gefunden. Ich habe ein Visum für zwei Monate – die ich in Thailand nicht nutzen will. Es zieht mich weg, weg von den lauten, grellen Verkaufsständen der EogÄffchen...



46. Reisefieber

Ein faszinierender Aspekt dieser Reise, ist das Aufbrechen. Es war klar gewesen, dass Thailand keine Option wäre. Als wir am 14.12. unsere Sachen packten, brachen wir genauso ins Ungewisse auf, wie an dem Tag, an dem wir Berlin verließen. Gerade war uns die Touristeninsel vertraut worden, ThailänderInnen grüßten uns, weil unsere Gesichter bekannt geworden waren, eine gewisse innere Ruhe war bei uns angekommen, und dann galt es all das wieder loszulassen. Wie sehr wir uns schon an die Insel gewöhnt hatten, bemerkte ich, als ich das Moped zurück gab, und fast vergaß den Zündschlüssel mit abzugeben. Ich hatte mich mit dem motorisierten Untersatz angefreundet…

Ein Taxi sammelte uns beim „Blue Lagoon Ressort“ auf. Auch wenn es uns dort zu laut gewesen war, und wir hatten flüchten müssen, waren wir täglich bei den Leuten dort vorbei gekommen, und stets mit absolut zuvorkommender Freundlichkeit beachtet worden. Auch der Abschied war so herzlich und freundlich, als hätten wir die ganze Zeit dort gewohnt gehabt, und nicht ein paar Häuser weiter. Wir fuhren die Straße lang, die ich mehrmals mit dem Moped rauf und runter gebrettert war. Das letzte Mal. Vorbei an den Straßenhunden der Insel, die für ihre ruppigen Freunde auf dem Festland eine Lanze gebrochen hatten. Mit ihrer Lässigkeit und relativen Entspanntheit. Ja, ich hatte die Straßenhunde der Insel fast schon lieb gewonnen, weil sie soviel freundlicher waren, und wie lebende Symbole von Freiheit und Unabhängigkeit über die Insel stromerten.

Wir hielten an der Fähre. Wir warteten keine 20 Minuten, und schon ging es weiter. Auf der anderen Seite des Wassers schnappte uns eine freundliche Thailady auf, die uns auf den Weg nach Khorat schickte. Nächster Pickup, dann in einen großen Reisebus umsteigen, der uns durch Dschungel und Naturzerstörung kutschierte. Unendliche Traurigkeit befiel mich, als ich sah, wie die schmale Straße, auf der wir fuhren, bald einer viel breiteren Straße weichen würde. Und für die Straße mussten jahrhundertealte, riesige Dschungelbäume weichen. Und allein, dass ich auf dieser Straße fuhr, machte mich zum Mittäter.

Wieder schoss jemand das Licht aus, PENG, Nacht. Ich hatte mich noch immer nicht daran gewöhnt, wie schnell die Tage in Thailand endeten. Gleich darauf waren wir in Khorat, und ließen uns in einem alten, zerfallenen, aber preiswerten Thai Hotel nieder. Wir waren fix und alle, und vor den nächsten Schritten nach Laos, brauchten wir drei Tage um unsere Seele nachkommen zu lassen. Es war einfach unglaublich, mit welcher Geschwindigkeit wir in Thailand hunderte von Kilometern zurücklegten, in gefühlten Minuten, und dann irgendwo ankamen, völlig entwurzelt, verwirrt, und entkräftet.

Nach drei Tagen ging es ähnlich rasant weiter. TukTuk zum Zug. Der Zug unterschied sich massiv von dem, was ich bisher in Thailand kennengelernt hatte. Schnell, aufgeräumt, keine wandernden Händler, die schreiend ihre Waren anboten. Dafür schnell und pünktlich. Am Bahnhof wurden wir von einem rasanten Pickup Fahrer aufgesammelt, der uns zum Busterminal kutschierte. Zack! Schon waren wir auf dem Weg zum Rande Thailands. Als die Sonne wieder ausgeschossen wurde (PENG!), waren wir schon einigermaßen fertig, aber uns stand noch der Grenzübergang bevor. Zwei Mopedtaxis brachten uns zur Grenze, zwei Stempel, und wir waren raus aus Thailand und in Laos. Keine Kontrolle, kein Aufwand, keine Komplikationen. Als wären wir von Österreich nach Deutschland gewechselt. Dann die letzte Etappe, ein knallvoller Minibus, der uns über eine Brücke über den Mekong fuhr, und in Pakse absetzte. Zu dem Zeitpunkt waren wir bereits Schatten unserer Selbst, und funktionierten nur noch auf Autopilot. Aber es galt noch zu einem brauchbaren Hotel zu kommen. Ein Motorrad mit selbstgebautem Beiwagen brachte uns zu einem Hotel, das leider ausgebucht war. Wir gingen über die Straße, und fanden dort ein Luxushotel, das gerade so viel kostete, wie die Hütten, die wir auf der Insel in Thailand bewohnt hatten.

Wir fielen ins Bett und waren paralysiert.

Ich fühlte, dass sich etwas massiv geändert hatte. Ja, die Straßen waren schlechter, und die Luft war kühler. Aber die Menschen, die uns seit dem Grenzübertritt begegnet waren, strahlten eine völlig andere Grundstimmung aus. Sie machten auf mich den Eindruck wirklich gelassener Zeitgenossen, die sich ohne ersichtlichen Grund zu freuen schienen – und noch nicht vom Geldvirus befallen waren. Es galt zu Atem zu kommen, und die nächsten Tage in Pakse zu überprüfen, ob die ein Ort für sensible Träumer wie uns sein konnte…



48. Pakse, Laos

Mein erster Eindruck von Laos könnte kaum besser sein. Ich hatte mir wirklich nicht gewünscht in eine Stadt zu kommen. Schließlich hatte ich knapp 30 Jahre Berlin hinter mir, und das sollte reichen, wenn es um Stadterfahrung geht. Doch mein erster Anlaufpunkt in Laos wurde Pakse. Eine Stadt im Süden des Landes. Wir kamen in der Nacht an, und waren etwas zu kaputt um irgendwas zu sehen oder beurteilen zu können. Doch ein paar Stunden später, nach einer ersten Nacht, bekam ich eine Ahnung womit ich es zu tun hatte. Es lässt sich mit einem Wort beschreiben: „Kultur“.

Der Unterschied zwischen Thailand und Laos könnte an der Stelle kaum größer sein. Thailand wird dafür gerühmt, unglaublich kulturell zu sein, doch alles was ich gesehen hatte, waren jede menge Schichten Farbe und Goldlack gewesen. Das mag böse klingen, wird aber im Kontrast zu Laos, bzw. meinem ersten Eindruck von Pakse um so deutlicher.

Hier ist alles um wenigstens vier Nummern kleiner, als ich es in Thailand gewohnt war. Sofort fällt mir das Fehlen des Meeres auf. Es scheint eine ganze Menge Leute ganz selbstverständlich fern zu halten. „Kein Meer? Was soll ich da?“ Gut so. Bleibt weg, ihr planschwütigen Meertouristen. Ihre werdet in Pakse, und vermutlich in ganz Laos nichts finden, was euch interessiert. Ja, sogar die Temperaturen sind dazu geeignet, sonnenwütige Braunbären zu vertreiben. Es ist kühl hier. Nicht kalt, und nicht so frisch, wie ich es aus dem Herbst in Berlin gewohnt war. Die Sonne scheint hier von morgens bis abends. Doch die drückend schwüle Hitze Thailands traf ich hier nicht an. Ein guter Grund Sonnenhungernde fern zu halten.

Was mir zuerst deutlich wurde, waren die erstaunlich leeren Straßen. Hier war der Verkehr sehr viel gemäßigter als im wilden Thailand. Wenngleich die Straßen hier mega hardcore sind, und Nachts um den Überraschungsfaktor unbeleuchteter Fahrzeuge bereichert werden. Die Häuser niedriger. Der Lärmfaktor geringer, ja, fast nicht vorhanden. Ich kenne Dörfer in Deutschland, die lauter sind.

Beim Einchecken in unser Hotel, trafen wir die ersten Laoten. Die auf eine erfrischende Art „anders“ waren, als das, was wir aus Thailand gewohnt waren. Es war uns nicht sofort klar, doch spätestens, als wir die zwei jungen Frauen und zwei jungen Männer hinter dem Empfangstresen rumscherzen und rumalbern sahen, sprang uns das Offensichtliche an: das waren keine professionell Höflichen, sondern Menschen, die zu aufrechten Gefühlsäußerungen fähig waren. Sofort hatten wir eine Art von Verbindung hergestellt, wie ich das aus Berlin kannte, und wie ich es in Thailand völlig vermisst hatte. Dieses erfreuliche Gefühl, sollte sich am ersten Tag in Pakse an unterschiedlichen Stellen bestätigen. Bis hin zu der Art, wie laotische Frauen behäbig über die Straßen schlurfen. Als wollten sie signalisieren, dass sie absolut nix zu tun haben, und alle Zeit der Welt. Sehr sympathisch.

Am ersten Abend in Pakse wurde noch etwas deutlich. Die Stadt roch anders, als alle Orte, die ich in Thailand erlebt hatte. Es lag Duft von Gewürzen, Räucherwerk, und Zuckerwatte in der Luft. Ja, kein Scheiß, Zuckerwatte. Als wollte mir die Stadt sagen: „Ey, Süßer, ich bin süß!“ Tja, und so wie das Auge mit isst, so reist die Nase mit. Wozu verreisen, wenn mir die Nase nicht erzählt, dass hier etwas anders ist, als dort, wo ich herkomme?

Am zweiten Tag in Pakse, konnte ich mir bereits vorstellen, diese kleine Stadt als Ausgangspunkt für zukünftige Touren zu nehmen. Ich war irgendwie ziemlich entspannt, und freute mich hier zu sein. Denn am zweiten Abend, bei einem Spaziergang, wurden wir mit Offenheit von Leuten in Cafés und auf Hotelterrassen begrüßt - dass es nicht anders ging, als heiter von einem Ohr zum Anderen zu grinsen. Ein wenig liegt hier etwas in der Luft, was meinen Fantasien vom Paris der 20er Jahre entspricht. Französischer Einfluss ist hier überall spürbar. Vielleicht ist das die kulturelle Komponente, die mir meinen ersten Kontakt zu Laos so sympathisch macht.

Nach 7 Wochen Konfrontation mit sehr befremdenden, oft oberflächlichen Begebenheiten in Thailand, ist das eine Entwicklung, die ich als sehr, sehr erfreulich wahrnehme.



49. Träumer unterwegs

Wer eine Wahrheit über Träumer wissen will, der lese sich dieses Kapitel aufmerksam durch, und staune! Noch nicht lange her, da schrieb ich heiter, dass wir beim Wechsel von Thailand nach Laos „nur zwei Stempel bekamen. Keine Komplikationen, keine Kontrolle.“

Tja… So einfach kannst gehen. Schließlich hatte uns ne freundliche Thai Lady uns am Busterminal gesagt, „wir bräuchten kein Visum“. Was will man mehr? Sie musste es schließlich wissen. Und meine Mitträumerin hatte schließlich ein eindeutiges Zeichen bekommen, dass wir kein Visum bräuchten. Sie hatte ihr Passfoto fürs Visum nicht gefunden. Das ist eindeutig, nicht wahr? Und nachdem wir die thailändische Seite der Grenze übertreten hatten, war weit und breit kein Beamter aus Laos zu sehen gewesen. Wir stiegen also in den Bus nach Pakse, und JUHU!, wir waren in Laos. Als waschechte und überzeugte Träumer, fühlten wir uns von Laos willkommen geheißen. Endlich ein Land, das es mit dem Grenz-Blödsinn nicht so eng sah. Großes Ausrufezeichen. Schließlich sind Grenzen Illusion, und alles, worum es sich dreht, ist doch letztlich, dass wir ein artgerechtes leben führen, wir Träumer…

Da war zwar eine misstrauische Stimme in mir, die sich fragte, wie das dann bei der Ausreise ablaufen sollte, aber naja, so wie es rein ging, ging es sicher auch raus. Meine Mitträumerin verschwendete keinen Gedanken an den Stempel im Ausweis – und spiegelte mir damit perfekt, woran auch ich glaubte. Dass ein Weg ist, wo auch ein Wille ist.

Zwei Tage verstrichen, und wir mochten Pakse bereits nach wenigen Stunden. Zeit ein nettes Moped zu mieten. Ich stand bei einem Vermieter, bereit irgendeinen Wisch auszufüllen, als ich von einer Zeile nach meiner Visum-Nummer gefragt wurde. Ich sagte: „Ich habe keine.“ Erstaunter Blick auf der anderen Seite des Tresens.

Wer sich kurz schlau machen will, gebe bei Google „Illegal in Laos“ ein, oder „ohne Visum in Laos“, und wird ziemlich schnell herausfinden, dass es das nicht gibt. Der Narr in der Ferne hatte Unmögliche wieder mal möglich gemacht. Ich erklärte dem Mopedvermieter, das weit und breit keine laotische Grenzstation zu sehen gewesen war. Zumindest für den streng selektierenden Blick von Träumern.

Der freundliche Mann hinterm Tresen klärte mich auf, dass das sehr teuer würde, wenn ich nicht flott zur Grenze zurück fahren, und mir den Stempel besorgen würde. Das Moped bekam ich – nebenbei erwähnt – nicht.

Meine Mitträumerin war von der Neuigkeit mäßig erschüttert. Woraus man schließen kann, dass sie in Sachen Träumen noch weiter fortgeschritten ist als ich. Sie sah allerdings ein, dass Handlungsbedarf bestand, und machte einen Laoten ausfindig, der gut englisch sprach, und uns glücklicherweise helfen konnte, weil er eine Verbindung zu einem Grenzbeamten hatte. Weil ein Verwandter von ihm einmal ein Problem mit einem Stempel gehabt hatte.

Damit begann das klassische Spiel, dass das, was erst unglaublich einfach war, sich in eine erschwerte Variante verwandelte. Es sollte Geld kosten. Mehr als der einfache Stempel. Es kam eine Hin- und Rückfahrt zur Grenze dazu, und nun ja, eine kleine Zusatzsumme, um die Grenzbeamten milde zu stimmen. Dann brauchte meine Mitträumerin noch ein Foto, und musste Geld abheben. Natürlich stellte sich heraus, dass sie nicht genug Geld auf dem Konto hatte, und ich konnte frühestens am Montag wieder Geld von der Bank abheben. Wie war das mit Murphys Law? Alles was geschehen kann, wird geschehen?

Aus einem einfachen Grenzübertritt war ein strategisches Unterfangen geworden. Hindernis um Hindernis tauchte auf – und wurde von meiner Mitträumerin heiter bis lässig aus dem Weg geräumt. Ich jedoch fühlte mich schrecklich – wie immer, wenn ich länger als unbedingt nötig mit lästigem Bürokratieblödsinn konfrontiert war.

Es spricht für Laos, dass alles weitere flutschte, wie mit feinstem Getriebeöl geschmiert. Wir wurden in einem diesigen Sonnenuntergang zur Grenze kutschiert, ein Grenzbeamte bekam einen netten Umschlag mit noch netter bedrucktem Papier darin überreicht, wir füllten die nötigen Formulare aus, meine Mitträumerin entspannter als ich, und paar Minuten später saßen wir wieder im Auto, offiziell eingereist nach Laos. Das Einreisedatum war angepasst worden, und unser Fahrer wich geschickt unbeleuchteten Fahrzeugen auf einer staubigen Piste aus. Da hatten die Träumer doch was gelernt. Dass es einfach etwas gewagt ist, den eigenen Traum über heilige Einreisebestimmungen zu stellen. Dafür hatten wir einen Nachmittag geopfert – und einige Energie verloren.

Zurück in Pakse bedankten wir uns erleichtert bei unseren lieben Helfern, und fielen gerädert in die Betten. Jetzt waren wir legal in Laos – und legal dazu gezwungen, in einem Monat wieder auszureisen… Oder wir fänden einen Traum, der uns einen längeren Aufenthalt ermöglichte. Wenn wir es wollten. Denn alle Aufgaben hatten die Sympathie für Laos kein bisschen geschmälert.



50. Kloster Kleister

Stehst du auf Buddhismus? Warum eigentlich? Bist du auch ein anonymer Romantiker, mit Ansätzen zu Märchenfantasien? Träumst du den Traum der Erlösung durch makelloses Verhalten? Glaubst du, damit kannst du dem Rad des Leides und der Wiedergeburt als niederes Wesen entkommen? Niederes Wesen? Wiedergeburt..?

Buddhismus, speziell der Zen-Buddhismus ist ein ziemlich kreatives Gedankenkonstrukt, das wenigstens mir ganz gut beim Loslassen-Üben geholfen hat. Stell ich mir deshalb ne Buddhastatue ins Zimmer? Nein. Auch meine Glatze hat mehr mit praktischen und eitlen Erwägungen zu tun, denn mit meinen romantischen Idealen vom Zen-Mönch-Dasein. Meine Ideen in ein Zenkloster zu gehen, sind nie umgesetzt worden, und das hatte gute Gründe, wie ich vor einigen Jahren in einer Dokumentation sehen durfte. Da ist wenig Romanisches in einem Zenkloster. Es sieht vielmehr so aus, als würden Mönche und Schüler allerhand ziemlich abstruse Rituale durchführen – vergleichbar mit dem, was Beamten in jeder größeren Behörde vollziehen.

Das ist nicht, was ich in Buddhas Worten sehe. Buddha dürfte ein Rebell gewesen sein. Wie auch J.C. ein Rebell gewesen sein dürfte, sofern es ihn wirklich gab. Was im Namen von Religion und Massentauglichkeit daraus gemacht wurde, ist tatsächlich – wie Mao sagte - „Opium fürs Volk“. Ein Betäubungsmittel, und Ausrede, das eigene Leben in die Hände einer scheinheiligen Institution zu geben.

Wird irgendwer ein besserer Mensch, weil er „Buddhas Regeln“ befolgt? Pustekuchen! Nix da! Denn jeder angehende Mensch ist aufgefordert eigene Erfahrungen und Erkenntnisse zu sammeln. Buddha und andere Idole können da bestenfalls Inspirationen sein. Inwieweit sich deren Lebenswege und Vorstellungen adaptieren lassen, hat null mit Glauben zu tun, sondern inwieweit jemand Wahrheit leben will, oder sich hinter einer goldenen Statue verstecken will.

Ich bin nun fast 2 Monate in Asien, und überall stehen Klöster und Statuen rum. Ab und an hab ich Leute vor Altären knien, beten, oder Opfergaben schenken sehen. Doch blieb ich dabei seltsam unberührt. Es fühlte sich null an, als wären da Rebellen und Wahrheitsfinder am Werk. Es hatte verdächtige Ähnlichkeit mit Ablasshandel. „Vergib mir meine Schuld, und ich mach dir ein Geschenk.“ Irgendwie fühlt es sich mäßig echt an. „Schau wie brav ich bin! Krieg ich nun ein Fleißkärtchen?“

Die großen Statuen, die von Bergen auf die Stadt Pakse in Laos schauen, sind genau betrachtet mäßig schön, sondern eher aufdringlich. Genau wie Kirchtürme von von katholischen Kathedralen. Sie scheinen erinnern zu wollen – aber nicht dezent. Nicht in der Bescheidenheit, die Buddha gelehrt hatte. Eher plump und mit Holzhammer. „Sieh her! Buddha hat es geschafft. Nimm dir daran ein Vorbild!“

Dagegen wäre erst mal nix einzuwenden. Inspirationen? Klar, immer, her damit. Alles was beim Leben hilft, ist willkommen.

Auf ne ganz blöde Art, werde ich hier auf meiner Reise wieder mit dem Phänomen der Entschleierung konfrontiert. Ich sehe etwas, was ich aus keinem Buch hätte erfahren können. Dass diese tollen Bilder, die ich tausendfach in Büchern und im Internet gesehen hatte, hier eher kitschig und banal wirken. „Little Buddha“, „7 Jahre Tibet“, „Kundun“, „Samsara“, „Mandala“ und all die anderen Filme über Mönche und Buddhismus – Filme die ich liebte und die mein Leben beeinflusst haben - werden hier massiv entkräftet. Die Mönche hier wirken nicht, wie Fackelträger für die Flamme des Mitgefühls und der Liebe. Sie wirken wie das, was sie überwiegend sind: groß gewordene Kinder, die von ihren Eltern ins Kloster gesteckt wurden, weil sie es sich nicht leisten konnten, noch ein Kind durchzufüttern. Vielen, speziell jüngeren Mönchen haftet eine gewisse Abgegessenheit und Müdigkeit an – und irgendwie erinnern sie mich mehr an Berliner Punks, denn an Anhänger des großen Erleuchteten. Sie haben den Weg im seltensten Fall freiwillig eingeschlagen. Anpassung ist hier allgegenwärtig – bis hin in die Religion. Aus der Ferne wirkte das für mich schön, und ich hatte immer hier her kommen wollen, um in diese Energie tauchen zu können. Doch nun erscheint mir all das wie auswendig gelerntes Verhalten.

Ich möchte den Asiaten hoch anrechnen, dass dieses Verhalten weit friedfertiger ist, als in den meisten anderen Religionen der Welt. Aber mit Wahrheitsfindung hat das erst mal wenig zu tun, mit Freiheit ebenso wenig, und ich frage mich mehr als je zuvor, welcher Unterschied überhaupt in irgendwelchen Religionen liegen soll. Scheinen sie doch alle dafür zu sorgen, dass kleine Egos Bestätigungen finden, in dem kleben zu bleiben, was sie vom Erblühen abhält.

Warum mich das überhaupt juckt? Weil all der Kleister mich daran erinnert, jeden Tag weiter zu rebellieren, meiner Herzensstimme zu folgen, und ungeachtet aller Normen, auszudrücken, was ich auszudrücken habe. Schon klar, dass bestimmte Esoschnuffis das wieder als wertend oder sonst wie titulieren werden. Das ändert leider null an dem, was ich fühle. Ich wollte und möchte an das Wunder und das Magische glauben. Ich finde es nur nirgends. Auch hier in der Ferne meldet ein Sensor in mir unaufhörlich: „Hier stimmt was nicht“. All der Goldlack kann an diesem Gefühl nichts ändern. Von außen betrachtet, wollte ich glauben, in buddhistischen Ländern herrsche mehr Freiheit. Heute fühlt es sich für mich an, als wären die Zwänge und Gefängnisse nur fremder und subtiler. Oder anders gesagt:

Die Gefängnisse und Sklaverei anderer angehender Menschen spiegeln wider, wie weit meine Freiheit voran geschritten ist. Wie unerträglich es mir geworden ist, mich in fremdbestimmte Systeme einzufügen, und wie glücklich ich für jeden Moment bin, in dem niemand ungefragt in mich eindringt.


