Natur treibt mir die Elfchen aus

 

Ich möchte gerne von mir glauben, dass meine Intentionen nie zu romantisch waren. Dass ich bei aller Blauäugigkeit doch einen gewissen Zen-Geist in mir hatte, und mir ansatzweise bewusst darüber war, dass die Einfachheit der Natur auch schwer sein kann. Aber wie eine liebe Freundin einmal so altklug sagte: „Man weiß erst wie es ist, wenn man es probiert hat.“

Das bezieht sich nicht nur auf Sex, sondern auch auf Erfahrungen der Einfachheit in der Natur.

 

Es lag eigentlich auf der Hand. Alles, was ich mir in meinem Leben bislang zusammengesponnen hatte, konnte der genaueren Überprüfung nicht standhalten. Je größer die Erwartungen, desto größer die Ernüchterung. Irgendwann in meinem Leben, ging mir auf, dass alles ganz anders ist, als ich dachte. Dass es grundsätzlich anders kam, und ich überhaupt nicht so dumm denken oder versponnen träumen konnte, wie das Leben mich überraschte.

 

Wo ich mit mir ins Gericht gehen darf, und mich der romantischen Träumerei überführte, waren all die hübschen, populär-mystischen Verknüpfungen zwischen Natur und Spirit. Und nach nur zwei Wochen in der Natur, muss ich ja mal ganz vehement meiner Empörung Ausdruck verleihen. Ich kann mir das Gefühl nicht verkneifen, dass all die putzigen Natur-Anbetungen der modernen spirituellen Bewegungen, in eitler Bequemlichkeit geboren wurden. Heraus aus schick beheizten, elektrifizierten, mit Auto gut erreichbaren High-End-Häuschen. Mit allerhand Schotter im Hintergrund, um sich die garstige Natur freundlicher zu stimmen.

 

Sicher, da sind mystische Aspekte in Allem. Warum also nicht in der Natur? Doch besteht eventuell ein Hauch eine Anflugs von einem Quäntchen, dass manche hübschen Naturideen wie Zucker sind? Um etwas, das gar zu bitter scheint, zu versüßen?

 

Ja, ein schöner Garten ist schön an zuschauen. Und wenn über dem Horizont die Sonne untergeht, während ich auf der Terrasse meinen Salbeitee schlürfe, da könnte es mir schon fast kommen. Aber eben nur fast. Weil statt Elfchen und bunter Schmetterlinge, meist nur Mücken, Fliegen, und andere stechende Sechsbeiner durch die Luft surren. (Das erinnert mich an die Szene aus dem Film „Labyrinth“, in der ein Gnom, ich glaube er hieß „Ogl“, rumflatternde Elfchen mit Insektenspray killte. Und wie die junge Jennifer Conelly empört aufschrie, und den Gnom als „grausam“ bezeichnete. Bis sie von einem Elfchen gebissen wurde. „Au! Sie hat mich gebissen.“ Antwort des Gnoms: „Was glaubst du, was sie tun?“) Der hübsche Garten ist nur genau so hübsch, wie man selbst Energie investiert, und ich bezweifle sehr, dass die Mehrzahl der Naturfreunde all zu viel Energie investierten, wenn sie keine technischen Hilfsmittel hätten.

 

Hier auf Zypern wird fast alles mit Maschinen platt gemacht, wo ich von Hand zur Sache gehe. Nicht dass ich mir darauf etwas einbilde, liebes Lesewesen. Ich hab mir das selbst so ausgesucht, weil ich keine lärmigen Maschinen mag. Und weil ich ein Stück weit bescheuert bin, wie's scheint. Mein Ding. Worauf ich hinaus will, ist die Härte, mit der die Natur ihren Film durchzieht, und sich einen Scheiß um irgendwelche romantischen Bilder kümmert. Sie kümmert sich auch nicht um die Interpretationen jener Aktivitätsfanatiker, die überall Wettbewerb und Kampf wittern. Erste große Lektion meiner ersten Tage als Eremit in der relativen Zypern-Wildnis:

Natur wächst und versucht zu überleben. That's it. Alle weitergehenden, und meist romantischen Idealisierungen oder unromantischen Interpretationen von Seiten der Zweibeiner, gehören ins Reich der Fantasy oder Märchen. Und wie tief diese Märchenwelt in mir sitzt, kann ich mit Worten überhaupt nicht mehr ausdrücken.

