Ein Träumer und Narr in der wahren Natur

(25.6.2018)

 

Aufmerksame Leser werden vielleicht bemerkt haben, wie ich in der Überschrift das Wort „Realität“ vermied. Gar zu relativ ist dieser Begriff... Wenngleich die unterhaltsame Relativität gerade für faszinierend erschütternde Überraschungen und Lektionen sorgt. Solltest Du nicht auf dem Laufenden sein, hier eine kurze Zusammenfassung dessen, womit ich hier mit dem Umzug von der domestizierten in die wahre Natur konfrontiert wurde.

 

Bei einem ersten Spaziergang vor zwei Monaten, ums Haus, trat ich auf eine Giftschlange. Freund Viper war allerdings von meinem plötzlich auftauchenden Fuß in ihrem Revier ebenso überrascht, wie ich über die Schlange, die sich aus dem Nichts einfach so unter meinem Fuß manifestiert hatte. Sie vergaß zu beißen, und so kamen wir Beide mit dem Schreck davon. Wer weiß. Vielleicht erzählt sie ihren Schlangenkumpels immer noch, was da für ein komisches Ding auf sie getreten ist – und ich freu mich, dass mir grobe Schmerzen erspart blieben - oder gar der womöglich erlösende Dimensionswechsel.

 

Stattdessen erhielt ich nächtliche Dauerbohrungen von Moskitos – und wie ich befürchte, von Flöhen, die ich mir mit meinem improvisierten Bettunterbau selbst ins Schlafzimmer geholt hatte. Unterbau entfernt, Bohrungen massiv verringert. Dann war da die große, fette Tiger-Spinne, die zwar gestreift war, wie die Tiger-Ente von Janosch, aber nicht so nett anzusehen war. Und in mein Haus wollte. Auch giftig, wie ich erfuhr, bissig zudem, und so war es wohl nur angemessen, dass ich sie mit dem Gartenschlauch und gezielter Sommerdusche in den Garten zurück trieb. Gepaart mit Geldknappheit, fehlendem sozialem Sicherheitsnetz, unbekannten Anforderungen, die es in der Stadt nicht gab, und einer fetten Portion Ungewissheit, ergab sich eine explosive Mischung, die in einer mächtigen Krise detonierte.

 

Diese Krise hätte ich nicht durchgestanden, ohne Hilfe lieber Freunde. Dank ihnen, bekam ich eine Atempause, um gestärkt in die nächste Überraschungsprüfung zu stolpern. Und das, wo der Tag sooo gut begonnen hatte...

 

Ich glaubte, endlich einen Lichtstreif am Horizont zu sehen. Hatte gut geschlafen, ganz ohne einen einzigen neuen Moskitostich! Ja, das darf auf Zypern, und dort wo ich heute lebe, als Wunder verbucht werden. Auf dem Weg zur Stadt, machte ich einen Abstecher an meinem Eremitenstrand, und hatte ein kurzes, kühles Bad im Meer. Allein und nackt. Keine Haie. Dafür überragendes Blau, und eine geradezu liebevolle Umarmung vom Meer. Dann die erfreuliche Aussicht, mein neuestes Bild via Internet an jemand zu verkaufen, die es wirklich zu schätzen weiß. Und dann ab in den Supermarkt. Meine Essensreserven waren schon ziemlich aufgebraucht. An der Kasse – Karte funktioniert nicht.

 

Shit.

 

Nur noch fünf Euro Bares bei mir. Ich zum nächsten Bankautomaten. Funktioniert nicht. Einkauf wieder raus aus dem Rucksack. Bank in Deutschland angerufen. Bei ihnen alles okay, mit meinem Konto auch. Also: nichts Genaues weiß man nicht. Ohne Essen den Berg hoch. Plötzliche Einsicht:

 

All das ist eine Lektion, Sicherheiten zu schaffen. Lernen, Sicherheiten zu schaffen. Etwas, das ich kategorisch abgelehnt hatte, in Berlin. Wählerisches Luxusverhalten. In Berlin konnte ich mir stolz auswählen, von wem und wann ich mir helfen ließ. Hatte das auch über viele Jahre üben und lernen können. Es war viel reizvoller in Berlin ohne Sicherheiten zu leben – ohne all zu oft darüber nachzudenken, dass das Sicherheitsnetz in Berlin so straff gewoben war, dass man sich wirklich anstrengen musste, dort durchs soziale Netz gespült zu werden.

 

Ich halte kurz, für einen Schluck Wasser. Rucksack wieder auf den Rücken. Irgendwas drückt, obwohl ich außer meinem Laptop und Kabel, Fahrradwerkzeug für Notfälle, und ner Wasserflasche nichts zu tragen habe. Okay. Offenbar kann ich schon nichtmal mehr nen leeren Rucksack packen. Dann alles zurecht geruckelt und WÜTEND weiter. Wütend auf alles und mich. Einmal lauthals FUCK YOU ins Leben und die Wildnis gebrüllt. „Und? Was kommt als Nächstes? Womit willste mir den nächsten Denkzettel verpassen?“

Der kam dann auch umgehend. Und hier darf gelacht werden, weil so verrückt kann ich nicht denken, wie das Leben mich prüft.

 

Eine Biene fliegt mir in den Hemdkragen. Als ich sie weg scheuche, fliegt sie zwischen Auge und Sonnenbrille. „Da haste, Vigor!“, lacht die Natur. Ziemlich erschrocken wische ich die Biene von meinem Auge weg – und bin danach wirklich unvorstellbar dankbar, dass sie trotz Schreck nicht gestochen hat. Liebe Biene. Gute Biene. Weise Biene!

 

Was dann der Anlass wurde, währende ich den Berg hochstrampelte, all das aufzuzählen, wofür ich dankbar war. Die Straße. Das Rad. Die stacheligen Pflanzen, die mir zeigten, dass man auch im Extrem blühen kann. Die Insekten, die mich lehren, wie man sticht – ohne Bedenken oder Moral. Der blaue, weite Himmel. Die Wolken. Der Wind. Und wieder dachte ich, dass ich einfach ein sehr angenehmes Leben geführt hatte, in Berlin. Dass ich dort eigentlich nur Luxusproblemchen hatte, und nun lerne, meine Weichheit um Stärke und Stacheln zu erweitern. Und Ausdauer. Und Beständigkeit. Und meine Wut zu nutzen. Und Sicherheit zu schätzen. Und nicht in Panik zu geraten, selbst wenn alle Alarmleuchten rot blinken und eine fiese Sirene mich darauf hinweist, dass mein Drahtseilakt gerade ziemlich hardcore ist.

 

Solltest Du, liebes Lesewesen, nun nicht begreifen, worüber ich hier schreibe, dann liegt das womöglich daran, dass Du in einem Leben lebst, das Kraft der Gewohnheit Sicherheiten bietet, die Du vielleicht – genau wie ich damals – überhaupt nicht mehr als Sicherheiten wahrnimmst. Dass Du längst vergessen hast, welch langer, holpriger Weg es vielleicht einmal war, Dir die Grundsicherheiten zu erschaffen. