Eigenantwortlich

 

Liegt es in der Natur der Zweibeiner, dass sie unbedingt Schuld im Außen finden wollen? Wie weit reicht dieses amüsante Spiel, mit dem man sich davon abhält, die Hinweise des Lebens anzunehmen?

 

Solang ich überhaupt zurückdenken kann, war ich jemand, der versuchte herauszufinden, warum die Phänomene so waren, wie sie waren. Was lag den Phänomenen zugrunde? Wo befand ich mich inmitten dieser Phänomene, und welche hatte ich selbst geschaffen oder in mein Leben gerufen?

 

Es gab eine Zeit, da war ich nicht großartig anders, als wohl so ziemlich jeder Zweibeiner auf diesem Planeten. Alle und alles waren an meinem Leid Schuld. Wogegen meine wenigen Erfolge oder Glücksmomente natürlich allein mein Werk waren. Das ging so weit, dass ich Beteiligung anderer ignorierte und manchen Herzen damit unbewusst und unnötig weh tat. Weshalb mir das Leben Momente schickte, in denen ich erfahren durfte, wie es anders herum aussah, und wie es mir weh tat, wenn meine Beteiligung am Erfolg anderer keine Beachtung fand.

 

Ich lernte, nicht weil ich lernen wollte, oder irgendeine esoterische Schlauheit nachlebte, sondern weil ich besessen von Wahrheit war, und dieser Wunsch nach Wahrheit vom Leben gnadenlos erfüllt wurde. Wofür ich dann mit einem Geschenk belohnt wurde, das ich mir so wohl nicht gewünscht hätte, wenn ich gewusst hätte, was es ist. Die fragwürdige Gabe, zu spüren, was hinter dem Verhalten anderer Herzen, und hinter meinem Verhalten wirklich lag.

 

Es wurde früh deutlich, an einem einfachen Beispiel: Rauchen. Es wurden tausende Ratgeber geschrieben, wie man das Rauchen aufgeben konnte. Eines wurde großzügig verschwiegen. Dass es etwas gab, was wirklich half: nicht machen. Keine Zigaretten kaufen. Keine Schachtel öffnen. Keine Zigarette herausholen. Keine Zigarette in den Mund stecken. Kein Feuerzeug oder Streichholz anfassen. Die Zigarette nicht anzünden. Nicht inhalieren. Jede Menge Gelegenheiten, etwas sein zu lassen. Es ging weniger darum, etwas zu tun, als etwas nicht zu tun. All die schönen Konzepte von Sucht, wurden schlagartig in Frage gestellt. Ich fragte mich, wann es jemals anders war. Wann schaffte ich es, wann schaffte es irgendein Zweibeiner, den Kelch an sich vorüber ziehen zu lassen? Sie wissen schon: diesen berüchtigten Becher, in dem äußerst bittere Medizin, wenn nicht sogar Gift auf einen wartete.

 

Eine der größten und absurdesten Legenden des Zweibeiners, ist „Schicksal“. Dass es Dinge gäbe, denen Zweibeiner hilflos ausgeliefert wären. Was vielleicht auf Bäume zutrifft, die mit ihren Wurzeln in der Erde verankert, dazu verdammt sind, jedes Wetter und jedes Phänomen zu erdulden, und eben nicht wie in „Herr der Ringe“ munter herum spazieren können, wenn nur der Anlass es erfordert. Zweibeiner können das sehr wohl. Sie haben Beine und viele andere Fortbewegungsmethoden, mit denen sie ihr Schicksal ändern können. Tun sie bloß erstaunlich selten, weil heilige Hypnosen sie daran hindern, beziehungsweise daran zu hindern scheinen.

 

Der größte Feind des Zweibeiners liegt in ihm; in Glaubenssätzen, mit denen er sich das Leben maximal schwer gestaltet. Dagegen ist nichts einzuwenden, da auch Bäume umso stärker und flexibler werden, je mehr sie vom Sturm und Unwetter geschüttelt werden. Anders als Bäume, können Zweibeiner relativ frei entscheiden, welches Unwetter sie wählen. Bitte beachten Sie: ich schreibe nicht, dass jedes Unwetter vermieden werden kann oder soll. Irgendwann hat man jedoch die Lektion gelernt, und vor allem Masochisten werden dann zur Wiederholung greifen. Hier kommt so ziemlich jeder Zweibeiner, Freund und jede Freundin meines Lebens ins Spiel. In nenne es „Vergessen ein Update zu installieren“.

