Mit der Herde blöken

Wenn du in diese Welt geboren wirst, hast du eine Freikarte im Gepäck. Du kommst langsam raus aus

dem warmen, weichen Bauch deiner Mutter, und tja, die Warterei hat ein Ende. Das Spiel beginnt.

 

Du bist irrsinnig Glücklich, denn du bist als Mensch auf die Welt gekommen. Es hat also geklappt mit

der Reinkarnation. Als Mensch hast du irrsinnige Möglichkeiten, denn es gab bisher kaum ein

gefährlicheres Wesen auf der Erde. Selbst die wildesten Tiere haben Respekt, sogar Angst vor dir.

 

Dein Kopf klemmt nun zwischen den Beinen deiner Mutter, und du liest dir nochmal durch, was auf

deiner Freikarte steht. Sie ist dir von der Göttin höchstpersönlich mitgegeben worden. Du fragst dich kurz,

warum deine Mutter so kläglich schreit, aber kümmerst dich gleich wieder um deinen Kram. Auf der Freikarte steht: Du wirst als Mensch auf dem Planeten Erde herumspazieren. Du mußt nichts und niemanden fürchten. Du, und nur du allein bist für dein Leben verantwortlich. Du darfst tun was du willst - und hast dafür ein Werkzeug, das im Universum seinesgleichen sucht: Deinen menschlichen Körper.

 

Du freust dich, denn ein Fünkchen Erinnerung an dein vorheriges Leben ist noch in dir, und damals, als

Mensch hattest du viel erreicht.

 

Da bekommst du deinen ersten Schock. Nicht einen kleinen Schock. Nein, einen gewaltigen Schock,

der dich dein vorheriges Leben und dein langes Warten in der Zwischenwelt vergessen läßt. Deine Mutter

preßt dich unter gigantischen Schmerzen - warum hat sie solche Schmerzen? - aus ihrem Leib, und

verbunden durch ihre Nabelschnur spürst du einen unvorstellbaren Stich. Zeitgleich explodieren helle

Lichter vor deinen noch nicht geöffneten Augen, unbekannte Kälte schlägt auf deine zarte, nasse Haut,

und Finger in Gummihandschuhen zerren brutal an deinem Nacken.

 

Was soll das?, denkst du, aber zu spät. Es ist zu spät: Dir wird schlagartig klar, dass du die falsche

Entscheidung getroffen hast. Nicht die Menschen sind die Krönung der Schöpfung. Du willst zurück in

den Bauch deiner Mutter, aber da ist es bereits geschehen. Nur mehr eine dünne, blutige Nabelschnur

verbindet dich mit der einzig heilen Welt, die es wirklich gibt. Eine Schwester wird sie in einem

unbeobachteten Augenblick mit kaltem, rostfreien Stahl durchschneiden, und dir die erste Narbe deines

Lebens bereiten.

 

Noch immer ist der Raum mit schrecklichen Schreien erfüllt. Du bist zu klein, um sie als deine eigenen

zu erkennen. Und die Erwachsenen denken: He, das ist aber ein süßer Balg! Und wie laut!!! Hach, wie

süß. Wenn du könntest, würdest du dem Arzt in die Eier treten, damit er sieht, wie süß Schmerzen

sind. Aber das mußt du dir noch ein wenig aufheben. Ja, du schwörst dir, das irgendwann nachzuholen.

 

Bis dahin ist es aber noch ein ganzes Stück.

 

Jener wunderbare Körper, den dir Gott gegeben hat, muß erstmal ein paar wichtige Erkenntnisse

sammeln. Obwohl alles ganz einfach gehen könnte, brauchst du Jahre um so einfache Dinge wie Laufen,

Sprechen, oder das Einsetzen deiner Hände zu lernen.

 

Ein mühseliger Mist ist das. Denn statt wirklich interessanter Dinge, bekommst du immer nur die

Kinderportion vorgesetzt. Die Erwachsenen schmeißen mit Kindersprache und Kinderbüchern nach dir.

