Grenzen der Evolution

Während gerade große Schritte in Richtung künstlicher Intelligenz gewagt werden, steigen direkt proportional die Hoffnungen der Herzen. Könnte vielleicht A.I. das fehlende Glied sein, dass den Geist aus dem Affen-Dasein befreit und ins Mensch-Sein führt?


Schön wäre es. Und höchst unwahrscheinlich.


Seit Jahren wundere ich mich. Darüber, dass Herzen davon träumen, dies könnte das Zeitalter des Erwachens sein. Obwohl man nicht erwacht sein muss, um eine simple Unmöglichkeit zu sehen.


Seit Jahrhunderten, vermutlich länger, wiederholt sich ein Kreislauf. Der Kreislauf des Leides ist, von dem Buddha sprach. Dieser Kreislauf des Leides wird nicht von denen erkannt, die das Rad ankurbeln. Sie tun es, mit den nobelsten, edelsten, herzlichsten, liebevollsten Intentionen. Wieder drängt sich mir Buddha und das Mitgefühl auf. Ich muss mich für Mitgefühl nicht ansatzweise anstrengen. Weil ich die gleichen Träume hatte, die Herzen überall auf der Welt in die Falle locken. Eine Falle, die niemand sehen will, weil der Köder zu verführerisch duftet.


Da ist dieses Ding mit der Liebe. Das Gefühl jemand gefunden zu haben, und von diesem jemand gesehen zu werden. Erkannt. Gefühlt. Das allein ist so wundervoll, dass es ganz natürlich ist, dieses Herz beschenken zu wollen. Plötzlich sind da zwei, die sich trauen, die einander Wünsche erfüllen. Das fühlt sich an, als ließen sich Berge versetzen. Das Unmögliche ist plötzlich ganz nah und greifbar.  Was wäre daran falsch, diesem Gefühl nachzugeben? Irgendwer muss die Gesellschaft doch ändern. Die Kraft ist da. Der Mut. Das Vertrauen. Die Liebe. 


Die Liebenden sind bereit, dem Sturm zu trotzen. Sie werden die Änderung sein. Sie werden die Liebe manifestieren. Ohne eine Sekunde daran zu denken, dass genau das, Liebende in allen Epochen geglaubt hatten. Sie können sich einfach nicht vorstellen, wie oder woran diese Liebe gescheitert war, und die eigene Liebe scheitern könnte.


Zum Beispiel daran, dass die Liebenden, Eltern haben. Daran, dass der Sohn eines Vaters, nicht zwangslaufig Sohn des anderen Vaters werden kann, und die Tochter der einen Mutter, keine Tochter der anderen Mutter ist. Da sind Brüder, Schwestern, Tanten und Verwandte, komplexe Familienkonstrukte, die eigentlich nicht gemeint waren, als man in den Armen des Partners "Ich liebe dich" stöhnte. Die Verwunderung ist groß, wenn nicht mehr nur die Liebenden im Liebesraum sind.


Vielleicht haben die Liebenden bereits ein Kind der Liebe grschaffen. Das komischerweise allen in der Familie gehören soll. Warum? Weil das immer so war. Tradition. Und weil Herzen das natürliche Bedürfnis haben, dem neuen Erdbewohner Schutz und Geborgenheit zu schenken. Hier beginnt der Konflikt, der den Frieden der Liebenden zerstört. Nicht erst da. Aber spätestens da. 


Es gibt viele Ideen von "Richtig". Jedes Herz kann nur die eigene Vorstellung von "Richtig" gelten lassen.  Was früher oder später auf die Liebenden abfärben wird. Weil auch die Liebenden unterschiedliche Ideen haben, was richtig für ihr Kind der Liebe sei. Im nächsten Augenblick sind die Liebenden durch einen mysteriösen Abgrund getrennt.  

Es gibt nur mehr eine schmale Brücke, mit der die verfeindeten Inseln verbunden ist. Auf dieser Brücke steht das ahnungslose Kind, an dem von allen Seiten gezerrt wird. Bestenfalls schaffen es die ehemaligen Geliebten, das Kind vorm Absturz in den Abgrund zu bewahren. Das allerdings hat einen hohen Preis. Die Eltern haben viele kleine Kriege und böse Schlachten, gegen alles und jeden. Es gibt keine Möglichkeit mehr, zu sagen wer Recht hätte, oder was richtig wäre. Zu verstrickt sind alle Beteiligten.


Statt  - wie geträumt und geplant - alle Energie in eine neue, leuchtende Welt der Liebe zu lenken, wie einst erträumt , reicht die Energie gerade noch, dem Kind genug Liebe zu geben, dass es ausreichend Mut und Vertrauen findet, um aufzuwachsen. Währenddessen entwickelt das Kind eigene Träume einer besseren Welt, in der Eltern sich lieben und alles für die Liebe tun werden. 


Ist das Kind erwachsen, hat es ausreichend Wunden und Traumata gesammelt, um ein paar Jahre einen schweren Heilungsweg zu gehen. Mit dem Wunsch, mit der eigenen Heilung, ein wenig zur Heilung aller beizutragen. So wie es verwundete Herzen aller Epochen getan hatten. Und dann findet das verwundete Herz ein anderes verwundetes Herz. Fühlt sich gesehen. Kann das andere Herz fühlen. Und wieder entsteht die Idee, nun würde sich alles ändern.


Im Spiel des Lebens, im Tanz der Zweibeiner, steckt ein grober Programmierfehler. Der nicht aufgelöst werden konnte. Doch glauben Zweibeiner, dass künstliche Intelligenz da weiterhelfen könnte. Ohne zu bemerken, dass das gleiche Prinzip wieder weiter gegeben wird. So wie die Familienwunde vererbt wird, wird Unvollkommenheit an ein System vererbt, das Vollkommen sein soll. Wo doch nichtmal die einfachsten Computerprogramme zuverlässig funktionieren, und anfälliger und verwundbarer sind, als das zarteste Herz in einem Zweibeiner.


Wie könnte also A.I. das fehlende Glied sein? Das heile, heilbringende Element, wenn die Zweibeiner nichtmal gelernt haben, das Familiendrama in Liebe zu verwandeln? 


Eines ist an diesem Spiel von unglaublicher,  strahlender Erhabenheit.

Dass die Herzen nicht aufgeben. 

Dass sie Schmerz in Kauf nehmen, für ein paar wenige Momente von Glück und eine Mikro-Möglichkeit. Sie nennen das "Hoffnung" und ziehen daraus Kraft.

Das ist die eine, kleine Sache, die Zweibeiner menschlich macht. Nicht ganz zum angedachten Mensch. Aber immerhin menschlich.

Ich verbeuge mich vor allen Eltern, die verrückt und liebend genug waren und sind, sich gegen den kosmischen Sturm zu stemmen, und in allem Scheitern, weiter gehen.