Heilige Heilung

Lassen sich Ereignisse ungeschehen machen?

Oder in etwas anderes verwandeln?

Lautet die Aufforderung des Lebens, vergangene Wunden vorbehaltlos anzunehmen? 

Sich als verwundetes Wesen lieben zu lernen? 

Heilung ist die unumgänglichen Aufgabe, irgendwann loszulassen. Loszulassen von schönen Idealen und vergebenen Hoffnungen, und die glanzlosen, nüchternen, mitunter bitteren Tatsachen der Existenz anzunehmen. 

 

Seit vielen Jahren beobachte ich, dass Therapien niemals aufhören. Dass nach jeder Entdeckung, neue Enteckungen kommen. Im Heilungshobby tun sich immer neue Bereiche auf, die geheilt werden wollen. Es hört nicht auf.  Wie auch? 

Wenn da kein Maßstab besteht, wann jemand heil wäre. 

Gemessen woran? 

Verglichen mit wem?

Mit einer fremdgeprägten Fantasie eines wundersamen Supermenschen, der nirgendwo real existiert?

Gemessen an den eigenen Projektionen, die auf all jene geworfen werden, die etwas zu haben scheinen, oder können, was einem fehlt? 

Wie so oft, lautet die Frage, wann ist genug?

Wieviel Heilung ist Heilung genug? 

Wann sagt ein Heilsuchender:

"Jetzt bin ich geheilt!" 

Ein Beinbruch gibt klar vor was Heilung ist. Wenn man auf dem Bein wieder schmerzfrei stehen kann, ist es geheilt.  Wann ist eine seelische oder emotionale Wunde geheilt? Wenn jemand im Sinne der Leistungsgesellschaft funktioniert?  Wenn Träume von partnerschaftlicher Harmonie erfüllt werden? Wenn der schöne Schein von friedlichem Miteinander gewährleistet ist? 

 

Es gibt keinen Maßstab für die Heilung von Schmerzen, die überall und nirgends sind. Weshalb der Wunsch nach vollkommener Heilung, eine Suche nach einem heiligen Gral ist.  Einem Wunder.  Lassen sich Wunder erzeugen?  Kann man sich darauf zu bewegen?  Kann man Wunder kaufen? 

 

Wenn heute von "Heilung" die Rede ist, wird meist gemeint "Wunden anschauen und erkennen".  Was mir lange Zeit sehr lohnens- und lobenswert erschien. Bis deutlich wurde, dass der Blick auf die Wunden, wie ein Blick in einen unendlichen Abgrund ist; es werden immer neue Aspekte gefunden, die nach Heilung zu schreien scheinen.  Mit Annahme der Wunden hat das wenig zu tun.  Heilend wäre, wenn verwundete Herzen und Seelen lernten, wie sie verwundet weiter leben können. Leben! Nicht überleben.  Wie ist man mit Würde etwas, was man nicht sein will? Ohne Verbitterung.  Ohne Wehleid.  Ohne Wut oder Verzweiflung.   Welchem Selbstbild will entsprochen werden? Warum?  Wer hat das Selbstbild programmiert?  Wieviel Selbst ist im Selbstbild?  Wird manche Wunde, manches Trauma nur als solches empfunden, weil es eine Norm zu erfüllen gibt? Eine Norm, die es nicht gibt.   

 

Warum will jemand Heilung? 

Heilung von was? 

Wann ist Heilung erreicht? 

Wenn andere dem Selbstbild der Geheilten zustimmen? 

Was wird als Heil und Gesund gesehen?   

Aus welchen Schuldzuweisungen und Projektionen erwuchsen Ideen, da müsse etwas geheilt werden?  Wenn ein Herz nicht den Gruppendynamiken entspricht, kann sich die Gruppe sehr leicht gegen das eine Herz richten. Dessen einziges "Vergehen" war, nicht zu tun, denken oder fühlen, was in der Gruppe als richtig betrachtet wird. Obwohl dieses Herz vielleicht in einer anderen Gruppe, Inspiration und Wegweiser wäre.   

 

Seit Jahren treffe ich auf sensible Herzen, die in Gruppen stecken, in denen ihre Qualitäten nicht wertgeschätzt werden. Daraus erwächst Leid für diese vermeintlichen Außenseiter. Fatal daran ist, dass sie lieber die Projektionen der Gruppe erleiden, als sich aus der Gruppe zu entfernen. In der Logik der Gruppe, benötigt das verlorene Herz Heilung. Damit es der Gruppennorm entspricht. Meist ohne dass die Gruppe ahnt, dass sie das Leid verursacht. Sowohl Gruppe als auch das einzelne, missverstandene Herz, befinden sich in einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Die Gruppe sieht Abweichung von der Gruppe, und erzeugt damit Abweichung.  Das einzelne Herz sieht Andersartigkeit, und erzeugt damit Andersartigkeit. 

