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Drei Kleine Worte

"Ich liebe dich". Sagt man das noch? Oder sind dieser Satz und die damit verbundenen Konzepte vollig veraltet? Falls nicht, was ist heutzutage damit gemeint?

In meinen romantischen Tagen, die inzwischen fast ein Jahrzehnt zurück liegen, war das die Bezeichnung für heftigste Gefühlswallungen. Gefühlswallungen, die nicht vollends von meinem Schwanz und meiner Satyr-Geilheit ausgelöst wurden. Das hieße, ich wäre so richtig in die Schönheitsfalle der Natur getappt. Wäre ganz im Sinne meiner genetischen Programmierung auf Rundungen, Schweißduft und Körperflüssigkeiten herein gefallen. Was ich eindeutig bin, und was durch meine Künstlernatur zusätzlich gefördert wurde. Künstler malen nackte Frauen, nennen sie schmeichelnd "Muse", auch wenn sie keine sind, und sind total verzaubert von dem geheimnisvollen Tier Frau. Wenn die Muse ordentlich weh tut, umso besser. Macht sich gut in Künstler-Biographien. "Vigor und die Frauen".

 

Dass da natürlich schamlos idealisiert wird, ist sogar dem Künstler aufgefallen. Wenn da außer einer feuchten, duftenden Pussy und einer hübschen Hülle nichts im Bett lag, keine Fantasie, keine Wünsche, kein gezeigtes Begehren, keine gelebte Verspieltheit, dann war da nicht all zu viel, und nichts, was die Bezeichnung "Liebe" verdient hätte.

 

Liebe war mehr als Lust, Begehren, Freude an Befriedigung, aktiv, wie passiv. "Mehr"? Oder etwas völlig anderes? Die Gefühlswallungen in den Frauen und mir, wurden nicht bloß durch Lust angestachelt. Es gab da eine ganze Menge Phänomene, die unter den Liebes-Hut passten. Zum Beispiel Wertschätzung, Achtung, Aufmerksamkeit, Nähe, Vertrauen, und natürlich Gemeinsamkeiten im Denken, Fühlen und Handeln.

 

 So gesehen, könnte ich fast schreiben, dass "Liebe" bedeutete, jemand gefunden zu haben, vor dem wir uns nicht schützen mussten. Sie nicht vor mir, ich nicht vor ihr. Das geht runter wie Honig. Das ist schon keine Gefühlswallung mehr, sondern ein Gefühlsbeben der Stärke Zehn. Wenn es dann real war, glaubten sie und ich, wir könnten die Welt aus den Angeln heben. Bis wir bemerkten, dass unsere gegenseitige Hingabe unsere Haut abgezogen und Nerven bloß gelegt hatte. Weshalb Liebe nicht bedeutete, was Hollywood und Märchen verkauft hatten. Liebe war kein ewiger Tanz auf dem Regenbogen. Liebe bedeutete unterm Strich, wenn alle Phänomene addiert, multipliziert, subtrahiert, geteilt wurden, und anschließend die Wurzel gezogen und mit Pi auf das Ergebnis geprügelt wurde, dass wir uns verletzlich machten. Wir waren offener, als gegen den Mob der Straße, und deshalb schlugen die kleinsten Missverständnisse unter die Gürtellinie, und hauchzarte Piekser machten bluten, dass es danach aussah, wie nach einem Kettensägenmassaker.

 

Wer nun fragt, was denn nun eigentlich so toll sein soll, an der Liebe, und wofür sie gut sei, tja, das habe ich mich danach auch stets gefragt. Es gab immer ein "danach". Das deshalb schmerzhaft und frustrierend war, weil es das Scheitern hoher Ideale und süßer Träume symbolisierte. Weshalb die Frage betechtigt ist, wie oft man das Spiel wiederholen muss, bis man dazu gelernt hat. Oder befindet sich Liebe außerhalb des Lernens? Macht man sich bei jedem neuen Anlauf automatisch zum Narren, und kann nicht anders? Sind die Gefühlswallungen, die ich der Liebe zuschreiben will, nichts als hormonelle Aufruhr in bedauernswerten Affenkörpern? Damit ausreichend Motivation geschaffen wird, eine grobe Dummheit zu begehen: sich zu reproduzieren.

 

In meinem Leben gab es genug Restverstand, um niemand ein Mini-Me einzupflanzen. Aus naheliegenden Gründen. Ist die Wallung vorbei, verlangt Mini-He oder Mini-She, alle Aufmerksamkeit, und lässt Mama und Papa nicht mehr viel Raum. Ich habe keine Frau und keinen Mann getroffen, die nach erfolgreicher Reproduktion, nicht zu Neutren mutierten. Nach den Vorgaben von Natur und Leben, war der Auftrag erfüllt, und Liebe wanderte von der Lust in Familienkonstrukte.

 

Achtung, Paradox-Warnung: eigentlich hätte ich logischerweise wirklich eine Familie gründen wollen müssen. Ich kam aus einer übermenschlich vertrauens- und liebevollen Familie. Aber statt diese Fackel weiter zu reichen, gab es in mir null Verlangen dieses Spiel fortzuführen. Vielleicht, weil ich von Paaren umgeben war, die aus kaputten Familien stammten. Sich in den Kopf, nicht das Herz, gesetzt hatten, "es besser zu machen", und ihrerseits die Fackel weiter reichten. Ein Erbe aus Leid und Hilflosigkeit, getarnt vom guten Vorsatz der Liebe.

 

Weshalb sich mir eines schönen Mittwochs der Verdacht aufdrängte, dass viele keine Liebe meinten, wenn sie davon sprachen. Es war vielmehr Ausdruck des Wunsches nach Liebe, bestenfalls. Weniger liebevoll betrachtet, war es Selbstbetrug und unbewusste Lüge gegen alle. Nicht unbedingt getrieben von Größenwahn oder eitler Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten. Ganz eindeutig keine Böswilligkeit. Oft war es ein wirklich aufrichtiger Wunsch, etwas gut zu machen. Wer außer mir verrät solchen Herzen, dass allein in der Absicht bereits das Scheitern schlummert?

 

Was also ist gemeint, mit "ich liebe dich"?

 

"Lass uns das Unmögliche möglich machen"?

Das würde mir gefallen. Trägt es doch eine gewisse träumerische, wehrlose Verrücktheit in sich. Stoff, aus dem Liebesromane gestreichelt werden.

 

"Ich hab' so viel Licht, ich will dich beschenken".

Das wäre schön, würde das jemand annehmen, und mit gleicher Intention geben.

 

Aber wie man es auch definieren mag, "ich will dich benutzen, willst du dich benutzen lassen?", wäre es wohl hilfreich zu überprüfen, was das Gegenüber oder ich in dem Moment meine, wenn die Worte "ich liebe dich" Herausrutschen oder gedacht werden.

 

Im Angesicht milliardenfacher unbewusster Nurzung, ist dieser Satz etwas abgegriffen, etwas glitschig, und auf jeden Fall ungenau. Es wäre angebracht, sich selbst oder das Gegenüber zu fragen:

 

"Was genau meinst du damit?"

 

Das wäre klug. Das wäre Weise. Aber mal ehrlich. Wer ist nicht so auf Liebe geprägt, dass diese Worte nicht wie Bomben einschlagen? Wer sie hört, will dass sie wahr sind, wer sie spricht will das ebenfalls. Ungeachtet aller Defizite und Illusionen.

 

Ob auf diesen Worten Königreiche gebaut werden können? Wer weiß. Aber wenn nicht auf diese Worte, worauf dann?

 

Vigor Calma, 2023