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Die Legende Vom Bösen

Generell tu‘ ich mir schwer damit, Konzepte und Vorstellungen anzunehmen, die nicht auf meinen eigenen Erfahrungen und Beobachtungen begründet liegen. Es gibt Ideen, die sind so weit verbreitet, dass es schwierig ist, drum herum zu kommen. Wie die viel zitierte Legende vom großen Schwanz, der etwas über Potenz oder die Fähigkeiten als Liebhaber aussagen soll. Mir scheint, gerade die albernsten Vorstellungen halten sich besonders hartnäckig. Vielleicht, weil sie auf einem anderen Bewusstseinsstand aus vergangenen Jahrhunderten begründet, und deshalb besonders tief im kollektiven Mülleimer kleben. 

Ob wohl jemals jemand diese schimmlig, stinkenden Reste aus dem Mülleimer kratzen wird?

Ein weiteres unsterbliches Konzept, ist die Idee „des Bösen“. Also eine Art von dämonischer Kraft, die Zweibeiner dazu treibt, Dinge zu tun, die fühlende Herzen mit dem Kopf schütteln lassen. Was zu so witzigen Aussagen führte, wie: „Zweibeiner seien das schlimmste Tier“. Da muss ich gleich mal den Finger heben und dazwischenrufen: „Wait a second!“

In meinen Jahren in der Natur durfte ich beobachten, dass die gesamte Schöpfung Dinge veranstaltet, für die Zweibeiner sich das Prädikat „Böse“ geben würden. Meine Wahrnehmung ist, dass die gesamte, sogenannt „göttliche Schöpfung“ zu extremsten Grausamkeiten neigt. Allerdings würde kaum ein Zweibeiner Tieren deshalb Bösartigkeit unterstellen. Was direkt zu meinem Staunen über das Staunen der Zweibeiner über das Verhalten der Tiere führt. „Wie kann diese süße, weiche, niedliche Katze nur Vögel töten?“ Und dann auch noch Singvögel. Pfui. Wie gemein! Da stößt die Moral der Zweibeiner an die nackten, brutalen Fakten des Lebens. Das Leben ist eben nicht, was Zweibeiner sich wünschen, was es sein sollte. Moral hilft da nicht beim Begreifen. Grausamkeit ist Teil des Lebens. Punkt. Die tollen Charaktereigenschaften, die Tieren angedichtet werden, mögen zu einem bestimmten Prozentsatz der Wahrheit entsprechen, ändern jedoch null am fehlenden Bewusstsein unserer mehrbeinigen oder gefiederten Spiegel. 

Was zum Segen und Fluch der Zweibeiner führt, die zur Selbstreflexion fähig sind. Ja, liebe Tierfreunde, da könnt ihr euch aufregen, soviel ihr wollt, aber Tiere sind dazu nicht in der Lage. Die Organisation und Auflehnung der Tiere, wie in dem Roman „Konferenz der Tiere“ fand seit Jahrtausenden nicht statt, denn das Tier hat kein Konzept von Freiheit, oder was Zweibeiner sonst so an drolligen Einfällen hatten. Zweibeiner haben das Konzept der Menschlichkeit, mit dem sie sich vom Tier unterscheiden wollen. Hier ist, wo der große Unterschied entsteht. Zweibeiner haben die Möglichkeit, Kraft ihres Bewusstseins aus der Spirale der Grausamkeiten auszubrechen. Sie haben die Möglichkeit sich mit etwas, das „freier Wille“ genannt wird, zu entscheiden. „Führe ich den Kreislauf der Grausamkeiten weiter, oder unterbreche ich ihn hier und jetzt, und wähle Mitgefühl und Liebe?“

Klingt ganz einfach. Weshalb alle Zweibeiner seit langer Zeit erleuchtete Buddhas sein könnten. Wäre da nicht ein winziger Haken. Was gemeinhin als Ausdruck des Bösen gesehen wird, ist schlicht Mangel an Aufmerksamkeit und Zeit. Wer Bewusst den Weg der Liebe gehen will, wird nicht darum herum kommen, diese und jene unbequeme Entscheidung treffen zu müssen. Genau da weigert sich der Zweibeiner kollektiv. Zweibeiner denken, Mitgefühl und Liebe wären moralische Werte, und würde man nur genug daran glauben, würden sie sich magisch im Leben manifestieren. Aus meiner Sicht sind Mitgefühl und Liebe praktische Anwendungen, die aus bewussten Beobachtungen und mutigen Entscheidungen erwachsen. Was erfordert, sich aus den Strukturen der Gruppe und Gemeinschaft heraus zu katapultieren, und mutig der eigenen Wahrnehmung zu trauen. Damit macht man sich weder beliebt, noch gewinnt man damit Groupies. 

