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Stop Making Sense

 

Ein Musikfilm aus den 1980ern der „Talking Heads“ hatte den vielsagenden Titel „Stop Making Sense“. Abgesehen davon, dass das ein ziemlich cooler Konzertfilm war, hatte dieser Satz eine mächtige Durchschlagskraft. Wenngleich ich lange nicht wusste, was eigentlich dahinter steckte. Es klang einfach gut.

 

Heute, etwas älter, nicht unbedingt weiser, macht der Satz  mehr Sinn. Da ist wieder das Paradox. Die Aufforderung keinen Sinn mehr zu machen, macht viel Sinn.

 

Seit Jahren schlägt auf mich von allen Seiten die Botschaft ein, aus der Absicht raus zu treten, und mehr Vertrauen zu haben. Vor allem Vertrauen in die Macht sinnloser Kunst.

 

Es gab Zeiten in meiner Geschichte als Kunstgenießer, in denen mir besonders die Dinge gefielen, die nicht zu erklären waren, und keine Anstalten machten, etwas erklären zu wollen. Filme, die wie schräge Träume oder Drogenerfahrungen waren, und viel Raum für eigene Entdeckungen ließen. Musik, die nicht den gängigen 4/4 Takt Vorgaben folgten, und mich sowohl befremdeten, als auch inspirierten. Bücher ohne Anfang und Ende. Gedichte, die nur Worte aneinander reihten, aber sich weigerten, irgendwelche Botschaft vorzugeben.

 

Heute hat das Seltenheitswert. Der rebellische Geist von Dada oder William S. Burroughs Cut-Up-Gedichten scheint verloren gegangen. Was natürlich stark mit dem Internet zu tun hatte. Wo Avatare im Versuch Likes zu ergeizen, alles interpretieren und erklären mussten und müssen. Zum ersten Mal fiel mir der Erklärzwang durch eine Seite auf, in der ein Filmfreund, die versteckten Botschaften im Film „Brazil“ erklärte. Es war nicht nur traurig zu sehen, wie schlau dieser Avatar sein wollte, vor allem nahm er damit dem Film sein Geheimnis. Er machte den Film für Leute verständlich, die zu faul waren, selbst nachzudenken, und sich mit dem Film zu beschäftigen. Was in Anfangszeiten des Internets noch scheußlicher Frevel war, ist heute Standard. Praktisch alles wird heute tot-erklärt. Solange darüber gebabbelt, bis auch in komplexesten Kunstwerken, nichts unerklärt bleibt. Das ist so ähnlich, wie Kinofilme, die mit Dialogen beschreiben, was man sieht, oder sehen soll. Offen gesagt, verdirbt mir das die Laune. Ich will nicht mehr wissen, was irgendwer zu irgendwas denkt, sagt oder schreibt. Aber vor allem freue ich mich immer, wenn ich irgendwo über etwa stolpere, das keinerlei Sinn macht.

 

Fast schon erschreckend, dass A.I. das besser hinbekommt, als die Mehrzahl aller Künstler in allen Sparten. A.I. ist totale Sinnlosigkeit. A.I. hat keine Ahnung was sie da macht, wenn sie Klänge, Bilder oder Worte aneinander reiht, und deshalb entstehen wundervolle Ausdrücke von Sinnlosigkeit. Es wäre närrisch, da etwas Reinterpretieren zu wollen. Weil A.I. keine Motivation und keine Absicht hat. Dann kommen so herrliche Unfälle zustande, wie fotorealistische Abbildungen von Zweibeinern, deren Hände sechs Finger haben. A.I. kann offenbar nicht Mal zählen. Oder kapiert die Vorgaben von Realismus oder Virtuosität nicht. A.I. macht vor, wie Sinnlosigkeit aussieht. Was für mich die Bedeutung von Kunst bereits auf den Kopf gestellt hat. Es interessiert mich nicht mehr sonderlich, was jemand ausdrücken will; mich interessiert, ob jemand es schafft, nichts auszudrücken und einfach einen Moment des Seins einzufangen. Weshalb auch ziemlich alles, was ich vor der Aktivierung der A.I. gemacht habe, Ausdruck einer anderen Epoche war. Wo mich andere Themen bewegten und ich noch etwas Ausdrücken wollte.

 

Ich sehe da eine Chance für lustige, neue Zeiten. In denen Künstler nicht mehr ihre Ideen transportieren müssen, sondern kindlich spielen, und dieses Spiel mit der Welt teilen. Wo nicht länger erklärt werden muss, warum eine Blume schön erscheint, sondern ohne Namen und Labels wahrgenommen wird. Nicht Können, nicht Perfektionismus, nicht Botschaften, nicht Mal Inspiration sind länger von Bedeutung, sondern ob jemand es schafft, aufzuhören Sinn zu machen.

 

Willkommen im Zeitalter der Sinnlosigkeit. Willkommen im Spiel und Tanz der Freude.