· 

Die Kunst der Verstrickung

Je weiter ich mich aus bekannten Systemen verabschiedet hatte, desto einfacher wurde mein Leben. Ein Nebeneffekt der Einfachheit, war das Ausbleiben von Verstrickungen. Je weiter ich mich aus Verstrickungen entfernte, desto deutlicher wurde die Leichtfertigkeit, mit der sich andere Herzen in Verstrickungen stürzen.


Es gibt viele Legenden, warum und wie sich Herzen in Tragödien verstricken. Bis hin zum sagenhaften Märchen der "Urschuld". Oder die Karma-Fantasy. Weil du was Dummes in vorherigen Leben verbockt hast, darfst du dieses Leben die "Fehler" ausbaden. Ohlala. Das ist kein Konzept das mir 'nen Ständer schenkt. Es ist Lichtjahre von dem entfernt, was ich glauben kann. Das fühlt sich für mich stark nach einer Marketingstrategie an, mit der clevere Manipulatoren Abhängigkeit erzeugten. "Zahle Betrag X in die Kasse der Kirche Y oder Z, und die Götter werden dich am Tag des jüngsten Gerichtes wohlwollend behandeln." Himmel auch, diese Lüge stinkt bis weit hinter den Olymp. Sie öffnet auch große, weite Tore für extravagante Krankheitsnamen, mit den die Abweichung von einer imaginären Norm benannt werden. Eine Norm, der kein noch so williges lebendes Wesen entsprechen kann. Aber es hält die anderen, die Richter und Henker schon beschäftigt, damit sie sich nie der für sie todesgefährlichen Stille stellen müssen. Wertungen, Verurteilungen und Strafen können so wunderbar von der allgegenwärtigen Sinnlosigkeit ablenken. Welch Segen! Alles scheint dem hilflosen Zweibeiner willkommen, wenn es nur den Anschein bietet, man hätte etwas "Wichtiges" zu tun. 


Seit langer Zeit hadere ich mit einer Episode von Jesus Christ Superstar. Diese Sache im Garten, wo J.C. zu seinem Papa betete, "er möge den Kelch an ihm vorüber ziehen lassen". Jener Kelch, der J.C. auf einen Maso-Trip schickte, der bis heute als "großes Opfer" für die angedachte Menschheit gesehen wird. Gesehen werden soll. Er sei für "unsere" Sünden gestorben. Ach kommt, echt jetzt? Das Konzept der Schuld ist sinnlos. Ich sage, da war kein Gott, der jemals irgendwen aufgefordert hat, sich zu opfern. Meine Wahrheit ist, dass J.C. die Gelegenheit und Freiheit hatte, seine sieben Sachen, Magdalena und seine Jünger zu schnappen, und in einer netten Oase irgendwo, 'ne heitere, tanzende Gemeinschaft zu gründen. Dass er es nicht getan hat, war eine Entscheidung total missverstandener und damit überflüssiger Moral. Seine Entscheidung. Oder eine, von der er glaubte, sie würde irgendwas bewirken. 


Ein Verhalten, mit dem er immer wieder sensible Herzen inspiriert hat, heftigen Unfug anzustellen. Wie zum Beispiel bei Oscar Wilde, der nicht im Gefängnis landen und sterbenskrank hätte werden müssen, wenn er nicht aus moralisch romantischen Anwandlungen heraus, den bekloppten Kelch leergetrunken hätte.


Dieser Kelch ist gefüllt mit Gift. Dem Gift irgendwelcher moralischen Ideale, die nichts mit glücklichem Leben zu tun haben. Dieser Kelch ist das Sinnbild für Verstrickungen. Wenn du ihn nicht berührst, wenn du ihn nicht an deine Lippen führst, wenn du nicht trinkst und schluckst, hat er keine Relevanz für dein Leben. Tatsächlich steht es dir frei, diesen Kelch zu ignorieren, und stattdessen mit was auch immer zu beschäftigen - oder auch nichts zu tun. 