51. Kleine Fluchten (I)

Jeder Tag, der vergeht macht mit etwas deutlicher, worum es in meiner Freiheitsliebe eigentlich geht. Mein ganzer Reisebericht bisher ist voll mit Bedauern, dass schon jemand vor mir „da“ war – was auch immer dieses „da“ war. Meer, Strand, Berge Wälder, Flüsse, Straßen, irgendwie waren die Reviere alle schon markiert. Das ist insofern erstaunlich, weil ich Deutschland dafür gehasst habe, dass überall Zäune rumstehen. Aber komischerweise hatte es zwischen verschiedenen Zäunen Freiräume gegeben. Weniger berührte Erde. Statt 5000 mal umgegraben, vielleicht nur 100 mal umgegraben, verwildert, und unbeachtet. Ich wusste irgendwie, wo diese wichtigen, fantastischen Kraftplätze zu finden waren – oder mein innerer Kompass führte mich genau da hin.

In Thailand und Laos liegt die Sache anders. Wenn es hier unberührte Natur gibt, ist die gleich so wild, dass an durchkommen nicht zu denken ist. Leute, es ist Dschungel! Nicht der Grunewald. Die Straßen, die hier der Natur entrissen werden, wollen kraftvoll verteidigt werden – aber der nächste Monsun kommt bestimmt. Die Resultate des Monsun konnte ich schon auf der Fahrt von Thailand nach Pakse sehen. Der Regen spült einfach weg, was nicht von deutschen Meisterstraßenbauern entworfen und gebaut worden ist. Ich habe keine Ahnung, wie oft die Straßen hier erneuert werden, doch macht es stark den Eindruck, dass dieser Kampf erst gewonnen ist, wenn so viel Beton verwendet wird, dass nicht mehr das kleinste Blümchen irgendwo Wurzel schlagen kann.

Auf diese Straßen – beziehungsweise Regenrinnen – wollte ich mich tatsächlich mit einem Roller begeben. Ich mietete also im Nachbarhotel einen weißblauen Scooter, damit eingeweihte erkennen konnten, dass ich aus Bayern kam, und stürzte mich in irrwitziges Verkehrsgetümmel. Moment… äh… halt… Augenblick mal… Kaum saß ich auf dem Roller erschien der Verkehr nicht mehr so chaotisch, wie er von außen gewirkt hatte. Alle fuhren eher gemütlich, und sehr intuitiv. Ich fühlte mich auf den Straßen augenblicklich Zuhause. Wie ich das gern machte, bog ich aufs Geratewohl hier und da ab, und im nächsten Moment war ich auf der großen, langen, langen, langen Brücke über den Mekong.

Irgendwie hat das gleich einen ganz anderen Klang, als wenn man eine Brücke über die Spree fährt. Der Mekong! Oh, hey, wow, groß, weit, geheimnisvoll. Mekong, baby. Keine Frage – großes Wasser. Beeindruckend, und obwohl ich die Brücke während der Überfahrt mit circa 150 Motorrädern und 40 Autos teilte, fühlte es sich unerklärlich „besonders“ an. Klar, ich lebte nicht hier, und daher war ne Fahrt über den Mekong schon ne coole Sache.

Hinter der Brücke stand links recht grün und bescheiden ein einzelner Berg herum. Ich bog links in ne Straße, und hoffte, sie würde mich irgendwohin bringen. Ihr wisst schon. Natur. Ruhe.

Tatsächlich war die Straße recht unbefahren, führte überwiegend bergauf, und dann war ich bei dem großen Buddha, der das Mekongtal und Pakse überblickte. Ohne Frage – das war ne tolle Kulisse für paar Angeber-Reise-Schnappschüsse. Aber wieder war da kein verstecktes Weglein in die Einöde, in den Dschungel, in die Wildnis, an den Ort, wo ich nicht in die Pisse anderer Wölfe treten musste. Außerdem hatte ich eh nicht genug Überlebenswasser dabei. Ich fuhr zurück ins Hotel, suchte ein Fleckchen auf ner Landkarte, und dann fuhr ich nochmal los. Bereit für das richtige Abenteuer.



52. Kleine Fluchten (II)

Naja, „richtiges Abenteuer“… Gemessen woran? Ab wieviel Angst empfindet man eine Handlung als Abenteuer? Es war ja nicht so, dass ich die nächsten drei Monate durch die Sahara rollen wollte. Das Abenteuer bestand darin, mich unbekannten Straßen zu stellen, und darauf zu spekulieren, dass 30 Jahre Kamikaze-Mountainbiken durch Berlin mich ausreichend trainiert hätten.

Aus Pakse rauszufahren war dann wirklich ein spannendes Experiment. Wow, was für Straßen. Ewig lang, breit, und linke und rechte Spur getrennt durch rotweiß gestreifte Trennwände. Ständig rollte irgendwer von einem Laden oder Seitenstraße mit nem Moped auf den Weg, Autos bremsten auf offener Strecke, und originellerweise machten es sich einige Laoten auch recht einfach, wenn es um's Überwinden der Trennwände zwischen zwei Straßen ging. Sie fuhren kurzerhand in die falsche Richtung. Fand ich irgendwie sympathisch, und schulte meine Aufmerksamkeit. Obwohl ich auf der Straße wenig sah, was mir bekannt vor kam, fühlte sich der Fahrstil wie für mich gemacht an. „Go with the flow“ war hier keine leere Floskel. Und ich war so im flow, wie lange nicht.

Irgendwann kam ich an eine vielversprechende Abzweigung. Das heißt auf laotisch: eine rote Sand-Schotter-Piste, die Richtung Wald und Gebirge zeigte. Die nahm ich. Gleich darauf durfte ich zeigen, wie gut ich meinen Roller wirklich im Griff hatte. Mit nem Motorrad wäre das alles sicher gar keine Sache gewesen, aber diese Roller sind ja für römische Straßen und Cruisen um das Kolosseum gedacht. Nicht für Hardcorepisten in den Dschungel. Also, liebe Motorrad-Cracks: das wahre Abenteuer lauert auf nem Roller auf ner laotischen Schotterpiste.

Es war toll. Links und rechts wildes, grünes Gewucher, ab und zu ein Pickup oder LKW, der mich überholte und einstaubte, und sogar echte Kühe und Ziegen wanderten über die Piste. Das war schon fast, wofür ich da war. Ich saß auf dem Roller, und fühlte mich, als würde ich der Angepasstheit und dem Lärm der Menschs entkommen. Meter um Meter mehr. Mir ging auf, was der ganze Kult um's Motorradfahren sollte. Auf dieser Zeitmaschine konnte ich die Vergangenheit hinter mir lassen, meine Zukunft genau auf mich zukommen sehen, Zentralperspektive, und ich war mittendrin, und hielt das Steuer. Wen juckte es da, wieviel Kubik mein Motor hatte?

Ich war an keinem Ziel angekommen, war aber glücklich dem Üblichen entkommen. Der blaue Himmel, die echten, natürlichen Wolken, das saftige Grün, die verfallenen Bambushütten, und die bewachsenen Berge signalisierten mir: „Du hast es geschafft. Du bist da, wo dich niemand kennt, wo du nichts kennst, und wirst Zeuge des Wunders, wie es ist, wenn alles läuft.“ Denn alles lief. Ausnahmsweise kein Drama irgendeiner Art. Das waren die kleinen Fluchten, für die ich zu leben schien.

Für ein paar Minuten waren da ein paar Reste Asphalt, auf denen ich einigermaßen entspannt brettern konnte, und irgendwann waren die weg, und stattdessen kleine, spitze Steine, die mein ganzes Vertrauen in moderne Reifenkunst abriefen. Und dann war da dieser kleine Weg nach links, der mich in den Dschungel lockte. Dschungel, Leute, Dschungel! Ich fuhr rein, bis der Weg ein Pfad wurde, und ich zu Fuß weiter musste. Und dann war ich fast da. Am nächsten Ort meiner Träume. Fast. Da war ein Fluss zu hören. Verborgen zwischen gigantischen Palmblättern und fremden Bäumen und wilden Büschen und Gestrüpp.

Merke: willst du in den Dschungel, vergiss die Machete nicht. Je näher ich dem lockenden Fluss kam, desto unüberwindbarer wurden die natürlichen Barrieren. Das war kein gepflegter Wald, wie ich in von Berlin gewohnt war. Dies war unberührte Natur, die sich nicht darum scherte, ob ich den Fluss sehen wollte, und wie ich da hinkäme. Und während ich mich tiefer ins Gestrüpp verhedderte, wurde mir die Tragweite meiner Verirrung bewusst. Ich war allein, weit ab, von menschlichen Wegen, und auch wenn ich uneingeschränktes Vertrauen in mich und das Leben hatte - hier verloren zu gehen, hier ein Missgeschick zu haben, konnte ungeahnte, schmerzhafte, fatale Folgen haben. Ich hatte hier nicht verloren, ohne Kompass, ohne feste Stiefel, und ohne Wasser für paar Tage. Und ich hatte meiner Mitträumerin nicht gesagt, wo ich ungefähr hin wollte.

Als mich eine Wand aus unfreundlichen, dornigen Pflanzen endgültig stoppte, musste ich wenige Meter vom rauschenden Wasser aufgeben.

Ich war da, machte paar Beweisfotos, und war nicht da… denn… es war nur ein Ausflug. Eine kleine Flucht. Ich hatte hier nicht meine Hütte. Nicht mein Zuhause. Nicht meine Basis. Ich hatte hier nur einen tollen Ausblick und einen ohrenlausch Stille. Genug um mich für einen kostbaren Moment zu erfüllen, und mich gleich darauf in die düsterste Trübsal zu schubsen. Nur eine kleine Flucht. Nicht mein Zuhause. Nicht mein Ort des Vertrauens. Nicht der Ort, wo ich ruhigen Gewissens meine Beine ausstrecken, und mich willkommen, und von der Erde umarmt fühlen konnte. Ich lauschte nochmal kurz dem Fluss, den ich nicht erreichen konnte, stieg auf meinen Roller, und fuhr zurück zu meinem anderen Nichtzuhause. Um eine Erfahrung und um eine Einsicht reicher. Ich spürte mit jedem Moment, dass ich meinen Antworten näher käme, wozu ich diese Reise überhaupt machte. Es war jedenfalls nicht damit getan ein Hotel oder eine Hütte zu haben, von wo aus ich aufbrach. Ich wollte diese Basis inmitten von Natur. Nur… Wo? Verdammt, wo? Ich hatte auf der ganzen Reise nur Vermieter gefunden – aber keine verwandte Seele. Kein Erkennen unter Gleichartigen...



53. Mekong Souvenir

Vermutlich ist der große Unterschied zwischen Reisenden und Touristen, dass Reisende mehr Zeit haben hinzuschauen und Eindrücke wahrzunehmen. Dass sie nicht von einer Attraktion zur Nächsten hetzen. So gesehen, dürften Touristen mehr Spaß haben, weil sie nur die Oberfläche der Dinge wahrnehmen. Den glänzenden Lack. Die gefällige Illusion. Sie würden Pakse, so wie ich anfangs, als nette, kleine Stadt wahrnehmen. Sie würden wie ich am Anfang, nur die Düfte riechen, und sich freuen, dass man sogar Motorroller zu einem halbwegs vernünftigen Preis mieten kann. Und dann… würden sie weiterziehen, von einer Attraktion, zu Nächsten, und in null Zeit wären sie wieder Zuhause, und würden berichten, welch ein Abenteuer Laos gewesen sei, vielleicht auch etwas flunkern, vielleicht dicker auftragen, Sachen idealisieren, und was für ein bezaubernder Flecken Laos doch sei. Wer jedoch länger bleibt (selber schuld) und den Roller mal stehen lässt, und zum Beispiel zu Fuß am Mekong entlang geht, könnte ein völlig anderes Bild mit nehmen. Denn von der Straße bis zum Fluss ist der Abhang mit Müll übersät. Nicht nur ein bisschen. Als ich Aufnahmen vom Mekong im Sonnenuntergang gemacht habe, habe ich den Müllabhang bewusst ausgeblendet. Bin ja Ästhet.

Du hast dich vielleicht schon gefragt, warum Asiaten Mundschutz tragen, wenn du Berichte im TV gesehen hast? Nun, genau deshalb. Nicht nur wegen Smog und Feinstaub. Auch. Aber dieser Verwesungsgestank ist nicht nur widerlich, sondern auch Bakterienherd ohne Gleichen. Glaub mir: das willst du nicht einatmen. Der Mundschutz hält den übelsten Wahnsinn fern. Soviel zur Einleitung.

Wie das Leben so spielt, geschah es neulich jedoch, dass ich mit meiner Mitträumenden ein klärendes Gespräch führen musste, weil es in einem Restaurant ein unschönes Missverständnis gegeben hatte. So standen wir unweit eines stinkenden Müllherdes am Mekongufer. Schätzungsweise gammelte irgendwo in der Nähe toter Fisch vor sich hin. Oder toter Hund. Oder totes Huhn. Oder alles zusammen – und ich hatte keinen Mundschutz um gehabt. Das klärende Gespräch war mir wichtiger gewesen, als meine Intuition, ganz schnell ganz viel Abstand zwischen uns und den Verwesungsgestank und Bakterienherd zu bringen.

Unterm Mikroskop hätte man wohl einen faszinierenden Horrorfilm gesehen. Wie ich erschreckende Bakterien einatmete, und sie sich auf eine heitere Reise in meinen Körper machten.

Vielleicht wäre das für ein funktionierendes Immunsystem gar keine Sache gewesen. Doch seit Tagen plagte ich mich mit der Frage, wohin unsere Reise weitergehen sollte. Ich aß ungesunde Sachen (Frustfressen), schaffte es nicht meinen Kopf für paar Sekunden auszuschalten, und hatte währenddessen noch zu klären, wie meine Mitträumende und ich weitermachen würden. Kurz: ein roter Teppich für Herrn und Frau Killerbakterius. Vielleicht waren es auch Keime in der müffelnden Aircondition, oder zu scharfes Essen, oder irgendwas da ich aus Versehen vom Finger in den Mund befördert hatte. Oder alles Zusammen...

So trug es sich zu, dass ich am Nachmittag des 27.12., ohne offizielle Vorwarnung, von sonderbarer Schwäche angefallen wurde. Gleich darauf saß ich auf dem Topf und kackte mir die Seele aus dem Leib. Ich möchte dir die pikanten Details hier ersparen. Nur soviel sei erwähnt: es war dunkel und flüssig wie das Wasser des Mekong bei Nacht.

Es sollte die krasseste Reinigung meines Verdauungstraktes werden, die ich seit 2005 erfahren hatte. Reinigung ist ja auch gut, und ich hatte ausreichend Scheiß angesammelt, bei meiner Reise in Asien. Das kam nun schwungvoll aus mir raus. Damit verabschiedete sich auch die Frage, ob ich wirklich noch Wert auf asiatisches Tropenvergnügen legte. Denn was nützten die schönsten Temperaturen und die tollste Sonne, wenn Hygiene offenbar ein Fremdwort war (Habe ICH das eben wirklich geschrieben? Ich habe mir nie all zu viel daraus gemacht...), und ich womöglich ständig mit einem Mundschutz herum rennen müsste.

Du denkst ich übertreibe? Das denke ich auch. Weshalb ich den Mundschutz nicht immer dabei hatte – und das Resultat war Dünnpfiff. In meinen Kackpausen, wenn ich im Bett tief atmete, fragte ich mich, was anders sein müsste, damit ich in Asien bleiben könnte. Und die Antwort lautete: eigentlich alles. Vor allem fragte ich mich, wie sich das Müllthema transformieren ließe. Als ich das Thema von allen Seiten beleuchtete, wurde klar, dass das meine Lebensaufgabe werden könnte. Wenn ich das wollte. Ja, ich könnte den Rest meines Lebens den Müll anderer Leute wegmachen, und versuchen eine Vorbildfunktion einzunehmen. Wenn ich wollte. Oh, ich würde sicher viel Ehre anhäufen. Vielleicht sogar laotischer Ehrentouri werden. Wenn ich wollte. Aber wollte ich? Ich befand mich ganz offensichtlich in einem Land, wo selektive Wahrnehmung zur Kultur gehörte. Da wurde es ganz schnell, ganz deutlich: ich wollte nicht. Und was sich da so schwarz und stinkend aus mir verabschiedet, waren nicht nur Resultate der allgegenwärtigen Verwesung, sondern auch meine alten Vorstellungen von Heiligkeit und Erhabenheit im buddhistischen Asien. Ja, wer eine Reise tut, kann was erleben. Eventuell verwandeln sich dann auch die eigenen hübschen Ideen von den tollen, tollen, erhabenen, freundlichen, spirituellen Asiaten in dunkelste Exkremente.

Ich saß auf dem Klo meines Hotels und hörte Kirchenglocken. Zeitgleich gab meine Mitträumende bekannt, dass der Aufbruch nach Indien beschlossene Sache wäre. Nicht, weil wir da unverwesende Zustände vermuteten, oder noch rosa Brillen auf hatten, sondern weil wir bis Frühling in Europa noch ne Weile hatten, und wenn schon Desillusionierung, dann richtig. Schwärmten denn nicht alle möglichen Leute davon, wie unglaublich spirituell Indien sei..? Keine Frage, da war nix mehr zu glauben. Kommen, sehen, staunen…

Am Tag darauf verdrückte ich 10 Kohletabletten, mein Magen stabilisierte sich, und unvorstellbare Entspannung kam über mich. Es gab so absolut nix mehr, was ich erwartete, was ich wollte, und sogar was meinen Weg mit meiner Mitträumenden anging, fühlte ich mich glasklar und rasiermesserscharf. Ich fühlte mich mental und körperlich um ungefähr zwanzig Tonnen leichter, und nun galt es die nächste Etappe anzugehen.

 


54. Ein guter Tag

Es heißt, das Gras ist grüner auf der anderen Seite des Zauns. Dass man begehrt, was man nicht hat, und es einem schöner erscheint, wo man nicht ist. Nun… Aus irgendeinem Grund gibt es da eine unerklärliche Unruhe, oder Unzufriedenheit, wenn der Ort an dem ich bin, mir missfällt. Denkt bloß nicht ich wäre undankbar. Ich liebe den blauen Himmel, die Sommersonne im Dezember. Das ist toll. Ich freu mich darüber. Doch scheint es immer „das kleine bisschen mehr“ zu geben, was ich brauche um glücklich zu sein. Die süße Kirsche auf der Torte. Es ist, als würde ich um etwas betrogen, wenn sie fehlt. Als wäre es mein Geburtsrecht, diese Kirsche einzufordern. Manchmal zeigt sich diese Kirsche auch in Form eines Mekong Souvenirs. Klar, niemand hat gerne Dünnschiss – aber die Befreiung danach war gigantisch. Es sollte das gleiche Phänomen für Gehirne und Herzen geben. Einmal alles raus, und Neustart.

Am Tag darauf brachen meine Mitträumerin und ich auf. Ich war gut gelaunt, wir zahlten unsere Rechnung im erstaunlich tollen Sang Aroun Hotel, checkten aus, und auf der anderen Straßenseite quatschte meine Mitträumerin einen Amerikaner in nem Mietwagen an, der uns - etwas ängstlich - über den Mekong fuhr, und unweit einer toten Katze an der Straße ablud, wo wir Trampen wollten. Wir hatten das ewige Zahlen satt. Zumal das Geldding alles verdrehte und veränderte. Allerdings hatten wir es wieder geschafft in der brütenden Tropensonne, kurz nach Mittag aufzubrechen, und als uns nach einer halben Stunde niemand mitnahm, ließen wir uns für jeweils 150 Baht, also bisschen über 3 Euro fast ne Stunde durch die Pampa kutschieren. Auf einem dieser winzigen, umgebauten Pickups. Es galt, die Verhältnismäßigkeit der Dinge im Auge zu behalten. Ne Fahrt in Berlin kostete schon über 5 Euro – und ich hatte sie gezahlt, ohne mit der Wimper zu zucken. Wir sparten und den Sonnenbrand und körperliche Erschöpfung.

Schwupps, waren wir an der Grenze, wo ich nochmal darüber sinnierte, wie viel Eintritt ich nun für Laos wirklich gezahlt, und was ich wirklich dafür erhalten hatte. Egal. Meine Mitträumende und ich waren entspannt, checkten das zweite Mal an diesem Tag aus, diesmal aus Laos, verpulverten die gigantische Summe von 25000 laotischen Kip für bisschen Obst, und wanderten schwer beladen zurück nach Thailand. Ja, denn es gab keine Direktflüge von Laos nach Indien.

Habe ich erwähnt, dass ich einen blau-grün gestreiften HulaHopp Reifen mit mir führte. Ein handliches Geschenk meiner Mitreisenden. Ich hatte inzwischen sogar raus, wie ich das Ding länger als 30 Sekunden um meine Hüfte rotieren lassen konnte. Mit diesem Ring und meinem grünen, vollen Rucksack, machte ich mich bereit, wieder den Visumszirkus über mich ergehen zu lassen. Als uns ein megafreundlicher, ultrahilfsbereiter Grenzbeamter aufklärte, dass wir, wenn wir eh nur paar Stunden in Thailand wären, kein Visum bräuchten. He! Wow! Kein Eintritt, wenn wir uns freiwillig wieder verabschiedeten. Das ließ fast Heiterkeit aufkommen.

Als wir in Thailand das Trampen fortführen wollten, standen wir definitiv an der falschen Stelle, und meine Mitträumende hatte nicht mehr all zu viel Energie übrig. Da half uns ein alter Thai mit TukTuk bis zur Bushaltestelle – ohne Bezahlung, und gleich darauf waren wir in einem fast leeren Minibus auf dem Weg nach Ubon. Einem grandiosen Sonnenuntergang entgegen.

Irgendwie flutschte alles wie geschmiert. Obwohl, oder gerade weil wir am morgen alle Internetplanungsoptionen in den Wind geschossen hatten. Es war voll komisch. Eigentlich sollte das Internet helfen. Doch die unglaubliche Auswahl an tausenden Möglichkeiten, die oft auch noch widersprüchlich waren, begann uns mehr und mehr zu nerven. Internet versprach Bequemlichkeit beim Reisen. Aber es war nicht Bequemlichkeit die wir wollten, sondern „the real thing“.

Als wir uns am Abend im Bett erschöpft voneinander verabschiedeten, hatten wir das Gefühl, ein wenig von der Essenz aufgeschlürft zu haben. Obwohl unser Nachtquartier voller Moskitos war, und vor allem durch Hässlichkeit bestach. Wir waren glücklich. Weil dieser Reisetag von dem durchtränkt gewesen war, was Reisen ausmachte. Neue Eindrücke, Überraschungen, Aufgaben, Lösungen, Wunder – ach ja: und blauer Himmel, Sonne, und Sommergefühle.



