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Das Wetter reist mit dir



Mit Worten ist das so eine Sache. Und mit Erklärungen und Interpretationen. Wer könnte jemals sagen, ob die Dinge so sind oder waren, wie wir sie uns zusammen reimen? Es könnte auch alles völlig anders gewesen sein, und alles was erzählt wird, auch diese Zeilen hier, gehören womöglich ins Reich der Märchen.

Mama Gut meinte allerdings, dass in jedem Märchen auch ein Funken Wahrheit stecke. Sie war eine weise Frau, also erzähle ich ein kleines Märchen, auf dass du den Funken Wahrheit darin finden und extrahieren magst.


Es war einmal ein Träumer. Der träumte von der großen Stadt. Alles was er kannte, war ein miefiges, bayrisches Dorf, das zwar für eine relativ friedliche Kindheit ideal, doch einem pubertierenden Teen sterbenslangweilig war. So brannte der Träumer darauf, in eine große Stadt zu entfliehen, um dort endlich das so aufregende, wundervolle Leben vorzufinden, dass ihm in Büchern und Filmen vorgeflunkert worden war.


Eines Tages war es dann soweit, und Mama Gut nahm mich an der Hand und wir reisten im Zug ins ferne Hamburg im hohen Norden. 

Und was war ich aufgeregt. Es fühlte sich an, als wurde nun das wahre Leben beginnen. Dass mit dem Wechsel des Standorts, auch der Babyflaum über der Oberlippe verschwinden würde.


Tja.


Was hatte ich eigentlich gedacht, was ich vorfände? Das Paris der vierziger Jahre? Das Berlin der zwanziger Jahre? 

Ganz davon abgesehen, dass diese Legenden wohl nur temporär in wenigen Bereichen dieser Städte zu finden gewesen waren, muss auch stark bezweifelt werden, dass Wahrheit und Legende all zu viel miteinander zu tun hatten. 

Hamburg jedenfalls hatte nichts von diesen erträumten Städten. Hamburg war wie mein Heimatdorf. Nur größer und ohne Berge. Sterbenslangweilig.


Das war ungefähr der Zeitpunkt, als das schlechte Wetter in mein Leben kam. Die Winter in Hamburg waren grau, nasskalt und scheinbar unendlich. Wogegen die Sommer lasch, windig und auch oft verregnet schienen. So schlechtes Wetter hatte ich die ganzen 16 Jahre meines vorherigen Lebens nicht gekannt. Es gab viele Gründe das öde, spießige Hamburg zu hassen. Das Wetter stand an oberster Stelle einer meterlangen Liste.


Und so wurde der Wunsch geboren, nicht nur meiner Kindheit, sondern auch dem Winter zu entkommen. Was genau betrachtet etwas sonderbar war, weil ich eine relativ friedliche Kindheit gehabt, und bis dato keinen Winter bewusst als störend oder unangenehm wahrgenommen hatte.


Was eine einfache Frage aufwarf:

Wann kam „zu“ in mein Leben? Wer oder was hatte in mir Vorstellungen verankert, wie etwas sein sollte? Als Kind hatte ich das nicht gehabt und nicht geglaubt. Jeder Tag war mir neu gewesen. Jedes Wetter nur ein Zustand, den ich zur Kenntnis genommen hatte. 

Mama Gut hatte mir diese Vorstellungen nicht gegeben. Sie hatte die Einstellung gehabt, dass es kein schlechtes Wetter gab, sondern nur unpassende Kleidung. Papa Abenteuer war für Wetterphänomene anfälliger gewesen, doch war er nicht genug anwesend gewesen, um eine Vorstellung eines Ideals in mir zu verankern. Auch wenn er das geschafft hatte, wenn es darum ging mir die Schönheit der Natur nahe zu bringen.

Das „zu“ kam durch die Massenmedien und Massenglauben zu mir. Wenn irgendwer eine Idee über die Medien transportierte, dauerte es nicht lang bis daraus ein Glaubenssystem wurde. Das funktionierte besonders gut mit Feindbildern. Als Kind wuchs ich noch damit auf, dass Russen böse Menschen wären. Ganz nebenbei vergaß man zu erklären, warum eigentlich, doch das war ein kleines Detail, das man  leichtfertig unterschlug. Weshalb kurzerhand alles was aus Russland kam, als „Propaganda“ tituliert wurde. Ich kannte keinen einzigen Russen. Russland war weit weg. Doch die Medien brachten das ferne Land sehr nah. Damit verbunden eine üble Bedrohung. Als Tschernobyl geschah, passte das nur zu gut in die Feindbilder. Klar, dass die Russen die Welt gefährdeten. Hatte man uns ja lang genug eingeprägt.

