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Digitale Sklaverei

Dies ist eine Übung in Humor. Nicht den Humor und Spaß am Leben zu verlieren, obwohl sich die moderne Gesellschaft gerade in etwas verwandelt, das an Dämlichkeit, Traurigkeit und Armut kaum mehr zu übertreffen ist.

 

Mein ganzes Leben stand – solang ich zurück denken kann – unter dem Zeichen der Freiheit. Autorität war mir zuwider, und am wohlsten fühlte sich mein Herz da, wo es sein durfte. Wo es nicht irgendwelche schrägen Bevormundungen erleiden musste. Sobald irgendwo irgendwer glaubte, sich über mich stellen und mich dirigieren zu müssen, war ich sehr schnell wieder auf Distanz. Meine Freiheitsliebe brachte es mit sich, dass sehr klar zu beobachten war, welche Mechanismen in Abhängigkeiten und Sklaverei führten. Oft waren die Phänomene, die wie Tricks schienen, nur Unbewusstheit, oder noch öfter einfach Bequemlichkeit. Es ist faszinierend, welche Cleverness Herzen im Laufe ihres Lebens entwickeln, wenn es darum geht, ihre eigenen Aufgaben oder Scheitern auf Andere abzuwälzen. Gewitzt, gewitzt!, irgendwie...

 

Was bis zur Jahrtausendwende zwar oft ärgerlich und noch öfter anstrengend war, aber davon ging die Welt nicht unter. Solang zwei Beine frei beweglich und nicht durch Mauern, Zäune, oder Ketten eingegrenzt waren, gab es immer Plätze, wo sich ein freies Herz frei fühlen konnte. Auch heute gibt es diese Freiräume noch – doch paranoide Panik, bzw. panische Paranoia lassen Herzen gerade überall auf der Welt den Restverstand verlieren. Im Namen von Bequemlichkeit und Sicherheitsillusionen, rennen Zweibeiner wie Lemminge in Abhängigkeiten, die gruseliger sind, als Sklaverei in längst vergangenen Jahrhunderten.

 

Als vor einigen Jahren in der TV Serie „Black Mirror“ in einer Folge ("Nose Dive") eine Gesellschaft gezeichnet wurde, die völlig auf Wertung und elektronischer Kontrolle basierte, hatte das die Qualität eines Horrorfilms, der Zombies und Vampire wie Disney Cartoons scheinen ließ. Aber es war Science Fiction, nicht wahr? Alles halb so wild...

 

Drei Jahre sind seit diesem Film vergangen, und es entwickelt sich ein Szenario, das all das in den Schatten stellt. Nicht nur, dass die neuen Regeln für Internetbequemlichkeiten zunehmend unerfüllbar werden, für freiheitsliebende Herzen , nicht nur, dass der Zwang mitzuspielen, größer wird... Wirklich erschreckend sind die Begleiterscheinungen. Die menschliche Seele, oder die Psyche, oder die Herzen, scheinen für diese Anforderungen überhaupt nicht geschaffen zu sein. Der Druck wird spürbar größer, und die Versuche auszubrechen ebenso – nur werden die Probleme der digitalen Sklaverei nicht gelöst, indem Leute Hardcore-Lebenserfahrungen simulieren, und dann wieder in die Sklaverei zurück kehren.

 

Momentan etabliert sich eine Gesellschaft die für paar schicke Selfies oder ein populäres Youtubevideo buchstäblich alles machen. Ob Eisbaden oder an Haken im Rücken Bungeespringen. Es kann alles überhaupt nicht mehr krass genug sein. Es gilt Aufmerksamkeit zu erregen, und sich selbst in der Illusion zu gefallen, ein freies Wesen zu sein. Ohne dass diese Sklaven merken, dass es nicht Ketten und Polizeistaat sind, die sie gefangen halten. Es ist nicht mal Geld. Es sind Abhängikeitsstrukturen, die genau wie angekündigt – subtil und unscheinbar, ohne Widerstand aus der Gesellschaft, etabliert werden. Verkauft mit Sicherheitsversprechungen oder tatsächlichem Bequemlichkeitsgewinn.

 

Die großen Internetkonzerne haben von harmlosem Entertainment einen nahtlosen Übergang in die totale Überwachung hinbekommen. Wo das Telefon Ausweis und GPS-Ortungsgerät in einem sind. Und kaum jemand ruft „Stop!“, weil die Abhängigkeiten mit dem Telefon bereits so tief verankert sind, dass nur noch kopfnickend bestätigt wird, was die Konzerne fordern. Dass diese Konzerne keine Gesichter mehr haben, keine Ansprechpartner, und dennoch werten, urteilen und scharfrichten, wird fast völlig ausgeblendet. Solang die Amazon-Lieferung rechtzeitig kommt.