Haben die alles vergessen?, denkst du dir, und du kennst die Antwort, Sie lautet: JA! Alles!

 

Also quälst du dich durch unsäglichen Blödsinn. Was sind das für Kranke, die denken, dass Kinder

Geschichten über Teddybären oder andere Tierchen lesen wollen? Jedenfalls wirst du auf eine Welt

vorbereitet, die nicht existiert. in der wirklichen Welt gibt es wenig Niedliches. Die Tiere der wirklichen

Welt beißen oder stechen, oder wissen sonstwie zu zeigen, dass sie Menschen nicht mögen. Du nimmst

es ihnen nicht krumm. Denn eigentlich magst du Menschen auch nicht. Doch dieses Gefühl ist bislang

nur eine Ahnung, die du nicht näher begründen kannst.

 

Du machst also weiter, und als du deinen vierten Geburtstag feierst, fängst du gerade an, einige Seiten

des Lebens zu schätzen. Die Sonne, die Natur, jedes Tier. Du kannst dich dem Wunder eines einzigen

Blattes von einem Baum nicht entziehen. Die Bewegung von Wasser, ob Wasser eines Sees oder eines

Flusses ist egal, bringt dich fast zum Weinen.

 

Fast. Denn Weinen sollst du nicht. Deine Mutter erlaubt es dir, dein Vater und andere Kinder machen

sich darüber lustig, aber so richtig kann niemand verstehen was Weinen ist. Also lehnen es alle ab, und

du bist gut beraten, es sein zu lassen. Du kannst dir das Leben auch künstlich schwer

gestalten.

 

Doch wie Schwer das Leben ist, ahnst du erst, als du in den Kindergarten kommst. Ein Ort in dem

Menschenkinder wie Blumen großgezogen werden sollen. Kinder-Garten.

Als wärst du eine Pflanze...Ha! Du hast mehr Bedürfnisse als nur Sonne, Wasser und Erde. Du willst

Zärtlichkeit. Das ist die erste große Leere die du auf der Erde erfährst: Wenn viele Menschen

aufeinandertreffen, gibt es keine Zärtlichkeit. Wenn viele Menschen aufeinandertreffen, gibt es Ordnung.

Zwar hat jeder eine andere Vorstellung von diesem Begriff, aber naja, du willst es mal probieren. Du

probierst Ordnung zu halten, obwohl es nicht deine Ordnung ist.

 

Die erste Ecke deiner Freikarte wird abgerissen, und du bekommst nichts dafür.

Du siehst den Fetzen wegwehen, und spürst, dass damit etwas begonnen hat, was dir wenig gefällt.

 

Um dieses Gefühl zu untermauern, kommst du in die Schule. Es zerreißt dir dein Herz, dass deine Eltern

- die Menschen, die dir bislang oft geholfen haben, und denen du gezwungenermaßen vertraust - dich in

diese Folterkammer schicken.

Kein Mensch erklärt dir, was da wirklich auf dich wartet.

Niemand sagt dir, dass du die wichtigsten Jahre deines Lebens in Gemäuern verbringen wirst, wo Freude

unerwünscht ist. Niemand sagt dir, was der wirkliche Sinn dieses Unternehmens ist. Niemand sagt dir,

dass die Leute, die dort "Lehrer" heißen, ihre dunkelsten Neurosen und Psychosen an dir...an dir...

auslassen werden. Niemand sagt dir, wie lang zehn Jahre sind. Niemand sagt dir, wie lang ein Jahr ist.

Niemand sagt dir, wie lang ein Tag sein kann. niemand sagt dir, wie unendlich fünfundvierzig Minuten

sein können.

Sie erzählen dir stattdessen Lügen. Wieviele nette Kinder du treffen wirst, und was du alles wichtiges

erfahren wirst. Du glaubst kein Wort, aber hast du eine Wahl..?

