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Die Traumatisierte Gesellschaft

Glauben Sie bitte nicht, was Sie glauben sollen. 

Glauben Sie, was Sie glauben wollen. 

Was Ihnen Ihr Instinkt sagt. Ihr Bauchgefühl. Ihr Herz. Von mir aus, Ihr Verstand. Und nehmen Sie sich in acht vor Einflüssen, deren Urheber Sie nicht persönlich kennen, und deren Motivationen Ihnen unbekannt sind. Also nehmen Sie auch diese Worte mit Vorbehalt und überprüfen Sie, was in Ihnen ausgelöst wird, ehe Sie mich steinigen oder einen Dankbarkeits-Blowjob anbieten wollen.

Corona ist vorbei. Und nichts ist vorbei. Die Welt ist nicht untergegangen. Wieder mal nicht.  Wie nach jedem Krieg, sind die Zweibeiner nun mit den Folgen konfrontiert. Wie traumatisierte Kriegsrückkehrer aus Vietnam, wurde nicht groß darauf geachtet, was zwei Jahre kollektiven Alptraums mit den Herzen angerichtet haben. Wieso auch? Das Leben geht weiter, gestern ist vergangen, Kühlschränke wollen gefüllt und Mäuler gestopft werden. Richtig?

So verwundert es zu meiner großen Verwunderung auch niemand, dass es keine große Corona-Abschiedsparty gab. Kein großes Fest, mit dem das Ende eines Krieges gefeiert werden hätte können. Wie auch? Es gab keine Helden. Es gab nur Verlierer. Glücklich sollte sich schätzen, wer mit dem Leben davon gekommen ist. Bloß, was für ein Leben? 

Ich habe nicht übermäßig viele Zweibeiner im Corona Krieg getroffen. Wen ich auch traf – alle waren durch Corona direkt oder indirekt in Zustände geworfen worden, die sie freiwillig nie gewählt hätten. Der eigentliche Horror der Corona-Zeit war keine Bedrohung durch einen Virus, sondern was Zweibeiner diktatorisch über andere gebracht haben. 

Die totale Entmündigung der sonst so selbstsicheren und von sich überzeugten Bürger, war etwas, das sich niemand hatte vorstellen können. Bis es geschah. So allumfassend, dass es kaum mehr Schlupflöcher, Ausweich- oder Fluchtmöglichkeiten gab. Von einem Augenblick zum anderen war die Gesellschaft in zwei Lager gespalten worden. Gräben zwischen Freunde und Familien gerissen worden. Wenige wagten, in sich zu lauschen, und zu tun, was ihr Herz oder Verstand vorgab; die Mehrzahl der Betroffenen suchten Hilfe und Rat in den Medien. Glaubten, was man ihnen eindringlich riet zu glauben – und wurden auf falsche Fährten gelockt. Was nicht von Bedeutung war, wenn sie nur glauben konnten, sie wären auf der richtigen Fährte. Das es so etwas nicht mehr gab, war wenigen bewusst. Das es keine Frage von Richtig oder Falsch war, sondern einzig des nackten Überlebens.

Während Corona hielt ich mich weitgehend aus Diskussionen über Schuld und Feindbilder heraus. Nach Corona versuchte ich anzunehmen, wertfrei und ohne Verurteilungen, dass alle irgendwie versucht hatten, zu überleben. Wie auch immer. Integrität oder moralische Werte waren ausgehebelt worden, und es zählte nur, wer diese Zeit überstanden hatten. Nicht wie. So richtig konnte sich niemand darüber freuen. Weil auch den stursten Ignoranten klar geworden sein dürfte, dass es Mächte gab, die kurzerhand das gewohnte Leben beenden und komplett auf den Kopf stellen konnten. Dass von Hüh auf Hott ein großes, schwarzes Loch aufgetan, und man ohne Vorwarnung hingestoßen werden konnte. 

Schlimmer als die Bedrohung durch Krankheit und Tod war die Auflösung des Hoffnungs-Prinzips. Da kam einfach mal irgendwer daher, eine Stimme, versteckt durch Pixel und Monitore, und sagte: „Lasst alle Hoffnung fahren!“ Es war nicht Dante Alighieri, der das sagte, sondern irgendwelche Wissenschafts-Götter. Sie sagten es auch nicht poetisch, wie der italienische Dichter, sondern nüchtern und pragmatisch, wie das so die Art ist, bei Wissenschafts-Göttern, was die Hoffnung doppelt zertrümmerte. Weit und breit keine Stimmen, die Mut machten oder Vertrauen schenkten. Mit meiner Idee von Mut und Vertrauen stand ich wie üblich einsam und verlassen da, nicht unbedingt angespien, aber hinter vorgehaltener Hand und versteckt durch Masken, mitleidig belächelt. Ein Zustand, den ich als „weltfremder Träumer“ oft erfahren hatte. Nichts Neues also. War mir bekannt. Ich war vorbereitet. Was sie nicht wussten: es lebt sich gut ohne Hoffnung, wenn man stattdessen Vertrauen ins Leben hat. Doch wer außer mir hatte das? 

