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Die "Ich"-"Du"-Versuchung

Als Sprache gelehrt und gelernt wurde, war das genau wie alle anderen Phänomene, in die wir geboten wurden, ein großes Abenteuer. Eine der wundervollsten Eigenschaften der Kindheit, ist das vorbehaltlose Einlassen. Was die Eltern oder beliebige Erwachsene verkaufen, ist Geschenk. Ob das Kind nun gedrängt wird, oder ganz natürlich adaptiert – irgendwann ist das erste Wort gesprochen. Dem ersten Wort folgen viele Worte. Der praktische Nutzen von Worten steht außer Frage. Alle nutzen Sprache, also ist Sprache gut. Ungeachtet der Aussagen exzentrischer Spinner, dass Schweigen Gold sei. Was soll man von Meistern halten, die Worte verwenden um Schweigen zu verkaufen?

 

„Ich“ und „du“ sind eine Einladung in ein Spiel, das kaum zu Frieden führen kann, solange „ich“ und „du“ nicht mit „auch“ verbunden werden. Es ist die allgegenwärtige Versuchung, sich zu verstricken und die Macht über das eigene Glück abzugeben.

 

Es wird nicht lange dauern, bis das Kind die ersten Konflikte erlebt. Ob Kindergarten oder Sandkasten. Früher oder später werden die ersten Duelle ausgefochten. Was angeblich genau so zum Leben gehört, wie Sprache. Erstaunlich wenige Zweibeiner sehen einen Zusammenhang zwischen der „ganz normalen Sprache“ und ihrem unbewussten Missbrauch. Dass zum Beispiel „ich“ und „du“, genau wie „Frau“ und „Mann“ Werkzeuge der Unterscheidung sind. Viele Worte haben weniger den Sinn, ein Ding oder Phänomen zu benennen, als auf Unterschiede hinzuweisen. Dualität und Polarität. Obwohl sich Zweibeiner so viel auf ihr Erwachsen-Sein einbilden wollen, bleiben sie ihr Leben lang gegangene ihrer eitel selbstgefälligen „ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst“ Einstellung. Und was auch immer sie sehen oder wahrnehmen – es ist nicht einfach „anders“. Es ist „besser“. Ohne jemals zu überprüfen, was es mit dem kleinen Wort „besser“ auf sich hat.

 

Im Idealfall würde ein weises Herz „besser“ oder „Verbesserung“ als evolutionäres Wachstum erkennen. Für das es weder Kraftanstrengung noch Willenskraft braucht. Ein Häppchen Vertrauen würde reichen. Tatsächlich wurde das Wort von einem fragwürdigen Wortartisten als Steigerungsform von „gut“ in die Sprachen vieler Länder geschrieben. Wer hätte als Kind jemals hinterfragt, ob das so stimmt? Wer hinterfragt denn als Kind, warum 1 + 1 = 2 sein soll. Das Kind hat das Vertrauen, das Erwachsene irgendwann zugunsten von Konstrukten aufgeben. Obwohl jedes gesunde Kind ein natürlicher Meister von „gut“ ist. Ist etwas erreicht, ist etwas gelernt, ist etwas erkannt, ist es „gut“. Wie sollte es eine Steigerung von „gut“ geben? Außer im vergleichenden Mind verletzter Kinderherzen in Körpern Erwachsener. Messen und Vergleichen ist die Basis von „besser“. Ähnlich ist es mit „du“ und „ich“. Statt den gemeinsamen Nenner zu finden, werden Selbstbilder erfunden und mit dem Wort „ich“ in harte, kaum durchdringbare Rüstungen verwandelt. Außerhalb von „ich“ ist das – meist feindlich gefährliche - „du“, das entweder zu „ich“ bekehrt, als „falsch“ widerlegt, oder entfernt werden muss. Warum dieses „ich“ nicht mit einem liebevollen „auch“ gleich gültig gemacht wird, wird selten hinterfragt. Die Worte sind alt. Sehr, sehr alt. Wir erinnern uns nicht, wann wir damit gefüttert wurden. Doch wenn der nächste Konflikt hoch schwappt, und Meinungen und Worte aufeinander geschossen werden, wie Raketen und Gewehrkugeln, dann besteht die Möglichkeit kurz inne zu halten. Welche Rolle spielen „ich“ und „du“ in diesem Krieg? Und was passiert, wenn „ich“ und „du“ aus der Gleichung heraus genommen werden?

 

Es ist schwierig einen Krieg nur mit Adjektiven zu führen. Adjektive wollen vereinnahmt, oder als Schuldzuweisung gegen jemand geschmettert werden. Keine Identifikation mit „ich“ - kein Konflikt möglich. Keine (versteckte) Schuldzuweisung mit „du“ - kein Konflikt.

 

Glaub kein Wort. Überprüfe es. Und staune.