 

Ìm ersten Schuljahr versuchen sexuell frustrierte Frauen dich behutsam in ein unvorstellbares

Horrorszenario einzuführen. Sie glauben eitel wie einfühlsam sie sind, doch könnten die Kinderherzen

schreien, wären die Klassenzimmer von reißendem Lärm erfüllt. Früher oder später, fällt die freundliche

Maske der Lehrerin ab.

 

"Heute, Kinder, freut euch, lernen wir die Uhrzeit kennen!", sagt die Frau Lehrerin, und

vergisst zu erwähnen, dass jeder, der darauf keine Lust hat, kräftige Tritte in den Hintern ernten wird.

Natürlich vergisst sie es, denn anstelle körperlicher Strafen sind psychische Strafen gerückt, und da

sie selbst gelernt hat damit zu Leben, kann sie nicht mehr sehen, was sie den Kindern antut.

 

Du freust dich auf die Uhr, denn die Erwachsen machten, seit du denken kannst, so ein Getue um die

kleinen Maschinen. Alles drehte sich immer nur um Zeit. Der Vater hat keine Zeit. Mutter hat keine Zeit.

Und endlich erfährst du, was Zeit ist. Du erfährst alles über eine viertel, halbe, dreiviertel Stunde. Doch

kein Wort über die Dauer dieser Zeitabschnitte. Das geht in einen übersinnlichen Bereich, den die

Erwachsenen aus ihrem Leben verbannt haben. Sie sind so eitel Stolz wie sie alles erklären können,

dass sie alles verdrängen, was sie nicht erklären können. Darum kapierst du auch nicht was es mit der

ganzen Panik um die Uhr auf sich hat. Du hast längst kapiert, dass das alles Schwindel ist, aber Pech

gehabt, nun geht's erst richtig los. Aussteigen ist nicht mehr.

 

Das ganze Ding mit der Uhr langweilt dich zu Tode, aber du darfst das nicht sagen. Wenn du es sagst,

wirst du bestraft. Du darfst dich auch nicht um etwas anderes kümmern. Wenn du das tust, wirst du

bestraft. Manchmal sitzt du in der Schulbank und fühlst dich wie in einem Trichter; je tiefer du rutschst,

desto enger wird es.

 

Immer wenn du eine Regel kapiert hast, wird die nächste in dich rein gebohrt. Es gibt so viele Regeln zu

beachten, dass du zwangsläufig irgendwann eine übertrittst. und dann wirst du bestraft. Ein Schlag ins

Gesicht wäre weniger Schmerzhaft, als die unterschwelligen Kommentare oder die gewollte Nichtachtung

deines Seins durch die Erwachsenen.

 

Manchmal gibt es Streitereien mit den Klassenkameraden. Aber das ist Okay, denn im Gegensatz zu

dem Schwachsinn, den die Lehrer loslassen, fühlst du in diesen Momenten das Leben. Du ahnst, dass

du auch ohne Streit etwas mit den Kameraden machen könntest, aber irgendwie hast du verlernt, das zu

sagen was du willst, und zu machen was du willst. Du hast bereits im ersten Jahr Unzufriedenheit

gelernt, und deine Haltung ist ein wenig gebeugter als sonst.

 

Wieso auch nicht, mit den zehn Kilo Büchern, die du jeden Tag von Zuhause zur Schule und wieder

zurück buckelst. Bücher die schlecht riechen, hässlich aussehen, und nur Dinge erzählen, die nichts mit

dir zu tun haben, außer dass sie dir Leid zufügen.

 

Manchmal fragst du deine Eltern was das soll. Sie antworten, dass "da jeder durch muss". Sie sehen dein

Leid, und endlich siehst du, dass sie sich erinnern. An ihr eigenes Leid. Das erscheint dir weiterhin

Schwachsinnig, aber aus einer liebevollen Solidarität und einer Notwendigkeit heraus, machst du weiter.