 

Als Orwell „1984“ schrieb, war sein totalitärer Staat auf Gewalt aufgebaut. Der totalitäre Staat, den wir bereits haben, ist auf Konsum, Bequemlichkeit und Eitelkeit aufgebaut. Diese Ketten sind aus Titan, und wer sie angelegt hat, wird sie nicht wieder los. Wer sie nicht angelegt hat, befindet sich überraschend in der Position, nicht mehr mitspielen zu dürfen. Was das für freiheitsliebende Herzen bedeutet, ist noch überhaupt nicht abzusehen. Eine erschreckende Vorahnung kann bekommen, wer nach China schaut, und sieht, wie da ein System aus Wertungen und Pflichten etabliert wird. Und niemand scheint sich dagegen aufzulehnen, weil es keine Visionen mehr zu geben scheint, außer Erfüllung in Arbeit, Fleiß und Unterwürfigkeit zu finden. Gruselig so was auch nur zu schreiben, weil es gegen all meine Überzeugungen läuft. Vor allem, gegen meinen tiefen Glauben, dass wir alle Herzen sind und haben, und unsere wahre Natur frei und Freiheit ist.

 

Nur fehlt die eine, kleine Komponente, die diesen Glauben unterstützen würde. Dass da irgendwo eigenständig denkende Herzen wären, die Freunde der Kunst des passiven Widerstandes wären. Die kein Verlangen nach Kampf und Streit hätten, und einfach mit ihren Geldbeuteln entscheiden würden, wen sie fördern, und wen boykottieren. Was in Black Mirrors „Nose Dive“ nicht gezeigt wurde, war die subtile emotional psychische Struktur der ängstlichen Anpassung. Wie sich alle in ihrer Angst viel zu gut gefallen, und statt Meditation und Anarchismus zu üben, wird das System gefüttert, indem sie genau das tun, was von ihnen erwartet wird. Sie jammern, sie klagen, sie füttern sich gegenseitig Paranoia, ohne ein einziges Mal zu berücksichtigen, dass niemand über irgendwen Macht haben kann, wenn diese Macht nicht vorher gegeben wird.

 

Die Macht der großen Digitalkonzerne liegt in der illusionären Erfüllung alter Wünsche. Endlich können alle „Superstars“ sein. Millionen „Menschen“ erreichen. Viel Geld verdienen, und sie müssen dafür nicht mal das Haus verlassen. Facebook, Google, Amazon und Co. Sind die neuen Religionen, die sich tiefer in die Hirne geschraubt haben, als es Christentum, Buddhismus oder Islam jemals konnten. Kein Wunder dass Religionsgläubige in der digitalen Religion ein Symbol Satans oder allen Bösen sehen wollen. Wenngleich alte Religionen und die digitale Religion etwas offensichtliches verbindet. Beide verkaufen das Versprechen von unendlichem Glück. Und wie bei den alten Religionen sind die Herzen geblendet von bunten Flickerlichtlein und schmeichelnden Klängen. Und solang sie alle nur schön beschäftigt sind, und in ihrer Beschäftigung das Gefühl haben etwas unglaublich Wichtiges zu vollbringen, zieht sich das Netz enger und enger.

 

Vielleicht wäre all das überhaupt nicht weiter schlimm. Sollen sie doch nur machen. Wären mir die Herzen hinter den Computern, die mit ihrer Schlauheit und Genialität angeben, nicht so unheimlich unsympathisch. In ihrem grenzenlosen Größenwahn, machen sie sich zu Künstlern, Gurus, Genies, Menschenfreunden, edle Gönner des Universums – bleiben mir jedoch sonderbar fremd und kalt. Würde ich mit ihnen Zeit verbringen wollen? Nein. Würde ich ihnen vertrauen, würden sie vor mir stehen? Nein. Würde ich einen Staubsauger von ihnen kaufen, würden sie vor meiner Tür stehen? Nein.

 

Und hier ist der eigentliche Aspekt, der in mir Misstrauen und Distanz erzeugt, und einen wachsenden Widerwillen, dieses System mit Geld oder meiner Energie zu füttern. Da sind keine Herzen, mit denen mein Herz eine tiefere Verbindung eingehen möchte. Und da gehen die Alarmglocken los. Die Welt wird gerade gesteuert von Herzen, die von meinem Herz nicht als Herzen zu fühlen sind. Die Räume, in denen sich diese Herzen aufhalten, sollen angeblich „menschengerecht“ sein, und „menschlichen Bedürfnissen“ entsprechen. Doch sie sind hässlich. Nichts dort spricht meine Sinne an. Nichts fühlt sich an, als wollte mein Herz Teil davon sein. Anders als bei manchen Tantrafestivals oder Partys von unangepassten Spinnern, die versuchen, sich in Farbe und Klang auszudrücken. Die Zeiten, in denen Computerfreaks Freaks waren, sind längst, längst vorbei. Seit ungefähr 15 Jahren. Es ist das Jahr 2019 und die Menschheit hat sich in die Hände von Technokraten begeben. Die sich von Bürokraten in nichts mehr unterscheiden. Sie sind so wenig verrückt, wie die Beamtensprache, die sie mit ihren Programmen der Welt aufdrücken. Und sie sind so aus dem Schneider. Sie verstecken sich hinter Avataren, und müssen nie mehr Verantwortung für irgendeine ihrer Handlungen oder Psychosen übernehmen.

 

Die Tage des endgültigen Abschieds vom Internet rücken immer näher. Weil es immer weniger gibt, mit dem mein Herz dort connecten kann. Während das Leben abseits des Monitors zunehmend an Bedeutung und Schönheit gewinnt.

 

(Vigor Calma, 12,2019)