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Weniger Digitalalala

Es spricht sich langsam herum. Sehr langsam. Aber dennoch.

Das Internet und seine bislang gerühmten sozialen Netzwerke, sind nicht, was sie vorgeben zu sein.

Was vielleicht weniger in der Natur des Mediums, als in der Natur der Zweibeiner begründet liegt.

Zweibeiner haben ein, oder sogar zwei Probleme.

  • Dass sie zu lang leben.
  • Dass sie sich darüber bewusst sind, dass dieses Leben eines Tages endet.

 Daraus erwachsen allerhand absurde Verhaltensmuster, die bei Tieren in der Form nicht zu finden sind. Ja, die haben den Futterneid, Territoriumsstreitigkeiten, und eine generell tief sitzende Angst vor Feinden jeder Art. Aber es fehlt ihnen die Einsicht, dass ihre Leben enden werden. Wer weiß, welche sonderbaren Verhaltensmuster unsere vierbeinigen Freunde entwickeln würden, wenn sie wüssten, wie kurz ihre Leben tatsächlich sind.

 

Zweibeiner haben die Ablenkung erfunden. Auch bekannt unter den Begriffen „Zerstreuung“ oder „Entertainment“. Wer liebt es nicht, das Hirn für eine Weile abzuschalten, um sich mit unwichtigem Quatsch anderer Leute berieseln zu lassen? Ist das nicht einer der Nebeneffekte, der ältesten Traditionen der Zweibeiner? Sich Geschichten erzählen lassen. Vielleicht springt eine Inspiration dabei raus. Aber wichtiger scheint zu sein, dass wir für ein paar Minuten nicht mit dem dominanten Sadisten zwischen unseren Ohren konfrontiert sind. Unserem ständig unterforderten Hirn, das aus Langeweile Szenarios erfindet, die nicht als Erfindungen zu erkennen sind, weil unsere Hirne eben auch die Sinneswahrnehmungen verwalten. Ein kleiner, aber bedeutsamer Konstruktionsfehler, mit dem wir wohl leben müssen. Alles was uns das Gehirn übermittelt, kann als „wahr“ und „richtig“ interpretiert werden. Auch Illusionen, die via Licht, Klang, Buchstaben, oder Pixel transportiert werden. Wir können Konservenmusik hören, und unsere Hirne können so tun, als würden wir tatsächlich ein Orchester erfahren. Dieses Phänomen der Wahrnehmung ist die Basis all unserer geliebten Entertainment-Hobbys. Lesen. Musik hören. Filme sehen.

 

Was jedoch, wenn auf jedes Entertainment mehr Entertainment folgt?

Was, wenn der Sendeschluss ersatzlos gestrichen ist?

Welche Instanz entscheidet dann, wann genug des Entertainments wäre?

 

Und vor allem:

 

Was wenn es Institutionen und Wesen gibt, die sich davon ernähren, dass alle ununterbrochen Nachschub an Entertainment bekommen?

 

Die grauen Herren von der Zeitsparkasse ernähren sich nicht mehr vordergründig von unserer Zeit. Sie ernähren sich von unserer Aufmerksamkeit. Die ist zwar auch mit Zeit verbunden, aber das merkt niemand mehr, weil alle so irre gut unterhalten werden. Das muss nicht in Form von Filmen, Serien, Computerspielen, oder Musik sein. Es gewinnt einen viel tieferen Entertainmentfaktor, wenn die Zweibeiner beim Entertainment das Gefühl haben, etwas zu tun. Wenn sie die Illusion von Aktivität erfahren können. Endlich kann die Welt geändert werden. Von Zuhause, aus'm Bett heraus. Alles was es braucht, ist einen Internetzugang, einen Computer und ein soziales Hetzwerk, indem anhand von Likes, Abonennten und Kommentaren abzulesen ist, wie gut, wie wichtig, und wie wertvoll man sei. Ist das nicht wundervoll? Endlich Unabhängigkeit von Spielverderbern, die einem vorschreiben wollen, wie man zu sein hätte, und welche Ausdrucksform angemessen wäre! Endlich wahre kreative Freiheit.