 

Immer subtiler werden die Verhaltensmuster, die du lernst. Jahr um Jahr kommen immer weitere

Spielchen dazu, doch der Sinn dieser Spiele bleibt im verborgenen. Nicht ein einziger Lehrer hat den Mut

zu sagen: Kinder, wir machen aus euch gute Rädchen im System. Kein einziger ist so ehrlich zu sagen:

Freiheit hat hier keinen Wert. Kein einziger schlägt dir die Wahrheit ins Gesicht: Dies ist erst der

Anfang!

 

Immer häufiger "lenkst du dich ab". Dafür ist so ziemlich jedes Mittel recht. Die Gesellschaft ist voll von

Angeboten, mit denen du dich ablenken kannst. Sogenannte "Freizeit"-Angebote. "Freizeit" ist dann,

wenn's dir gut geht. Dementsprechend gibt es eine Unfreizeit. Oder eine Zeit, in der du gefangen bist.

Ein Sklave.

 

Doch noch bist du zu Jung und Unerfahren, um das so deutlich zu erkennen. Die materiellen

Spielsachen locken dich, und obwohl dich kaum eine Sache so befriedigt, wie früher der Anblick eines

Blattes, häufst du immer mehr Spielzeug an. Irgendwann geht es weniger um das Spielzeug, als darum,

den "Anderen" zu beeindrucken.

 

Irgendwann geht es nicht mehr um das Lernen, sondern um das "Besser sein" als andere.

In diesem Moment reißt eine weitere Ecke von der Freikarte und fliegt davon.

 

Nicht einen Moment verstehst du, warum du schneller als Andere sein sollst. Wozu sollst du weiter oder

höher springen? Was ist der unterschied zwischen einer Zwei und einer Fünf? Du denkst einen kurzen

Moment, dass es doch darum geht, etwas so gut zu machen wie du es kannst. in dem Moment überholt

dich ein Klassenkamerad, und später lachen sie über dich, weil du "so langsam" warst.

 

Das ganze ist ein weiteres Druckmittel der Lehrer, um ihren Willen durchzusetzen, glaubst du, aber

ändern kannst du noch immer nichts, und machst weiter.

 

Eines schönen Tages, als du fast soweit bist, alles hinzuschmeißen und die Freikarte zu vergessen,

spürst du ein Gribbeln zwischen den Beinen. Du findest schnell heraus, dass dir Gott außer der Freikarte

auch ein Spielzeug mitgegeben hat, mit dem du dir selbst schöne Gefühle machen kannst. Genau zur

rechten Zeit. Die Schule wird Tag um Tag härter, und jeder Regelbruch führt zu immer scheußlicheren

Strafen.

 

Doch nach der Schule verbringst du Stunden mit dir und deinem neuen Spielzeug, und erholst dich vom

Wahnsinn, in den du gezwängt wurdest. Die Orgasmen, die du dir schenkst, machen die Freikarte nicht

wieder ganz, aber erinnern dich, dass da mehr ist, als nur zu lernen, wie eine Maschine.

 

Du entdeckst nach der Lust mit dir, die Lust mit den anderen Menschen, und alles wird im Angesicht

dieser Freude erträglich. Du machst weiter. Plötzlich, ohne Vorwarnung, ist die Schulzeit vorbei.

 

Du fühlst dich reifer und klüger, und blickst zurück. Der Albtraum ist vorbei. Doch der nächste steht

schon bereit. Die Eltern faseln etwas von "Arbeit". Sie meinen damit, jahrelang als Sklave für Leute zu

arbeiten, die meist nichts weiter voraus haben, als ein paar Jahre Zeit.

 

Zum ersten Mal fühlst du, dass etwas anders ist. Du bist nun Erwachsen genug, um eine Entscheidung

zu fällen. Eine folgenschwere Entscheidung.

Auf wen wirst du hören?

 

Auf das, was dir dein Innerstes sagt?

Oder hörst du auf das, was die Eltern oder Anderen sagen..?

 

Zum ersten Mal erfährst du wirkliche Einsamkeit. Niemand kann dir helfen. Es liegt allein bei dir. Die

Anderen machen dir Druck. Sie malen angsteinflößende Bilder von einer Welt, die dich zermalmen wird,

wenn du nicht arbeitest, wenn du nicht deine Pflicht erfüllst. Eben dieser Druck gibt dir zu denken.