55. Moskito

Moskitos sind ein unmögliches Wunder. Führe dir einmal vor Augen, dass heute jedes bessere Hotel oder Ressort in Thailand oder Laos die Räume mit Moskitonetzen überm Bett oder Moskitogittern an den Fenstern versehen hat. Es genügt ein winzig kleines Loch in diesem Gittergeflecht, und der Moskito wird es finden.

Wie zum Henker machen die das??? Welche für Menschenaugen unsichtbaren Energiebahnen lenken sie durch Schlitze, Löcher, und winzigste Kanäle?

Bisher hat sich niemand die Mühe gemacht zu erforschen, wie ein Moskito das macht. Wir reden hier von Flächen, die für eine Mücke gigantische Ausmaße haben müssen – doch wenn darin ein Loch ist, findet sie es. Du glaubst nicht an Magie? Obwohl Moskitos ganz offensichtlich Meister der Magie sind?

Okay, seh' schon, du willst rationale Beweise. Nur stößt Logik hier an eine Grenze. Erklär mir das: wie kommt es, dass Moskitos bevorzugt an Stellen stechen, die nicht im Blickbereich der Menschen sind? Werden die Moskitos in der Stechschule ausgebildet? „Heute liebe Schülerinnen (denn es sind nur die Weibchen, die stechen und Blut saugen), lernen wir etwas über das Blickfeld des Menschen. Immer schön stechen, wo sie nicht hinsehen können.“ Die Lehrermücke rollt eine Karte vor der Klasse aus, und deutet auf Fersen, Kniekehlen, Arschfalte, Hals, und das beste Ziel von allen: die Ellbogen. Bisher ist es niemand gelungen, diese Stechschulen ausfindig zu machen oder ihre Existenz filmisch zu beweisen. Doch ich bin mir sicher, es gibt sie.

Das juckende Sekret, das Moskitos in der Haut hinterlassen, soll das Blut am gerinnen hindern. Einzige bisher wirksame Waffe dagegen: Hitze. Mit speziellen, batteriegetriebenen Wärmestäben, kann man den Stoff neutralisieren. Was man nicht neutralisieren kann, sind die Markierungen, die Mücken für ihre Schwestern hinterlassen. Es scheint ein System, eine Sprache, oder eine Technik zu geben, mit der eine Moskitodame all ihren Schwestern mitzuteilen vermag, wo es Futter gibt. Nicht nur einfach: „Da ist einer...“, sondern die genauen Koordinaten am Körper, wo am sichersten zu stechen ist. Schon bemerkt: wenn dich mal eine Mücke erwischt hat, ist demnächst die gleiche Stelle mit mehreren Stichen übersät. Bienen können Standortinformationen weitergeben, Ameisen tun es – wieso sollten Moskitos es nicht tun. Das Kreuz auf der Schatzkarte bist du.

Wozu ich das schreibe? Weil es allerhöchste Zeit wird, dem abgedrehtesten Insekt der Erde, den verdienten Respekt zu zollen. Moskitos sind die wahren Outlaws und Jäger der Tierwelt. Da können Wölfe und Löwen einpacken. Moskitos sind die wahren Abenteurer. Jede Jagd ist ein Spiel mit dem Leben. Und egal was die Menschen tun – die Moskitos überleben als Rasse. Es wird Zeit, die gleiche Bewunderung, die man Falken bei der Jagd zudenkt, auch den Moskitos zu schenken. Mit welcher Sanftheit sie auf der Haut landen, wie präzise und meist unspürbar der Stich ist, und wie sie sich blitzschnell vom Körper weg katapultieren. Bewunderungswürdig – wären die angehenden Menschen nicht so wahnsinnig schlechte Verlierer. Es nervt das kleine Ego einfach, dass es da Wesen gibt, die so winzig sind, und dennoch große, starke Männer völlig um den verstand bringen können. Oder schon mal entspannt eine Nacht in einem dunklen Raum mit einem Moskito verbracht?

Darum lasst uns demütig verbeugen und höflich applaudieren. Diese kleinen Biester sind schlicht phänomenal. Sie sind die Gewinner im darwinschen Evolutionswettkampf. Denk daran, bevor du das nächste Mal nach einer Mücke schlägst. ;)



56. Gott, die alte Trompete

...hat offenbar besonderes mit uns vor. Nach unserem wunderbaren Reisetag Richtung Bangkok, machten wir in einem Albtraumhotel Zwischenstop. Es hatte von außen recht harmlos gewirkt, aber die Nacht hatte Moskitos und sonderbarste Horrorbilder im Kopf beschert. Nach dem Aufwachen änderte ich wiedermal spontan den Plan. Warum sollten wir 9 Stunden durch Thailand fahren, wenn wir das kürzer zum fast gleichen Preis bekommen konnten? Wir stiegen in den Flieger von Ubon nach Bangkok. Vom Flughafen wollten wir direkt weiter nach Indien. Erfuhren jedoch, dass das „Visa on arrival“ in Indien gar kein „Visa on arrival“ war. Einigermaßen überrascht hörten wir, dass es zwar so genannt wurde, aber man es via Internet beantragen musste, und es paar Tage dauern konnte. Unkostenbeitrag: 60$… Und ich hatte gedacht gehabt, es gäbe ein „Visa on arrival“ UND das Internetvisum. So kann man sich irren… Ohne Visum brauchten wir erst mal nicht los, und ich fragte mich, warum ich Indien 60$ spenden sollte – und wofür? Das hieß: Bangkok hatte uns wieder.

Von einem rasanten Verkäufer am Flughafen erfuhren wir ein Hotel in der Nähe, und wiedermal, dass die Freundlichkeit nur so lange hielt, wie Geld im Spiel war. Dann wollten wir zum Taxistand, und bereits im Flughafen war eine ewig lange Schlange dorthin. Wir verdrückten böse, süße Sweeties, süßer als jede Polizei erlaubte, quasi futterten wir uns Mut an, stürzten uns vor den Flughafen in den Verkehr, und machten die Sache in Thai-Style klar. Wir stellten uns auf ne Straße – und erwischten einen verdammt heiteren, aufgekratzten Thai. Merke: Taxis in Bangkok halten überall – und wenn sie einen kilometerlangen Stau verursachen. Er begrüßte uns lachend, deutete auf den Verkehr, und rief lachend aus „Bangkok!“ Wir lachten mit. Wie üblich war die Fahrt abenteuerlich und unvorstellbar. Eine unendliche Reihe stockwerkehoher Betonpfeiler wuchs neben unserer Route; die Stützen für einen weiteren neuen Highway. Gleich darauf setzte er uns lachend und völlig entspannt vorm Hotel ab. Als wäre er nicht eben durch das ultimative Chaos gerauscht. Musste man erleuchtet sein, um in Bangkok Taxi zu fahren?

Noch'n Hotel… Mit dem in Asien weit verbreiteten Schimmelmief. Hier war es mal an der Zeit, nachzudenken, was es mit dieser Reise eigentlich auf sich hatte. Denn obwohl wir Natur wollten, waren wir schon wieder in Bangkok. Zum Jahreswechsel. Im siebten Stock eines Gebäudes, das ich kurzerhand „Suicide Hotel“ taufte – weil das Geländer des Balkons, und die Mauer unterm Fenster so niedrig gesetzt waren, dass es wie eine Einladung war, diese Gelegenheit zu nutzen. Sieben Etagen. Harter Aufschlag garantiert. Der Ausblick war gigantisch. Vielleicht doch nicht springen? Trotz der Sogwirkung? Lieber den Ausblick genießen? Das unendliche Bangkok…

Der göttliche Zufallsgenerator hatte uns in eine Ecke des Molochs gespült, wo wir Bangkok ohne Touristenwahn erleben konnten. Wie sympathisch sich die Stadt da zeigte. Unglaublich. Nach den vielen unerfreulichen Erlebnissen in dieser Stadt, bekam ich nun eine Seite gezeigt, die ich gerne schon viel früher erlebt hätte. Unverfälschtes, „normales“ Leben von Leuten, die sich nicht für Tourismus prostituierten. Endlich ein anderer Blickwinkel. Lag das auch an meinem Mekong Souvenir? Oder daran, dass es unmöglich verrückter werden konnte, als es schon war? Oder daran, dass wir inzwischen aufgegeben hatten, dass irgendwas so liefe, wie wir uns das ausmalten? Silvester in Bangkok? Na, wenn schon, dann im Suicide Hotel. Sollte es ein Feuerwerk geben, dann waren wir bereit dafür. Wir sahen ein Bangkok, in dem wir noch die fremden Exoten waren, und angeschaut wurden, als hätten wir uns verlaufen. Ja, das hatten wir eindeutig – und es fühlte sich richtig an. Nach zwei Monaten war ein Zustand erreicht, in dem eine gewisse Gelassenheit über mich gekommen war. War es das, was ich hatte kapieren müssen? Loslassen von meinen Ruheideen? Das Leben geschehen lassen? Jedenfalls verwandelten sich die Straßen, die Leute, die Supermärkte, alles war wie ausgewechselt. Meine Mitträumende staunte, wie ausgewechselt ich war. Steckte hinter all dem ein Masterplan?

Noch immer träumte ich von der Hütte, in der Natur, wo ich meinen kreativen Spielchen nachgehen konnte. Doch hatte ich es nicht mehr eilig. Die Sonne schien, es war warm, und die Moskitos liebten mich. Kurz vor Jahreswechsel fühlte es sich verdammt stark nach einem neuen Reisegefühl an.



57. Stay and pay

Nach zwei Monaten herumreisen in Thailand und Laos, habe ich nichts vorgefunden, was mich bewegen würde, hier länger zu bleiben. Buchstäblich jedes Ideal, all die hübschen Worte, die ich irgendwo aufgeschnappt hatte, alle tollen Bilder und Filme, die ich gesehen hatte, sind widerlegt worden.

Nach langen Überlegungen, galt es eine Entscheidung zu treffen, was geschehen sollte. Und egal welches Land uns in den Sinn kam: überall wurde die antiquierte Idee von Grenzen aufrecht erhalten, und Eintrittsgeld verlangt, scheinheilig und wichtigtuerisch „Visum“ genannt. Wenn kein Eintrittsgeld, dann wenigstens die Bestätigung via Rückflugticket, dass man sich wieder verpisst. So, oder so: nicht ein einziges Land weit und breit sagte wirklich willkommen, kein Land lud mich ein mich frei zu bewegen, oder selbst zu entscheiden, wie lange ich bleiben wollte. Nachdem ich ausgiebig geforscht habe, und damit viel, viel, viel meiner Reisezeit verplempert wurde, kam ich zum Schluss, dass ich fast überall als Geldesel gesehen wurde. „Stay and pay“. Außer in Europa, weil ich zufälligerweise von dort komme, und in einigen südamerikanischen Ländern.

Nach meinen zwei Monaten habe ich erkannt, dass Sonne, Stille und Natur nicht die einzigen Faktoren waren, die für mich in einem Land meiner Wahl wichtig sind. Es ist mir auch wichtig mich frei bewegen zu können, in meiner Zeit, ohne Auflagen von imaginären Regierungen. In meinem Augen sollten alle Reisenden das Spiel der Visa- und Einreisebestimmungen boykottieren. Denn da sind keine Grenzen. Es sind nur künstlich geschaffene Hindernisse um Geld zu verdienen. Wenn Länder so arm sind, dass sie betteln müssen, dann könnten sie an Flughäfen Bettelschalen für Spenden aufstellen.

Ich spiele nicht mehr mit. Ich habe keine Lust mein Leben nach den schwachsinnigen Regeln paranoider Bürokraten auszurichten. Ich habe es nie getan, ich fange als Narr in der Ferne nicht damit an. Ich werde nach Europa zurück kehren, und dort überprüfen, ob es in Südamerika ein Land gibt, das mich/uns willkommen heißt – ohne mir bei der Begrüßungsumarmung ins Ohr zu flüstern: „Aber nach 30 Tagen gehst du bitte wieder. Und du darfst hier nicht arbeiten. Und du darfst nicht mit unseren einheimischen Frauen schlafen. Und du darfst nicht deine seltsame fremde Kultur mitbringen. Aber lass schön viel Geld hier!“

Kann wirklich nur ich mir vorstellen, wie Reisen ohne Grenzen wäre? Reisen ohne Kontrollen und Misstrauen? Es ruft dich in die Ferne, und du folgst frei dem Ruf, ohne gehindert zu werden. Ohne dass du dein Geld für schwachsinnige Gebühren verschwenden musst. Kulturelle Unterschiede werden nicht mehr in Grenzen gehalten, sondern dürfen frei fließen, sich vermischen, inspirieren, und ergänzen. Soziale Evolution. Das wäre eine Welt, auf der ich gerne leben würde. Eine Welt, die ich gerne bereisen wollte. Die effektivste Idee setzt sich durch – nicht die Dummheit mit den meisten begrenzten Anhängern. Ich bin auch ein Flüchtling. Seit meiner Geburt versuche ich der Dummheit und Banalität zu entkommen.

Die traurigste und tiefste Einsicht meiner Reise bislang: Sklaverei und Gefängnisse sind überall. Die Freiheit, die man den Sklaven zugesteht, nennt sich „Konsum“ - und ich habe selten irgendwo bravere Konsumenten gesehen, als in Thailand und Laos. Ich habe selten irgendwo weniger Freiraum für mich gespürt, als hier. Raum zum Durchatmen? Raum zum Entspannen? Stille? Frieden? Nein. Nur vorgefettete Bahnen, in denen ich von einer Kasse zur Nächsten rutschen sollte. Wer in Berlin die Freiheit von Ideen und Weltkultur geatmet hat, dem muss die abergläubische, enge Welt in anderen Ländern, selbst mit den schönsten Sonnenuntergängen, beschränkt und kleingeistig erscheinen.

Wie vielschichtig die erlaubten und erwünschten Meinungen und Sichtweisen in vielen Orten Europas sind! Ich freue mich, dass ich das nun klar sehen kann. Ich freue mich auf meine baldige Rückkehr nach good old europe…



58. Retreat

Und weiter geht es. Nicht in Natur und Stille, sondern mit aufreibenden Einsichten und Seelenheilungen. Vermutlich muss das so ablaufen, wie es gerade geschieht, weil ich mich so wenig mit Simulationen abfinden kann. Ein Seminar oder Retreat besuchen, das ist heute leicht. Radikale Fanatiker wie ich, müssen das tausende Kilometer entfernt von helfenden Freunden und vertrauter Umgebung tun. Auf die Frage des Lebens, „wie viel Hardcore hätteste gerne?“ scheint irgendwer in mir kategorisch „Volle Dröhnung!!! Her damit!!!“ zu brüllen. Komisch. Ich selbst seh mich ja eher als den Softy, der von bisschen Harmonie ne Erektion bekommt. Wieso hab ich dann bloß so ein Talent Situationen zu schaffen, die das absolute Gegenteil von Harmonie sind, und sich manchmal in ausgewachsene Erdbeben verwandeln?

Was ich schon wieder angestellt habe?

Eigentlich hatte ich nur mal eben unseren Abflug aus Bangkok klarmachen wollen. Ich hatte die entsprechende Buchungs-Seite im Browser am Vorabend gespeichert gehabt, rief sie wieder auf, folgte den Bestelleingaben, freute mich noch über den extrem preiswerten Flug, bezahlte via Kreditkarte, bekam eine Buchungsbestätigung, und dann öffnete sich ein Fenster mit den Bestelldetails – die einen Flug Anfang Februar anzeigten.

Ich hatte keine Ahnung, wie aus dem 4.1. der 1.2. geworden war, erkannte aber sofort, dass da was entschieden schief gelaufen war. Als ich überprüfte, was schief gelaufen war, sah ich, dass der Flug am 4.1. um ein drittel teurer war. Mehr, als auf meinem Konto hinterlegt war. Ich spekulierte darauf, dass sich schon alles zum Guten wenden würde – aber wollte aus Sicherheitsgründen schnell etwas Geld auf mein Kreditkartenkonto überweisen. Worauf ich die Info bekam, dass meine Kreditkarte gesperrt war. Natürlich. Ich hatte mit der Flugbuchung das Kreditkartenlimit ahnungslos überschritten – und nicht gewusst, dass in einem solchen Fall das Konto gesperrt und die Buchung storniert wurde. Erfolg auf der ganzen Linie. So gestaltet man sich das Leben spannend.

Ich also runter zu meiner Mitreisenden, die für die Nacht ein eigenes Hotelzimmer genommen hatte, und beichtete ihr meinen grandiosen Einfallsreichtum. Auch wenn sie Anfangs amüsiert über dieses Talent von mir war, beglückwünschte sie mich nicht, klopfte mir nicht auf die Schultern, und fand auch sonst keinen Ausdruck der Begeisterung für meine kreative Art Chaos ins Leben zu bringen. Stattdessen wurde ich mit Distanz und Kälte bedacht – und spürte erschreckend wenig Liebe.

Dann wurde klar, worum es sich bei dem Buchungsfehler wirklich gehandelt hatte. Das Leben schenkte uns eine Möglichkeit etwas über unsere Ängste und über unsere Liebe zu erfahren. In diesem Augenblick kam heraus: sie hatte in der Nacht überlegt, ob wir nicht getrennt weiter reisen sollten. Sie sagte das allerdings auf eine Art, die mich zur Abwechslung in die Distanz trieb, und als ich gerade das Zimmer verlassen wollte, rief sie mich zurück. Etwas, das ich mir schon in mancher Beziehung davor gewünscht hatte. Also drehte ich um, und stellte mich der düsteren Wahrheit – in Form eines Briefes, in dem sie mir ihre wahren Gefühle offenbarte. Die waren allerdings nicht großartig verschieden von dem, was ich mir für mich und uns wünschte. Freien Fluss. Unabhängigkeit. Ungebundenheit.

Warum das mit mir nicht möglich wäre, begründete sie aus alten Ängsten und fremden Prägungen heraus – und plötzlich befanden wir uns mitten im schönsten Encounter, den man sich wünschen konnte. Sie war überrascht, dass ich sie nicht ablehnte, sondern verstand, und ich schlidderte tiefer und tiefer in die Wahrheit, warum ich so viele Begegnungen in Wut beendet hatte. Nicht nur mit meiner Mitträumenden, sondern in vielen, vielen, vielen Beziehungen. Weil da immer der starke, große Supermann und Überpapa retten, helfen, trösten, und Lösungen bieten hatte wollen. Um jeden Preis. Jederzeit. Weil ich nur so glaubte, geliebt zu werden.

Wir lagen auf dem Boden unseres Hotelzimmers, und Wort um Wort schraubte ich mich tiefer in die Wahrheiten meiner Verletzungen. Erste Tränen kullerten aus meinen Augenwinkeln. Es war ganz klar: ich war meiner Wut entkommen. Darunter waberte mein echtes Gefühl hoch. Meine Hilflosigkeit. Meine Verlorenheit. Ich sah es fast so deutlich wie einen Film. Nur dass hier nicht Clint Eastwood ein Hindernis mit Kopfschuss aus dem Weg ballerte. So einfach und schmerzfrei war das nicht, was mir da geschah. Ich war aufgefordert, meine Kopfschüsse vom Leben zu empfangen. „Bitte nicht bewegen. Die ersten Kugeln, kommen jetzt!“ Aber wie hielt man still, wenn man dem unausweichlichen Ende einer alten, langjährigen Gewohnheit entgegen sah? „Das hab ich nie gelernt“, gestand ich meiner Mitträumenden, die bewegt neben mir lag, meine Hand hielt, und beobachtete, wie ich durch meine Abgründe fiel. Es war so viel leichter was kaputt zu machen. Wütend zu sein. Wem Schuld zuzuschieben. Aber einfach nur da zu liegen, und zu akzeptieren, dass ich keine Handhabe hatte? Dass ich nie gelernt hatte, meine Hilflosigkeit zu zeigen, und mich meinen Schmerzen zu stellen…

Mein Körper fing zu vibrieren an, es wurden mehr und mehr Tränen, der Schmerz wuchs, und noch immer weigerte ich mich, irgendwelche Wut irgendwohin zu richten. Ich lag nur mit dem Rücken auf dem harten Boden und beobachtete, wie in mir ein Krieg tobte. Wie ein Feigling flüchten und wegrennen wollte, und wie ich mich weigerte, dieses mal mit zu spielen. Ich blieb liegen wie ich war, und wurde von meinen inneren Dämonen attackiert. Wieder sah ich deutlich, dass meine Liebe nur von mir verlangte zu lieben. Keine Tricks, keine Kunststückchen, und wie ich da so lag, schlich sich von hinten ein cleverer Lügner an, der nur darauf wartete, irgendwas zwischen mich und mein Herz zu schieben. Da wurde deutlich, wo ich mich befand und um was es ging. Ich war in meinem Schmerz, und meine Mitträumende bezeugte meinen inneren Kampf. Jetzt oder nie. Es galt stark zu bleiben, es galt im Gefühl zu bleiben, und nicht zuzulassen, dass eine clevere Technik diesen außerordentlichen Moment besudelte. Der Schmerz bäumte sich auf, noch mehr Tränen, noch mehr Zittern und Beben, und inmitten dieses Sturms eine Ahnung von Klarheit. Ich fühlte mich an heftige Erschütterungen meiner LSD Reisen erinnert. Alles was ich nun tun musste, war liegen bleiben, den Schmerz aushalten, und atmen. Schmerz, der keinen Ursprung, keine Wunde und kein Epizentrum hatte. Er war einfach überall, und keine Auflehnung hätte bewirken könne, dass der Schmerz auch nur ein Grad kühler geworden wäre. Ich wurde auf höchster Flamme geröstet, während ich schluchzte, wimmerte, die Zähne zusammenbiss, sich Muskeln willkürlich anspannten und entspannten – und zwischendrin Liebesbekundungen, Entschuldigungen, und Einsichten von mir zu meiner Zeugin sprangen.

Keine Ahnung wie lang ich da gelegen hatte – aber ich hatte nicht zugelassen, dass mich die Hilflosigkeit besiegt und die Wut aus mir heraus gebrochen wäre. Irgendwann stellte sich heraus, dass alle Ehrlichkeit der Welt nicht bewirken konnte, dass dieser Augenblick eine endgültige Änderung brächte. Es gab keinen Schnitt, wie im Film, mit dem die nächste Szene eingeläutet wurde. Das Leben ging nahtlos weiter. Ich fragte mich, wann ich diesen Schmerzenstrip eigentlich beenden dürfte. „Wenn du willst“, sagte eine Stimme in mir. „Jetzt zum Beispiel“, dachte ich. In dem Augenblick kribbelte mein linkes Ohr. Ich wusste von meiner Mitträumenden, dass es für sie eine bestimmte Bedeutung hatte, wenn ihr linkes Ohr kribbelte. Ich fragte sie, was es war. „Dass etwas gut ist“, sagte sie. Ich lachte, und war erleichtert. Ich durfte die Tränen trocknen, und mich langsam beruhigen.

