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Geschichten ohne Liebe

 

Im Film „Himmel über Berlin“ fragt ein alter Mann, was es ist, dass es den Zweibeinern nicht gelungen ist, ein Epos der Liebe anzustimmen. Und tatsächlich ist das eine einfache und tiefgreifende Frage. Da niemand besonders gerne leidet, Krank ist, oder Mangel erfährt, doch fast alle Geschichten dieser Welt, genau das als Kern ihrer Geschichten haben. Irgendein Theater-Regisseur meinte, Geschichten bräuchten Konflikt. Ich glaube vielmehr, Geschichten brauchen andere Zuschauer, Zuhörer und Leser. Wenn jemand nur bereit ist, sich auf eine Geschichte einzulassen, wenn Gewalt, Verbrechen und Tod ausgebreitet werden, liegt das vielleicht daran, dass betreffende Person nie das Kindheits-Stadium verlassen hat.

 

Gewalt als Konfliktlösung funktioniert nicht, da jeder Akt der Gewalt Opfer zurücklässt. Das Thema der Rache hält so manche Geschichte aufrecht, obwohl darin bereits der nächste Fehler steckt. Rache wird weitere Rache nach sich ziehen, genau wie Gewalt zu mehr Gewalt führt. Was in den meisten Geschichten relativ einfach gelöst wird. Da gibt es die Bösen, die vernichtet werden sollen, und das Gute, das meist gewinnt. Damit sich die Konsumenten weniger hilflos fühlen, in ihren Leben voller Ungerechtigkeit und unlösbarer Aufgaben.

 

Meist reden sich Schaffer von Gewalt-Fantasien darauf hinaus, „es sei nur Fiktion“ und „diene der Unterhaltung“. Was eine amüsant oberflächliche Betrachtung ist. Weil fiktive Gewalt der Kompensation dient, bevorzugt für jene, die keine Macht haben, wird das tiefe Folgen haben. Es wird Ideen aufkommen lassen, wie Konflikte zu lösen wären, und Illusionen erzeugen, Gewalt würde helfen, sich weniger hilflos zu fühlen, inmitten des großen Lebensrätsels. Ob es das kleine Kind ist, das in der Schule gemobbt wird, oder Angestellte, die ihren Chefs ausgeliefert sind – was sie verbindet, ist die Befriedigung, wenn Ungerechtigkeit in Geschichten beendet wird, indem die Bösewichte besonders sadistisch beseitigt werden.

 

Großzügig könnte man glauben, dass damit ein Moment der Heilung geschieht. Wäre da nicht die Erinnerung, an völlig unpassende Vorgehensweisen. Im realen Leben sind weder Terminator noch Dirty Harry erwünscht. Der Liebe kommt niemand näher, indem man anderen antut, was man schmerzhaft erlitten hat, oder selbst mit Händen und Füßen fern halten will.

 

Bis heute gibt es erschreckend wenig Geschichten, die von Vergebung handeln. In denen wahre Helden den Mut und die Stärke aufbringen, den Kreislauf aus Hilflosigkeit zu durchbrechen. Nicht indem sie Gewalt weitertragen, sondern aushalten und den Weg der Liebe gehen. Stell sich einer eine Welt vor, in der das die Themen von Geschichten wären. Wie vergibt man? Wie steht man Hilflosigkeit durch? Wie kommuniziert man ohne Anklage oder Hierarchie? Wie werden Konflikte friedlich und für alle befriedigend gelöst? Und wie macht man daraus ansprechende, unterhaltsame Filme oder Bücher?

 

Da haben wir den Salat. Angebot und Nachfrage. Solange Geschichten ohne Liebe konsumiert werden, wird die Industrie genau diese Nachfrage befriedigen. Eine Nachfrage, die geschaffen wird, indem man bereits kleine Kinder mit putzigen Geschichten auf Gewalt prägt. Hier schließt sich der Kreislauf, der so alt ist, wie die Tradition des Geschichten-Erzählens. Es geht weiter. Und auch dieses Jahr werden wieder Millionen Geschichten von Gewalt und Tod verkauft und konsumiert werden. Unwahrscheinlich, dass sich das ändern wird. Der Joker in dem Spiel: jedes Herz kann für sich entscheiden, ob es solche Geschichten noch hereinlassen und finanzieren will.