Da wurden plötzlich Weisheiten von den kontrollverwöhnten Zweibeinern eingefordert, an denen manche Zen-Schüler jahrelang scheiterten. Wie gab man sich mit wenig zufrieden, wie lebte man zufrieden in Isolation, wie kam man ohne das gewohnte Entertainment aus? Dinge, die ich freiwillig jahrelang geübt hatte, waren für andere eine unlösbare Aufgabe. Verbunden mit dem Zeitdruck, der einforderte: „Jetzt!“ Sofort. Nicht morgen oder übermorgen. Jetzt! Was ich mir über Jahre angeeignet hatte, sollten Bürger einer zerstörten Gesellschaft einfach spontan aus dem Ärmel schütteln. Ohne wenn, ohne aber, und vor allem, ohne Alternative.

Ich hatte vor Jahrzehnten meine tiefen Erfahrungen mit Bioüberlebensangst gemacht, und sie einigermaßen gemeistert. Vielleicht nicht elegant, aber immerhin gemeistert. Ich hatte den Weg gewählt, weil ich genau diesen Zwang des Lebens und emotionale Erpressungen der Gesellschaft (Gelddruck, Gruppenabhängikeiten) hatte vermeiden wollen. Wer sonst hatte das getan? Wie das Post-Corona-Trauma zeigt, verdammt wenige. 

Hilflosigkeit ist bis heute nichts, womit sich Zweibeiner leicht tun. Je größer die Kontroll-Illusion, desto schwerer tut sich der Zweibeiner damit, sich Hilflosigkeit einzugestehen. Hilflosigkeit über einen solch langen Zeitraum hatte es lange nicht gegeben. Wer aus der Nachkriegs-Generation in Europa hätte geglaubt, das so etwas noch einmal passieren könnte? Ganz ohne Bomben oder Schuldzuweisung auf einen bösen Aggressor?  Die kollektive Vergewaltigung ging weiter und weiter und weiter – und dass keine Freude aufkommen wollte, als sie vorbei war, lag daran, dass kaum jemand wirklich glaubte, dass sie vorbei war. Dass klar war, dass jederzeit wieder ein globaler Lock Down gestartet werden kann.

Dazu kam, dass nach zwei Jahren Entbehrungen und Überlebensmodus, viele Herzen damit beschäftigt waren, die Trümmer zusammen zu fegen. Als wäre das nicht genug, wurde via Medien gleich der nächste Alptraum in die Häuser geschickt. Ein neuer Krieg. Ich sage Ihnen, dass nach diesem Krieg, der nächste Krieg kommen wird, und noch ne Bedrohung, und noch ne Gefahr. Was mich Corona gelehrt hat, ist die Relativität der Wahrnehmung. Wenn auf allen Kanälen im TV und in allen Platt-Formereien im Internet die gleiche Botschaft verkauft wird, gehe ich kategorisch davon aus, dass diese Botschaft für mich nicht gemeint ist. Wenn das Leben eine Illusion ist, ist das, was Medien verkaufen, Illusion in der Illusion. Die viel beschriene „Objektivität“ ist nicht real. Es gibt sie einfach nicht. Die Welt ist zu groß, zu Komplex, als dass sich aus irgendeinem Eindruck eine Normung oder allgemeingültige Wahrheit ableiten ließe. Weshalb die Medien umso lauter brüllen. Damit das leise Flüstern des Herzens überdeckt wird.  Mann lässt Ihnen keine Gelegenheit inne zu halten. Zur Ruhe zu kommen. Nachzudenken oder reinzufühlen, was in Ihrem Leben die adäquate Möglichkeit wäre. Bildlich gesprochen, wird in Sie geprügelt, woran, was und wem Sie glauben sollen. 