Da schob meine Mitträumende noch ein paar Bilder nach, die sie in sich fühlte, und erstaunlicherweise, hörte ich die Worte nicht das erste Mal. Ich war mir sicher, dass sie mir diese Bilder schon mal beschrieben hatte, was sie jedoch verneinte. In diesen Bildern fand ich in ihr Pakete voller glänzender Geschenke, und sie überreichte mir zum Abschluss einen kleinen, grünen Samen. Auch den kannte ich. Es war ihre Inspiration und Liebe. Ich war mir sicher, dass sie mir das schon erzählt hatte. Oder war ihr Bild einfach schon immer in mir gewesen?

Wir berührten einander sanft, küssten uns, und inmitten all der dramatischen Ereignisse lachte der innere Beobachter in mir. Wie brillant hatte das Leben diesen Moment eingefädelt. Was als banales Drama und Missgeschick begonnen hatte, hatte sich in eine Geschenk transformiert. Eigentlich hatten wir nur Bangkok verlassen wollen, was grandios nach hinten losgegangen war – um im Chemtrail des Scheiterns eine großzügige Lektion anzubieten. Ich konnte mich nicht erinnern, dass ich jemals ohne Droge so tief in meinen Abgrund gereist war. Auch noch unter Beobachtung. Ich fühlte mich erleichtert und erheitert. Ich wusste, dass selbst wenn ich einen Flug zahlen müsste, den ich nie antreten würde – jeder Cent den ich dafür ausgegeben hatte, war großartig investiert gewesen. Es gab Leute, die zahlten für ein Retreat weit mehr, und gelangten weit weniger tief…



59. Flusitg

Eine seltsame, durchgehend wiederkehrende Erfahrung meiner bisherigen Reise, ist ein kleines, unscheinbares Phänomen. Das was schwierig und als unüberwindbares Hindernis erscheint, verwandelt sich auf magische Weise in totale Einfachheit. So, dass man sich danach fragt, worüber man sich überhaupt Gedanken gemacht hatte. Wogegen das, was einfach und überhaupt kein Problem zu sein scheint, sich urplötzlich in eine kräftezehrende Angelegenheit verwandeln kann. Sogar die harmlose Idee, ein Restaurant in der Nähe unseres Hotels zu finden.

Eigentlich hatten wir nur „mal eben was essen wollen“. Sollte in Bangkok nun wirklich kein Problem sein. Doch es waren Feiertage und alle Futterbuden in nähe unseres Hotels waren geschlossen. So begann eine lange Expedition, mit Taxis und Motorradtaxis, ehe wir einen Platz zu Futtern fanden – wo „Vegetarisch“ hieß: „mit Fisch“. Wir ließen uns nach den aufreibenden, emotionalen Achterbahnfahrten der letzten Tage das Essen etwas kosten. Die Rückfahrt war etwas angenehmer, aber insgesamt eine anstrengende Nummer. Bezeichnend für unsere ganze Reise bisher. Denn was als kurze Nummer gedacht gewesen war, hatte uns den ganzen Abend gekostet. So war das oft.

Konnte man daraus eine Regel ableiten? Leider nicht. Es war nicht so einfach, dass man sich nur vorstellen brauchte, es würde schwierig, um es dann trickreich in was Entspanntes umzuwandeln. Irgendwie schien das Leben zu spüren, wie man schwingt, und einem genau das zu liefern, was optimale Verwirrung, Lektion, oder Geschenk würde. Da darf schon mal gefragt werden, was der tiefere Sinn dessen war, und wer dieses schräge Programm eigentlich geschrieben hatte.

Der Aufbruch nach Europa rückte näher – wenngleich das Ticket noch nicht gebucht war, und kaum hatte ich nach erholsamen Schlaf meine Mitträumende ein Stockwerk tiefer in ihrer Eremitage aufgesucht, wurde ich wieder mit diesem Phänomen bedacht. Eben war noch alles in Ordnung gewesen, doch nun machte sie ein Gesicht, als wäre ich ein Fremder. Ein unerwünschter Fremder noch dazu. Wir hatten den Flug klarmachen wollen, aber das war eindeutig wieder verschoben. Tick, tack, die Uhr, kling, kling, Geld das aus unserem Konto rieselte… Ich ging in mein Zimmer zurück, und eine Frage rotierte in mir:

Wie vertraut man, wenn es weit und breit nichts gibt, woran man sein Vertrauen hängen kann?

Meine Mitträumende hätte es mir doch ein wenig leichter machen können, oder nicht? Oder war eben genau das die Aufgabe? Zu vertrauen, während alle Impulse rieten: „Sieh zu dass du viel Abstand zwischen sie und dich bringst!“ War das schon wieder ein kosmischer Test? Ob ich klein bei gäbe, nur weil sie einen zweifelnden Moment hatte? Oder ob ich mich von meiner Ungeduld erschüttern ließe, weil ich nicht schnell genug aus Bangkok raus käme? Wie schnell war „schnell“? Ja, ich hatte es eilig – aber galt es nicht im Namen der Liebe zu denen zu stehen, die man liebt? Worum ging es? Wie ich die letzten Wochen eindeutig gemerkt hatte, nicht um die heile, stille Natur, in der wir Entspannung und Erholung fänden. Auch keine aufregenden Begegnungen mit unterhaltsamen Leuten, und auch kein Entertainment auf Scootern. Ich hätte nicht selten Spaß daran gehabt, mich mit Drogen zu zu knallen, um einfach etwas entspannte Abwechslung in die reise zu bringen, aber nicht mal das war in greifbarer Nähe – und zudem sagte mir mein Herz was völlig anderes, als mein bequemes Ego. Nix Drogen! Nix bequem!

Ich hatte das schräge Gefühl, ich hing hier in Bangkok, weil meine Mitträumende und ich unsere ewigen Ausreden und Ausflüchte besiegen sollten. Sie konnte mir dabei nicht helfen, und ich ihr nicht. Aber wir konnten einander Zeugen sein. Es dauerte so lange wie es dauerte. Es kostete was es wollte. Es war nicht ganz einfach zu greifen, worum sich alles drehe, doch auf sonderbare Weise schwappte immer wieder die Ahnung hoch, dass alles einen tieferen Sinn in sich barg – und wir ihn schon kapieren würden. Vorausgesetzt wir gäben nicht vorzeitig auf. Auch hier schenkte uns das Leben nichts, woran wir unser Vertrauen aufhängen hätten können. Weitermachen, einfach nur weitermachen. Die Pointe käme sicherlich. Irgendwann…



60. Bangkok Therapie

Würde ich den Erfolg unserer bisherigen Reise daran messen, wie viel Natur, und wie viel Ruhe wir gefunden hatten, wären wir eindeutig ziemlich großartig am Ziel vorbei geschossen. Stattdessen hatten wir sehr viel mehr Geld für Unterkünfte ausgegeben, als wir jemals vorgehabt hatten. Wie zuletzt in der Don Muang Mansion, die unweit vom Don Muang Flughafen unser letzter Aufenthaltsort vor Europa sein sollte. Das „Suicide Hotel“, das wir eigentlich nur einen Tag hatten bewohnen wollen.

Inzwischen ist eine Woche verstrichen. In gnadenlos überteuerten, runtergewohnten Zimmern, deren einziger Luxus weiter Ausblick über einen unbekannten Teil Bangkoks und eine Badewanne waren. Der berechnende Bürokrat in mir zählte die Baht, die nur so dahinflossen, und keine Natur, und keine Stille. Vielmehr das totale Gegenteil. Ein ausdauernder Wachhund im Nachbarhaus, sieben Stockwerke unter mir, der nur aufhörte dieser Stadt eins zu Husten, wenn er Siesta hielt – was leider erstaunlich selten am Tag war. Aufmerksame LeserInnen werden nun fragen: „Ja, warum macht ihr denn das? Warum tut ihr euch das an? Seid ihr denn Meschugge?“

Die Antwort lautet: wir machen es eben weil wir total Meschugge sind. Aber nicht naiv, leichtgläubig und oberflächlich genug, um zu glauben, dass ein netter Strand und gutes Essen an einer Beachbar etwas daran änderten, unsere Leben unseren Möglichkeiten entsprechend zu leben.

Nachdem ich meine intime Begegnung mit meiner Selbstlüge hatte, ließ es sich auch meine Mitträumende nicht nehmen, tiefer in ihre Fremdprägungen und Traumata zu tauchen. Es war irgendwie kaum verwunderlich, dass ihre Ablehnungen und Distanzfilme mir gegenüber, sich in Wahrheit ausnahmslos gegen sie selbst richteten. Das hätte mich eigentlich beruhigen können, und heiter beschwingt mein Ego wie einen Phönix aus der Asche aufsteigen lassen müssen. Wäre da nicht ein wahrhaft zerstörerisches Element in ihren Programmen gewesen. Ein Element, das offenbar nur dann zufrieden zu stellen war, wenn alle Möglichkeiten zertreten und zermalmt wurden. Während dabei die Uhr tickte, und das Suicide Hotel Baht um Baht von unseren Konten saugte.

Im letzten Augenblick, kurz bevor die Tickets gebucht werden konnten, zauberte sie ein weiteres Kontrolldrama aus dem Hut, und für einen kurzen Augenblick sah es wirklich so aus, als wäre dies das Ende unserer gemeinsamen Reise. Unspektakulär und absolut im Sinne ihrer destruktiven Selbstzerstörungsmechanismen. Aber auch das war nur ein Teil unserer Bangkok Therapie. Ich sollte wieder einmal eine Gelegenheit haben, meine Wut in Tränen zu verwandeln, und sie ihre Kontrolle in Vertrauen. Es dauerte bis in den frühen Morgen, ehe wir erschöpft beschlossen, wider aller Vernunft, im Namen unserer Herzen, gemeinsam weiter zu reisen. Was gar nicht so einfach ist, wie man es vielleicht glauben sollte, denn eine Kreditkarte machte gar nichts einfacher, wenn da ein Limit von 500 Euro eingestellt war. Heute weiß ich, dass ich mir mit der Kreditkarte mehr Schwierigkeiten als Bequemlichkeit geschaffen hatte. Wir waren also auf die Hilfe lieber Freunde im fernen Europa angewiesen, die für uns den Flug klar machten. Ohne sie hätten wir nicht nur unglaubliche Summen an Geldtransfer-Gebühren löhnen müssen, sondern auch jede Menge organisatorischen Stress gehabt. Wieder einmal hatte ich das Gefühl, dass die Versprechungen der Gesellschaft keinerlei Wert hatten – aber es nichts großartigeres gab, als Herzensfreunde, auf die man in Schwierigkeiten zählen konnte. War auch dies ein Teil der Bangkok Therapie?

Der Bürokrat in mir rechnete, addierte, subtrahierte, und sah sich die Lebensgleichung von allen Seiten an, und kam auf ein überraschendes Ergebnis: was meine Mitträumende und ich in der Bangkok Therapie an Einsichten und Antworten erhielten, war bereits mehr wert, als viele Seminare, Coachings, und Retreats hätten bieten können. Tatsächlich hatten wir in unserem Lebensseminar schon ohne Ende gespart. Aber vor allem – all das ohne Netz und doppelten Boden.

Verdammt, wir waren Helden! Meine Mitträumende hatte einen Orden oder einen Pokal verdient, und vor meinem inneren Auge baute ich mir ein bronzenes Denkmal. So oft hatten wir Ängste besiegt, Kleinlichkeiten überwunden, Tränen und Nähe fließen lassen. Nein, mit „normaler“ Beziehung hatte das nichts zu tun. Es war Wahrheitsfindung auf höchstem Level. Wir waren uns Gurus, Coaches, Seminarleiter, Lehrer und Schüler zur gleichen Zeit. In relativ feindlichem Umfeld. Keine Simulation. Kein gesicherter Rahmen, außer der Sicherheit, dass alles was geschehen kann, geschehen wird. Und nicht wegrennen. Ein Lächeln schob sich in mein zerfurchtes Gesicht. Wir machten alles ziemlich gut. Denn wir machten es auf unsere Art. Niemand, der uns den Weg vorgezeichnet hatte.

Wer hätte das gedacht, dass meine Nachtspaziergänge am Tegeler Fließ Übung für eine Durchwanderung einer ganz anderen Nacht gewesen sind. Das Leben steckt zum Glück voller Überraschungen.


61. HSP? Nix da!

Der letzte Tag in Bangkok und Thailand gestaltete sich erstaunlich entspannt. Es war eine gewisse Heiterkeit in mir, dass ich Asien und den uneingelösten Versprechungen den Rücken kehren würde. Ich verbrachte die Zeit damit noch etwas Warmes zum Anziehen zu finden, was mir nicht gelang, und das Flugticket auszudrucken, was erst beim zweiten Anlauf klappte. Dann gab es noch ne letzte Dusche im Suicide Hotel, ne Extrarunde Kuscheln mit meiner Mitträumenden, und ganz einfach und unspektakulär war der Check Out erreicht. Als Bonus ließ die negative von den zwei Ladys Empfang noch mal raushängen, wie wenig Service es im Don Muang Mansion gab – und wollte kein Taxi für uns rufen. Schonmal von einem Hotel gehört, das sich weigert ein Taxi zu rufen? Tja es gibt nichts, was in Bangkok nicht möglich wäre. Zum Glück hatte ein Taxifahrer gerade einen bedauernswerten anderen Gast abgeliefert, und er erklärte sich bereit, und zum weiter entfernten Flughafen mit dem unaussprechlichen Namen zu fahren.

Die Fahrt war nochmal eine allerletzte Begegnung mit all den unbeantworteten Fragen, die einem in Thailand tausendfach um die Ohren geschlagen wurden. Was veranlasste Menschen in diesem Moloch namens Bangkok zu leben? Wie konnte jemand dort leben, ohne Krank zu werden? War Leben in dieser zubetonierten Smogkammer überhaupt Leben? Wie konnte es sein, dass niemand diesen Wahnsinn stoppte, und dass immer weiter gebaut wird, ohne für ökologischen Ausgleich zu sorgen? Wer sind die, die das kommentar- und kritiklos hinnehmen? Wie war diese Gefühllosigkeit mit dem buddhistischen Prinzip des „Mitgefühls“ zu vereinen? Wo war da Mitgefühl für sich selbst? Und wo war da auch nur ein Funken Mitgefühl für die Erde? War Bangkok der ultimative Beweis dafür, dass die Tempel und all der goldene Schnickschnack nur kitschige Touristenattraktionen sind? Ist das ein Experiment zur Züchtung einer gift- resistenten Rasse? Oder wird das ein Feld um erste Zerstörungsviren zu installieren?

Unendliche Blechlawinen und monströse, graue Betonmonster huschten an uns vorbei. Die Fahrt nahm und nahm kein Ende. Wie schon meine erste Fahrt vom Flughafen zur Kaosan Road, nahm der Wahnsinn kein Ende. Ohne meine Mitreisende neben mir, hätte mich der düstere, traurige Anblick total fertig gemacht. Ein sensibler Mensch kann soviel Hässlichkeit und Verachtung schwer schlucken. Aber nahm darauf irgendwer Rücksicht? Es sah nicht so aus. Was uns hier zum Abschied um Augen, Ohren und Nase geschlagen wurde, waren Auswüchse krankhaften Geltungswahns. Ego in der fast schlimmsten, denkbaren Form. Nein, eigentlich war es undenkbar, für mich. Und vermutlich fand es genau deshalb statt. Damit ich endlich klarer sehen durfte, dass Gefühle auf dieser Welt gering geschätzt werden. Hauptsache der Rubel rollt, und alle sind schön beschäftigt.

So hielt ich die Hand meiner Mitträumenden, in der Gewissheit, inmitten dieser feindlichen Unwelt nicht allein zu sein – und mit ihr dem Horror zu entfliehen.

Der Taxifahrer schätzte nach einer Stunde Fahrt, wie lange es noch dauern würde. Eineinhalb Stunden. Seine Schätzung sollte auf die Minute eintreffen. Er freute sich, wir lachten, und dann standen wir am Flughafen. Alles funktionierte reibungslos. Wir hatten uns inzwischen aufeinander eingespielt. Ich kannte ihre Geschwindigkeit, sie meine, und gleich darauf saßen wir im Flieger nach Barhain.

Wieder machte ich in einem moslemischen Land Zwischenstop. Wieder dachte ich, dass ich mehr mit dieser Kultur auch nicht zu tun haben will. Sogar ein Zwischenstop war etwas mehr, als ich wollte. So sehr sie sich bemühten zivilisiert zu sein, und ihren Reichtum versuchten in Schönheit zu verwandeln – was sie wirklich gut hinbekommen -, so sehr spürte ich die Ketten an den Menschen dieser Kultur. Die Männerrolle gefangen in religiösen Dogmen aus barbarischen Zeiten, die Frauenrolle gefangen in den Machtspielen verletzter Jungs. Freude? Heiterkeit? Humor? Fehlanzeige. Ich saß stundenlang auf dem Flughafen und dachte, dass Macht keine Macht ist, wenn sie nicht alle gleichermaßen bemächtigt. Ich saß am Flughafen und spürte den Fehler im System. Solange sich ein Wesen übe rein anderes erhob, war der Frieden nicht erreicht.

Ich sah den Fehler im System der Egos allgemein. Obwohl wir im Transitbereich waren, und obwohl klar war, dass viele Reisende über 8 Stunden dort warten mussten, gab es keine menschengerechten Liegeflächen und Wohlfühlbereiche. Es gab keine freien Duschen, keine dunklen Entspannungsräume, in denen man dem gleißenden Halogenlicht entfliehen konnte. Es gab keine gratis Decken und Kissen. Es gab nichts, was die Wartefolter auf den Anschlussflug angenehmer oder leichter gemacht hätte. Es gab nur maßlos überteuerte Shopping- und Fressbuden, die klebrig, übersüßten Schrott anboten. Ich hatte keine Lust gehabt, Eintrittgebühren für Länder zu bezahlen. Und nun spürte ich schon wieder, dass ich für mein Geld eigentlich nichts bekam. Einen Transport von A nach B. Sonst nichts. Nichts, was einem sensiblen,fühlenden Menschen das Leben lebenswerter machte. Im Gegenteil. Mir schien es so, als wäre alles darauf ausgerichtet, einem mit Hässlichkeit und Härte unter die Nase zu reiben, dass das Leben hart sei, und eine Qual. Das ist die Welt in der ich lebe. Wo Sklaven um ihr Geld gebracht werden – aber nicht bekommen, was sie wirklich brauchen, sondern mit Ersatzstoffen abgespeist werden.

Wir kamen um Mitternacht am Flughafen an, und quälten uns acht Stunden in den nächsten Tag. In grellem Neonlicht, im Gelärme anderer Reisender. Das war kein Abenteuer. Das war nichts. Es war einfach die gestörte Egowelt, die mit Knüppeln auf uns einschlug, und Stunde um Stunde sagte: „Hochsensibel? Nix da! Werdet hart! Macht euch hart! Kämpft. Passt euch dem System an! Fügt euch ein! Werdet wie alle!“ Selten habe ich deutlicher gemerkt, wie wenig ich mit meinen Fähigkeiten und Qualitäten erwünscht und gebraucht bin, als im Transitbereich dieses Flughafens. Ich lebe noch immer in einer Gesellschaft der Egos, die besessen ist von Idealen der Größe, der Macht, der Gewalt, und des Kämpfens. Ausbeutung, Zerstörung, und Eigennutz sind die erklärten Ziele – und fast alle spielen artig mit, weil der andere Weg einfach weh tut.

Erst im Flieger nach Zypern fühlte es sich an, als würde langsam etwas anderes in unsere Leben fließen. Der Flieger war leer, es gab genug Platz. Ein gutes Zeichen. Wir saßen in einem Flieger, der nicht ausgebucht war! Nicht alle Welt wollte nach Zypern. Das war ein gutes Omen.



62. Reales Leben

Wir waren aufgebrochen, um Ruhe und Natur zu finden, aber trafen in Asien auf Oberflächlichkeit, Zerstörung und Gier. Allgemein anerkannte und willkommene Zustände in einer egogestörten Gesellschaft. Wir waren nach Asien aufgebrochen, weil wir Spiritualität und Menschlichkeit antreffen wollten – und siehe da: Spiritualität wird inzwischen in der modernen, westlichen Kultur selbstverständlicher im Leben integriert, als in Thailand oder Laos.

Was ich in Thailand und Laos gesehen habe, waren entweder Aberglauben – also bequeme Götzenanbetung -, oder ritualisierte Bürokratie, die mit Lebensfreude und Bewusstheit null zu tun hatte. Es war faszinierend live zu sehen, wie romantisch der Buddhismus im Westen verklärt wird, und was Westler daraus geschaffen haben. Wenn ich mich heute umsehe, in Europa und auf einigen anderen kultivierten Inseln, dann wurde dort eine faszinierende Mischung aus buddhistischen Idealen, Psychologie, Coaching (Motivation, NLP), Affirmationen, und wirklich hedonistischer Reichtumsideen praktiziert.

In der Ferne ist mir bewusst geworden, dass die moderne Zivilisation, deren Vorreiter in europäischen Metropolen wie Berlin, London, Paris, Barcelona oder Amsterdam zu finden sind, Schmelztiegel der Kreativität sind. Da werden alte Traditionen aus Asien abgestaubt und in neue, erweiterte Versionen verwandelt. Die besten Aspekte alter Kulturen vermengt und ein neues, hilfreiches Lebenskonzept daraus gestrickt. Siehe die europäische Yoga-Bewegung, die wenig mit dem zu tun hat, was einst in Indien erfunden wurde. Die westliche Version ist nicht zwangsläufig weniger illusionär, doch immerhin weniger veraltet und dogmatisch.

Der Wille der westlichen modernen, angehenden Menschen, neue Naturkulte zu schaffen, hat weit mehr mit Religion zu tun, als alles, was mir im Osten begegnet ist. Ich spüre im Westen den Willen, über bloße Tradition hinaus zu gehen. Ich spüre, dass im Westen viele, viele Fehler bereits begangen wurden, oft vor Jahrhunderten, und diese Irrtümer von arabischen und asiatischen Ländern erst noch durchlitten werden müssen. Die arabischen und indischen Frauen haben noch einen schmerzhaften, schwierigen Weg vor sich, genau wie die arabischen Männer noch viele ihrer Kinder opfern werden, ehe sie verstehen werden, dass Gewalt nur mehr Gewalt erzeugt. Die Asiaten werden vor lauter Gleichgültigkeit und Ignoranz in ihrem eigenen Dreck ersticken, und erst dann anfangen nachzudenken, wenn sie mit Tourismus keinen Cent mehr verdienen können. Einfach, weil niemand mehr Lust hat auf die Müllhalde Asien. Ja, das klingt düster, doch es braucht mehr, als einfach nur Geld einzustreichen... dass sie sich auch um Abfälle und Wiedergutmachung bei der Natur kümmern müssen, ist dort nicht angekommen.