 

Aus einem schwer nachvollziehbaren Grund tendieren so ziemlich alle dazu, in der Dynamik weiter zu leiden, in der sie zu leiden gelernt haben. Gewohnheit ist ein gewichtiger Antrieb, und wenige sind sich ihrer Gewohnheiten und Strukturen bewusst. Sie greifen lieber zum Märchen von Karma oder Schicksal, als irgendwann einmal nicht nach dem Feuer zu greifen, mit dem sie ihr Leid entfachen. Teil dieses fatalen Mechanismus, ist die Aktivitätsgläubigkeit der meisten Gesellschaften dieser Erde. Egal wohin ich kam, wurde stets die Philosophie gelebt, Liebe (bzw. Liebes Ersatz) gegen Leistung, oder Leben gleich Aktivität. Das Ausmaß, mit dem da übers Ziel hinaus geschossen wurde, kann ich nicht ansatzweise beschreiben. Praktisch sieht es so aus, dass Bewegung und Aktivität als solche idealisiert werden, auch wenn sie nicht den geringsten, realen Sinn haben. Wogegen Nicht-Handeln meist kurzerhand mit dem Dogma der Faulheit belegt wird. Was so tief geht, dass praktisch niemand jemals innehält in mehr oder weniger sinnvollen Aktivitäten, nur um nicht für faul gehalten zu werden.

 

In meinem Leben habe ich viele Herzen getroffen, die schlechtes Gewissen hatten oder bekamen, wenn sie mal für ein paar Augenblicke nichts taten. Noch mehr Herzen, die ich traf, konnten nur still halten, wenn das Leben sie mit Krankheit oder Unfällen zu Auszeiten zwang. Was ich hingegen selten antraf, waren Herzen, die von sich aus auf die Bremse traten, innehielten, und darüber nachdachten, welche Angebote des Lebens wirklich für sie gedacht waren.

 

Das Leben ist in sich verführerisch. Nicht weil da ein böser, gewitzter Teufel mit Verlockungen winkt. Noch eine Legende. Der Teufel ist kein Dämon oder Wesen außerhalb von Ihnen. Es ist eine Illusion in Ihnen. Eine nervig blinkende Neon-Reklame, die Ihnen ständig suggeriert, was sie verpassen oder sich entgehen lassen würden, wenn Sie ausgerechnet diesen Kelch an sich vorüber ziehen lassen würden. So packen nicht nur Sie, sondern fast alle Zweibeiner auf diesem Planeten, Kalender und Wohnungen so voll, wie es nur geht. Ungeachtet der eigenen Kapazitäten, oder was die eigenen vier Wände fassen können. Sogar wenn jemand an Terminen oder Krempel zu ersticken droht, hören wenige auf. Sie greifen praktisch nach allem, sogar nach Müll, Abfällen und Dreck, wenn sie sich nur einreden können, es hätte Zweck. Es wäre vielleicht irgendwann nützlich. Sicherlich kennen Sie auch jemand in ihrem Umfeld, mit der Unfähigkeit, den eigenen Keller zu entrümpeln. Weil „man ja nie wissen kann, wann man etwas brauchen könnte“.

 

Die einfachste Erklärung für dieses Phänomen, sah ich als Teenager in dem Film „Der einzige Zeuge“, in dem ein alter Mann einem Kind die Gefahr einer Pistole erklärte. Er sagte: „Alles was du berührst, nimmst du in deine Herz“. Einfach und wahr. Was man erstmal berührt hat, wird schwer wieder losgelassen. Weshalb meine einfache Lösung eines Tages war, dass ich genau überlegte, was ich berühren wollte. Was ich in mein Leben riefe oder ließ. Das betraf Dinge, es betraf Zweibeiner, es betraf Ereignisse und Phänomene. Nicht alles, was mir verlockend erschien, hielt einfachen Fragen stand.