So eine große, tiefe Weisheit ist das allerdings nicht. Die Möglichkeit zur Entscheidung wird auf täglicher Basis vom Leben wieder und wieder geschenkt. „Na, wie wär’s heute mit ein bisschen Liebe, hm?“, fragt das Leben geduldig jeden Zweibeiner direkt nach dem Aufstehen. Der antwortet dann meist: „Hääää? Was..? Ick bin noch janischt wach. Quatsch mich nicht zu, mitten in der Nacht. Brauch erst’n Kaffee.“ Im nächsten Moment wird die tägliche Routine wiederholt, die aus einer unendlichen Aneinanderreihung an Jonglier-Kunststückchen besteht. Wie viele Bälle können kreisen, ehe Chaos ausbricht? Wie viele Baustellen können gleichzeitig koordiniert werden? Wie viele Feuer gleichzeitig am Brennen gehalten werden? Bevor der Zweibeiner in Form einer Krankheit oder eines Unfalls zum Innehalten gezwungen wird. Der allgemeine Glaubens-Konsens der Zweibeiner ist: „Ne, glücklich macht mich das nicht, aber was soll ich machen?“ Sie kommen nicht auf die Idee, dass der Fehler bereits in der Fragestellung liegt, und die wüst wilde Geschäftigkeit nicht durch weiteres Machen aufgelöst wird, sondern durch Nicht-Tun. (Wen’s interessiert, dazu habe ich bereits 333 unpopuläre Texte geschrieben, die genauso ignoriert werden, wie Zweibeiner die Einladung des Lebens ignorieren, einmal eine andere Richtung einzuschlagen.)

Zurück zum Thema. Um Grausamkeit aufzulösen, braucht es die bewusste Entscheidung den Weg der Liebe und des Mitgefühls zu gehen. Das lässt sich schwer umsetzen, wenn jemand von früh morgens in Mechanismen eingespannt ist, die außerhalb der eigenen Kontrolle liegen. Was direkt zu Verhaltensformen führt, die sich nicht so groß vom aggressiven Kläffen einer Meute wilder Hunde unterscheidet. Wer ein bisschen Liebe praktizieren will, müsste dann und wann Zeit und Raum haben, um inne zu halten, aus der Routine heraus und einen Schritt zurück zu treten, und die erste unbedachte Reaktion vorbei rauschen zu lassen. Dann könnte ein aufmerksamer Beobachter bemerken, dass ein kläffender Zweibeiner überhaupt nicht ihn anbellt, sondern ein Phantom. Irgendwen oder was, das nichts mit ihm zu tun hat. Stattdessen beobachte ich weitgehend das immergleiche rumgekläffe, das sich bis zu brutalen Kriegen mit Massakern hochschaukeln kann. 

Nein, böse ist in diesem Spiel nichts und niemand. Es ist nur die willkommene Erfindung einer Ausrede, die Zweibeiner daran hindert, in den Spiegel zu schauen. „Da ist ein böser Dämon über mich gekommen“, rufen sie, wenn genug Schaden und Schmerz angerichtet wurde. Nein, da ist kein Dämon. Dämonen und Satan, das „absolut Böse“, sind Metaphern, die Resultate von Unbewusstheit umschreiben. Doch habe ich in meinem Leben kein böses Wesen getroffen. Dafür treffe ich Unbewusstheit auf täglicher Basis. Auch von Herzen, die sich Spiritualität auf die Flagge geschrieben haben.

Merke: Bewusstsein, Mitgefühl, Spiritualität und Liebe gehen nur so weit, wie es der Zeitplan des durchschnittlichen Zweibeiners erlaubt. 

Was Sie natürlich wissen, und überhaupt nicht hören wollen. Dafür haben Sie wirklich keine Zeit.