Hier ist der kosmische Witz:

Kaum jemand kann den Finger von dem verfrotteten Kelch lassen. Wer es nicht kann, um herauszufinden, was darin ist, hat immerhin noch den Neugier-Bonus. Das kann ich noch mitfühlen, auch wenn es an Dummheit grenzt. Ich habe oft genug aus diesem Beweggrund heraus gehandelt. Vor allem, wenn die Verstrickung den einen oder anderen Orgasmus versprach. Irgendwann war der Inhalt bekannt, und ich durfte den Kelch vorüber ziehen lassen. Ja, niemand braucht die gleichen Verstrickungen bis zum Ende aller Tage wiederholen. Hoffnung auf Änderung ist ebenfalls ein Konzept, das ich leichten Herzens ablegen konnte. 


Den Kelch zu leeren, um sich heimlich etwas auf die eigene Noblesse einzubilden, ist ein äußerst schräges Handeln. Das ist ähnlich absurd, wie Kriege mit Gottesaufträgen zu entschuldigen. Ja, es klingt gut, zu behaupten "Gott hat mich auserwählt. Es hat von mir verlangt, das zu tun". Meist fast immer war da kein Gott und kein Auftrag. Der Griff nach dem Kelch, und den damit verbundenen Verstrickungen, war und ist eine individuelle Entscheidung. Es ist die Entscheidung, nicht Nichts zu tun. Oft die Unfähigkeit, nicht Nichts zu tun. 


Seit langer Zeit beobachte ich, dass Aktivität und Bewegung mit Lebendigkeit assoziiert wird. Sofern es um Tanzen und Ficken geht, erscheint mir das noch einleuchtend. Irgendwo verkehrt sich der Spaß und wird zum Zwang. Dann verwandelt sich der Lebenstanz in einen Lebenskrampf. Wofür es viele Gründe gibt. Gruppendynamiken. Gruppenzwänge. Ungesunde Philosophien. Fantasien von Kontrolle. Überbewertung von Sicherheit. Genau betrachtet, ist der Zweibeiner grenzenlos kreativ, wenn es darum geht, sein Handeln zu legitimieren. Bis hin zu der Ausflucht, "nicht für Faul gehalten zu werden".


Im nächsten Moment steckt der überschätzte Zweibeiner in Verstrickungen, die sich in einem Roman oder Film sehr unterhaltsam anfühlen, doch im wahren Leben mit Schmerz bezahlt werden. Weit und breit niemand, der das verlangt hätte. Dennoch hören die Zweibeiner nicht auf. Fast, als würden sie glauben, dass Schmerz einer Heiligsprechung entspräche. Was nicht ganz so abwegig ist, weil in vielen Religionen ausgerechnet die krassesten Masochisten verehrt werden. Wogegen Freude und Genuß verteufelt wurden.


Hier ist ein Bereich außerhalb der Idee von Evolution. Seit Jahrtausenden wird Lebensfeindlichkeit als Leben verkauft. Kaum jemand steigt aus. Von denen, die es wagen, schaft es kaum wer ohne Drogenhilfsmittel. Die ihrerseits großes Potential für Verstrickungen bieten. 

Wie mir heute scheint, wird Verstrickung als Leben verkauft, und weil fast alle es tun, gilt es als "normal". Wenn die Verstrickung nur groß genug ist und golden glänzt, dann wird es auch heute noch genug Zweibeiner geben, die diese Verstrickung auch haben wollen.


Wogegen nichts einzuwenden wäre. Würden betreffende Herzen ehrlich und offen aussprechen: 

"Ich bin ein Masochist. Ich liebe es, mich zu verstricken, währenddessen die Schmerzen zu fühlen, und anschließend die Trümmer zusammen zu fegen." 

Das hätte Stil 


Warum das kaum jemand macht? Les' den Satz laut, und beobachte, wie sich das anfühlt. Vielleicht hast du dann deine Antwort.