 

Wie gut, dass jede Gruppe ihre Heiler hat. Die dem einzelnen Herz den Weg zurück in die Gruppe ermöglichen sollen. Diese Heiler sind oft nur Übersetzer, die dafür sorgen, dass ein verlorenes Herz sich in die Wege, Regeln und Codes der Gruppe zurück findet. Es wird als Heilung verkauft, und ist tatsächlich eine Re-Programmierung.  Jetzt wenden Sie vielleicht empört ein, dass Sie wahren Schmerz erfahren haben, wirkliche Demütigungen erlitten. Sie wissen, was Sie fühlen, denken Sie womöglich. Und Sie würden diese Erfahrungen gerne löschen oder transformieren.  Jedes verletzte Herz hat mein Mitgefühl. 

 

Weil Schmerz Narben hinterlässt. Dunkle Bereiche in der Erinnerung. Die einen gerade dann verschlucken, wenn Mut und Stärke nötig wären.  Genau da ist die größte aller Fragen.  Werden diese dunklen Bereiche jemals verschwinden?  Können diese dunklen Bereiche jemals verschwinden?  Oder ist es vielmehr so, dass in der Gruppe ausnahmslos verletzte Herzen sind, die sich gegenseitig darin unterstützen, so zu tun als ob…  Als ob nichts gewesen wäre.  Als ob sie das Leben gemeistert hätten. Als ob sie geheilt wären.   Jemand in der Gruppe, ein Experte,  sagt, Sie sind geheilt - und das ist, wenn Sie sich verhalten, wie die Gruppe will, verlangt, erwartet. Die Gruppe wird dann Ihre Heilung bestätigen. Sie werden die Bestätigung glauben. Sie werden sich geheilt fühlen. Und alles sieht gut aus. Bis auf den subtilen Schmerz, den Sie weiterhin fühlen. Bevorzugt, wenn Sie außerhalb der Gruppe, in einer anderen, fremden Gruppe, allein, oder in der Stille sind.   

 

Natürlich wird man Ihnen dann nicht sagen, dass es ein Irrtum war, und Sie doch nicht geheilt wären. Man wird ein neues Symptom finden, und eine neue Therapie anbieten. Und so können Sie den Rest Ihres Lebens von einer Heilung zur nächsten jagen. Vorausgesetzt Sie verzweifeln Unterwegs nicht, und fangen nicht an zu glauben, dass mit Ihnen was nicht stimmt. Wo doch alle anderen Heilung finden und glücklich sind. Nur Sie nicht…  Was wenn es keine Erlösung gibt? Außer den Schmerz würdevoll zu tragen, ohne Erwartung, jemand würde das jemals erkennen? Und was, wenn Buddha es gesehen hat, und Leben wirklich Leid ist?  Wäre dann nicht Leid auch Leben? Gibt es dann irgendwas zu heilen? Ist es die Aufgabe jedes verletzten Herzens, die Narben und Wunden mit Achtung zu betrachten.

Als - mitunter absolut unverständliche - Spuren des Lebens?

Sie zur Kenntnis nehmen, und dann weiter zu gehen. Nicht als wäre nichts gewesen, sondern mit einer fetten Portion Fatalismus. Sich der Wunden und Narben bewusst sein, aber sich deshalb weder vom Tanzen, Ficken, noch Lachen abhalten lassen.  Sollten Sie das tun, erwarten Sie bitte kein Verständnis oder Mitgefühl der Gruppe. Sie bleiben Außenseiter. Es wird Ihnen bloß nichts mehr ausmachen. Was nicht heißt, dass Sie keinen Schmerz davon tragen. Sie werden Ihn nur anders betrachten.   

 

Was vielleicht wie Heilung aussieht, aber keine ist. Weil da nichts mehr zu heilen wäre. Außer der Erfinder und Schöpfer dieses perversen Spieles, würde eines Tages mit einem Update aus dem Olymp herabsteigen, und "Heureka!" rufen. "Ich hab den Fehler behoben. Macht euch bereit, liebe Erdbewohner. Das Update wird jetzt installiert." Es gibt einen globalen Blitz der Einsicht, bei allen Lebensformen überall auf der Erde, und alle haben sich nur noch lieb. Und es gibt keine Unfälle mehr, keine Naturkatastrophen, keine Gewalt, und natürlich keinen Tod. Alle sitzen glücklich in der Sonne und atmen, und brauchen nichts mehr, und wollen nichts mehr, sie atmen, genießen, und alle blühen in aller Ewigkeit. 

 

Hm…  Irgendwie stößt da meine Vorstellungskraft an eine Grenze.