In Europa regen sich Leute über Windräder auf – ohne zu sehen, dass das unvorstellbar zivilisierte Ansätze sind, mit den Herausforderungen der Zukunft umzugehen. In Asien habe ich nicht ein einziges Windrad gesehen. In Asien kommt der Strom noch aus der Steckdose, und so lang die Aircondition läuft, ist die Welt in Ordnung.

Wie mir scheint, ist jede Kultur auf einem anderen Wissens- und Erkenntnisstand. Es gibt nicht nur erste, zweite und dritte Welt. Es gibt viele, viele Welten, und noch lang nicht alle sind im hier und jetzt angekommen. Information spielt dabei eine wichtige Rolle, und es ist ein herausragendes Zeichen von Größe, dass in Europa relativ freie Meinungsäußerung und freier Informationsfluss gewährleistet sind. Ja, es wird auch im Westen gelogen. Doch es gibt wache Geister, die nachdenken, nachfragen, und unbequeme Dinge aufdecken. In Asien herrscht dagegen eine Entertainment Kultur. Hauptsache Bunt, Hauptsache laut. Solang genug Fleisch da ist…

Fazit meiner zwei Monate Asien ist, dass ich dorthin nicht zurückkehren werde, und dass ich viele, viele hübsche Illusionen aus Filmen und Büchern vor Ort loslassen konnte. Die verklärte Brille ist ab, und wenn ich früher schon ahnte, dass die goldenen Buddhas verdammt viel Ähnlichkeit mit deutschen Gartenzwergen hatten, kann ich heute nur noch herzhaft über den schmalzigen Religions-Eso-Lack lachen. Was bin ich froh, dass in Europa die Prinzipien der Aufklärung ein relativ geistreiches Umfeld geschaffen haben. Und das schreibe ich, obwohl die Mehrzahl der Leute im Westen bei „Kultur“ nur an TV und Fußball denken…



63. Zypern Landung

Nach einer weiteren Langstreckenfolter, kamen wir erschöpft aber glücklich in Europa an. Oh, Europa! Wie süß dieser Klang plötzlich schien. Der Flughafen war klein, fast menschenleer, kein Stress, entspannte Zollbeamte, ja, eigentlich war der Flughafen schon so liebenswert, dass ich es kaum glauben konnte.

Prompt war der Bus gefunden, der uns aus der Stadt Richtung Westen bringen sollte, und egal wen wir trafen: überall schlug uns Freundlichkeit entgegen. Allerdings von einer anderen Art, als die sonderbare Freundlichkeit in Asien. Es war, also ob die Griechen, die wir trafen, wirklich mit ihrer Freundlichkeit verbunden waren, wogegen die Asiaten es aus reiner, sinnentleerter Traditions-Höflichkeit taten. Die Fahrt über den Highway war rasant, und schneller als gedacht, waren wir in unserem kleinen Hotel – das natürlich wieder viel teurer war, als wir es uns wünschten. Das war der Nachteil, solange die eigene Behausung nicht gefunden war. Wir mussten Zeit überbrücken, an Orten, wo wir eigentlich nicht sein wollten.

Trotz Wolken und Sturm, fühlte sich alles wunderbar an. Es stank nirgendwo, das Hotel war ohne Schimmel – der in Asien zum Standard gehörte – und die ersten kleinen Einkäufe und Essenserlebnisse zeigten nur einmal mehr, wie sehr ich doch auf europäische Kultur eingeschossen war. Ja, das Essen entsprach so viel mehr meinen Gewohnheiten. Verrückt. Ich hätte das niemals geglaubt, hätte mir das jemand vor meiner Asienerfahrung gesagt…

Vom ersten Augenblick hatte mir Zypern die Tür aufgemacht. Unser Hotel, Le Village, wurde von einem Griechen geführt, der mich gleich am ersten morgen in ein Gespräch verwickelte, das sich so vollkommen anderes anfühlte, als alles, was ich in Asien erlebt hatte. Ich hatte es mit einem Menschen zu tun. Freiheitsliebend, wie es schien. Egal wo ich hinging – überall traf ich auf kultivierte, offene Leute, die mir mit Offenheit begegneten. Bis hin zu einem Mann hinter einem Busfahrkartenschalter, der garantiert keinen heiteren, entspannten Job hatte.

Nach einem kleinen Einkauf, kam ich an einem Laden vorbei, wo ein Mann Mosaike verkaufte. Hinterm Schaufenster hing an der Wand das Mosaik eines Baumes und seiner Wurzeln. Ein wunderschönes, kraftvolles Bild - und ich ging ohne groß nachzudenken in den Laden, um dem Künstler meine Wertschätzung für diese Arbeit zu geben. Da wurde mir klar, dass ich an einem Ort war, wie ich ihn mir wünschte. In Asien hatte mich in zwei Monaten niemand dazu animieren können, irgendwo etwas zu finden, was außerhalb der traditionellen, religiösen Kunst lag. Noch so ein Punkt. Das Fehlen von Individualität im künstlerischen Ausdruck in Thailand und Laos. Alles schien sich dort nur darauf beschränkt zu haben, Buddhastatuen zu machen. Im ganzen Land. Wie viel mehr erzählte da dies Mosaik vom Baum und seinen Wurzeln. Ein Abbild des Lebens.

Ich aß mit meiner Mitträumenden. Weiterhin blieb es schwierig Vertrauen zu schenken. Manchmal schien es, als wäre zwischen uns ein unüberwindbarer Graben, obwohl ich nie einen Menschen getroffen hatte, mit tieferen Traumqualitäten, als sie. Eine Träumerin, auf dieser Welt verloren, wie ich selbst. Wie konnte es da eigentlich sein, dass wir dennoch Missverständnisse hatten? Und uns zu unseren Verletzungen weiter weh taten? Wir wollten zueinander stehen, zusammen gehen, und immer wieder stolperten wird über die Schatten unserer alten Verletzungen und Demütigungen. Manchmal fühlt eich mich mit ihr, wie in dem Film „Der Himmel über der Wüste“, wo ein Paar verloren durch arabische Länder reiste, bis der Mann sich mit einer Krankheit aus dem Leben und den Verstrickungen stahl...

Am zweiten Tag in Zypern, wurden wir mit Sonne geweckt – und einer Energie, die mich an all meine besten Zeiten in Griechenland vor über 20 Jahren erinnerte. Andreas, der Besitzer des Hotels, empfahl uns, ein Auto zu mieten. Obwohl wir längst kapiert hatten, dass die scheinbare Einfachheit im Internet tückisch war, versuchte es meine Mitreisende via Internet – und scheiterte prompt. Genau wie es mir mit dem Flugticket via Internet ergangen war. Sie konnte den Fehler jedoch rückgängig machen, und zum x-ten mal mussten wir einsehen, dass die vermeintliche Bequemlichkeit im Internet Risiken barg – und überhaupt nicht hielt, was sie versprach.

Am Ende des Tages waren wir doch alle angehende Menschen, und die Qualität unserer Menschlichkeit ließ sich einfach daran ermessen, wie viele Begegnungen der offenen, heiteren, freundlichen, liebevollen, und hilfreichen Art man am Tag gehabt hat. Es war beschlossene Sache. Wir wollten uns nicht weiter auf das Internet verlassen und ständig verlassen sein – wir wollten wieder den realen Kontakt mit realen Menschen. Und auf Zypern schien das in einem Ausmaß möglich, dass es pure Freude war. Also wurde das Mietauto vor Ort von einem realen Menschen gebucht – der uns einen kleinen Crashkurs in Sachen zypriotischer Geschichte gab. Gratis. Als Zusatzbonus. Wir waren erstaunt, wie gut es sich anfühlte, mit einem Menschen zu tun zu haben – statt mit einer cleveren Maschine. Da wurden wieder die Qualitäten deutlich, um die es im Leben wirklich ging.

Gleich darauf durfte ich meine Übung in Vertrauen absolvieren, als ich das erste Mal neben meiner Mitträumenden im Auto saß. Im Linksverkehr, Lenker auf der rechten Seite, in einem Auto, das sie nicht kannte. Sie hatte diese Übung auf dem Moped hinter mir in Thailand absolviert. Nun war ich dran – und freute mich, wie lässig sie fuhr. Warum gelang es mir nicht, außerhalb des Autos die Übung ähnlich leicht zu meistern? Ich überließ ihr das Steuer, und erfreute mich an der Aussicht. So einfach war es eigentlich. Auf allen Ebenen. Wo war das Problem? Tell me why, tell me why, tell me why, we can't live together….



64. Magischer Tag

Ich sitze auf einem Berg, auf Zypern, und links von mir geht die Sonne über anderen Bergen auf. In der Ferne kann ich das graublaue Meer sehen. Ich bin relativ dick eingepackt, denn es ist frisch. Aber nicht so kalt, wie ich es aus Januartagen in Berlin gewohnt bin. Der Ausblick ist weit und frei, die Luft frisch und klar. Es ist nicht mal sieben Uhr am Morgen – und ich bin auf eine traurige Art glücklich. Traurig, weil mir Thailand und Laos noch in den Knochen steckt, und ich hier auf Zypern vom ersten Augenblick etwas erlebt habe, was ich einfach nur als „Menschlichkeit“ betiteln kann. In nur zwei Tagen hatten wir mehr zwischenmenschliche, herzliche Begegnungen geschenkt bekommen, als in zwei Monaten Asien. Erschütternd, diesen direkten Vergleich zu haben, obwohl ich nicht vergleichen will. In Asien war mir alles wie eine Lüge vorgekommen – und auf Zypern treffe ich Leute, die sprechen können, es gerne tun, und bei denen Seele und Herz dahinter ist.

Bisher haben wir überall offene Türen vorgefunden. Alles was es brauchte waren ein paar Fragen, und schon schlug uns eine Welle aus Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit entgegen. Das gepaart mit Natur-Eindrücken, ließ den Horror aus Asien nur noch verstärkt erscheinen.

Unser erster Aufenthalt am Meer hatte sich wie echtes Meer angefühlt. Nicht wie ein dekadentes Disney World für zahlende Gäste. Das Meer war öffentlich. Keine Musikanlagen, die das Rauschen der Wellen übertönte. Kein Gestank von gebratenem Fleisch. Hinter uns ein schmaler Spazierweg, auf dem Zyprioten und Gäste am Meer entlang schlenderten. Wenn sie anhielten, machten sie keine Selfies mit Fartphones, sondern warfen – wie es jeder lebende Mensch tun würde – Steine in die Wellen. Lachend. Die Sonne wärmte, der Wind kühlte, und das Meer flüsterte uns zu „Willkommen! Willkommen, hallo, schön dass ihr da seid!“ Ja, es war schön dass wir da waren, denn es war anders, als das, was wir zwei Monate durchgestanden hatten, und zuletzt fiel uns noch auf, dass der Strand nicht mit Müll bedeckt war. Weit und breit kein Müll! Ich konnte es kaum glauben.

Wir waren mit dem Auto unterwegs, meine Mitträumende lenkte, und intuitiv landeten wir an den richtigen Plätzen. Alles fügte sich. Mit völliger Einfachheit. Den Abend verbrachten wir auf einem Berg, an einem wärmenden Kaminfeuer, mit leckerem Gebirgstee, und einem Zyprioten, der uns – wie alle zuvor – mit Zuvorkommenheit und Freundlichkeit überschüttete. Nebenbei bot er uns noch ein Haus an…

In der Nacht brach Stille über mich herein. Seit Ibiza vor fast 10 Jahren, hatte ich keine so wundervoll stille Nacht gehabt. Darüber einen Sternenhimmel, wie ihn die meisten Leute nur noch aus dem Kino kennen. Dieser ganze Tag war pure Magie gewesen. Das, wofür ich aufgebrochen war. Am Abend gab es – trotz der unvorstellbaren Schönheit, die uns umgab – ein Missverständnis zwischen meiner Mitträumenden und mir. Wieder einmal schaffte ich es nicht, mich gegen die Programme meiner Freundin abzugrenzen, und so wurde das der Wermutstropfen der Nacht… Wie Millionen Mal zu vor, stellte sich mir die Frage, ob es mir gegeben ist, mit einem anderen Menschen zusammen zu leben. Die Antwort stand am Morgen noch offen.

Im Tal unter mir, höre ich jemand Beten. Es ist Sonntag. Der monotone Singsang aus der Ferne wird unterbrochen von Schüssen. Scheint hier viele Jäger zu geben. Hähne krähen in der Ferne. Hunde bellen in der Ferne. Autos rauschen in der Ferne – doch alles ist weit, weit Weg und fügt sich in das Licht und die tiefe Ruhe ein. Ich hatte die Berge und Täler Ibizas geliebt. Was ich hier erlebe ist anders. Es fühlt sich richtig an. Auf magische Weise. Feierlich. Nach dem Unsinn Asiens fühle ich eine Portion Misstrauen in mir. „Kann das wirklich wahr sein?“, frage ich mich. Und ja, es fühlt sich wahr an. Echt. Lebendig. Die Sonne ist inzwischen über den Berg geklettert und kündigt einen warmen, freundlichen Tag an. Ich wünsche mir, dass es irgendeine Klarheit geben wird, wie meine Mitträumende und ich weiter machen wollen – und was den Tag betrifft: ich bin bereit und freue mich.



65. Änderungen

Welchen Zweck hätten Reisen, wenn sie einen nicht ändern würden? Es geht dabei um weit mehr als Einsichten und Abenteuer in der Fremde. Es geht um neue Möglichkeiten. Neue Aspekte, die auf subtile weise geweckt werden. Eine alte Haut abstreifen, und darunter eine neue Person zum Vorschein bringen.

Ich bin gerade ein paar Tage auf Zypern und merke, wie mich die Insel und die Leute bereits ändern. Zum Beispiel hatte ich gestern ein Treffen „unter Männern“. Hat sich so ergeben. Unser Vermieter, ein Freund von ihm, und ein Angestellter trafen uns zusammen, um an einem Joint zu nuckeln. Während ich sonst eher distanziert auf Männerrunden reagierte, fühlte ich mich in dieser Runde sonderbar heimisch und vertraut. Lag das daran, dass ich das letzte Jahr überwiegend mit Frauen zusammen gewesen war, und ich die Männerenergie als willkommene Abwechslung sah? Lag es daran, dass die Jungs hier eine bestimmte Energie drauf hatten, die ziemlich entspannt und lässig rüber kam?

Aber auch die Frau unseres Vermieters hatte einen nachhaltigen Eindruck auf mich hinterlassen. Sie strahlte mächtige Stärke aus. Mit Sicherheit war darin eine sehr sanfte und empfindsame Seele, doch wie sie sprach, erinnerte mich an Begegnungen mit Dominas im Darkside Club. Bestimmt. Selbstsicher. Sie hatte einiges zu den Schwierigkeiten zwischen meiner Mitträumenden und mir zu sagen, und brachte mit nur wenigen Sätzen zum Vorschein, worauf ich nie gekommen wäre. Beziehungsweise, sie warf ein Steinchen, und löste in mir eine Lawine aus. Ich erkannte, dass ich mit meiner Verantwortungslosigkeit entschieden zu weit gegangen war. Ich hatte mir ein Konstrukt gebaut, das dafür sorgte, dass ich als Künstler gerade genug für mein Leben hatte – um sicher zu gehen, dass niemand auf die Idee käme, mich als Sicherheit zu betrachten. Zum Beispiel eine Partnerin, mit der ich gerade zusammen lebte. Es war eine Sache, ob ich jemandem keine Sicherheit geben wollte, weil die Person selbst Sicherheit in sich finden sollte, oder ob ich nicht genug Geld hätte, um einer geliebten Person Geschenke zu machen, oder aus Schwierigkeiten zu helfen. Wann war ich so übers Ziel hinaus geschossen? Hatte das Gefängnis meines Vaters damit zu tun, wie meine Mitträumende vermutete? Dass ich keine Verantwortung für mich und andere übernehmen wollte, aus Gefahr mich an Verpflichtungen zu versklaven, wie mein Vater? Und hatte ich nicht längst genug Erfahrungen gesammelt, um solchen Sklavenketten zu entkommen, wenn es sein musste?

Ich tauchte in die Stille, und nichts was mich hätte ablenken können. Die Leichtigkeit, mit der ich hier mit mir in Verbindung treten kann, ist bemerkenswert. Sogar zu einem Hund bin ich mit Leichtigkeit in Verbindung getreten. Wie sehr mich das erstaunt, lässt sich kaum in Worte fassen. Hunde sind mir seit langem eher suspekt. Nicht hier. Zur Esel Farm gehört auch ein kleiner Rottweiler. Ein Baby-Rottweiler. So verspielt und aufgekratzt, als wäre erst vor paar Stunden auf die Welt gekommen. Auch das ändert mich, denn bei meinen Spaziergängen, frage ich mich, was aus diesem Hund werden mag. Ob er ein trauriger, bellender Kettenhund wird? Ob er wütend das Grundstück bewachen wird? Oder ob die Herzlichkeit der Menschen hier, auch auf diesen Hund abfärben wird, und er trotz seiner zukünftig bulligen Größe ein sanftes, freundliches Wesen bleiben wird? Es fühlt sich jedenfalls nicht so an, als würde irgendjemand hier irgendein Tier schlecht behandeln – auch wenn die Freiheit für Hund und Esel ziemlich begrenzt ist. Tiere, die sich nicht 100% frei bewegen können, machen mich grundsätzlich nachdenklich. Nicht zuletzt, weil ihre Gefangenschaft, die Gefangenschaft der angehenden Menschen spiegelt.

Alles regt mich gerade zum Denken und Fühlen an. Die Weite, die Täler und Berge, das Licht, die Wolkenlandschaften, all das macht mich weit und klar. Macht mir Lust auf Aktivität. Lust mich auszudrücken. Ich will wieder Bilder malen oder schnitzen. Vielleicht auch etwas aus Ton formen. Die Erde hier, schreit geradezu danach.

Und in allem bin ich durchtränkt von Gelassenheit – sogar obwohl mir die DKB mein Giro-Konto ohne jeglichen Grund gesperrt hat. In nur Knapp drei Monaten hatte ich so viel Ärger und Frust mit der DKB und ihrem Entertainment-Service, dass ich mich frage, wie ich jemals hatte annehmen können, mein Leben würde mit einer Kreditkarte einfacher werden. Hier auf Zypern werde ich durch die Landschaft an meine Fahrradreise (1991) durch Griechenland erinnert. Wo ich ohne Bankkonto und Kreditkarte hervorragend voran gekommen war. Dieses mal werde ich mich nicht weiter stressen, und das Konto kurzerhand kündigen. Einfach um sicher zu gehen, dass ich nicht noch mehr unterhaltsame Überraschungen erlebe.



66. Entschieden dankbar

Ich hätte es wissen müssen. Dass auch Erfolg eine kosmische Falle in sich birgt. Da träumt man, sehnt und wünscht, und ist dem Ergebnis so fern, dass die Distanz zwischen Berlin nach Bangkok dagegen wie ein Kurzstreckenflug erscheint. Dann geschieht das Wunder, man rutscht weich und warm wie in ein Bad aus Kokosöl, und es fühlt sich so gut, so vertraut, so verdient und richtig an, dass man total verpasst ein Stoßgebet der Dankbarkeit ins Universum zu jaulen.

In nur wenigen Stunden hatten wir es geschafft, für einen bezahlbaren Preis zwei Zimmer herbei zu zaubern, die uns mit allem beschenken, was wir so dringend brauchen. Allem voran: Stille und Blick über weite Natur. Ein flauschiges Bett für jeden von uns. Eine funktionierende, neue Dusche, Gasheizer, um die kühle Nacht fern zu vertreiben. Direkt vor der Tür ein Netz aus Schotterwegen durch die Pampa. Berge. Täler. Wolkenlandschaften, wie von Dali persönlich gepinselt. Ohne danach suchen zu müssen. Es hat gerade eine Frage gekostet. In einem Minimarkt vor einem kleinen Dorf, wo wir mit herzlichster Freundlichkeit empfangen und vermittelt wurden. Damit nicht genug des Wunders. Der Vermieter unserer zwei Zimmer setzte die Freundlichkeit fort, empfing uns mit Tee und salziger Gemüsesuppe. Ohne Rechenschieber in der Hand. Wir fühlten uns mehr wie alte Freunde behandelt, denn als Zugereiste.

Heute, nach fast einer Woche hier, nach einer Tramptour in die Stadt und zurück, fühle ich mich hier schon beinah so Zuhause, wie in Berlin. Obwohl die Leute hier einen völlig anderen Schlag haben. So viel Herzlich- und Freundlichkeit muss wohl auch einen kleinen Schatten haben, der darin zu finden ist, dass ich mich an Kinder erinnert fühle. Sie freuen sich über Dinge, die mir als abgebrühter Berliner abhanden gekommen sind. Verglichen mit den Zyprioten, scheinen wir geradezu eiskalte, einsame Reiter zu sein. Kopflastig. Grübelnd. Ja, mitunter sogar arrogant, wenn wir glauben, wir müssten hier missionieren. Ja, verdammt, es ist weniger schön, wenn ich sehe, wovon sich die Jungs hier ernähren, dass hier gejagt wird, und Tiere mit traurigster Selbstverständlichkeit versklavt werden. Da rebelliert der heilige Empathiker, und würde gerne große Reden schwingen. Doch vielleicht ist erst mal angesagt inne zu halten, zu beobachten, zu verstehen, Beziehungen aufzubauen, und später zu entscheiden, welches Vorgehen angemessen ist.

Es sind nicht nur ungeschriebene Regeln der Gastfreundschaft, sondern auch Aspekte der Bescheidenheit, die mich auffordern, vor der Inbetriebnahme meines Mundes Herz und Hirn einzuschalten. Hier ist die vegane Idee keine eitle Modeerscheinung, mit der man sich unter Freunden Rededuelle liefert, weil sie mal eine Currywurst gefuttert haben. Hier sind bestimmte Ideen fremd, vielleicht sogar unbekannt, und so wenig wir für unsere vegane Ernährung bewertet wurden, ist es angesagt, meine Bewertungen vorerst stecken zu lassen – so sehr es mich kitzelt, schlaue Sachen von mir zu geben. Denn wo das Herz offen ist, braucht es keine Schlauheit, sondern Einfühlsamkeit, wann die richtigen Worte wie zu platzieren sind. Dazu das Vertrauen, dass sie bei diesen Herzensmenschen auf fruchtbaren Boden fallen werden. (Wenn sie nicht mit Arroganz gesprochen sind).