Währenddessen bluten alte Wunden unbehandelt weiter. Neue Wunden werden gerissen. Weit und breit niemand, der die Hand reicht, Trost spendet, Heilung anbietet. Das sage ich, obwohl mehr Heilungsangebote kursieren, als je zuvor. Fragen Sie sich bitte, wie Heiler heilen könnten, wenn sie nicht außerhalb der Corona-Vergewaltigung waren, selbst verwundet sind, und selbst keine Zeit hatten und haben, um ihre eigenen Traumata zu verarbeiten (!). Was direkt in ein völlig anderes Thema führt: Verdrängungsmechanismen der Zweibeiner, die seit Jahrhunderten perfektioniert wurden. Auch nach Corona glauben viele fast alle, Ignorieren wäre eine Art mit dem Wahnsinn umzugehen. Tun sich genug in ihrer Ignoranz zusammen, scheint die Welt wieder in Ordnung – auch wenn die Mundwinkel runterhängen, und sogar mit Drogen ein ekstatischer Tanz nicht mehr gelingen will. 

Inmitten all des Wahnsinns, gab es ein kleines, wichtiges Element, das vielleicht noch tiefer stach, als alle anderen Psycho-Foltern: der Maskenzwang. Ich will nicht auf die Tatsache eingehen, dass damit fast alle Zweibeiner auf dem Planeten zu Flachatmern gemacht wurden, und was das für gesundheitliche Folgen hatte. Ich möchte Sie an ein kleines Detail erinnern, das praktisch in Vergessenheit geraten ist. Erinnern Sie sich daran, wann Sie zuletzt von einer völlig unbekannten Person grundlos angelächelt wurden? Erinnern Sie sich daran, wie gut und schön sich das angefühlt hat? Seit Einführung der Handy-Droge, war dieses ohnehin seltene Phänomen fast ausgestorben. Als wegen einer imaginären Seuche sämtliche menschlichen Züge wegradiert waren, starben die letzten Anflüge von Freude im öffentlichen Raum. Kommunikation findet heute fast ausnahmslos auf einer professionellen Basis statt. Oder glauben Sie, die öffentliche Onanie im Internet wäre wirklich Kommunikation?

Heute tragen nur mehr wenige eine Maske – aber die Freude bleibt ausradiert. Es ist, als hätten zwei Jahre Masken-Pflicht die Zweibeiner vergessen lassen, wie man lächelt. Was übrigens im krassesten Widerspruch zu den dauergrinsenden Avataren in asozialen Plattformereien steht; da wird gegrinst, als wären alle bis zum Anschlag mit XTC und Endorphinen vollgepumpt. Dieses Lächeln kommt jedoch selten aus wahrer Freude; der eigentliche Beweggrund dürfte Eitelkeit sein. Ein neuer Zwang. Der Zwang, in der digitalen Illusionsblase ein maximal attraktives Bild von sich zu vermitteln. Obwohl alle wissen, dass das Fake ist, ziehen sich alle daran hoch – in Ermangelung an realen Begegnungen mit realen Herzen.

Das Vietnam-Trauma der Kriegsveteranen hat gezeigt, dass Verdrängung nicht funktioniert. Auch langjährige Therapien führen zu keiner Heilung. Weshalb ich einen anderen Weg eingeschlagen habe und Ihnen vorschlage. 

Annahme. 

Annahme dessen was ist. Annahme meiner Wunden, meiner Hilflosigkeit, meiner Schwäche, und dass ich nicht auf alles eine adäquate Antwort oder Reaktion habe. Etwas, das großzügig vom Leben unterstützt wird. Mit unbeschreiblicher Gewitztheit liefert mir das Leben auf täglicher Basis Stolperfallen, und bei jedem Fall, bei jedem Scheitern lacht das Leben heiter, und ruft: „Haha, wo  war eben deine Achtsamkeit? Was hat dir dein Wissen eben geholfen? Wie groß bist du, kleiner Narr, wenn du darüber und über dich nicht lachen kannst?“ Und seien Sie sich sicher, dass das Leben jede noch so kleine Lüge, mit der Sie Ihre peinliche unangenehme Berührtheit überspielen wollen, registriert, und sie wieder und wieder damit konfrontieren wird, bis Sie aufhören. Aufhören mit Ihren Lügen, Ihren einstudierten Rollen und Mechanismen. Bis Sie anfangen zu sein, was Sie sind. Und egal was das in Ihrem Fall sein mag - es ist königlich. Auch wenn das niemand sonst sehen kann. 

Vielleicht wachen Sie dann eines Morgens auf, und freuen sich wieder, und das Trauma ist noch da, aber hat weniger Gewicht, weil das Jetzt völlig ausreicht.