Ich könnte seitenlang Beispiele aufzählen, was angeblich falsch lief, in der Welt. Was „zu“ dies oder „zu“ das gewesen wäre. All das hat aber nur eine Basis gehabt. Mangel an Vertrauen und fehlende Akzeptanz. Es war dem Zweibeiner ein Dorn im Auge, dass sich Dinge seiner Kontrolle entziehen konnten. Weshalb der Zweibeiner gerne Idealbilder erträumte. Zum Beispiel das Baccardi Feeling. Tropische Idylle mit schönen, braungebrannten Menschen, die im Sonnenuntergang Baccardi schlürfen und dabei tanzen. Obwohl alle, die jemals in wärmeren Regionen waren genau wissen, dass mit dem Sonnenuntergang die Moskitos um Blutspenden bitten.

Je verletzter die Kinderherzen waren, desto mehr schienen sie sich am Wunsch der Kontrolle festzuhalten. Weshalb ein Idealbild geschaffen wurde, mit dem alle Abweichungen verglichen wurden. Obwohl das weit, weit von der viel gerühmten wissenschaftlichen Methode entfernt war. Auch die Wissenschaft war Teil dieses Gedankenfehlers. Eine Beobachtung wurde ins Zentrum eines Experiments gerückt, dessen einziger Zweck war, die Beobachtung zu “beweisen“.  Sie verfielen so in eitle Wichtigkeit und Selbstfehleinschätzung, dass sie irgendwann wirklich glaubten, etwas beweisen zu können. 

Das ist auch, was an der ganzen Klimawandel-Theorie stinkt. Aus eine Beobachtung einen Soll-Zustand abzuleiten, ist ein kleiner Kunstgriff, der im Namen der Wissenschaft eigentlich unethisch sein müsste. Da es jedoch den Zweibeinern beim Leiden und in ihrer Verwirrung hilft, wird auch darüber großzügig hinweg gesehen. Man sagt kurzerhand, dass es global „zu“ heiß geworden sei. Obwohl ich subjektiv das Gefühl hatte, dass die Winter immer länger und die Jahre “zu“ kalt geworden waren.

Gemessen woran?

An einer subjektiven Erinnerung unbeschwerter Kindheitstage. Die jedoch nicht zwangsläufig durch besondere Sommertage erzeugt worden waren, sondern durch meine kindliche Fähigkeit, Zustände zu akzeptieren, wie sie waren. Bewertungen, Verurteilung und Ablehnung waren erst später zu mir gekommen.

Drei Winter und eine Sonnengeburt in Griechenland später, landete ich in Berlin. Wo ich mir eine wilde Liebe mit einer tollen Frau zusammengedichtet hatte, aber vom Regen in die Traufe kam. Das Berliner Wetter unterschied sich null vom Hamburger Schmuddelwetter. Ausser, dass die Winter noch kälter, windiger und ewiger schienen. Umrahmt von kalten, grauen Stein- und Betonbauten.  Weshalb mein Wunsch dem Winter zu entkommen, noch größer wurde.


Ein paar Winter und Liebesgeschichten später, brach ich wieder einmal nach Griechenland auf. Um eine gescheiterte Liebe zu vergessen, und dem Winter zu entfliehen. Um zu erfahren, dass auch das sonnige Griechenland Winter kannte. Es wurde kalt, windig und nass.

Das war mir unbegreiflich. Vermutlich, weil ich nie Fotos oder Filme von Griechenland im Regen gesehen hatte.


Es gibt diesen Satz, dass "niemand einen Klugscheißer mag". Wahre Worte. Doch dafür lieben Zweibeiner Klugscheißer-Sprüche um so mehr. Einer dieser Sprüche begegnete mir in Griechenland. Dass "man immer das Wetter mit sich nähme"...

Ich hasste den Spruch sofort. Implizierte er doch mäßig subtil eine Schuld. Ähnlich dem Spruch, dass "es so aus dem Wald rausklänge, wie man hinein ruft". Ja, wer an Schuld glaubt, findet das einleuchtend.

Ich machte mich also daran, diesen Klugscheißer-Spruch zu widerlegen.