Schon in Thailand war mir aufgefallen, dass Bescheidenheit durchaus angemessen ist, wenn man als Fremder in eine Kultur taucht. Doch in Thailand und Laos hatte mein Gefühl gesiegt und lautstark um Änderung geheult. Dass etwas oder jemand eine Bombe der Erleuchtung in diese Länder werfe. Auf Zypern werde ich durch Menschlichkeit ganz still, schaue staunend, wenn ich vor mir habe, und kann es nicht fassen. Jahrelang habe ich Seite um Seite gebeten, ich möge doch endlich MENSCHEN treffen. Gleichartige, mit denen ich auf Herzensebene kommunizieren könnte. Jahrelang habe ich an wenigen Orten nur wenige seltene Exemplare gefunden. Und nun, auf Zypern, werde ich mit soviel Menschlichkeit überschüttet, dass es fast unmöglich ist, das zu glauben oder anzunehmen. Was uns hier begegnet hat Vorbildfunktion. Hier sind Hilfsbereitschaft und Offenheit keine berechnenden Floskeln. Es ist wie eine selbstverständliche Tugend, erwachsen aus der Gewissheit, dass es Wichtigeres als Geld gibt. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht lernen, und noch weiter aufmachen, und noch mehr unseres deutschen, Berliner Misstrauens überführt werden. Und alles was geschieht, scheint nur einen tieferen Sinn zu haben: uns emotional weich zu kochen, und nach Strich und Faden glücklich zu machen.



67. Das Ende der Reise

Das Ende der Reise ist der Anfang einer anderen Reise. Ich bin nun auf Zypern, und natürlich habe ich mich noch nicht häuslich eingerichtet, wie es so schön heißt. Ich lebe noch aus dem Rucksack, habe etwas zu wenig warme Kleidung für den zypriotischen Winter, kein angemessenes Fortbewegungsmittel, und das Internet, über das die Mehrzahl meiner Gemälde-Deals abläuft, ist eine wackelige Sache. Doch ist da etwas, das viel wichtiger ist, als meine materiellen Aufgabenstellungen.

Als ich nach Asien aufbrach, hatte ich mir ausgemalt, ich käme irgendwo an. Ich fände ein Haus, einen Ort, wo ich mich entspannen könnte. Nicht nur wie ein Urlauber der für zwei Wochen, „die Seele baumeln lässt“, sondern wie ein Mensch unter Menschen, der sich wohl fühlt und an einem Ort ist, der ihm Kraft gibt.

Eben an dem Kraftthema war Asien erbärmlich gescheitert. Weil immer irgendwas gestört und in meine Ruhezone eingedrungen war. Nicht nur, wie die heiß geliebte Bohrmaschine, in Berlin, die immer dann gestartet wurde, wenn ich ganz besonders dringend eine Ruhepause gebraucht hätte, und mich gerade ins Bettchen gelegt hatte. Der Lärm in Thailand und Laos war von einer anderen Art. Explosiv. Niemals nur eine Lärmquelle sondern zwanzig auf einmal. Und ich schreibe hier nicht von Naturgeräuschen.

In den Bergen von Zypern sieht die Sache etwas anders aus. Ja, auch hier gibt es „Lärm“. Sonntags wird gejagt.Ich betrauere die erlegten Kaninchen und Rebhühner, und versuche das sonntägliche Geballere auszublenden. Es gibt auch hier Hunde, die sich manchmal stundenlange Bellduelle liefern. Einer fängt an, und alle Kläffer in Berg und Tal stimmen ein, ungeachtet von Rasse und Größe. Und auch hier rattern im Tal manchmal Maschinen. Aber all das klingt weniger aggressiv und fanatisch, als der Lärm in Asien - und in der Nacht, oder wenn ich höher in die Berge steige, kommt Stille über mich. Ich habe, glaube ich, in meinen Texten oft genug erwähnt, wie gut mir Stille tut, und wie sehr ich das heute brauche. So wie ich früher Party und Exzess genossen habe, genieße ich heute die andere Seite. Ich glaube (es muss erst noch überprüft werden), es hat mit der Stille zu tun, das sich mich hier wohl und Zuhause fühle. Obwohl hier gerade Winter ist, und auch nur zehn Grad. Aber inmitten von Natur und freundlichsten Menschen, fühlt es sich neu an.

Natürlich will ich wieder malen. Ich will hier an meinen Klangcollagen basteln, und ich will das Schreiben etwas herunterfahren. Essenstechnisch mache ich mir gerade keinen Kopf, denn alles was ich bisher hier gegessen habe, hat wunderbar geschmeckt. Sogar die Tomaten, die in Berlin nur wie roter Wassermatsch geschmeckt hatten, sind hier wirklich lecker. Ich kann mir vorstellen, wie ich hier ein Gefühl von Heimat entwickeln könnte. Natürlich muss noch überprüft werden, was hier abgeht, wenn die Touristen kommen.

Am gleichen Tag ließ ich mich von einem Hausmakler mit meiner Mitträumenden herumkutschieren, und sah mir Häuser an. Häuser, die so ziemlich alles in den Schatten stellten, was ich seit langem gesehen hatte. Da war ein Haus mit Pool, groß genug für eine Familie, zu einem Preis, für den wir in Berlin niemals mehr auch nur zwei Zimmer gefunden hätten. Ein weiteres Haus, das noch preiswerter war, aber einen unbeschreiblichen Ausblick über Land und Meer hatte. Und zuletzt, wurde uns ein Haus präsentiert, das unseren kühnen Träumen entsprach. Inmitten von Natur, abseits von allem, groß genug für mehr als vier Leute, und mit einem Ausblick über Land und Natur, dass es uns die Schuhe auszog. Die Entscheidung war fast augenblicklich getroffen. Wir waren baff. Hin und weg. Unsere Eselsfarm war schon toll gewesen, doch die Aussicht allein in weiter Flur zu leben, um ungestört unseren Berufungen nach zu gehen, ohlala, da wurde mir doch tatsächlich ganz anders. Der Traum war kurz davor in Erfüllung zu gehen. Das, weshalb wir von Berlin aufgebrochen waren. Tief durchatmen... Ruhe bewahren und tief durchatmen…



68. Das Hexenhaus

Nachdem wir unser Traumhaus gefunden hatten, verbrachten meine Mitträumende und ich eine relativ unruhige Nacht. Nicht weil uns Zweifel angesprungen hätten. Im Gegenteil. Das völlige Fehlen von Zweifel und Misstrauen raubte uns den Schlaf. Wann hatte ich jemals so viel Gewissheit in mir getragen, wie dieses Haus betreffend?

Ein Haus, am Ende einer Straße. Abseits von einem winzigen Dorf. Das Dorf nur über eine steile, filmreife Serpentinenstraße zu erreichen. Das Haus zweistöckig, direkt neben einem Mandelbaumgarten. Wenn ich schreibe: Mandelbaumgarten, wäre es passender von „Wald“ zu sprechen, denn es sind über hundert Mandelbäume. Aus dem Haus bot sich in alle Richtungen ein fantastischer Blick über Land, Natur, und sogar das Meer war in der Ferne zu sehen. Unweit des Gartens führte ein Weg in die Pampa. Das Haus selbst, neu gebaut, ausgestattet mit allem erdenklichen Schnick und Schnack. Die Vermieterin die fünfzigste freundliche, herzliche Person, seit wir auf Zypern gelandet sind.

Am Tag darauf hatten wir ein Date mit dem Makler und der Vermieterin, und unterschrieben den Mietvertrag für das Haus. Das war ne harte Nummer, denn in unserer deutschen Art sahen wir überall Sachen, die erwähnt werden mussten, und wo wir Sicherheiten wollten – und wurden ununterbrochen beschämt, durch wirkliche Offenheit und Freundlichkeit. Verdammt, das war anstrengend. Zu sehen, dass uns Träumer, das bescheuerte Bürokratiegehabe in Deutschland blöd gemacht hatte. Wir hätten das entschieden einfacher haben können. Wir hatten es von Anfang an gefühlt, doch uns hatte der Mut gefehlt. Sie hätten uns einfach die Hand geben, wir hätten einfach einschlagen können, und alles wäre in Ordnung gewesen. Weil hier Vertrauen einen völlig anderen Stellenwert hat.

Nach dem Unterschreiben des Vertrages, waren wir fix und fertig. Es hatte viel länger gedauert, und hatte uns jede Kraft gekostet. Weil uns Bürokratie jeder Art total anstrengend ist, und weil wir in jeder Sekunde gespürt hatten, dass wir die gewesen waren, die es unnötig kompliziert gemacht hatten. Von Seiten des Maklers und der Vermieter war alles ganz einfach gewesen. Niemand hatte nach Sicherheiten gefragt, niemand hatte Mietbescheinigungen und anderen Blödsinn eingefordert, mit denen deutsche Vermieter mir die letzten dreißig Jahre auf die Eier gegangen waren. Und um den ultimativen Denkzettel in Sachen wirklichen Vertrauens zu bekommen:

Unser Vermieter und neuer Freund von der Eselsfarm, hatte meiner Mitträumenden seinen schicken, neuen Mercedes geliehen. Kennst du das komische Gesicht, das manche „gute Freunde“ in Deutschland machen, wenn du sie um einen Gefallen bittest? Wann hat dir zuletzt jemand seinen Mercedes geliehen? Wir hatten nur bis 17:30 zurück sein sollen. Als wir am Abend, kurz vor 19:00 den Wagen zurück brachten, war es uns total peinlich, dass wir ihn so lange hatten warten lassen, und nur er wusste, was er wegen uns hatte verschieben müssen. Wir entschuldigten uns, und alles was er mit seinem unschlagbaren Lächeln sagte, war: „No problem. Need something? Do you have everything?“

Was soll man da noch sagen? Außer in Dankbarkeit auf zypriotische Erde zu fallen, und Stoßgebete aus zu seufzen?

Am nächsten Morgen strahlte wieder die orangene Morgensonne in mein Zimmer, ich sprang auf, zog mich an, und wanderte auf den nah gelegenen Berg. Ich hatte gedacht, dass ich noch ein paar Wochen oder Monate auf der Farm bleiben würde. Ich hatte gedacht, meine Mitträumende und ich würden für eine Weile getrennte Wege gehen. Ich hatte gedacht, das Finden unseres oder meines Hauses würde einiges Geschick erfordern. Und nun… Nun ging ich über den bekannten Schlängelweg, vorbei an Olivenbäumen, vorbei an vertrockneten Disteln, über Kreidefelsen, die Sonne legte sich bereits mächtig ins Zeug, und alles war mit einer Leichtigkeit und Lässigkeit geschehen, wie ich es mir wünschte. Null Anstrengung. Alles fügte sich. Ich war noch nicht mal ins Haus gezogen, und hatte zudem noch einen neuen Gemäldeauftrag bekommen. Meine Mitträumende hatte ihre ersten Heilungskunden. Sogar der Geldfluss war sicher gestellt. Als hätte sich ein großes Tor geöffnet. Zypern und das Leben hießen uns Willkommen. Auf dem Berg warf ich mich in paar vertrocknete Gräser, ließ mich von frühlingshafter Januarsonne wärmen, und atmete tief, tief durch. Fühlte es sich so an, wenn der Traum wahr wurde? Wenn das, wonach man jahrelang gesehnt hatte, endlich in greifbare Nähe rückte? Ich flüsterte mehre „Danke“ in den blauen Himmel.



69. Hirnkasper

Es ist nun fast einen Monat her, dass wir auf Zypern gelandet sind – und es fühlt sich wie ein halbes Jahr an. Ereignisreich, und reich in jeder Beziehung. Vor allem verging kein Tag, an dem wir nicht liebevoll und zärtlich, doch mit Bestimmtheit, auf unsere deutsche Prägung hingewiesen wurden. Natürlich nicht durch die Zyprioten. Dafür sind sie viel zu herzlich und freundlich. Sie nehmen einen, wie man ist. Vorgestern wurden wir in einer Taverne bekocht, wie ich das nur von Freunden kenne, und aufgenommen, als würden wir schon ewig Gäste dort sein. (Hat auch so lecker geschmeckt und satt gemacht, dass ich tief befriedigt nach Hause kam). Nein, durch das Leben selbst. Durch kleine und große Ereignisse, durch die ich sehen darf, wie sehr die deutsche Ordnungsliebe, und deutsche Zaunbesessenheit auch in mir verankert ist. Eigentlich gruselig genug, um von einer Klippe zu springen, doch niemand macht uns oder mir einen Vorwurf. Wir werden angenommen, wie wir sind.

Egal wo wir bisher hinkamen – wir wurden willkommen geheißen, in Gespräche verwickelt, mit Offenheit angenommen, und mit Hilfe beschenkt. Kaum irgendwo zeigt sich das schöner, als bei der Transportfrage. Wir wohnen in den Bergen von Apesia (Ausgesprochen „Appescha“), und hier ist erst mal weit und breit nix. So wie wir das uns gewünscht hatten. Wir teilen die Eselsfarm – wenn der Besitzer nicht da ist – mit einem Inder, einem Zyprioten und seinem Sohn, einem sabbernden und aufgekratzten Babyrottweiler, und einem dutzend Eseln. Der nächste Nachbar wohnt auf dem Berg, und war die einzige sonderbare Begegnung, die ich bisher auf Zypern hatte. Weil er mich bei einem Spaziergang sonderbar ausfragte, wer ich sei, was ich da mache, etc…, und vor seinem Hund warnte, der mich Tage zuvor schon mal bellend und relativ unfreundlich begrüßt hatte. Sonst weit und breit niemand. Das nächste Dorf ist eine halbe Stunde Fußweg entfernt.

Aus Sparsamkeit hatten wir kein Mietauto mehr, und mussten öfter sehen, wie wir von unserem temporären Zuhause in die Stadt oder zu unseren Verabredungen kamen. Und irgendwer nahm uns immer mit. Ob unser momentaner Vermieter, die Frau, die unsere Wohnungen gebaut hatte, oder wir stellten uns auf die Straße und ließen uns von irgendwem mitnehmen. Ich kannte das schon aus Griechenland. Die „no problem“-Mentalität. Doch anders als auf anderen griechischen Inseln, auf denen ich war, ist das hier so allgegenwärtig, dass ich mich frage, warum ich mir noch um irgendwas einen Kopf mache.

Nun, die Antwort ist einfach: jahrelanges Quadratdenken in Deutschland. In Deutschland wollte immer irgendwer Sicherheiten, Beweise, Unterschriften, Bescheinigungen, und ich habe mich so oft in meiner Freiheit als Mensch eingeschränkt gefühlt, dass ich es nicht hatte fassen können. Vielleicht war deshalb der KitKat Club für mich auch mein persönlicher Lebensretter. Weil ich dort wenigstens paarmal die Woche auf ausgewählte Individuen und Menschen treffen konnte, die wenigstens manchmal kein Gefängnis im Kopf hatten.

Jedenfalls hatte ich mir in Berlin angewöhnt, erst dann entspannt zu sein, wenn ich den Schlüssel einer Wohnung in Händen hielt. Weil ich zu oft erlebt hatte, wie im letzten Moment das Angstdenken meiner Vermieter alles vereitelt hatte. Ein Rest dieses Misstrauens machte mir einigen Stress, weil wir noch Verträge unterschreiben mussten. Den Mietvertrag, Strom umschreiben, Internet bestellen. Dafür mussten wir in die Stadt Lemosos (bzw. Limassol, man hat sich noch nicht drauf einigen können, wie der Name geschrieben werden soll), und jedes mal war ich fast panisch, dass wir nicht hinkämen. Ganz im Gegensatz zu meiner Mitträumenden, die sich darüber nicht die geringsten Gedanken machte. Die letzten Dokumente vor der Schlüsselübergabe und den Einzug am 8.2. waren Strom und Internet. Unsere Vermieterin wollte uns in der Stadt treffen, und zu den entsprechenden Orten fahren. Und war kam nicht? Unser Lift, von er Eselsfarm weg. Kosmischer Vertrauenstest? Ich schob Panik. Ich wusste zwar, dass das keinen Einfluss auf den Mietvertrag hätte, aber es war mir mega unangenehm, dass wir unsere freundliche, zukünftige Hausvermieterin warten ließen. Da kam der Nachbar vom Berg herunter, mit seinem Hund im Auto, meine Mitträumende hielt ihn an, und plötzlich saßen wir bei der einzigen „sonderbaren Begegnung auf Zypern“ im Auto – und er war plötzlich ein ganz freundlicher Mensch, und sein kläffender Köter ein nett hächelnder Schäferhund. Und um die Sache rund zu machen, schenkte mir der Mann von seinem selbst gesammelten Salbei. Wilder, griechischer Salbei, den ich schon auf all meinen Reisen durch Griechenland regelmäßig gesammelt hatte, um Tee daraus zu machen oder damit zu räuchern. Gleich darauf standen wir an der Straße zur Stadt, und wurden von einem Mann aus Liverpool direkt zu unserem Date gefahren. Unsere schwer erkältete Hausvermieterin kutschierte uns zur Strom- und Internetfirma, alles ging mit einer Einfachheit und Freundlichkeit, die ich in Deutschland nur an ausgewählten Wundertagen erlebt hatte, stellte uns ihre Eltern vor, verwöhnte uns mit Keksen und süßer Zitronenlimo, und zurück wurden wir von dem Mann aus dem Minimarkt gebracht, der gerade vom Militär zurückkam, und ohnehin nach Apesia zurück musste. Dabei erfuhren wir, dass der Mann, der uns die Zimmer auf der Eselsfarm vermittelt hatte, seine Eltern in dem gleichen Dorf hatte, in dessen Nähe wir ziehen wollten, und wir uns auch zukünftig in Kontakt bleiben würden.

Alles erledigte sich mit lässiger Einfachheit, dass es für mich deutschen Hirnwichser überhaupt nicht zu fassen ist. Ich spüre nur, dass die Reise zu Ende geht, und durch „Zuhause“ ersetzt wird. Es waren schon die ersten Frühlingsboten zu sehen. Schmetterlinge, Marienkäfer, wilde Bienen, ach ja, und die Vögel fangen schon an ihre Frühlingshits zu trällern. Die Sonne knallt tagsüber, dass meine Haut zu britzeln beginnt. Neulich lag ich im Shirt auf der Terrasse. Es ist Anfang Februar, und ich kann mich nicht erinnern, jemals so ausgeprägte Hinweise bekommen zu haben „hier kann ich bleiben und hier darf ich sein“. Es ist kurz vor fünf am Morgen, ein durchgeknallter Hahn begrüßt den Tag, obwohl noch die Sterne am Himmel stehen, und alle Zeichen stehen auf: Mein neues Leben beginnt. Unser neues Leben beginnt.



70. Angekommen

Der tiefere Sinn meiner Reise, war ein Wunsch gewesen. Das erfüllte Sehnen nach einem Ort, wo ich sein konnte. Es war schon verrückt. Über fast 30 Jahre hatte ich auf unterschiedlichste Art versucht, in Berlin mein Glück zu finden. Ja, sicher, damals hatte ich auch andere Wünsche, die sich im Laufe der Jahre geändert hatten. Vor Berlin, hatte ich mir gewünscht Frauen zu treffen, Lust zu erfahren, Orgasmen zu erleben, Drogenreisen zu machen, Künstler zu werden, Partys zu feiern, und irgendwie „dazu zu gehören“.

Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, an diesen Sonntag morgen. Als ich aufwachte, und der Satz durch mich flog: „Alle meine Wünsche sind in Erfüllung gegangen“. Leute, das ist ne heftige Sache, wenn man an einem Sonntag mit so einem Satz aufwacht. „Wirklich?“, fragte ich mich, und überprüfte. Nachdem ich stundenlang im Bett gelegen, und nachgedacht hatte, erkannte ich, dass es so war. Dass meine Wünsche nicht nur in Erfüllung gegangen waren, sondern ich vom Leben mit Ereignissen beschenkt worden war, die in jeder Beziehung meine Vorstellungen übertroffen hatten. Die Frauen, die ich getroffen hatte, hatten mir nicht nur Sex geschenkt, sondern Einsichten, Erfahrungen, Weisheit, und unglaublich viel Liebe. Jede noch so kleine Begegnung hatte einen Platz in meinem Herzen eingenommen, mich wachsen lassen, und mir Mut gemacht, weiter zu gehen. Meine Drogenreisen hatten alle Glaubenssysteme der Gesellschaft in Frage gestellt, und mich zu einem Neo-Schamanen werden lassen. Ich hatte als Künstler mehr Erfolg gehabt, als ich mir hatte ausmalen können – und völlig anders, und freier, als ich es von anderen Künstlern erfahren hatte. Und was die Partys anging: über 20 Jahre hatte ich die großartigsten Zusammenklumpungen von Menschen durchtanzt, wie man sich das nur wünschen kann. Und all das, war von einem auf den anderen Tag Vergangenheit.

Ich erinnere mich noch gut, wie mich meine Freundin damals in ihrem dunkelgrünen Mazda Sportwagen in die Natur kutschiert hatte. Wie ich auf einer Wiese gelegen, und im Krabbeln von Käfern über Grashalmen mehr Sinn gefunden hatte, als in der nächsten, lauten Party Heute kann ich sagen, dass es die Geburtsstunde meines neuen Traumes war: Natur. Stille. Frieden. Drei Zustände, die im wilden Berlin nicht einfach zu finden waren. Eine jahrelange Suche begann. Österreich, Italien, Spanien, diverse Orte in Deutschland. Bis ich am Rand Berlins, in Hermsdorf, bei Nachtspaziergängen am Tegeler Fließ eine Ahnung bekam, wonach mein Herz rief. Und dass ich es in Deutschland unmöglich finden konnte.

In meiner grenzenlosen Fantasie glaubte ich, dass ich in Ländern des Buddhismus antreffen würde, was ich bräuchte. Schließlich wurde Buddhismus als die Idee von Respekt und Toleranz verkauft. Aber was ich wollte, fand ich auf Zypern. Ich kann noch nicht sagen, was der Ursprung der Menschlichkeit ist, die ich hier vorfinde – aber zum ersten Mal seit Jahren, habe ich das Gefühl hier Herzensschwestern und – brüder anzutreffen. Die Natur ist steinig, spröde, und dornig, aber weit und offen. Berge, Täler, Meer, und viele, viele Vögel. Es ist noch Winter, und ich freue mich auf den Frühling, der sich an vielen Stellen ankündigt.

Seit ich hier bin, treffe ich überall auf offene Türen. Alles läuft mit einer Leichtigkeit, das ich erschüttert bin, so viele Jahre in deutschem Quadrat-Denken verbracht zu haben. Wir haben nun ein Haus – und niemand hat hier nach Sicherheiten gefragt, nach Mietbescheinigungen vom Vormieter, oder Kontoauszüge. Vertrauen hat hier einen anderen Stellenwert. Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht auf der menschlichen Ebene berührt werden – weil wir so deutsch denken, und der Sicherheitsglaube so tief in uns sitzt. Ja, auch in mir Träumer. Aber wir werden bereits aufgebrochen.

