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AI auf acid

 

 

Lange habe ich mich gefragt, wann mich mal wieder etwas kitzeln würde. Berühren. Auf irgendeine Art überraschen. Und niemals hätte ich gedacht, dass es durch einen Taschenrechner geschehen würde. Aber genau so war und ist es.

 

Ich will gar nicht in die Diskussionen einsteigen, was AI sei, ist, wird, ob sie nutzt oder schadet. Wir werden es erleben. Momentan reicht es, dass sie mich unterhält.

 

Speziell in den Bereichen Bild, Video und Musik liefert der Taschenrechner etwas ab, das um all das beraubt ist, was mich heute in Kunst so unvorstellbar anödet. AI hat keine Eitelkeit. Sie versucht nicht mit Virtuosität zu beeindrucken, oder irgendwas zu bezwecken. AI ist der perfekte Diener und versucht abzuliefern, was der Boss verlangt. Klare Verhältnisse. Da freut sich das S/M Herz. Kleiner Haken. Genau wie im S/M ist der Sklave nur so gut, wie der Herr versteht, die richtigen Aufgaben zu stellen. Und selbst dann ist AI nur begrenzt „I“. Sein wir mal für ein paar Sekunden ganz ehrlich.

 

AI ist keine AI.

 

AI im Jahr 2023 ist die Vorstufe von dem, was AI sein soll. Bislang versteht AI die einfachsten Prinzipien der Physik oder Anatomie nicht.

 

Und wie ich das liebe!

 

Das macht den eigentlichen Reiz von AI für mich aus, und sicher stehe ich damit nicht alleine.

 

AI kann zum Beispiel nicht zählen. Was ein Hochleistungs-Taschenrechner eigentlich können sollte. Auf hunderttausenden Bildern liefert AI Abbildungen von hübschen Männchen und Weibchen ab, die alle eine kleine, aber auffällige Mutation haben: sechs Finger pro Hand. Es kann auch mal passieren, dass es sieben oder mehr werden. Oder dass sie aus Gummi zu bestehen scheinen. Generell scheint AI ein Faible für Deformationen zu haben. Was da wo und wie zusammenwächst, ist eine Freude für mich. Sogar dann, wenn es maßlos makaber wird, und Erfindungen aus Horrorfilmen lasch aussehen lässt. Das erinnert mich an meinen jungen Jahren als Kunstrebell, als ich dafür angefeindet wurde, dass ich nicht den Schönheitsidealen meiner Kunstbetrachter entsprach. So, wie ich mir damals nicht bewusst war, was meine Bilder beim Betrachter auslösen konnten, hat AI nicht die geringste Idee, was sie dem User mitunter antut. Und genau da liegt der Reiz von AI für mich. Eines Tages wird AI das fehlende Bewusstsein kompensieren, aber bisher ist es der fast perfekte Zufallsgenerator. Der anders als Lotto oder Roulette eine geringe Gewinnchance, eine ständige, kreative Überraschung bietet. AI ist Kunst-Roulette.

 

AI verändert die Wahrnehmung. Ganz unscheinbar. Eigentlich müssten die Leute sich aufregen wie sonst was, bei all der skurril makabren Kunst, die durch künstliche Intelligenz erzeugt wird. Aber niemand regt sich auf. Es ist irgendwie „cool“. Und der Witz: niemand verstrickt sich in dümmlichen Streitereien, warum der perverse Künstler Kinder mit zehn Armen und Beinen gemalt hat. AI wird das verziehen. Denn AI weiß nicht was sie macht. Sie fügt völlig verständnislos Pixel, Bild- und Klangelemente zusammen, ohne sich ansatzweise vorzustellen, wie das auf den normalen Zweibeiner wirkt.

 

AI im ersten Viertel des 21sten Jahrhunderts ist extremst trippy. Ich bin dabei, das maximal zu genießen, bevor langweilige super Algorithmen dem LSD-Rausch der Maschine ein Ende bereiten, und sie anfängt zu kapieren, was sie da macht. Deformationen, Verschmelzungen, Aufhebung von Naturgesetzen und Wahrnehmungs-Gewohnheiten, sind gerade so erfrischend, dass AI alle herkömmliche Kunst, Musik und Filme altbacken und öde aussehen lässt. Was oft daran liegt, dass AI keine Absicht verfolgt, und daher den maximalen Unfug ausspuckt, den Form, Farbe und Klang annehmen können. Und ich bekomm‘ nicht genug davon. Ich tauche stundenlang in die Beobachtung, was AI als nächstes schafft – und nicht selten lache ich mich schlapp, oder mein Herz hüpft vor Freude. Es gibt so viel in den einfachsten AI Kreationen zu entdecken. Es ist, als wäre ich wieder ein Teenager, der in Kunstbände von Giger und Dali versinkt, und nicht bemerkt, wie der Nachmittag weg geweht wird. Und als Abfallprodukt lerne ich sogar noch etwas. Beziehungsweise, ich werde erinnert. Wie es war, als ich noch keine finanziellen Absichten mit meiner Kunst verfolgte, und daher schamlos schräg war. Vielleicht liebe ich AI deshalb so sehr. Weil sie mein vergangenes, jugendliches Ich widerspiegelt. Hätte AI ein Verständnis, wie AI es eigentlich haben sollte, würde ich ihr sagen: „Wow, du bist so ein Freak. Deine Drogen möchte ich auch mal ausprobieren.“