Wenn wir in dieses Leben geworfen werden, sind wir Gäste in Körpern. Körper – beziehungsweise die Illusion davon – können ohne bestimmte Grundvoraussetzungen nicht existieren. Sie benötigen Wärme, Licht, Nahrung, ein gewisses Maß an Schutz, Bewegung, und Ruhe. Auch soziale Interaktion, Kommunikation und Kreativität scheinen zu den Aspekten zu gehören, ohne die ein Lebewesen nicht sein kann.
Mit Bedürftigkeit hat das nichts zu tun.
Bedürftig ist ein Herz, das von sich glaubt, ohne bestimmte Aspekte nicht leben zu können, und nicht erkennen kann, dass diese Aspekte entweder bereits da sind, oder nur eingebildete Wichtigkeit haben.
Bedürftigkeit erwächst aus einem Gefühl von Mangel, das nicht der Wahrheit entspricht. Wenn einem Marketingstrategen aufschwatzen wollen, man wäre nicht ganz, ohne ein bestimmtes Produkt oder einen käuflichen Dienst. Bedürftigkeit setzt an Selbstzweifel und Unzufriedenheit an. Bedürftigkeit ist eine Verlagerung der Aufmerksamkeit vom Jetzt, in eine nahe oder ferne Zukunft, in der alles „besser“ wird, wenn...
Der Irrtum im Bedürftigkeitsspiel liegt da, wo verglichen wird. Ein Sein-Zustand mit einem möglichen oder unmöglichen Soll-Zustand. Meist sind Bedürftigkeiten kein Ausdruck wirklicher Herzenswünsche, sondern „Wenn-Dann“-Illusionen. „Wenn diese und jene Aspekte erfüllt sind, dann werde ich mich glücklich, zufrieden, reich und erfüllt fühlen.“
Was vermutlich nie passieren wird. Weil all diese Ideen auf Armut, Mangel, und dem Fehlen von Etwas aufgebaut sind.
Weshalb in Psychologie, Philosophie und Esoterik Bedürftigkeit gleich neben Sucht und Drogenabhängigkeit angesiedelt ist.
Verständlicherweise finden dann Lehrer, Gurus und Coaches sehr krasse Vergleiche, um ihren wissens- und erfahrungsbedürftigen Schülern deutlich zu machen, wie ungesund Bedürftigkeit ist. Meist schießen sie – wie es erhitzte Gemüter gerne tun – weit übers Ziel hinaus, und werfen Bedürftigkeit und Bedürfnisse in einen Topf.
Bedürfnisse sind in einem völlig anderen Raum. Sie klingen so ähnlich wie „Bedürftigkeit“, und manchmal führen Worte auf eine falsche Fährte.
Bedürfnisse sind Grundantriebskräfte unseres Seins, und ein Narr wäre, wer das leugnen oder bekämpfen wollte. Bedürfnisse sind Ausdruck liebender Herzen, die bereits ihre innersten Wahrheiten (wenigstens ansatzweise) erkannt haben. Sie sind direkter Ausdruck von Liebe.
Wer von sich weiß, dass Wasser ein Lebenselixier ist, wird darauf achten, gutes, sauberes Wasser zu trinken. Ein Körper wird auch Wasser mit Zusatzstoffen verarbeiten können, sogar Coca Cola. Wer sich liebt, wird das Bedürfnis spüren, sich das bestmögliche Wasser zu gönnen.
Wer erkannt hat, dass Berührung gut tut, kann leicht in die Bedürftigkeit abrutschen, irgendwen zu brauchen, um berührt oder geliebt zu werden. Wer erkannt hat dass Berührung oder Liebe auch ohne außenstehende Person stattfinden kann, wird darauf achten, dass ausreichend Selbstliebe stattfindet. Bedürfnisse sind direkter Ausdruck von Selbstachtung und Selbstliebe. Nicht aus einem Gefängnis von Abhängigkeiten heraus, sondern aus einem königlichen Bewusstsein geschenkt.
Wir haben als Säugetiere die Freiheit, uns unsere Leben so schön zu gestalten, wie wir wagen, uns die Leben zu erträumen. Eben weil das Leben voller Grausamkeit und Herausforderungen ist. Nicht, um der Grausamkeit und den Herausforderungen zu entfliehen (was Bedürftige oft tun), sondern um uns selbst täglich in eine starke, gesunde Ausgangsposition zu bringen, um alle Aufgaben meistern zu können.
Es kann immer vorkommen, dass irgendwo blinde Flecken sind, und dass Bedürftigkeit gelebt wird, obwohl die Bedürfnisse ganz woanders liegen. Macht nichts. Wir lernen in jedem Fall. Bis es uns ein Bedürfnis geworden ist, unser Leben so zu führen, wie es von Anbeginn vorbestimmt war. Als freie, unabhängige, mutige Herzen, die nicht von äußeren Phänomenen dominiert und unterdrückt werden, sondern alle Phänomene spielerisch integrieren und auf magische weise, in Liebe, nutzen können.
(Vigor Calma, 20202)