Pornos versuchen das unstillbare Verlangen von Menschen nach Sex zu befriedigen. Sie scheitern dabei so, wie die Kirchen dieser Welt gescheitert sind, Sex auf ein Mittel zur Fortpflanzung zu reduzieren. Sex beinhaltet viel mehr, als diese zwei Seiten der gleichen Medaille.
Weshalb Pornos scheitern müssen, liegt zunächst in der Natur der Sache: Wie wäre es möglich, ein Phänomen, das dann zur Ekstase führt, wenn alle Sinne beteiligt sind, auf zwei Sinne zu reduzieren?
Akustische und visuelle Stimulation sind in diesem Fall nur mittelmäßige Simulation.
Um darüber hinweg zu täuschen, greift (meist) Mann zu einem Trick, den wir vom großen Kino und Theater kennen. Damit auch in der letzten Reihe alle mitbekommen worum es geht, muss alles ein wenig größer wirken. Wer sich das making of eines beliebigen Actionthrillers ansieht, wird dort von Kampftrainern für Schauspieler erfahren, dass niemand im wahren Leben so kämpft, wie es in Filmen gezeigt wird. Damit es für die Kamera gut aussieht, werden ausladende, größere Gesten verwendet, und es werden unnötige Abläufe eingefügt, damit die Zuschauer alles gut mitverfolgen können. Im Theater werden Möbel und Requisiten XXX-large angefertigt, damit selbst Kurzsichtige erkennen können, dass Shakespeares berühmter Hamlet-Monolog, mit einem Totenkopf gesprochen wird, und nicht mit einem Ei. Auch wenn der Totenkopf praktisch einem 3-Meter-Titanen gehört haben müsste.
Was dort funktioniert, hat den Weg in die Pornographie gefunden. Mit dem Resultat, dass erschreckend viele Pornos zur akrobatischen Freakshow oder eitlen Zirkusnummer verkommen. Große Brüste, riesige Schwänze, wildeste Aktionen, Stellungsakrobatik, und sonderbares Rekorde-brechen. Während „deep throat“ in den 70ern Aufsehen erregte, weil sich niemand bis dato hatte vorstellen können, dass eine Frau einen ganzen Schwanz schluckt, scheint das heute ein Aufnahmekriterium für kommende Pornoheldinnen zu sein. Die Pornodarstellerin von heute wird selten an ihrer Authentizität gemessen, sondern an ihrer Willigkeit, Extreme vor der Kamera zur Schau zu stellen. Sicher, auch das deckt ein bestimmtes Bedürfnis von ZuseherInnen ab. Es ist nur ein feiner Unterschied, ob jemand sehen möchte, wie andere Körper beim Sex aussehen und was sie machen, oder ob jemand sich daran erregt, wie sich Menschen aus Gier verkaufen, aus Fantasielosigkeit erniedrigen, oder eitle Kunststückchen machen. Für den Voyeur oder die Voyeurin kann Beides interessant sein.
Es ist faszinierend in Abgründe zu schauen.
Da Porno selten als Theater oder Kino zu erkennen ist, und in schludriger Umsetzung einen gewissen Realismus vorgaukelt, entsteht da ein Bild von Sex, über das sich Alice Schwarzer zu Recht aufregt. Mann könnte nach circa 50000 Pornos wirklich glauben, dass alle Frauen dauerbereite Sexpüppchen wären, die nur darauf warten, für die dümmsten und sinnlosesten Zwecke benutzt zu werden. (Zu oft von Männern, die nichtmal als Staubsaugerverkäufer überzeugen könnten.) Frau könnte glauben, dass Männer allesamt rohe Klötze wären, die zu keiner sensiblen Geste fähig sind, und deren einziges „Gefühlszentrum“ sich in ihren Schwänzen befindet. Und wieso? Weil durch Porno nur zwei Sinne angesprochen werden, und sich schnell Gewohnheitserscheinungen breit machen. Aber auch, weil niemand sich Gedanken über die Natur des Sexus oder Triebes zu machen scheint, und kurzerhand die Schwänze zu Regisseuren gemacht werden.
Wer genug große Brüste oder Schwänze gesehen hat, braucht mehr Stimulation. Also wird der Sex extremer. Wer genug Gangbangs, Orgien, Bukake, oder Analsex gesehen hat, braucht mehr Stimulation. Das Prinzip der Steigerung ist eine Sackgasse im menschlichen Denken und Handeln. Es gibt im wahren Leben keine gerade Aufwärtslinie, eingepresst zwischen X und Y Koordinaten. Die Struktur alles Lebens ist ein Kreis. Ein Rad. Was oben ist, wird zwangsläufig wieder unten landen. Grob vereinfacht, weil die Zweibeiner noch immer nicht gelernt haben, mehrdimensional zu denken und erfahren.