 

Ist das wirklich, was ich will, oder hat mich eine süße Illusion mit ihrem Duft gelockt?

 

Was ist der wahre Preis dieses Phänomens? Ich hatte längst kapiert, dass es für jedes Angebot Kleingedrucktes in unsichtbaren Verträgen, den angezeigten und den wahren Preis, also einen Rattenschwanz gab. Wieviel Energie würde es kosten, und was wäre ungefähr der Nutzen für mich? Wann begab ich mich in ein Feld, in dem ich aus der Balance kam? Wann gab ich mehr, als für mich gesund war?

 

Relativ früh hatte ich erkannt, dass gesellschaftliche Normen und Moralvorstellungen früh und tief in jedem Zweibeiner verankert wurden. Ideen, wie man zu sein hätte, um ein „guter Mensch“ zu sein. Schmeißen Sie diese Idee bitte möglichst schnell in die Tonne; eine, wo dieser Gedanke nicht recycelt wird. Ich habe in meinem Leben niemand getroffen, auf den der Begriff „Mensch“ anwendbar gewesen wäre. Im besten Fall hatten einige wenige Herzen Aspekte der Menschlichkeit gelernt anzuwenden, und meist waren es eben diese Herzen, die sich in Bescheidenheit übten, und einfach akzeptierten, dass da stets Bereich wären, wo sie scheiterten. Wofür sie sich weder selbst bestraften, noch ein schlechtes Gewissen einreden ließen.

 

Selbstbestrafung und schlechtes Gewissen sind hervorragende Druckmittel, mit denen die Gesellschaften der Welt Individuen an Freiheit und Glück hindern. Ich lade Sie herzlich dazu ein, sich frei zu fühlen, zu tun, oder nicht zu tun, was immer sie wollen. Es ist unmöglich, dass Sie Ihren Weg gehen, ohne Missgunst, Unwillen, Neid, Verurteilung, Ablehnung oder sogar Hass auf sich zu ziehen. Sie haben die freie Wahl, inwieweit Sie diesen Phänomenen Kraft und Energie geben. Glauben Sie wirklich, Sie hätten Schuld, wenn Sie irgendwelchen Erwartungen nicht entsprechen?

 

Bitte glauben Sie nicht, dass irgendwo auf Sie ein Paradies ohne Herausforderungen auf Sie warten würde. Freie Wahl bedeutet nicht zwangsläufig, Sie würden irgendein Schlaraffenland vorfinden, wo Ihnen die Früchte in den Schoß fallen. Freie Wahl bedeutet, dass Sie in sich hinein lauschen dürfen, genau hinhören können, was die Stimme Ihres Herzens flüstert. Wenn die sagt, dass Sie lang genug Unfug getrieben haben, wenn Sie lang genug Tyrannen gedient haben, wenn Sie lang genug in Regen und Sturm gestanden haben, dann steht es Ihnen frei „Genug!“ zu rufen. Es heißt nicht zwangsläufig, dass Ihr Weg ohne Schlaglöcher oder Unfälle sein wird, aber die Welt ist und bleibt die Welt der Möglichkeiten. Sie dürfen für sich entscheiden, wem Sie mehr glauben wollen. Den lauten Marktschreiern, die nie müde werden, mit Megaphonen geile Wichtigkeiten in Ihre Ohren zu plärren, oder dem sanften Flüstern Ihres Herzens, das genau weiß, was Sie wirklich wollen. Auch wenn dieses Wollen vielleicht gegen die Normen Ihres Umfelds stößt.

 

Das zu beachten trägt in sich die Frucht der Erleichterung. Wenn Sie nicht mehr alles auf Ihren Wagen oder in Ihren Rucksack packen müssen, können Lücken in Ihrem Kalender oder Ihrer allwissenden Müllhalde entstehen. Und vielleicht sind es genau diese kostbaren Lücken, in die das hineinströmen kann, was Sie wirklich vom Leben erträumten, aber nie wagten, es kommen zu lassen.