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Nostalgie

 

"Früher war alles besser". Das darf gerne in die Tüte und entsorgt werden. Nein. Die „gute alte Zeit“ gab es nicht.

 

Was es sehr wohl gab, war ein Mangel an Erfahrungen. Nicht alles, was gerne Teil des Lebens hätte sein dürfen, war bereits Teil des Lebens. Es gab Wünsche. Unerfüllte Wünsche. Das Streben danach die Wünsche wahr werden zu lassen. Und die Quelle der ewigen Jugend haben die, die es schaffen, das Wünschen am Leben zu erhalten.

 

Ob kleine oder große Wünsche – je nachdem wie tief gewünscht, werden sie früher oder später in Erfüllung gehen. Hartnäckige Masochisten versperren den kosmischen Wunscherfüllern gerne den Weg, oder werfen ihnen Balken vor die Flügel, aber das kann die Wunscherfüllung nur verzögern. Es braucht schon ziemlich fiese Techniken der Selbstzerstörung, um die Wunscherfüllung langjährig zu verhindern. Sogar die Weigerung, Wünsche erfüllt zu bekommen, kann zum Wunsch, und erfüllt werden.

 

Wer es geschickt anstellt, wird irgendwann erkennen, dass Wünsche erfüllt wurden. Wer aufmerksam hinschaut, wird erkennen, dass die Wünsche deshalb so reizvoll waren, weil der Inhalt der Pakete unbekannt war. Es gab nur Ahnungen und oft romantische Ideen, wie sich die Erfüllung des Wunsches anfühlen würde. Weshalb sich Wunscherfüllung nicht simulieren lässt. Wir wissen erst, was das Paket beinhaltet, wenn wir es auspacken, und uns mit dem Inhalt lang genug beschäftigen, bis die Essenz verinnerlicht wurde.

 

Egal wie aufmerksam oder oberflächlich wir sind – früher oder später wird eine Erfahrung Teil unseres Seins. Da hilft es nicht, Symbole der Erfahrung in Vitrinen zu stellen, um tägliche Rituale der Anbetung zu vollziehen, wie schön die Erfahrung gewesen sei. Jedes Buch, jeder Film, jedes Musikstück, jeder Ort, jeder Raum, jedes Herz ist irgendwann erfahren. Wir können noch so sehr fragen, was die Liebe bleiben macht – die Bewegung geht weiter. Im Idealfall folgt dem erfüllten Wunsch ein neuer Wunsch. Im Idealfall, ist da ausreichend Interesse am Leben und den Phänomenen, um weiter zu ziehen. Um das Unbekannte zu wünschen, um darin die Überraschung zu finden. Das Unerwartete. Das, wo wir wider jung, unerfahren, unsicher, vielleicht sogar ängstlich sein dürfen.

 

Altern ist kein körperliches Phänomen, sondern das langsame Absterben von Wünschen. Wenn Erfahrungen so tief gingen, dass es schwer wird, Phänomene zu erträumen, die ähnlich magisch fremd erscheinen.

 

Es gibt da diese Zeile aus einem Song. „If you can't be with the one you love, love the one you're with“. Das lässt sich auf Wünsche übertragen. Wenn da nichts mehr ruft, das so zauberhaft erscheint, wie die Wünsche aus glorreicher Jugendnarretei, dann nimm den nächst besten Wunsch, und fülle ihn mit dem Feuer, das früher für die größten Herausforderungen bestimmt war. Und vielleicht wird sich dann auch in manchem kleinen Paket, eine große Überraschung finden.

 

(Vigor Calma, 24.12.2019)