Erwartungen der Gruppe

 Ein Herz steht für sich allein.

Zwei Herzen ergänzen und spiegeln sich.

Drei Herzen, sind ein Paar und ein Beobachter, oder zwei Dominatoren und ein Opfer.

Vier Herzen sind zwei Paare im Wechsel.

Fünf Herzen sind die kleinstmögliche Gruppe.

 

Sobald eine Gruppe entsteht, beginnen die Zugeständnisse an die Gruppe, und die Zwänge der Gruppe.

 

Trotz aller grandiosen Philosophien und Versuchsanordnungen, ist es den Herzen bislang nicht gelungen Hierarchien und Erwartungen aus Gruppenspielen heraus zu halten.

 

Ausnahmen scheinen einzig Gruppen zu sein, die für einen begrenzten Zeitrahmen im Kontext einer Gemeinsamkeit zusammen kommen. Selten dürfte das besser gelungen sein, als im Rahmen der Loveparade in Berlin, wo eine Millionen Herzen friedlich und tanzend, zusammengehalten von Musik, Drogen und Sex, ein einzigartiges Gruppenerlebnis teilten. Diese Erfahrung war auf einige Stunden begrenzt, und auch wenn es Organisatoren gab, stellten alle ihre Fähigkeiten in den Spirit eines größeren Ganzen. Das dürfte wohl in der Menschheitsgeschichte einmalig gewesen sein. Und so gut es für einige Jahre funktionierte, so wenig ließ sich dieses Wunder aufrecht erhalten, als die Gruppe größer und größer wurde, und Aufmerksamkeit von Herzen gewann, die mit Friede, Freude, Eierkuchen nichts anzufangen wussten, und Euros und Aufmerksamkeit ergeizen wollten.

 

Generell scheint die Idee des gemeinsamen Miteinanders eine noble Utopie zu sein, die selbst unter Einsatz stärksten Willens und maximaler Offenheit zum Scheitern verdammt zu sein scheint. Was an den Primaten-Genen zu liegen scheint, die sogar jetzt, da wir seit Jahrtausenden von den Bäumen geklettert sind, unser Treiben bestimmen.

 

Entsteht eine Gruppe, wird ein Herz früher oder später den Ton angeben. Das muss nicht unbedingt aus Machtgier oder niederen Instinkten geschehen. Die Weltgeschichte ist voller großer, inspirierender Herzen, die Diktatoren der Inspiration waren. Sie zwangen niemand ihren Willen auf, doch wer Teil der Gruppe sein wollte, hatte sich dem Grundkonsens der Gruppe anzupassen. Was in dem Fall dann die Philosophie des vordenkenden Herzens war.

 

Wenn das inspirierende Herz vielleicht noch Freude daran haben konnte, dass da auch schwarze Schafe in der Gruppe waren, die Missklänge, Störungen, und alternative Ideen einwarfen, mussten solche Störenfriede an die Erwartungen der Gruppe stoßen. Die Gruppe findet sich selten zusammen, um anstrengende Konflikte zu erleben. Die Gruppe sucht instinktiv den Konsens, mit dem Harmonie und Frieden möglich wäre. Weshalb alle Herzen einer Gruppe intuitiv und meist unbewusst, alles ablehnen, was Harmonie und Frieden stören könnte. Das wiederum hat leider sehr oft mit der äffischen Lust an Bequemlichkeit zu tun. Es ist einfacher ein störendes Element zu entfernen, als zu lernen es zu integrieren, oder gar zu helfen, es zu transformieren.

 

Es gibt verschiedene Konzepte wie damit umgegangen werden könnte. Militärischer Drill, geordnete Hierarchiestrukturen, gewaltfreie Kommunikation, das ganze als „Gruppentherapie“ deklarieren, einen Aufhänger finden, wo sich selbst Außenseiter nicht dran stoßen (meist Sex), und, und, und... Doch in tauenden Jahren des Experimentierens wurde eines nicht gefunden oder erreicht. Freiheit der Gruppe und Freiheit in der Gruppe. Oft scheinen Gruppen erstaunlich gut zu funktionieren, wenn klare Regeln und Zwänge festgelegt sind. Noch weiter gehend, wenn neue Generationen schon als Kinder mit den Regeln der Gruppe geprägt werden. Das wird im Volksmund dann als „Sekte“ bezeichnet, und diskriminiert, ohne dass die, die laut „Pfui“ schreien, bemerken, dass es Sekten unterschiedlicher Größe gibt, und dass auch Christentum, Islam, Judentum, oder Buddhismus Sekten sind. Dass auch im großen Maßstab Kinder mit Gruppenregeln geprägt werden.

 

Das ist dann, was als Realitätstunnel bezeichnet werden kann. Sichtweisen und Glaubenskonstrukte, die so tief verankert sind, dass Erwachsene sich mitunter nie daran erinnern, dass sie als freie Herzen geboren wurden.

 

Gruppen geben im Idealfall Sicherheit. Auch imaginäre oder illusionäre Sicherheit ist Sicherheit. Weshalb einzelne Herzen sich in Gruppen so wohl fühlen. Wie die Loveparade so ein phänomenaler Erfolg werden konnte? Weil es ein relativ sicherer Rahmen war, wo junge Herzen relativ sicher sein konnten, dass sie für ihren Wunsch zu feiern, nicht verurteilt würden. Wo sie unter ihresgleichen waren. Wo sie sich für ihre Freude an Drogen, Sex, Tanzen und Musik weder schämen noch rechtfertigen mussten. Das kann schon ein ekstatisches Gefühl von „wir“ erzeugen...

 

Hätten sich die Millionen Herzen außerhalb der Loveparade miteinander beschäftigen müssen, wäre

 

ziemlich schnell deutlich geworden, dass außer dem gemeinsamen Konsens für den Moment der Parade, nicht viel Verbindendes war. Nichts, worauf sich eine neue Gesellschaft oder eine neue Religion hätte bauen können. Was nochmal den Wunder-Charakter der Loveparade unterstreicht. Da waren Individuen und Angepasste, Sklaven und Gegner des Systems für ein paar Stunden sehr nah.

 

Es scheint in der Natur von Gruppen zu liegen, dass sie sich auflösen müssen, wenn sie für einen Moment wirklich funktionieren. Der Sinn des Zusammen-Kommens in einer Gruppe, scheint ein einziger, orgiastischer, befruchtender Moment zu sein. Den dann jedes individuelle Herz in sich speichert, und bewusst oder unbewusst weiter trägt. So wird die Gruppe wieder zu Paarungen und individuellen Freiheitsherzen. Bis das nächste Mal die einzelnen, freien Herzen von einer Idee so inspiriert werden, dass sie sich zusammen tun, und das Spiel anders und wieder beginnt.