Um deine Geduld nicht auf die Folter zu spannen: Egal wohin ich kam, gab es Winter. Und mit jedem Winter, schienen die Wolken mehr, und die Temperaturen niedriger zu werden. Und nein, ich nahm das Wetter nicht mir mir. Es kümmerte sich in dem Maß nicht um mich, wie es mir auf die Nerven ging. Was ich sehr wohl mit mir nahm, war eine idealisierte Welt. Inspiriert durch Bücher und Filme, die zuvor durch den Wahrnehmungsfilter eines Autoren oder Regisseurs gegangen waren. Ich trug in mir eine "so soll es sein" Version der Welt in mir, und erlebte viele Enttäuschungen, wenn die Welt anders war.


Nach unzähligen Reisen stolperte ich uber ein winziges, aber essentielles Detail. Woher kamen eigentlich meine Ideen von Sommer?


Ich befand mich gerade in einem unendlichen Regenwinter auf Zypern, als ich das Bacardi Feeling zu hinterfragen begann. Hatten nicht Medien, Songs, Bücher und Filme eine Idee in mir implantiert, es gäbe irgendwo in der Ferne sagenhafte Paradiese? Orte, wo einem Früchte und Frauen in den Schoß fielen? Während man unter Palmen ein gepflegtes Sonnenbad nahm? War nicht interessanter was in diesen Bildern ausgeblendet wurde? 


Von da an, begann ich die Winterphänomene genauer zu beobachten. Dass sie umso größer und übler erschienen, je mehr ich darauf blickte. Ähnlich einem Pickel auf der Nase, der direkt vor den staunenden Augen zu wachsen schien, je mehr man sich darauf konzentrierte. Wenn das der eigentliche Grund für meinen Kummer mit Winter sein sollte, dann ging es mir nicht alleine so. Ich war dann zwar nicht in der besten Gesellschaft, aber wenigstens nicht allein. Die verletzten Kinder, die Zuflucht in der Wissenschaftssekte gefunden hatten, sahen überall alarmierende Wetteränderungen. Je mehr sie darauf schauten, desto gefährlicher wurde alles. Paratoxer weise sahen sie jedoch die Gefahr in der Sonne. Nicht im Winter. Merkwürdig. Waren sie womöglich keine Säugetiere? Brauchten sie keine Wärme, sondern gute Kühlung, wie die Festplatten ihrer Supercomputer?


Es vergingen weitere Jahre und mit Geo-Engeneering verlängerte Winter, ehe der Träumer auf das Offensichtliche stieß. Es brauchte die Nähe zur Natur, um das sehen zu können.


Die Natur machte ihr Ding. Tag ein, Tag aus. Ohne irgendwen um Erlaubnis oder eine Meinung zu fragen. Die meisten Lebensformen passten sich an. Zum Beispiel gingen Vögel und Insekten, wie wohl alle Lebensformen, in Regenmodus wenn es regnete. Sie suchten sich rechtzeitig ein trockenes Plätzchen, schalteten auf Omm, und waren weg bis die Sonne wieder raus kam.


Nach Jahren war der Moment der Heilung gekommen. Als ich zurück in meine Teenager Zeit erinnerte und sah, dass nie das Wetter das Problem gewesen war. Das Wetter hatte nur hervorragend zu meiner Enttäuschung gepasst. Die Enttäuschung darüber, dass die große Stadt nicht die erhoffte, großartige Zeit des Erwachsenseins eingeleitet hatte. Die Enttäuschung darüber dass kein neues Leben begonnen hatte. Das Wetter war nur äußerer Spiegel meiner inneren Unzufriedenheit gewesen. Wie ich dem Wetter und Winter hatte entkommen wollen, war ich davor weggelaufen, dass die Welt nicht der Traumraum war, in dem alles sofort so geschah, wie ich es mir gewünscht hatte. Irgendwer oder irgendwas musste daran „schuld“ sein. Da nichts zu finden war, musste das Wetter herhalten.


Enttäuschung hatte mich wetterfühlig gemacht. Enttäuschung hatte mich für die allgegenwärtige Lüge anfällig gemacht. So wenig das Bacardi Feeling mit hochprozentigem Schnaps nach Berlin oder Hamburg transportiert werden konnte, gab es eine Möglichkeit dem Winter in mir zu entkommen, indem ich dem Sommer nachreisen wollte.


