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Sexuelle Grauzone

Seltsame Zeiten. Das Internet ist voller grottenschlechter Pornographie, die Herzen schmücken ihre virtuellen Surrogate mit Lüsternheit und sexueller Aufgeschlossenheit, Bücher, Filme und Musik werden mit Versprechen sexueller Coolness verkauft, und überall ploppen sexpositve Veranstaltungen hoch, wie Pilze im Herbst auf feuchter Erde.

 

Zeitgleich findet eine neue Ehrlichkeit statt, in der sexuelle Übergriffe aus dem Verborgenen ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden. Oh, Überraschung: Machtübergriffe überall. Die Masken der tollen, erfolgreichen Helden werden heruntergerissen, und dahinter kommen gierige Verletzte zum Vorschein, die Sex zur Kompensation nicht geheilter Wunden missbrauchen.

 

Nur über eines wird nicht geredet:

 

Dass Sex gefährlich ist, egal wie man es anstellt.

 

Wir leben in Zeiten unendlicher Schlauheit. Zu jedem Problem gibt es Millionen Patentrezepte und Anleitungen, was man zu tun hätte, um Erfolg zu haben. Womit auch immer. Aber besonders mit Sex. Natürlich wird auch sofort auf jede Idee eine Produktbezeichnung geklebt. Zum Beispiel ist da diese „Consent“-Idee. Damit sollen dem Sex die Dornen und Stacheln entfernt werden.

 

Wirklich? Glaubt tatsächlich irgendjemand mit auch nur einem Funken sexueller Erfahrung, dass Gefahren umschifft würden, nur weil davor über Einverständnis gebabbelt wird? Und überhaupt, in welcher Welt leben wir eigentlich, dass dafür eine Produktbezeichnung geschaffen werden muss? Für ein fühlendes Herz ist klar, dass vor Eintritt in die Aura eines anderen Herzens, höflich angeklopft wird, und alle Karten (Absichten, Wünsche, Bedürfnisse und Bereitschaft für Geben) auf den Tisch gelegt werden.

 

In der „sexpositiven Bewegung“ wird daraus eine große Sache gemacht. Tatsächlich ist es die eine zwischenmenschliche Grundvoraussetzung für absolut alles, nicht nur Sex - und das war bislang nicht bekannt? Wirklich? Macht da irgendjemand Witze?

 

Weil es niemand sonst macht, übernimmt eurer durchgeknallter Schreiberling die Aufgabe eine unangenehme Wahrheit auszusprechen. Wer in den Sex-Zug einsteigt, macht das auf eigene Gefahr. Eltern haften in diesem Fall nicht für ihre Kinder. Ihr könnt Matratzen auslegen, um den Aufprall zu mildern, oder Netze spannen um den Sturz in den bodenlosen Abgrund zu vermeiden, ihr könnt „Safetywords“ und Spielregeln festlegen, ihr könnt Kurse belegen und Selbsthilfe-Ratgeber von Millionen Sexperten lesen. All das wird nichts daran ändern, dass Sex in sich eine unglaubliche Energie trägt, Ein Feuer, dessen Reiz die Anziehung ausmacht, aber eben auch Feuersbrünste durch das Sein aller Beteiligten jagen kann.

 

Sex ist kein „harmloses“ Entertainment. Hört bitte auf so zu tun, als wäre Sex ein nettes Freizeitvergnügen. Und es ist zehntausendmal kein Fluchthelfer.

 

In dem Maß, in dem wir im realen Leben Aufgaben um die Ohren geknallt bekommen, wird das im Sex auf unvorstellbare Weise multipliziert. „Wenn-Dann“-Konstrukte funktionieren im Alltag nicht, und im Sexleben sind sie Garantien dafür, dass Traumschlösser direkt im süßesten Moment über einem zusammenstürzen.

 

Ihr wollt harmloses Vergnügen? Geht ins Kino oder betäubt euch mit ner cleveren Serie auf Netflix. Sex ist gefährlich. Sex verlangt Aufmerksamkeit. Sex erfordert Wachsamkeit. Respekt, Achtung, Kommunikation und Liebe ändern nichts an der Gefahr. Sie helfen bloß beim Lernen. Lasst die romantischen Sprüche stecken, dass ihr „einander niemals weh tun werdet“. Ihr wollt es nicht, aber ihr werdet. Weil Sex kein Werkzeug der Heilung ist, sondern der Spiegel dafür, wo Heilung ansetzen kann. Kleiner, aber entscheidender Unterschied. Darum: Nacktheit ist gleich Verletzlichkeit und Verwundbarkeit. Du kannst Sex nicht genießen, wenn du mit einer Rüstung ins Spiel gehst. Du willst Vertrauen und Sicherheit? Kein Problem. Dann sei dir sicher, dass Schmerz und Verletzung stattfinden werden. Und vertraue darauf, dass du stark genug bist, auch das zu integrieren.

 

(Wenn du das nicht kannst – lass es sein.)