Solltest du nicht die Freiheit haben, solange nachzudenken, bis du die Antwort weißt?

 

In einem Anflug jugendlichen Mutes, nimmst du dir die Zeit die du brauchst. Du willst deine ganz eigene

Entscheidung treffen.

 

Wenn es das Leben gut mit dir meint, dann wird es dir die richtigen Antworten geben, und Einfälle, wie

du dich durchschlagen kannst.

Wenn es das Leben anders mit dir meint, dann wirst du deiner Angst nachgeben, einen Job suchen,

vielleicht einen finden, und einfach ein Rädchen im System. Du wirst stets alles haben, was du brauchst.

Nur im Moment deines Todes erkennst du, dass du dich belogen hast.

 

Wenn du deinen eigenen Weg gehst, warten Straßen voller Stolpersteine auf dich. Jahr um Jahr wirst du

neue Erfahrungen sammeln. Du wirst Erkenntnisse haben, dich eitel daran aufgeilen, wie clever du bist,

bis du das als weitere Illusion erkannt hast, und eine andere Richtung einschlägst.

 

Immer wieder wirst du auf Menschen treffen, die dich Inspirieren, aber früher oder später wirst du sie an

deiner Halsschlagader trinken spüren.

 

Du wirst geschickter und geschickter, alles scheint dir zu gelingen. Doch in dem Maß, in dem du dich

selbst findest, scheinen dich die Anderen zu verlieren. Die Missverständnisse nehmen zu. Jahr um Jahr

wirst du es mehr Leid, dich Anderen zu erklären. Du sagst dir: Was soll's?. Die machen sich ohnehin ihr

eigenes Bild und versuchst einen neuen Weg einzuschlagen.

 

Du stürzt dich in Arbeit, die du selbst gewählt hast, hast immer mehr Erfolg, doch je größer der Erfolg,

desto mehr greifen die Klauen der Gesellschaft wieder nach dir.

Je mehr Menschen sich mit dir beschäftigen, desto stumpfer fühlt sich das an, was dir noch vor kurzem

das einzig Richtige erschien.

Du fragst dich, warum du da bist, wo du bist. Das war doch nicht der Sinn des Lebens?

 

Du erinnerst dich an den Spaß, den du mit Anderen im Bett hattest und entwickelst neue Strategien um

deine Ficks zu bekommen. Doch wie du es auch anstellst: Entweder du bekommst Freundschaft oder

Sex - aber nie Beides zusammen. Alle sagen: Sex zerstört die Freundschaft. Und Freundschaft zerstört

den Sex...

Du glaubst wie meistens kein Wort.

 

Der Hunger nach beidem wird zur fixen Idee. Du landest in Partnerschaften, doch stellst fest, dass du

nicht gelernt hast, wie das geht. Du weißt etwas über Geographie, Mathematik, Physik, Chemie,

Religion, sprichst eine Fremdsprache fließend, aber wie lebst du mit dem Menschen, mit dem du das

Bett teilst???

 

Aus deiner Hilflosigkeit heraus, fügst du diesem anderen Menschen Verletzungen zu; so wie du sie

zuvor erfahren hast. Die Freikarte löst sich in deinen Tränen mehr und mehr auf. In einem letzten

Aufbäumen von Würde gibst du dieses Spiel auf. In genau dem Moment erkennst du, dass selbst die

besten Freunde ihre Angst nur dazu benutzen, sich nicht mehr zu bewegen. Nie zuvor hast du tiefere

Traurigkeit gespürt. Nun endlich weißt du, dass du machen kannst, was du willst, doch nichts davon

irgendetwas am Verhalten der Anderen ändern wird.

 

Du könntest sie geschickt manipulieren, ohne dass sie etwas merkten, doch dann wärst du wie so viele

auf der Erde. Einfach nur ein Guru, ein Verführer, ein Diktator, ein Chef, ein Sklaventreiber...