Nicht das Wetter nahm man mit sich. Es war die Gewissheit hochgradig verschaukelt zu werden, die mit mir reiste. Das war das eigentliche Wintergefühl. Die Gewissheit, der allgegenwärtigen Lüge nicht entkommen zu können. Weil viele sich in der Lüge bequem eingerichtet, und noch mehr an der Lüge massig Geld verdienten. 


Ich war in eine Fluchtgesellschaft geboren worden, die Flucht nicht als das bezeichnete, was sie war. Der Winter kommt? Steig in den Flieger und reise dem Sommer hinterher! Auch alle anderen Bereiche des menschlichen Lebens waren in etwas verwandelt worden, was nicht im Sinne des Erfinders gewesen sein dürfte. Buddha hat seine Lehren kaum gegeben, um den Sklaven eine Fluchtausrede zu schaffen. Dass Jesus keine Religion schaffen wollte, dürfte inzwischen auch Atheisten klar sein. Folgen Christen dem Weg ihres Idols? Selten bis nie. Sie haben sich ein Konstrukt daraus zusammengebastelt, mit dem sie sich ihre Lügen mit der ihnen bequemen Farbe lackieren können. Es scheint in den Natur der Dinge zu liegen, dass der Ursprung von Phänomenen in Vergessenheit gerät. Das gilt auch für sogenannte Errungenschaften der Wissenschaft. Ob Forscher, die Heilung im Sinn hatten, sich vorstellen hatten können, dass ihre Erkenntnisse zu Geschäftsideen verkommen könnten? Dass aus ihrem Wunsch zu helfen und zu heilen, dogmatische Religionen würden? Vieles was moderne Zivilisationen heute leben, ist vor allem Symbol dafür, dass der Zweibeiner aus der Natur und Natürlichkeit gefallen ist. Das geht soweit, dass heute kaum mehr jemand fragt, wozu eigentlich Unterwäsche dienen soll. Wozu dient irgendwas? Was hilft beim Leben? Was ist bloß ein Fluchthelfer?


Heute ist klar, dass ich viele Jahre meines Lebens auf der Flucht vor der Flucht war. Ich wollte in der Wahrheit ankommen. Die viel mit Natur, Einfachheit und Loslassen zu tun hat. Ich war mit Illusionen gefüttert worden. Weil ich mir nicht einreden konnte, dieser Quatsch wäre wahr, befand ich mich in einem Garten, in dem sich Winter mit Bruder Frost und Saufkumpel Eiswind gar zu wohl fühlten. Kein Entkommen. Solang die Lüge Bequemlichkeit und Geld einfuhren, befand sich der kleine Träumer auf verlorenem Posten. Erst als ich begann dem Wetter keine all zu große Beachtung beizumessen, kehrte Frieden in mein Herz zurück. Wieder wie ein Kind den Fokus auf die Beobachtung und Erfahrungen zu lenken, erzeugte Gelassenheit. Da Wetter schlicht kein Thema war, und es ohnehin außerhalb meines Einflussbereichs lag. Hilfreich war in diesem Zusammenhang die Krönungszeremonie, die Fliegen schier unmöglich machte. Weder war ich bereit, irgendwelche Kontrolle über mich ergehen zu lassen, noch bin ich gewillt irgendwelchen geldgierigen Lügnern Geld in den Hintern zu pusten, um ihr Konstrukt von Krankheit und Kontrolle zu fördern. Sehr hilfreich. Denn egal was das Wetter macht, und egal wohin es manipuliert wird, bin ich eher bereit mich mit Kälte anzufreunden, als Kontrollzwänge von Kontrollsklaven über mich ergehen zu lassen. Die Flucht hat ein Ende.


Wenn überhaupt, war und ist das Wetter ein Lehrer. So wie alles mich lehrt. Alle Phänomene scheinen Helfer auf meinem Lebensweg zu sein. Wetter, Stacheln, Moskitos, Scheitern, Schmerz, Verlust, Hilflosigkeit. All das, was Zweibeiner gerne als „zu“ unbequem oder „zu“ schmerzhaft erachten, sind Hilfswerkzeuge. Für Akzeptanz. Annahme. Loslassen. Hingabe. Demut. Vertrauen. All das ist ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass da kein Soll-Zustand existiert. Keine Flucht nötig. Es ist was es ist, sagt die Liebe. Eine endlose Aneinanderreihung von Ist, Ist, Ist, Ist. Mit der Aufforderung den Trip maximal zu genießen. Und wenn Genuss nicht möglich ist? Auch das geht vorüber.