Und dann ist da die so lang ersehnte Ruhe. Wir sind jetzt auf einem Hügel, zwischen zwei großen Städten im Westen der Insel. In der Nähe ein kleines, altes Dörfchen. Die einzige Straße in der Nähe, ist circa 500 Meter Luftlinie entfernt, und Autos fahren nur morgens und abends, wenn Leute Richtung Arbeit rauschen. Weit genug entfernt, dass das Rauschen als schicker Soundeffekt erscheint. In unserer Nachbarschaft gibt es ein Käuzchen oder ne Eule, die ihr monotones, gleichmäßiges Hupen von sich gibt. Und sonst: Stille. Wenn ich Nachts oder Morgens lausche, höre ich das Rauschen vom Blut in meinem Körper. Darauf hatte ich lange gewartet. Es macht mich frei. Es leert meinen übervollen Kopf. Seit ich auf Zypern bin, schlafe ich weniger, als ich es gewohnt bin – aber tiefer und erfüllter. Das Haus ist gerade eben erst bezogen. Der Garten ist noch unbepflanzt. Es gibt noch einige Dinge, die fehlen – doch nach drei Monaten aus dem Rucksack leben, ist das Gefühl, ein eigenes Reich zu haben, purer Luxus.

Dass ich angekommen bin, sehe ich, dass ich gestern den Rucksack ausgepackt und zum Lüften in die Sonne gehängt habe. Was bedeutet, dass die Reise in eine neue Richtung geht – und nicht mehr viel mit dem Reisebericht zu tun hat, den ich vor Monaten begonnen habe. Richtig, dieser Reisebericht endet hier. Es ist zwar noch zu früh, davon zu sprechen, dass ich auf Zypern angekommen bin, aber es ruft mich nicht weiter. Ich fühle null Verlangen noch einen Flieger zu besteigen, und noch einen Versuch zu wagen. Wozu auch? Ich finde hier vor, was ich mir wünschte, und alles weitere, ob wir hier unser Glück finden, das wird die Zeit zeigen. Die neuen Aufgabenstellungen sind klar. Unser Haus beseelen. Kreativ sein. Land, Leute, und Sprache besser kennen zu lernen. Das Gefühl von „Zuhause“ ausweiten.

Doch das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.



71. Das Ding mit der Materie

Vor einem halben Jahr landete ich mit meiner Mitträumenden auf Zypern. Gelandet und gestrandet. Überwältigt von Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit der Zyprioten, blieben wir hier. Zuerst in zwei Zimmern auf einer Eselsfarm, dann kam der Umzug in ein Haus auf dem Land, in der Nähe von Anogyra.

Das Haus war nicht ganz billig, aber verglichen mit dem Dreck, den wir in Berlin für den gleichen Preis bekommen hatten, war es der totale Luxus. 5 Zimmer, 3 Bäder, Garage, Garten, kleiner Mandelwald direkt neben dem Haus. Umgeben von Natur und Stille, sollte uns dieses Haus Basis für Duelle und tiefe Selbsterkenntnisse werden. Bis deutlich wurde, dass der gemeinsame Weg an dieser Stelle endete. Wegen unüberwindbaren Unvereinbarkeiten, aber auch, weil die Hitze, die ich so liebte, meiner Liebsten zu viel war. Und der Staub. Und die Chemtrails. Und der Kalk im Wasser.

Für einen Augenblick sah es aus, als würden wir uns in Krieg und Verletzung trennen – doch im letztmöglichen Augenblick rissen wir das Ruder rum. Wir beendeten unsere gemeinsame Reise in Frieden und Liebe. Ein beachtlicher Schritt, für uns dominante, selbstüberzeugte Superschlauberger. Als sie mit dem Auto die bekannte Landstraße wegfuhr, knüppelte mich überraschend ein Weinkrampf nieder, der stundenlang nicht mehr aufhören sollte. Ich hatte am Vortag noch geglaubt, ich würde die Trennung mit nem Achselzucken wegstecken.

Dann war ich allein in der Fremde, und ein Ladung Aufgaben stürmte auf mich ein. Würde ich es schaffen, hier mein Malgeschäft zum Laufen zu bringen? Würde ich es schaffen, hier irgendwas gebacken zu bekommen? Da ich mein Leben ohnehin meist anders lebe, als die imaginäre Masse, konnte ich mich auch schwerlich als „Auswanderer“ bezeichnen. Doch zweifellos versuchte ich an einem unbekannten Ort, in einem unbekannten Land, mit fremder Sprache und Schrift, ein neues Leben zu beginnen. Ohne wirklich zu wissen, wie das eigentlich geht. Die eigentlichen Aufgaben stecken an Stellen, die man in keinem Handbuch für Auswanderer fände. Es ist nicht die Sprache, es ist nicht die Schrift. Es ist nicht mal das Geld. Es ist ein undefinierbarer Punkt in einem Selbst. Ein Gläubiger, der glauben möchte, dass Gewohntes und Liebgewonnenes auch in fernen Ländern weiter bestehen müsste. Es ist eben dieses Phänomen, das Touristen in Mallorca Restaurants mit deutscher Küche aufsuchen lässt.

Ja, der angehende Mensch ist ein Gewohnheitstier. Der Parameter, an dem der Erfolg der Berlinflucht gemessen werden konnte, war die Gleichgültigkeit, mit der ich mit Druck umging. Falls ihr es noch nicht wisst: für alle praktischen, ordentlichen, und notwendigen Pflichten des Lebens bin ich nicht zu gebrauchen. Ich könnte Tag ein Tag aus malen, schreiben, klänge basteln, philosophieren, Leute mit schlauem Scheiß zuschwallen, träumen und/oder ficken. Aber Dinge zu tun, die mir der Körper aufzwingt, oder die von der Gesellschaft erwartet werden, sind mir lästig und anstrengend.

Erstmal galt es ein kleineres, preiswerteres Haus zu finden. Das geschah dann auch relativ leicht. Kein Vergleich zum maßlos überbewerteten Berlin. Da streiten sich hunderte um ne abgeranzte Butze im siebten Hinterhof, Erdgeschoss. Hier hatte und habe ich die Wahl zwischen verschiedenen Häusern, die ich zum gleichen Preis mieten kann, und alles haben, was ein moderner Mensch angeblich braucht.

Als der Juli 2016 anbrach, bereitete ich meinen dritten Umzug auf Zypern vor. Und fiel aus allen Wolken, wie viel Materie sich angehäuft hatte. Moment, moment, moment! Das konnte doch nicht sein! Was war das alles? Woher kam all der Krempel, und welchen Bezug hatte er zu meinem Leben?

Da stellte sich heraus, dass gut ein drittel der Materie vom Haus gefordert wurde. Um das Haus „sauber“ zu halten. Um das Haus sinnvoll zu nutzen. Aber mit meiner minimalistischen Lebensweise hatte das nichts zu tun. Seltsam. Es war, als würde ein Haus verlangen, dass man das Haus mit Dingen vollstopft. Denn wozu hat man denn sonst ein Haus? Merkwürdig merk würdig.

Das andere Drittel war Arbeitswerkzeug und -material um Bilder zu malen, oder für Computerarbeit. Und das letzte Drittel waren Klamotten, Wäsche, und was man als Mensch so braucht um sich sauber zu halten. Zum Glück waren da weder Möbel noch Geschirr mit dabei. Das gehörte zum Haus.

Ich war mit einem mäßig vollen Rucksack gekommen – und plötzlich waren da mehrere Ladungen. Ich hätte das Meiste meiner Materie mit einer Autofuhre weg bekommen. Wollte aber „selbstverantwortlich“ alles selbst ins neue Haus tragen, das in Geh nähe war. Heißt: ich habe auch hier, bei aller Freundlichkeit der Leute, ein gewisses Misstrauen gegenüber Freundschaftsdiensten. Freundschaftsdienste haben versteckte Preise, die ich schon lange nicht mehr bereit bin zu zahlen.

Es bestand kein Grund gestresst zu sein. Es war nicht viel Materie. Nicht im Vergleich zu Leuten, die sich über Materie definieren, oder in Materie Sicherheit finden wollen. Dennoch fühlte ich mich belastet damit, und spürte wie so oft den Wunsch, alles einfach in die Tonne zu kloppen, und bei Null anzufangen. Ein Schritt, den ich in jüngeren Jahren öfter gemacht hatte, doch mir heute sonderbar halbherzig erscheint. Wenn ich schon alle Materie zurücklassen wollte, dann galt es auch, alte Lebenskonzepte hinter mir zu lassen. Etwas, das mir in Ermangelung einer lockenden Alternative nicht gelingen will.

Schon sonderbar, dass bei den angehenden Menschen, das Anhäufen von Materie als Tugend gilt. Mir kommt es gerade so vor, als wäre es die sehr viel größere Tugend, zu lernen alles zu zerstören, was einem Verantwortung abverlangt

Was auch immer im neuen Haus geschehen mag: auch dieser – der gefühlte 5000ste Umzug meines Lebens – stellt wieder in Frage, was ich brauche oder zu brauchen glaube. Wieder werde ich von meinem Herz recht ruppig angeschrien, ich solle loslassen. Wieder fühlt es sich an, als wäre der Umzug nichts als ein Trainingsfeld für zukünftiges Loslassen. Hört das auch mal auf?

Egal wie lang dieser Abschnitt der Reise dauern mag – mein Misstrauen gegenüber Materie wächst. Die Bereitschaft, den Forderungen der Materie zu entsprechen, wird immer kleiner.



72. Der Schatten des Sommers

Ist schon ne komische Sache, mit mir, oder den angehenden Menschen allgemein. Man könnte meinen, Zufriedenheit ist uns fremd. Immer ruft was Neues, ist da die Suche nach dem einen Ding, das „perfekt“ passt… Und das schreibt einer, der nicht an Perfektion glaubt…

Wie die aufmerksamen Leser vielleicht noch in Erinnerung haben: ich verließ Berlin aus zwei Gründen. Ich hatte die Kälte satt, und war nicht bereit noch einen weiteren, grauen, tristen Winter mit ständiger Grippebedrohung zu durchleiden.

Der Kälte war ich auf Zypern ab Ende Februar entkommen. Und ich erlebte erste heilsame Überraschungen der Stille. Hier will ich ein wenig ausholen.

Stille ist ein Phänomen, das ich überwiegend durch ihre Abwesenheit schätzen lernte. Nicht erst Kurt Tucholsky hatte erkannt, dass angehende Menschen sich durch ein enormes Bedürfnis nach Lärmerzeugung auszeichnen. Sogar die ach so heiligen Mönche in Tibet scheinen bei aller Meditation und Askese, gern auf jede erdenkliche Art Lärm zu erzeugen. Und nur weil sie dabei orange oder rote Roben tragen, und dem Lärm einen erhabenen Anstrich verleihen, bleibt es noch immer Lärm. Ja, mit viel Fantasie kann man es auch „archaische Musik“ nennen. Für mich klingt es inzwischen eher wie Radau, der wie über all sonst, nur einem Zweck dient: die Dämonen der Stille zu vertreiben.

...oder ist es doch nur Reviermarkierung durch Lärm? „Hört ihr? Hier sind heilige Leute dabei heilige Sachen zu machen! Kniet nieder und staunt andächtig, ihr Sünderlümmel!“

Ich könnte nicht wirklich mit Sicherheit bestimmen, wo meine Liebe für die Stille ihren Ursprung hat. Ich weiß, dass ich als Kind, sonntags, oft weit vor meinen Eltern wach wurde, im Bett lag, und in die Ferne lauschte. In dem Dorf, in dem ich groß geworden bin, gab es Sonntagmorgen nicht viel zu hören. Vogelgezwitscher. Das Rauschen eines Baches, paar Schritte von unserem Mietshaus entfernt. Sonst..? Stille. Keine Autos. Keine Maschinen. Nichts, womit angehende Menschen ihre Wichtigkeit und Existenz untermauern müssen.

Natürlich hatte ich – wie wohl die meisten Jugendlichen – irgendwann genug von Ruhe und Stille, und Lärm wurde Ausdruck meiner Rebellion gegen die Norm. Doch zu meiner Überraschung, entdeckte ich auch im Lärm Stille. Als Teenager, in einem Konzert der Band „Swans“. Ich war gerade aus dem behütenden Heim meiner Mutter geflüchtet, und stand in einem zur Konzerthalle umgebauten Kino in Wien. Umgeben von Freaks und anderen Rebellen wie mir, lauschte ich in ein ungeheures Lärmgewitter von startenden Düsenjets. Inmitten dieses unvorstellbaren Getöses, das die Musiker veranstalteten, löste sich der Lärm überraschend in wundervolle Stille auf. Ein mystisches, beinahe psychedelisches Erlebnis, lange bevor ich das erste Mal am LSD geschleckt hatte.

Mein guter Freund LSD hatte sicherlich nachhaltigen Einfluss auf meine Liebe zur Stille. Denn auf meinen Reisen in andere Dimensionen, entdeckte ich auch immer wieder unglaublich tiefe, feierliche Momente der Stille. Auf LSD klangen diese Hörmomente, als würde ich dem Atmen der Welt lauschen. Leute, das ist nicht zum Spaßen. Als ich diesen Weltatem vernahm, war ich jedes mal schwer beeindruckt. Er ließ mich deutlich spüren, wo mein Platz im Universum war. Sich der eigenen Winzigkeit bewusst zu werden, will erst mal verkraftet werden. Das braucht einige Größe, um damit fertig zu werden, und nicht durchzudrehen.

Doch richtig und endgültig wurde ich von der Stille durch zwei unerwartete Ereignisse gefangen genommen.

Einmal, als ich auf dem Weg von München nach Freiburg vom Weg abkam. Ich radelte als jugendlicher Abenteurer ohne Landkarte durch gebirgige Winterlandschaften im Februar. Es ging bergauf, und ich ahnte, dass das nicht so ganz passen konnte, aber spekulierte, dass es irgendwann auch wieder bergab gehen würde. Stattdessen war ich plötzlich inmitten eines weißen, leuchtenden Alpenpanoramas, vor einem zugefrorenen Gebirgssee. Bis heute habe ich keine Idee, wohin mich das Leben da getragen hatte. Weit und breit war niemand. Ich setzte mich vor den See auf meine Isomatte und meditierte. Erstaunlicherweise fühlte ich keine Kälte. Aber vor allem genoss ich die Abwesenheit jeglicher Geräusche. Es war still genug, dass ich nur noch meinen Herzschlag wahrnahm. Es wurde eine der tiefsten Meditationen meines Lebens. Und intensivste Erfahrung von Stille, bis dahin.

Jahre später, schreckte ich eines Nachts auf Ibiza aus dem Schlaf hoch. Ich lauschte in die Nacht, auf der Suche, nach dem Knall oder Tier, das diese Unterbrechung meiner Traumzeit verursacht haben konnte. Aber da war nichts. Absolut nichts. Nur Nacht und Stille. Nichtmal die Blätter von Bäumen im Wind waren zu hören. Totale, absolute Stille. So absolut, dass ich davon aufgeschreckt war. Ich lag Stunden wach, und lauschte in diese Unendlichkeit – und war glücklich. Glücklich, wie das nicht mal das feinste Ecstasy oder die süßesten Liebesendorphine hinbekommen haben.

Zu dieser Zeit war ich mir der Bedeutung dieser Erlebnisse kaum bewusst gewesen. Das geschah erst, als ich ununterbrochen, mit ständiger Steigerung, in Berlin mit Lärm beschossen wurde. Es war wie Psychoterror. Egal wo ich war, egal wohin ich versuchte zu flüchten: der Lärm war allgegenwärtig.

Zuerst fiel mir auf, dass es offenbar keine Architekten und Hausbesitzer gab, die sich jemals auch nur einen Gedanken über die Natur des Wohnens auf engstem Raum machten. Obwohl in ein paar Quadratmeter so viel Wohneinheiten gestopft wurden, wie überhaupt möglich, ohne als Tierquäler angeklagt zu werden, dachte praktisch niemand über Lärmdämmung nach. Es gab sie einfach nicht. Wände, Böden, und Decken schienen – im Gegenteil – nach optimalen Akustik und Klangkörper Merkmalen gebaut zu sein. Hinterhöfe in Berlin waren Lautsprecher, die jeden Furz aus dem Erdgeschoss, vielfach verstärkt bis in den fünften Stock weiter trugen. Aber wäre es nur beim Furz geblieben. Da waren Mechaniker, Handwerker, Müllabfuhr – drei bis viermal die Woche – Hunde, Katzen, Kinder, Musiker. Alle schienen sich weder bewusst, wie ihre Geräusche weiter getragen wurden, noch schienen sie sich was daraus zu machen. Denn alle machten Lärm. Da kam es auf ein bisschen mehr doch auch nicht mehr an, oder?

Jahrelang hatte ich mich damit arrangiert. War Teil der spannendsten Stadt der Welt gewesen. Doch ausgerechnet in meinem Lieblingsbezirk, Friedrichshain – in den ich vor der Belagerung durch Touristen gezogen war - nahm der Lärmwahn groteske Züge an.

Zuletzt wohnte ich in einer Butze, wo über mir eine schnippische, frustrierte, alleinerziehende Frau gerne wütend mit hohen Absätzen über den Dielenboden stampfte. Unter mir gab es noch eine weitere alleinerziehende Mutter, die scheinbar ebenso frustriert war, und sich mitunter Schreiduelle mit ihrer kleinen Tochter lieferte. War die Mutter nicht da oder schlief sie noch, schrie sich das Kind aus oder in den Schlaf. Zwei Etagen unter mir, gab es eine Familie, und da schien auch irgendwas entschieden schief zu laufen. Auch dieses Kind verfiel mitunter in unerklärliche Schreianfälle. Keine heitere, verspielte Kinderdollerei. Unzufriedenes, ja, mitunter sterbensunglückliches Jammern und Klagen bei maximaler Lautstärke. Genau wie ein Kind im Nachbarhaus, mit dem wir den Hinterhof teilten. All das wurde morgens, abends, und dazwischen durch offene Fenster in meine Ohren getragen, und ich wunderte mich. Was war hier los? War das alles „normal“? Wieso hörten das die Anderen nicht? Wieso machten die ihre Fenster nicht zu? Wie konnten die anderen diesen Lärm aushalten?

Je länger ich es beobachtet, desto deutlicher drängte sich mir die Ahnung auf, dass etwas absolut nicht in Ordnung war, und dass der allgegenwärtige Druck, ständig und überall, sich in Lärm entlud. Was besonders schön durch meine Nachbarin verdeutlicht wurde. Eine depressive, alkoholkranke Arbeitsdrohne, die sich nach getanen Sklavenpflichten die Freiheit nahm, um zwei Uhr morgens, manchmal auch als verfrühter Frühstücksgruß um fünf Uhr morgens, aus ihren Lautsprechern voll aufgedreht deutsche Schlager, wahlweise auch Punkklassiker, durchs Haus schmettern zu lassen. Getrennt von diesem Vergnügen, war ich nur durch einen „Sichtschutz“, den der Vermieter billig mit Rigipsplatten in ein großes Zimmer eingezogen hatte. Wieso mit einer Miete zufrieden geben, wenn sich die doppelte Miete mit kleineren Räumen abzocken lässt?

Mir ging es damit, wie es wohl den meisten Leuten in solchen Augenblicken geht. Ich wartete darauf, dass der Spuk aufhörte. Und wurde meist enttäuscht.

Ich gewöhnte mir allerhand Tricks an, doch irgendwann konnten nicht mal Lärmstopps gegen die Dauerbelärmung anstinken. Ich vermute, da wurde meine neue Lebensaufgabe geboren. Den einen Ort für mich zu finden, wo ich ein träumergerechtes Leben führen durfte. Unbeschadet und ungefickt von Lärm.

Ich verließ Friedrichshain. Auch weil ich meinen Spaß – weshalb ich ursprünglich in der tosenden Stadt gewesen war - aufgeschlürft hatte. Ich hatte nicht nur ein Glas geleert. Ich hatte mehrere Fässer geleert. Da war nichts, was mich noch halten konnte, und mein Wunsch, dem Lärm, den Rücken zu kehren, war die neue Priorität geworden.

Anfangs glaubte ich, es würde reichen an den Stadtrand zu ziehen. Aber wie das Leben so spielt: ich landete in einem Haus mit Pappwänden, wo der Vermieter auf zu engem Raum, zu viele unterschiedliche Leute versammelt hatte. Das Haus wäre ideal für zwei Leute gewesen. Er hatte jedoch Schulden zu bezahlen, und hielt sechs Mieter keinesfalls als zu viel. Dazu kamen: Heckenscheren, Rasenmäher, Hausbauten, und Hunde der Nachbarschaft. Besonders intensiv an heiligen Sonntagen, an denen die Arbeitssklaven nicht zu Ruhe fanden, sondern all das in wenigen Stunden erledigen wollten, wofür ihnen während ihrer Sklavendienste in der Woche die Zeit fehlte.

In dieser Zeit genoss ich Nachtspaziergänge am Tegeler Fließ. Die einzigen Zeiten, in denen Momente und Ahnungen von Stille zu finden waren. Denn aus irgendeinem Grund, war ich Nachts, in der Dunkelheit stets allein unterwegs. Es war, als fürchten die braven Bürger die Dunkelheit und Stille. Auf diesen Spaziergängen weitete sich mein Wunsch nach mehr Stille aus. Und wann immer ich in die Stadt zurück fuhr, stellte sich die Frage, warum ich mir diesen Lärm, die Hektik, und den unvorstellbaren Gestank antat.

Nach nur wenigen Monaten in Hermsdorf war der Wunsch geboren, in die Ferne aufzubrechen. Und getäuscht von der populären Lüge der stillen Buddhisten, brach ich nach Thailand auf. Mit einer Frau, die ebenso die Stille erträumte, wie ich.

Die Überraschung war herb, als weder in Thailand, noch in Laos Stille zu finden war. Im Gegenteil. Gegen den Lärm, den wir in Asien erfuhren, war aller Lärm in Berlin das süßlich harmlose Säuseln von blutigen Lärmanfängern gewesen. Statt Stille, erlebten wir Lärmdetonationen. In diesem Zusammenhang war die gesamte Idee des Buddhas ad absurdum geführt. Es gab sie nicht, die Buddhisten. Sie suchten keine Stille durch ruhige Versenkung. Sie vertrieben die Stille durch unvorstellbaren Lärm. Es war uns unbegreiflich, wie sich die Lüge der stillen Buddhisten so bei den Westlern hatte verankern können. Romantische Ideale einer besseren Welt?

Wir flüchteten. Nach Zypern. Und hier endlich, gab es diese kostbaren Augenblicke der Stille. Meist nachts. Wenn Mensch und Tier schliefen. Oft wachte ich dann auf, und lag in der Dunkelheit und lauschte ins Nichts. Schon bei den ersten Stille-Reisen, schlug das Eindeutige auf mich ein. Die Ähnlichkeit zwischen dem Eintauchen in die Stille, mit psychedelischen Reisen durch die Galaxie. War es das, worum es ging? Meine persönliche Rückkehr in den behütenden Mutterbauch des Universums? Das Verlassen der sterblichen Hülle, um einzufließen in das Alles? Wenn ich diese kostbaren Moment trank, durchfluteten mich ekstatische Glücksgefühle – die leider stets durch irgendeinen kläffenden Hund, oder ein fernes, dröhnendes Auto beendet wurden.