 

Endlich wird dir die Tragweite des Mensch-Seins bewusst. Es gibt nur einen einzigen Grund, weshalb du

dein Leben nicht beendest: die Schönheit der Natur, der du in deinen besten Momenten nacheiferst, und

die du manchmal sogar in dir spürst...

 

Freunde kommen und gehen, Partnerschaften kommen und gehen, du lernst und lernst, aber hast das

Gefühl, immer dümmer zu werden.

 

Irgendwann hast du ein Alter erreicht, von dem du nie geglaubt hättest, dass du es erreichen würdest. Du

schaust wieder mal zurück, und hättest Grund zufrieden zu sein; so weit hast du es geschaft, ohne

Wahnsinnig zu werden, oder deine Gesundheit völlig zu ruinieren.

Aber außer der Natur, einer handvoll Freunde, und deinem Lebenspartner ist kaum etwas da, was

wirklich Sinn macht.

 

Dieses Gefühl wird täglich stärker. Jedes morgendliche Aufstehen ist ein Dejá vu.

 

In der Tasche deiner Hose findest du einen aufgeweichten Fetzen Papier. Du erinnerst dich, dass es eine

Karte war. Aber eine Karte wofür..?

 

Dein Lebenspartner erinnert dich: "Freikarte" habe auf dem Papier gestanden.

 

Du beschließt endlich das zu machen, was du immer machen wolltest. Aber gleichzeitig ahnst du, dass

das ein schwieriges Manöver wird.

Du besorgst dir aus Sicherheitsgründen einen Helm, denn die Mauern gegen die du rennst, sind härter

als Stein. Es sind die Mauern, die andere Menschen um ihre Herzen gebaut haben. Aber du gibst nicht

auf.

 

Bis du merkst, dass du immer Allein bist - bis auf deinen Lebenspartner und einer handvoll Freunde. Du

möchtest damit zufrieden sein, doch immer wieder fragst du dich, wo die anderen fühlenden Wesen sind.

Du findest sie nicht.

 

In dem Moment resignierst du. Dieser Moment löst ein Programm in deiner DNS aus, das deinen Körper

sterben lässt. Je nachdem, wie viel schöne Momente du von da an noch hast, dauert dieser Prozess kurz

oder lang.

Aber irgendwann schlägt der Tod zu. Wenn du dann vor ihm auf dem Boden liegst, fragt er dich

lächelnd: "Na, du Mensch? Was haste gemacht, mit deinen paar Sekunden?"

 

Plötzlich weißt du was Zeit wirklich ist.

Plötzlich weißt du, was Leben wirklich ist.

Plötzlich weißt du was Liebe wirklich ist.

Plötzlich weißt du, wie viel Freunde du wirklich hattest.

Plötzlich weißt du, dass deine Partnerschaft voll strahlender Schönheit war.

Du vergisst die Augenblicke des Leides, und erinnerst dich an die Ewigkeiten der Schönheit.

Du stehst auf, stellst dich vor den Tod, reichst ihm lässig die Hand, und sagst:

"Ich hatte es gut. Ich bin bereit für das, was auf mich wartet".

 

Okay, denkt sich der Tod und führt dich in die Zwischenwelt, während dein Menschenleib die Würmer

füttert und die Erde düngt.

 

In der Zwischenwelt hält sich deine Seele solange auf, bis wieder ein Ei befruchtet wird. Du klinkst dich

ein, und wächst in einem Wesen, das einzigartig und wundervoll ist, in diesem Universum.

Du hast dir deine Eltern gut ausgesucht. Sie schwimmen Tag ein, Tag aus in den Tiefen des Ozeans,

sind Groß und Würdevoll, wissen was Liebe ist, und leben als Familie.

 

Du bist entschlossen, das Leidensspiel nicht mehr zu spielen.

 

Kaum hast du das gedacht, kommt die Göttin angeflogen und drückt dir breit grinsend eine Freikarte in die

Hand. Das kommt dir irgendwie bekannt vor...

 

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