Überall sind Herzen. Die in edelsten Absichten unglaubliche Schmerzen ertragen, durchstehen, und durch neue Verstrickungen ersetzen. Wenige wagen dem entgegenzusetzen: "Deine Entscheidung. Niemand hat von dir verlangt, diesen Weg tu gehen." Wie ließe sich auch etwas gegen edle Intentionen sagen? Außer, dass jede Absicht jeder Art bereits eine Verstrickung in sich trägt. Wenigstens eine Verstrickung. Meist ist es ein ganzer Strauß an Verstrickungen. Von weiten sehen sie aus, wie ein großer Strauß bunter, leuchtender, blumiger Möglichkeiten. Je näher dieser Strauß kommt, desto deutlicher wird, dass die Blumen nicht duften, sondern stinken. 


Gesellschaften sin auf einem einfachen Phänomen aufgebaut. Ein Duft, der einen ständig umgibt, wird nach wenigen Atemzügen nicht mehr wahrgenommen. Das gilt auch für Gestank. Erst erst wenn man etwas Abstand zum Sumpf der Millionen Gestänke gewonnen hat, erholt sich die Nase, und kann erschnuppern, was da wirklich durch die Luft wabert und sie vergiftet. So, wie das mit dem Riechen funktioniert, ist es auch mit anderen Sinnen und Phänomenen. Die Zweibeiner sind Weltmeister des Vergessens und der Anpassung. Bedeutet das, dass sie alles adaptieren sollten? Bitte nicht! 


WS direkt in den Irrtum leitet. Noch eine Legitimation für Gegnerschaft und Kampf. Doch wer hat jemals von irgendwem verlangt zu kämpfen? Seit Jahren frage ich mich, warum so wenige Herzen den Mut haben, den Schritt aus dem Kreislauf der Verstrickungen zu ihrem letzten Schritt zu machen. Und von da an nur noch aktiv zu werden, wenn es einen wahren und deutlich vernehmbaren Ruf des Herzens gibt. Ohne Hintergedanken oder Taschenrechner im Kopf.


Träume sind ein guter Masstab für alles, was wirklich getan werden will. Mit heiterer Leichtigkeit. Noch so ein Ding, wo ich mit der Story von J.C. hadere. Er hat den Satz gebracht, "wie die Kinder zu werden". Oh ja. Wie wahr. Kindliche Offenheit. Kindliche Neugier. Kindliche Abenteuer- und Entdeckerlust. Ohne Sinn und Verstand. Hat J.C. kindlich gespielt, als er Jünger sammelte, predigte, sich gegen bestehende Reiche auflehnte? Klar, Gott hatte ihm den Auftrag gegeben. Als bräuchte Gott einen Sklaven. Himmel auch, Gott hat das Universum und alles Leben geschaffen. Da braucht wr doch keinen Zweibeiner als ausführendes Organ. Das klingt mir mehr wie Absicht. Wollen. Die Unfähigkeit, das Sein in allen Aspekten demütig anzunehmen. Vielleicht fahren genau deshalbnoch so viele Zweibeiner auf J.C. ab. Weil er ein fehlerhafter Gottessohn war. Ausdruck und Manifestation einer fehlerhaften Schöpfung. Die in dem Moment wahre Schönheit entfaltet, wenn man aufhört Änderungen zu erzwingen.


Mein Mentor lehrte mich, dass ich meinen Fokus auf das lenken kann und darf, was mir gefällt. Es gefällt mir, dahin zu schauen, wo keine Verstrickungen drohen oder locken. Womit ich unbegreiflich und unsichtbar werde. Andere Herzen wollen mich in Schubladen stecken. Können mich aber nur nach ihrem jeweiligen Bewusstseinsstand einordnen. Weshalb die Schubladen stets zu klein sind. Sie können es jedoch nicht nicht tun. Weshalb ich bevorzugt dahin schaue, wo keine Zweibeiner herumwuseln und -lärmen.


Das kostet keine Anstrengung. Es gibt dafür weder Belohnungen, noch Strafen. Es fühlt sich an, wie Frieden. Frieden ist sehr still. Ein sehr empfehlenswertes Phänomen. 


Traust du dich?