the end of the world as I knew it

 

Als Träumer bin ich mir darüber klar, wann ich träume. „Träumer“ ist nicht gleichbedeutend mit naiv oder trottelig. Es war meine bewusste, und wie ich finde, mutige Entscheidung, den Zwängen, aber auch den Sicherheiten des Systems zu entkommen. Ziel war maximale Freude und maximale Freiheit.

 

Über 25 Jahre war dies mein Projekt. Es könnte banal als „Künstlerleben“ tituliert werden. Tatsächlich war es ein Selbsterfahrungstrip, in dem es zunächst darum gegangen war, Wünsche zu erfüllen (Sex, Drugs, Party), Liebes- und Partnerschaftserfahrungen zu durchleben, und mit jeder Erfahrung ein wenig mehr in die Einfachheit zu tauchen. Nicht weil all das wilde Treiben keinen Spaß gemacht hätte. Vielmehr brachte jede Erfahrung die Illusion zum Vorschein. Die sagenumwobene „Wahrheit“ war ziemlich still und leise, und konnte leicht übersehen werden, wenn ich zu schnell, oder überhört werden, wenn ich zu laut war.

 

In den Jahren 2018/2019 hatte ich mich meinen angestrebten Ideal von Einfachheit genug angenähert, um das Ausmaß meiner Illusionen zu erkennen. Was in meinem Fall hieß, dass ich erkannte, dass Askese und Eremitenleben nur bis zu einem bestimmten Maß für mich möglich waren. Nicht weil ich nicht wollte, sondern weil mein Körper und meine Kraft Grenzen hatten. Das hieß auch, zu erkennen, dass meine Anarchie und Autonomie Grenzen hatten Dass ich, um mein Leben zu leben, ein gewisses Maß an Abhängigkeit zu anderen Herzen akzeptieren musste.

 

Was ich über Jahre gelebt habe, um meinen Traum des unabhängigen Künstlers zu leben, kann sich wohl nur vorstellen, wer selbst als unabhängiger Künstler gelebt hat. Wenigstens für ein paar Jahre.

 

Ich hatte gelernt, von vielen, vielen Dingen loszulassen, die für andere Herzen zu einem „guten Leben“ gehörten. Anstelle von Sicherheit, hatte und habe ich Vertrauen. Das war auch nötig, denn ein Leben, wie ich es lebte, mit 500 Euro pro Monat, inklusive Miete, war nur mit großem Vertrauen möglich. Manchmal half alles Vertrauen nicht, und meine besten Freunde retteten mich durch tiefe Täler, indem sie mir Geld liehen oder schenkten.

 

Seit Jahren kam jedoch noch ein anderer Aspekt mit in das Künstlerspiel, der alles unnötig erschwerte. Die Wahrnehmung meines Schaffens durch andere Herzen. Ganz davon abgesehen, dass es weniger und weniger Herzen wurden, die überhaupt noch bemerkten, was meine Bilder/Texte/Klänge darstellten, gab es auch ein sonderbare neue Art von Kunst und Kunstwahrnehmung, die stark durch die elektronischen, digitalen Medien beeinflusst wurden. Eine Art Wettkampf der Großartigkeit. Ich war nie ins Kunstspiel eingestiegen, um in einen Wettbewerb einzusteigen. Einem Wettbewerb, wo perfekte, digitale Kunst der haushohe Gewinner geworden ist. Ich wollte stets berühren, nicht beeindrucken. Und was war noch für mich zu tun, wenn überall Beeindruck-Artisten nach Aufmerksamkeit schrien?

 

All das war traurig, entmutigend und demotivierend, doch konnte meinen Glauben nicht erschüttern. Mein Glaube ist auch heute nicht erschüttert. Doch das große, globale Krönungsspiel, hat die eine, letzte Basis weggerissen, mit der mir möglich war, weiter zu machen. Nicht nur dass Transport- und Nachschubwege mehr oder weniger auf Zufalls-Modus gestellt wurden, worauf ich keinen Kundendienst mehr aufbauen kann,

 

es fiel auch der letzte Rest Interesse weg. Ich hatte solange weiter gemacht, wie ich konnte, habe versucht meinen Service aufrecht zu erhalten, obwohl es weit jenseits dessen war, was ich als Künstler auf mich nehmen will. Es ist heute mein Aufgabe genau zu hinterfragen, ob das, was die Diktatur des Schwachsinns heute von mir verlangt, das ist, was ich mit meinen Idealen von Freiheit und Leben vereinbaren kann.

 

Die überraschende Antwort lautete „Nein“.

 

In letzter Zeit mehren sich Videos auf Youtube, in denen Künstler sich verabschieden, weil ihnen die Basis für ihr Künstlerleben genommen wurde. Ich fühle mit ihnen und bin einer von ihnen. Ich glaube daran, dass wahre Künstler eine Art Dienstleister für Herzen sind. Als irgendein dahergeratterter Roboter sich erdreistete, in „essentielle“ und „nicht essentielle“ Berufe zu unterscheiden, war sehr deutlich, in welche faschistischen Wahnideen die Gesellschaft gesperrt werden soll. Ich fühle mich gerade sehr an Kurt Tucholsky erinnert, der in einem Brief einmal seine Hilflosigkeit und Traurigkeit kund tat, dass er im Exil nicht mehr das schreiben konnte, was er schreiben wollte – weil im faschistischen Deutschland seine Worte verboten waren.

Kurz darauf war er tot. Selbstmord oder Unfall, darüber streiten sich die Literaturforscher.

 

Nein, mein Leben willentlich beenden, dass werde ich nicht. Nicht, weil ich nicht wollte. Ich kann nicht. Es fehlt mir dafür der Mut der Verzweiflung. Und auch wenn ich mich von der Kunst nun verabschiede, ist da keine Verzweiflung. Es wird irgendwie weiter gehen. Wohl nicht wie bisher, aber wer will das schon? Alles Neue bringt der Mai. Heißt es nicht so? Nun, hier bin ich...