Es gab einen weiteren Umzug auf Zypern – und leider war die Wahl des Hauses nicht die Beste gewesen. Ich war zwar näher am Dorf, was diverse Bequemlichkeiten versprach, doch zu zahlen hatte ich mit dem Ertragen von unvorstellbarem Randalieren durch Hunde. Wie es scheint, hat wirklicher Jeder im Dorf einen Hund. Wieso eigentlich? Um Haus und Grund zu schützen? Unwahrscheinlich, so sehr, wie die Materie der Anderen in Griechenland wertgeschätzt und respektiert wird. Ich glaube, Diebstahl ist hier unbekannt. Wozu also Hunde?

Die Wahrheit dürfte wohl sein: sie wissen es selbst nicht. Hunde sind hier sowas wie die Pilotfische bei Haien. Sie hängen hier einfach an den Leuten dran, und es juckt die Leute so wenig, wie es den Hai kümmert, dass er von Pilotfischen umgeben ist. Und dass mir hier niemand auf die Idee kommt, es könnte sich um Tierliebe handeln. Tierliebe hat sich auf dieser Insel noch nicht durchgesetzt. Bei dem nächtlichen Gekläffe, Gebelle, und Gejaule, drängt sich mir eine andere Idee auf. Dass es für die Leute hier etwas Beruhigendes hat, wenn der Hund durch die Nacht kläfft. Die Illusion von behütetem, sicheren Schlaf.

Eine andere Möglichkeit: angehende Menschen scheinen sich ihre Lebendigkeit durch Lärm bestätigen zu lassen. Es scheint relativ egal, ob sie selbst den Lärm veranstalten, oder dafür Hundesklaven mit Schappi bezahlen.

Für mich bedeutet es nun, dass ich mich wieder ein Stück von meinem Ideal entfernt habe. Dass ich wieder an einem Ort gelandet bin, wo ich mit Lärmstopps schlafen muss, und unnatürliche Geräuschkulissen mein Eintauchen in Stille stören.

Um allen Freunden von Esoterik und anderen unterhaltsamen Konstrukten gleich den Wind aus dem Segel zu nehmen: NEIN, es geht nicht darum, „in mir die Stille zu finden, und dann finde ich sie überall“. Diese Übung habe ich schon mit 23 mit Meisterschaft abgeschlossen gehabt. Die Aufgabe von der ich spreche, ist meiner inneren Stille, einen Ort hinzu zu fügen, der dieser Stille entspricht. Die anderen Leute nehmen den Lärm auch nicht nicht wahr, weil sie in sich „so still und ausgeglichen sind“, sondern sie sind betäubt, von ihrer harten Arbeit, und es bräuchte Erdbeben oder Bombenabwürfe, um sie aus ihrem Dauerschlaf zu reißen. Sie nehmen – wie mir scheint – überhaupt nur noch wahr, wenn etwas extrem laut oder extrem bunt ist. Sie fühlen sich im Recht, weil es alle tun, und fühlen sich in Sicherheit, weil sie mit ihrem Lärm nicht allein sind.

Aber was mache ich in diesem Spiel? Wo ist mein Platz, auf einem Planeten, auf dem es zu viele angehende Menschen, zu viele Maschinen, zu viele Hunde, und zu viel Angst vor der Stille gibt? Ich bin nun seit über einem halben Jahr auf Zypern, und fühle das erste Mal, dass dies womöglich nicht der Ort ist, wo ich bleibe. Ich beobachte in mir Gedanken wie „ich könnte mich ja vielleicht daran gewöhnen“. Aber so wirklich echt ehrlich schaffe ich es nicht, mich davon zu überzeugen. Dieser Raum ist schon mit meinem Traum von Stille belegt. Daran könnte ich mich gewöhnen…

Und so beginnt der ewige Wanderer nach dem nächsten Ort zu sehnen. Fragt sich, wie er beschaffen sein müsste. Was gewünscht ist. Und auf welche Warnzeichen ich zu achten habe. Das ist er. Der Schatten des Sommers. Ich schwitze endlich, wie ich es verdient habe, und bewohne ein Haus, von dem ich in Berlin geträumt habe – und wieder fehlt die eine kleine Kleinigkeit, die mich ganz und vollkommen „Ja“ sagen ließe.

Bin ich nun ein ewig Unzufriedener? Oder weiß ich nur sehr genau, was ich will und brauche, und bin nicht bereit mich mit Lügen zu täuschen? Doch am Ende bleibt die Frage: wo darf ich sein? Wo ist mein Raum, wo mein Ruhepol, wo innere und äußere Stille sich vereinen können?



74. Nicht ganz losgelassen

Wie war das noch gleich? Ich liebe es loszulassen? Materie loszuwerden? Zu reisen mit leichtem Gepäck? Als ich Berlin vor einem Jahr verließ, hatte ich mir vorgenommen, dass mein Rucksack unter zehn Kilo wiegen sollte. Mehr wollte ich nicht mitnehmen. Was man in Thailand auch machen kann, da man dort wenig zum Leben braucht, und alles bekommt.

Also war die letzte große Aufgabe in Berlin gewesen, meine Materie loszuwerden. Zwei Monate vor meinem Aufbruch, begann ich zu verkaufen, was ich verkaufen konnte. Eine Woche vor meinem Aufbruch warf ich letzte Dinge weg, und am letzten Tag ließ ich ein paar Dinge zu einem Freund bringen. Ein paar letzte Dinge, von denen ich mich nicht trennen konnte. Das waren: Ein runder, grüner Futon, den ich extra für mich hatte anfertigen lassen, ein paar unverkaufte Gemälde, drei Umzugskartons voll Krempel, und ein Fahrrad, das ich liebte, weil es wie auf mich zugeschnitten war. All das deponierte ich, weil… nunja… warum eigentlich?

Hier kam eine Mentalität in mir hoch, die eigentlich so überhaupt nicht meine ist. Der Gedanke dahinter war: wenn ich zurück komme, könnte ich die Sachen noch gebrauchen. Bestimmt hast du auch jemand in der Verwandtschaft oder im Freundeskreis, der auch so denkt. Da wird gesammelt, was „zu schade zum Wegwerfen“ ist – mit der Idee, es irgendwann nochmal gebrauchen zu können. Was meist nie passiert.

Interessant ist rückblickend, warum ich glaubte, ich würde nochmal nach Berlin zurückkehren. Hatte ich diese laute, hektische Stadt nicht über die Maßen aufgesaugt und abgeschlossen? War da ein Zweifel in mir gewesen, dass ich ein Zuhause im Warmen finden könnte?

Wie in den Reiseberichten zu lesen, habe ich mich weder mit Thailand noch Laos anfreunden können. Ohne Absicht und ohne Ahnung landete ich auf Zypern – und fand offene Türen vor. Relativ schnell stellt es ich heraus, dass ich hier bleiben wollte. Und damit begann die Komödie meiner sieben Sachen. Meiner Kisten in Berlin.

Ich fragte eine Freundin, die eine Spedition hat, ob sie mir die Sachen nicht preisgünstig rüberbringen könnte. Sie hatte mir schon mal geholfen, meinen Krempel aus Österreich nach Berlin zu transportieren. „Kein Problem“, sagte sie auch dieses mal, ließ die Kisten und mein Rad von meinem Freund abholen, und wollte sie mir schnellstmöglich als Beiladung nach Zypern schicken. Zu dem Zeitpunkt wusste ich schon, das sich meinen Futon billig verkaufen wollte, und meine letzten Bilder ebenfalls in Berlin Kunden fänden.

Soweit der Plan. Doch Zypern war nicht nur nicht auf meiner Landkarte gewesen. Zypern ist auch für andere Länder nicht auf der Landkarte. Zum Beispiel wenn es um Speditionen und Beiladungen geht. Wochenlang probierte meine Freundin von der Spedition eine Möglichkeit aufzutun. Alles was dabei heraussprang, war eine Option die teurer war, als alles in den Kisten hatte plus Fahrrad. Nach einigen Monaten hatte sich keine Option ergeben, und es galt eine Entscheidung zu treffen. Die war schnell gefunden: die Kisten konnten weg, das Rad sollte her. Doch hatte ich inzwischen vergessen, was ich eigentlich so wichtiges in den Kisten verstaut hatte. Das hieß, ich konnte sie nicht einfach wegwerfen. Ich musste mit jemand einen letzten Blick auf den Inhalt werfen, und überprüfen, was der allwissenden Müllhalde übergeben werden sollte.

Ich bekam Hilfe von einer Freundin in Berlin, die sich nicht nur bereit erklärte, mit mir die Kisten via Skype zu durchforsten, sondern auch mein Rad hierher zu schicken. Das mit dem Rad schreibt sich jetzt ganz lässig – doch es war wochenlang nicht möglich herauszufinden, wie ich das Rad nach Zypern bekäme. Was daran lag, dass so viele verschiedene Komponenten zusammenkamen, die erfüllt werden mussten. Niemand schien zu wissen, was wirklich Sache ist. Offenbar hatte noch nie im Leben irgendwer ein Fahrrad nach Zypern geschickt. Es brauchte mehrere Wochen, ehe alle Antworten zusammengetragen waren. Nein, es gab keine Anbieter außer der Post, die Räder nach Zypern schickten. Nein, es gab keine alternativen Versanddienste, die ein Rad preiswert verschickt hätten; die Preise die z.B. von UPS aufgerufen wurden, waren höher als die Anschaffung zweier nagelneuer Mountainbikes. Und die Post, tja, die übertrumpfte sich mit widersprüchlichen Aussagen. „Nein, wir verschicken nicht nach Zypern“. Wogegen die Homepage der Post was anderes sagte. Allerdings war der Radversandkarton einige Zentimeter über den Maximalmaßen, und so weiter, und so weiter.

Eines schönen Tages brachte ein lieber Freund meinen Krempel von der Spedition zur Freundin. Als ich mir ihr via Skype die Kartons durchsah, wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Ich könnte es nett umschreiben, aber das einzig passende Worte für die Sachen in den drei Kisten war „Müll“. Ich hatte das Leben in Berlin so weit hinter mir gelassen, dass alles, was die Freundin vor die Webcam hielt, wie unnützer Blödsinn aus einem vergangenen Leben schien. Es gab noch zwei, drei Kleinigkeiten, die ich mir von ihr mit in den Fahrradkarton stecken ließ. Letztlich hatten wir herausgefunden, wie groß der Karton sein durfte, und meine Freundin zerlegte mein Rad fachgerecht, packte es ein, und kurz darauf war es auf dem Weg nach Zypern. Hatte bloß paar Monate gedauert.

Die Moral aus dieser Geschichte? Ich bin inzwischen so oft in meinem Leben umgezogen, und habe mich stets darüber geärgert, meine Dinge mit mir schleppen zu müssen. Irgendwann hatte ich kapiert, dass ein Neuanfang ruhig radikal sein darf. Wenn man ein Leben zurücklässt, darf man gerne auch mit der Materie neu anfangen. Ob Kleidung oder andere Gegenstände – wenn das neue Leben beginnt, fühlen sich alte Sachen sonderbar tot und sinnlos an. Mehr noch: Dinge an alten Orten zurückzulassen, fühlt sich an, als wäre ich irgendwie noch subtil mit einem alten Leben Verstrickt. Was sich zunehmend wie ein Hindernis anfühlte, hier am neuen Ort wirklich anzukommen.

Einzig das Fahrrad hatte weiterhin Bedeutung, und als es auf Zypern ankam, und ich endlich meine ersten Runden durch die Berge machen konnte, war das ein Spaß, der den Aufwand ansatzweise rechtfertigte. Doch selbst mit dem Rad habe ich erkennen dürfen, dass ich es ebenso gut in Berlin verkaufen, und vom Erlös ein neues Rad hätte kaufen können. Es hat seine Vorteile, dass es Geld gibt. Das vereinfacht manches ungemein.

Noch weiß ich nicht, wie lange ich auf Zypern bleiben werde. Wieviel Glück mir beschert ist. Wie gut es weiter läuft. Doch sollte mich der Wind des Lebens weiter wehen, weiß ich, das sich nur mehr mitnehmen werde, was ich selbst tragen kann.



75. Paprika und Pfefferminze
 
Es begann harmlos und unscheinbar. Weil mich meine Freundin in ihren schicken, dunkelgrünen Toyota packte, und aus Berlin raus fuhr. Ich liebte es von ihr entführt zu werden, während aus dem Stereo „the cure“ jammerte – oder wahlweise elektronisches Geschepper. Bis wir irgendwo in der Pampa rumhingen, mit See oder ohne, mit Wolken oder ohne, irgendwo abseits vom tosenden Rumpeln Berlins.

Dann lag ich da auf einem Tuch in einer Wiese mit ihr, und starrte wie hypnotisiert auf kleine Käfer, die über Gräser turnten. Das war die Geburtsstunde eines neuen Ichs. Ich ahnte es damals nur. Es war absolut eindeutig, dass meine Beweggründe, die mich nach Berlin geführt hatten, befriedigt waren. Während davor Sex, Drugs, und Techno mich ins wilde Treiben lockten, waren es nun kleine Käferchen auf der Wiese, die mich in die Natur lockten.

Es war ein ein langer Weg, der da begann. Ein total verwöhnter und verdorbener Stadtmensch begann seine Prägungen abzulegen. Zehn Jahre dauerte dieser Weg, der mich mit meiner Freundin nach Ibiza führte, ohne Freundin nach Linz, zwischendurch immer wieder Berlin, den Stadtrand von Berlin, und tiefer in die Einfachheit.

Heute, auf einem Hügel von Zypern, staune ich, was ich bereits alles abgelegt habe, und wie mich die Natur weiter weckt. In meinem Haus (das wohl auch nur ein Übergang zu dem Raum sein dürfte, der mir noch mehr entspricht) habe ich einen kleinen Garten, in dem ich experimentieren kann. Ich mag das Wort „Permakultur“ nicht sonderlich. Da hätten sich die Leute echt was Poetischeres einfallen lassen können. Ich tendiere zu „Schlumpergärtnern“ - was auch nicht wirklich poetisch ist, aber gut ausdrückt, dass meine Rolle im natürlichen Wachstumsprozess nicht so irre wichtig ist.

Die Natur wächst. Will leben und weiteres Leben schaffen. Expandieren. Es braucht dafür nicht viel. Ein paar Samen, etwas Erde, etwas Wasser. Den Rest machen die Pflanzen von allein. Was ich ganz schön beeindruckend finde. Ich muss nicht groß Arbeit aufwenden. Ich könnte, aber dafür bin ich viel zu bequem. Im Gegenteil. Je weniger ich mich einmische, desto brillanter spielt die Natur. Ich bin eben ein Schlumpergärtner, und experimentiere, was im heißen, zypriotischen Klima geht.

Meine ersten Aha-Oho-Effekte hatte ich mit einer Pfefferminze. Die fühlt sich hier sehr wohl, und wächst und wächst, und wächst – und schmeckt! Alles was ich dazu beigetragen hatte, war täglich etwas Wasser. Angeregt dadurch, grub ich an paar Stellen Samen aus einem gekauften Paprika ein – und paar Wochen später konnte ich die ersten selbst „gepflanzten“ Paprikas meines Lebens ernten. Jetzt fragst du ich vielleicht, was daran so toll sein soll. Nun, es ist Bestandteil eines zunehmend einfacheren Lebens, das sich mehr und mehr von den Illusionen der Konsumgesellschaft verabschiedet. Ich bin gerade in der wunderbaren Situation, dass ich auf einer Insel lebe, auf der überall Essen wächst. Zitronen, Orangen, Pfirsiche, Äpfel, und, und, und… ich bin umgeben davon. Viele Gärten haben hier prachtvolle Obstbäume – und das erzeugt ein Gefühl. Es lässt die Frage aufkommen: Woher kommen all die Bedürfnisse, die ich so lange mit mir rum getragen habe? Wo das Leben alles liefert, was ich brauche...

Heute habe ich mich so weit von äußeren Zwängen verabschiedet, dass mein Leben erstaunlich entspannt ist – und sich ein Tag hier, wie vier Tage damals in Berlin anfühlt. Viel Zeit, das Leben zu genießen. Ich meine damit nicht Konsum. Ich meine damit Raum für Träume. Raum für Beobachtungen. Raum für Genuss. Das Leben machen lassen - und staunen.

So wie meine Einfachheit bislang weiter aufgeblüht ist, gehe ich davon aus, dass sie weiter wachsen und sich ausdehnen wird. Wie die Minze in meinem Garten. Noch sind da ein paar Bereiche meines Lebens, durch die ich noch mit dem Konsumsystem verstrickt bin. Allen voran das Internet. Süße Droge, Spielzeug, und Weg mich noch zu finanzieren. Strom, um das Internet zu betreiben. Kleidung, die ich mir nicht selbst mache. Und die Materialien, die ich für meine kreativen Ausdrücke benutze.

Momentan spiele ich im Garten. Lasse Samen fallen, und spiele Wachstums-Lotto. Welche Samen gehen auf, welche vertrocknen oder werden gefressen? Was macht Sinn, was verpufft? Aber mit jedem Schritt, den ich mache, spüre ich, dass meine Bedürfnisse die Spiele fremder Systeme weiter oder wieder zu spielen, vertrocknet sind. Es ist äußerst faszinierend zu beobachten, wie mich das Leben und die Natur formen. Subtil. Unscheinbar. Unaufdringlich. Die Natur wirbt nicht. Will mir nichts verkaufen. Sie ist einfach da, und lockt. Nicht groß verwunderlich, dass die Natur, Gaya, als fraulich gesehen wird. Sie ist sehr verführerisch. Die Orgasmen, die sie schenkt haben es in sich. Die psychedelischen Drogen, die ich in Berlin genossen habe, waren scheinbar Überbrückungen, damit ich meinen Ursprung nicht völlig vergaß. Hier bin ich wieder nah am Puls. Erlebe Phänomene der Ekstase, ohne dafür etwas machen oder schlucken zu müssen. Es geschieht. Ich erfahre es, weil nichts mich davon ablenkt, die Erfahrung zu genießen.

So, wie ich beobachte, was in meinem Garten geschieht, beobachte ich, was in mir geschieht. Nennt es Seele, Herz, Lebensfeuer – es wächst. Es war umgeben von begrenzenden Mauern, die weiter und weiter bröckeln, zerfallen, und von grünem Leben überwuchert werden.



76. Stille Nächte
 
Zwei Wochen vor der „stillen Nacht“, der Wintersonnwende, die den Zeitpunkt markiert, da die Tage wieder länger werden, bekomme ich unvorstellbare Geschenke. Geschenke, die ich mir lange Zeit gewünscht habe.

Vielleicht kennt ihr das von Weihnachten, der „stillen Nacht“. Dass irgendwann die Straßen, selbst in Großstädten, leer werden, alles runter fährt, und wer die achtsamen Ohren dafür hat, vor dem Einschlafen, über die Stille staunt.

Hier auf Zypern wurde ich nun schon mit drei stillen Nächten beschenkt. Wenn ich „still“ schreibe, dann meine ich die völlige Abwesenheit von Klang. Nicht nur „bisschen leiser“ als der gewohnte Lärmpegel. Nein. Stille. Totale Abwesenheit von Geräuschen. Keine Motoren, weder nah, noch fern. Keine Hunde. Keine Vögel. Kein Wind, der ums Haus oder durch Büsche schleicht.

Die übliche Reaktion der meisten modernen Jederkörper ist, dass sie irgendwas machen, womit die Stille mit Geräuschen gefüllt wird. Wenn sie nicht die Musikmaschine anschmeißen, den Computer, Filme schauen, telefonieren, oder sich in geräuschvolle Geschäftigkeit begeben, dann werden sie wenigstens anfangen, vor sich hin zu pfeifen, zu trällern oder zu summen. Einfach, weil sie Stille nicht ertragen können. Kann ich hier von „Angst vor Stille“ sprechen? Verständlich wäre es. Stille ist beeindruckend.

Ich liebe die Stille, und wenn ich sie wahrnehme, will ich tiefer in sie eintauchen. Ich schalte sogar den Kühlschrank aus, wenn das Kühlaggregat los surren will.

Gestern also, tauchte ich wieder in die Stille. Die nicht nur wenige Minuten anhielt, sondern konstant blieb, bis ich einschlief. Dabei geschah eine ganze Menge.

Zunächst mal ist wirklich verständlich, dass die Jederkörper Angst vor der Stille haben, weil Stille gleichbedeutend mit Tiefe ist. In die Stille zu lauschen ist wie eine psychedelische Reise. Wie Eintauchen ins Universum. Meine Ohren und mein Verstand machten sich auf die Suche, nach Klang. Nach irgendetwas. Einem Geräusch. Da war jedoch nichts außer dem, was meine Botschafterin der Liebe vor 15 Jahren in einem Gedicht „der Welt Raunen“ genannt hatte. Ein subtiles, filigranes… Schwingen… Rauschen… Säuseln…. Nicht greifbar, weil es keinen Ursprung zu haben scheint. Jedes Ding hat einen Klang, doch das Weltraunen scheint ohne Klangerzeuger einfach da zu sein. Konstant. Und nicht wirklich hörbar. Eher ein zärtliches Kitzeln der Sensoren in meinen Ohren.

Während ich so lauschte, beobachtete ich, wie sehr sich mein Verstand bemühte, etwas hören zu wollen. Er war beinah panisch. „Da muss doch irgendwo was sein, woran ich mich festhalten kann“, hörte ich meinen Verstand jammern. In dem Augenblick fühlte ich, dass Klang auch Bestätigung von Leben zu sein scheint. Ist da Klang, ist da auch irgendwo Leben. Ist da kein Klang – bin ich dann tot? Ich lachte über meinen strebenden, wollenden Verstand und sagte ihm, er solle schlafen gehen. Er wurde nicht mehr gebraucht. In die Stille hört man nicht mit den Ohren des Verstandes. Da ist nichts zu messen, zu werten, zu beweisen, zu wollen. In die Stille höre ich mit Ohren, die direkt mit dem Herz verbunden sind.

Ich tauchte also in die leere, tiefe Stille.
Wurde davon getragen von einem farblosen, bewegungslosen Sog.
Ein Bild kam hoch.
Ich, wie ich eintauchte in einen riesigen Mutterleib.
Ein tröstliches Bild.
Ein zärtliches Gefühl.
Ich fühlte die Nähe von Tod und Stille,
und dass da nur Frieden war.

Als Nächstes spürte ich Tränen über meine Wangen streicheln.

Zeit spielt in der Stille keine Rolle. Ich wusste nicht, wie lang ich in der Unendlichkeit getrieben war. Doch als ich mich auf die Seite rollte, um zu schlafen, fühlte ich mich zufrieden und glücklich.

(Vigor Calma, 10.12.2016)