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Media Distancing IV

Ich war ein kleiner, ahnungsloser Teenager, als ich merkte, dass ich belogen wurde. Von den Lehrern, die mir erzählten, „ich müsse informiert sein“, und durch die Medien, die mich informieren sollten. Ich wusste noch nicht, was da nicht stimmte. Ich wusste nur, dass da etwas nicht stimmte. Es brauchte ein paar Jahre Beobachtung, ehe ich begriff, dass es mein Leben nicht bereicherte, zu wissen, wer wo auf dem Planeten welche Verbrechen beging. Ich bemerkte, dass mein Leben völlig unberührt blieb, von Massakern in fernen Ländern und fremden Kulturen. Sogar angekündigte Weltkriege und Weltuntergänge blieben aus; sie fanden nur in den vollgestopften, ängstlichen Hirnen der Zweibeiner statt. Von dieser Einsicht war es nur ein kleiner Schritt zur einzig logischen Konsequenz. Ich verbannte Zeitungen, Radio, TV, und vor allem Nachrichten aus meinem Leben. Und siehe da: mein Leben gewann eine wundervolle Qualität. Ich beschäftigte mich nur mehr mit Dingen, die direkt in meinem Umfeld lagen, und auf die ich direkt Einfluss nehmen konnte, wenn ich wollte. Das waren erstaunlich wenige Dinge, und dadurch wurde mein Leben um eine große Portion Frieden bereichert.

 

Später kam das Internet in mein Leben. Es war angeblich ein Fenster in die Welt. Anders als bei den alten Medien, erzeugte das Internet die Illusion eines interaktiven Einflusses der Nutzers. Die Illusion der Kontrolle. Es sah aus, als könnte ich mit Maus und Enter-Taste in die fernsten Regionen der Welt zoomen. Was eine Weile wirklich Spaß machte. Bis Computer-Algorithmen das Nutzerverhalten analysierten und aufgrund eines Profils eine Vorauswahl trafen, was mich interessieren könnte. Woraus das Programm eines Tages folgerte, was mich interessieren sollte. Das war der Anfang einer Regulation, wie sie mir auch im realen Leben zuwider war. Dass immer irgendwer sich in mein Leben einmischen musste, mit irgendwelchen Absichten, sogar lieb gemeinten Absichten, auf mein Leben Einfluss zu nehmen. Was ich tatsächlich nicht ahnen oder vorhersehen konnte, war, wie sehr das Internet den Blick der Zweibeiner auf das Leben und sogar Denkweise und Kommunikation der Zweibeiner ändern würde.

 

Während in fast allen Philosophien und Religionen vor der großen, allgegenwärtigen Illusion gewarnt wurde, machte das Internet die Illusion zur neuen, alleinigen Wahrheit. Diskussionen und Wortschlachten in asozialen Hetzwerken waren die ersten Warnhinweise, dass irgendwas nicht stimmte, mit diesem hochgelobten Spielzeug. Einerseits schienen Zweibeiner jegliche Formen von Würde und Achtung zu verlieren, weil sie sich durch digitale Anonymität geschützt fühlten. Andererseits schien das digitale Medium in sich eine Entfremdung von Menschlichkeit in sich zu tragen; als wäre der digitale Filter verantwortlich für Missverständnisse und Verwirrungen. Als hätte die Reduktion der Kommunikation auf zwei Sinne eine Abstraktion erzeugt, in der wichtige Informationen ausgeblendet wurden.

 

Wieder waren es Algorithmen, die dafür sorgten, dass die Lage sich nicht entspannte. Irgendein cleverer Programmierer, vielleicht auch ein cleveres Programm, erfand die Kommentarfunktion und Bewertungssysteme. Plötzlich veränderte sich die Dynamik im Internet. Avatare, hinter denen angeblich Zweibeiner steckten, verwandelten sich in durchgeknallte Clowns in einer riesigen Zirkusmanege; völlig davon besessen, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und gemocht zu werden.

 

Inzwischen ist das Internet ein paar Jahre älter, und ist kein Fenster in die Welt mehr. Es ist ein riesiges, offenes Tor in den Wahnsinn, und wer den Computer anschaltet, kann nicht mehr sicher sein, nur von außen den Wahnsinn zu beobachten. Es hat oft den Charakter eines miesen Horrorfilms, in dem ein unbedachter Moment ein Portal öffnet, durch das die Hölle ins heimische Wohnzimmer getragen wird.