Es gibt ihn nicht, den Dauerorgasmus. Höhepunkt heißt so, weil es danach wieder Abwärts geht. Je mehr versucht wird, die Stimulation zu steigern, desto sicherer wird das Konstrukt einstürzen. Im Fall von Pornos bedeutet das: Ermüdung, Gleichgültigkeit, Bedeutungslosigkeit. So verwandelt sich ein Werkzeug zur sexuellen Befreiung, Bereicherung, und Inspiration, leicht in ein Beispiel für menschliche Banalität. Reiz der Erotik bedeutete für mich stets auch, das Geheimnis zu ergründen. Wo liegt noch irgendein Geheimnis, wenn all sich nur zu leicht bereit erklären, alles Preis zu geben. Nichtmal für den Meistbietenden; das Angebot allein reicht. Wodurch ein Wunder banalisiert wird, und ein fühlendes Herz zwangsläufig an den Punkt kommt, da die eigene Würde gefragt ist. Was soll noch geil daran sein, zu beobachten, wie Verwirrte vor der Digicam ihre Würde mit Füßen treten oder vernichten? Was sagt das über den Beobachter aus?
Wer hat noch geschulte Sinne, die Feinheiten eines tantrischen Spieles zu erkennen? „Die bewegen sich ja gar nicht“, rufen empörte, action-verdorbene Zuschauer. „Die sitzen ja bloß aufeinander“. Was dem tantrischen Pärchen völlig egal ist, weil es in ein Universum aus Lust getaucht ist, wo das Pulsieren der Genitalien ausreicht, um sie alles vergessen zu lassen. Von Außen betrachtet geschieht praktisch nichts, und bietet null voyeuristischen Kitzel. Wie ließe es sich filmisch umsetzen, was ein tantrisches Paar erfährt?
Hier ginge es in den Bereich Kunst oder Poesie, oder gar Mystik. „Kunst? Kann ich nicht“, sagt der Schwanz, der für die Pornos die „Drehbücher“ schreibt, die DarstellerInnen auswählt, und meist auch die Kamera führt. Ein Schwanz ist 'ne tolle Angelegenheit, doch es wird Zeit zu akzeptieren, dass er ein miserabler Künstler ist. Gleiches gilt übrigens leider auch für die wenigen Vaginas, die Pornos gedreht haben. Genitalien sind generell mäßig geistreich. Was wenig daran ändert, dass weiter Pornos von Genitalien gedreht werden.
Somit liegt es an mir als Zuschauer, zu differenzieren, was Simulation von Sex ist, und womöglich meine Fantasie betäubt, und was die „echte Sache“ ist. Porno kann Unterhaltung sein, in wenigen Fällen Inspiration, wenn ein Funken Authentizität eingefangen wurde. Es ist sogar lehrreich, Praktiken zu sehen, die man nicht für möglich gehalten hätte. Zumindest war das einmal so. Als Porno noch der Illusion verfallen war, die Gesellschaft zum Guten zu lenken. Eine Gesellschaft, ohne Tabus und Diskriminierungen. Ist das noch aktuell? Ist nicht längst ein Stadium erreicht, in der ein fühlendes Herz zwangsläufig an den Punkt kommen muss, Porno aus dem Leben zu löschen? Allein schon, wenn man bedenkt, welche erschreckenden Subjekte hinter den vielen berühmten Porn-Sites stecken. Da werden Subjekte zu Milliardären gemacht, denen man auf der Straße ausweichen, und mit denen man ganz sicher keinen Tee in einem Café trinken wollte.
Was bleibt einem Herz mit Würde übrig, als mit den Schultern zu zucken, und sich von den Ideen einer freien Gesellschaft abzuwenden; sich auf die wenigen Freunde, und falls vorhanden, auf das Herz zu konzentrieren, dass wirklich geliebt wird? Es sind ausgerechnet die Bewegungen, die Freiheit und Toleranz erzeugen wollten (sofern das keine romantische Idee von mir ist), die mich nach alten Werten streben lassen. Niemals hätte ich von mir geglaubt, ich könnte irgendwann einmal Sichtweisen finden, die allgemein Konservativen zugeschrieben werden.
Ich habe einmal geschrieben, Porno sei tot. Inzwischen ist dieser Kadaver ein übel stinkendes, Krankheiten verbreitendes Phänomen geworden, das es gilt auf Abstand zu halten. Um der eigenen Gesundheit willen.
(Vigor Calma, 31.8.2012, ergänzt und erweitert 2024)