 

Mit dieser Idee wird noch heute das Internet als tolle Sache angepriesen. Es hat sich nur ein wenig geändert. Subtil und unscheinbar. Je mehr Herzen aktiv ihre Freiheit im Netz praktizierten, desto enger wurden die Regeln. Nicht unbedingt nur die praktische Ordnungsliebe der welt- und lebensfremden Computerprogrammierer-Nerds. Vielmehr die Eigendynamik von Gruppen- und Massenphänomenen. Je größer die Masse der Aufmerksamkeitsgeilen, desto verdrehter werden die Versuche, Aufmerksamkeit zu erregen. Es gibt da keinen Zwang. Keine Ketten. Keine Pflicht etwas produzieren zu müssen. Bis auf die allgegenwärtige Dynamik einer Wettkampfgesellschaft. Wer inmitten von Produzenten auffallen will, muss entweder mehr produzieren, oder lauter schreien. Im realen Leben gibt es die Option, Qualität statt Masse abzuliefern. Gibt es diese Freiheit auch im Netz? Was geschieht, mit den kleinen, stillen, sanften Blüten in der virtuellen Welt?

 

Zur Antwort auf diese Frage, finde jemand die Suchmaschine mit dem Qualitätsfilter. Den Algorithmus, der auf Wunsch, besonders wertvolle, gehaltvolle, sanfte, zarte Stimmen auswählen würde.

 

Es gibt ihn einfach nicht. All die cleveren, gewitzten Programme sind auf einer Grundidee aufgebaut. Aktivität und Leistung. Vielleicht ist darin begründet, weshalb herzliche Träumer sich mehr und mehr von der virtuellen Illusion entfernen, wo ein Feuerwerk nach dem anderen abgefackelt wird. Genau wie bei Feuerwerkskörpern bleibt nicht viel übrig. Es macht Peng und Puff, und schön anzuschauen ist's, und gleich darauf geht die befriedigte Masse nach Haus, kurz darüber babbelnd, wie beeindruckend das Spektakel war – und am nächsten Tag ist es spurlos verschwunden, das große Staunen. Staunen ist eben keine Inspiration.

 

Das ist die Qualität des Internets im Jahr 2019. Ein unendliches Feuerwerk, in das man sich legen kann, ohne befürchten zu müssen, es könnte enden. Es endet nicht. Das widerspräche der Idee der totalen Verfügbarkeit von Informationen. Wer fragt nach dem Sinn der Informationen, wenn man auf ihnen reiten kann, wie auf einer endlosen Heroin-Line in einer Alufalte? Irgendwer hält hilfsbereit das Feuer unter die Folie, und alles was die willigen User tun müssen – was von ihnen erwartet wird – ist, der Line zu folgen und zu inhalieren.

 

Es ist nichts falsch an den Intentionen der Herzen, etwas mit der Welt teilen zu wollen. Nur die unglaubliche Masse an Bedürfnis zu teilen, erweckt in mir den Wunsch, nichts mehr aufnehmen zu wollen. Von niemand. Nicht übers Netz. Es erzeugt auch den Wunsch nichts mehr virtuell teilen zu wollen. Weil das Medium in sich den Fehler trägt, dass es alles gleich flach auf winzige Monitore reduziert. Glauben eigentlich wirklich irgendwelche Herzen, sie könnten im Netz noch lernen?

 

Und was veranlasst die, die es längst kapiert haben, weiter zu machen?

 

Die Antwort ist einfach. Die Bequemlichkeit ist uns allen so ans Herz gewachsen, dass wir das stinkende Geschwür auf unseren Herzen nicht als Tumor wahrnehmen, sondern glauben, das müsste so sein. Sklaven elektronisch digitaler Diktatoren, die längst den Absichten der Programmierer entschlüpft sind. Und noch etwas düsterer.