 

Wer heute noch denkt, das Internet wäre ein harmloses Spielzeug, muss leider davon ausgehen, hypnotisiert zu sein. Besonders schön war die Massenhypnose in den vergessenen und verdrängten Corona-Zeiten. Was da an Irrisinn von allen Richtungen in alle Richtungen gespritzt wurde, war unbeschreiblich. Wer da noch versucht hatte, irgendeine Wahrheit aus den Illusionen zu extrahieren, hatte sich auf verlorenen Posten befunden.

 

Die Corona-Versuchsanordnung ist vorbei, nicht jedoch der unendliche Schwall an Illusion. Im Gegenteil. Es scheint, in Post-Corona-Zeiten sind die Zweibeiner völlig davon besessen, aus buchstäblich jeder Mikrobe eine Schlagzeile zu machen. Jemand erfand den sinnentleerten Begriff „Influencer“, und einen Atemzug später, waren da Millionen dieser geltungssüchtigen Avatare, die getrieben von Eitelkeit, der Welt ihren Stempel aufdrücken wollten. Was weder Ähnlichkeit mit Journalismus, noch mit Fantasy-Geschichten hat. Es hat den Charakter von Soap-Operas, in denen einzig Banalität auf täglicher Basis aufgewärmt wird, bis in der Suppe kein nährendes Molekül mehr zu finden ist. Wenn es sich überhaupt noch mit irgendetwas vergleichen lässt, dann mit einer Erscheinung aus den 1990er Jahren:

 

In jenen Tagen hatte ein findiger Schelm zwei Schundzeitungen auf den Markt geworfen. Genau betrachtet, handelte es sich nicht um Zeitungen. Es waren Karikaturen von Zeitungen. In diesen zwei billig produzierten DinA 5 Heftchen, wurden Geschichten von Alienentführungen, Fehlgeburten von Babys mit Echsenköpfen und andere amüsante Erfindungen ausgebreitet. Es war eine Ansammlung hochgradig unterhaltsamen Schwachsinns, der all jene der Idiotie überführte, die sich über dieses Absurditäten-Kabinett aufregten. In diesen Zeitungen hatte man es sich zur Aufgabe gemacht, alle Wahrheit auf den Kopf zu stellen, und bis zur Unkenntlichkeit zu karikieren.

 

Der Unterschied zum Absurditätenkabinett des Internets besteht darin, dass die Produzenten digitaler Illusionen von sich tatsächlich glauben, sie hätten etwas zu sagen. Man könnte meinen, es wäre nicht weiter schlimm, weil die Illusionen nur von Avataren konsumiert würde. Leider verändert die Illusion bereits die angehende Menschheit. Allerorts springen Zweibeiner aus ihren digitalen Löchern, und tragen ihre Illusionen ins reale Leben. Sie schmücken sich mit Attributen digitaler Terminologie, und vertreten sie mit einer Entschlossenheit, mit der in vergangenen Zeiten um Freiheit oder Frieden gekämpft wurde. Heute wird dafür gekämpft, eine persönliche, individuelle Form der Illusion als Wahrheit leben zu dürfen.

 

Wo ist das Problem? Jemand will eine individuelle Illusion leben? Just do it! Mach, was du willst, sei glücklich damit, und freu dich. Moment! Da ist das Problem. Jedes durchgeknallte Individuum fordert heute nicht nur im Internet, dass die eigene Illusion zu einem neuen Paragraphen im Grundgesetz gemacht werden soll. Niemand scheint mehr zu wissen, wie Würde geht. Hier ist das zentrale Problem der fortschreitenden Verwirrung und des Abgleitens in eine konstante Massenpsychose. Es gibt keine Möglichkeit, sich mit diesen Illusionen zu beschäftigen. Weil es bislang keinen Schutzanzug gibt, an dem diese Bazillen nicht haften blieben. Sich damit auch nur am Rande zu beschäftigen, führt zu einer anhaltenden Verseuchung, die einem wirklich bösem Virus gleich, langsam und stetig das eigene Lebenssystem verseucht.

 

Seit einiger Zeit praktiziere und empfehle ich Media Distancing. Je gestörter die Gesellschaften werden, desto mehr empfehle ich, sich von digitalen Hypnose-Geräten fern zu halten. Ich verstehe tatsächlich die Macht dahinter nicht. Wie diese kleinen Maschinchen sich so tief in die Hirne der Zweibeiner schrauben können. Ist die reale Welt wirklich so trist und sinnentleert, dass jede Droge als Fluchtwerkzeug willkommen ist? Dass Zweibeiner so tief in digitale Illusionen flüchten müssen, dass sie irgendwann anfangen zu glauben, die Illusion wäre real?