 

Hier kommt der Aspekt zum Tragen, auf den ich es bewusst und unbewusst angelegt hatte: dass mir die Natur die Elfchen austreibt. Dass sie mich auffordert: „Manifestiere dich und nimm dir deinen Platz, oder du wirst überwuchert, kleiner Träumer!“ Meine Nettigkeiten sind nicht gefragt. Weder dem Nachbarhund gegenüber, noch den Stechpflanzen oder Stechinsekten, oder irgendwem gegenüber. „Kümmere dich um dich, verdammt noch mal!“, brüllt mir die Natur mit dem totalen Gegenteil von süßer, schöner Stille in die Ohren – und ich frag mich, wen ich eigentlich mit meinen Liebheiten die Eier hatte schaukeln wollen.

 

In nur zwei Wochen hat mein Körper manches Bequemlichkeitsfett verloren, und Muskeln beginnen sich abzuzeichnen. Nach nur zwei Wochen Ganzkörpereinsatz im selbstgewählten Eremitendasein, sieht mein Körper schon so aus, wie ich das mit Gymnastik im warmen Wohnzimmerchen nicht hinbekommen hatte. Ein Ende der Transformation ist nicht in Sicht.

 

Und ja, alles ist hier lebendig, und alles durchtränkt von Überlebenswillen. Was für ein Vorbild, was für eine Inspiration und Motivation. Aber das, was in der spirituellen Szene angesagt ist, Weltenseele und so weiter, spielt vorerst überhaupt keine Rolle. Klar, ich laber' die Pflanzen auch zu, wie Wolf Dieter Störl, und alle Pflanzen haben einen eigenen Charakter. Aber wisst ihr was, Leute? Sie verbieten mir regelrecht, irgendwas zu idealisieren oder rein zu interpretieren. Sie rufen mir zu: „Kümmer dich um deinen Scheiß. So wie wir das auch tun!“ Und vielleicht könnt ihr meine Verwunderung ein bisschen verstehen. Die Natur ist ist keine freundlich schunkelnde und händchenhaltende Therapiegruppe. Sie spiegelt mir, dass mein Streben nach Einfachheit und Freiheit eine Grenze hat. Die Grenze der Natur selbst. Alles ist so frei und einfach, wie ich es schaffe innerhalb des wilden Überlebensspieles meine Rolle einzunehmen. Und dass hier ja niemand auf die Idee käme, irgendein Naturwesen hätte andere als zutiefst eigennützige Beweggründe. Die Natur hilft nicht. Sie reicht keine Hand. Sie ist auch nicht gegen. Sie macht einfach ihr Ding. Und fordert mich auf, es ihr gleich zu tun.

 

Das Erwachen hier ist wiedermal erfrischend schockierend. Es lässt viele Ideen, mit denen ich jahrelang geflirtet hatte, ins Reich der Märchen zurückflattern, und bringt mich an einen Punkt, wo ich einmal mehr aufgefordert bin, alles loszulassen, was ich nicht selbst erlebe, erlerne, und erfahre.

 

Wenn „ich“ tatsächlich ein spirituelles Wesen bin, das eine Körpererfahrung macht, dann muss ich an dieser Stelle ganz klar sagen: GEILE SACHE! Es ist unglaublich wohltuend, wenn mein schlapper Körper schmerzt und unter den Dingen, die getan werden wollen, gestählt wird. Auch die Insektenbisse und -bohrstellen sind ein guter Parameter für meine wirkliche Gelassenheit, und wie weit mein meditatives Tralala voran gekommen ist. Da ist keine Wildlife-Romantik, wie ich sie im Kino gesehen hatte. Es ist ein Trainingsprogramm, um mich wieder ein Stück mehr in die Wahrheit zu schubsen. Und es macht mir Lust auf mehr Prüfung. So pervers es mir momentan auch noch scheint...

 

 

Fortsetzung folgt...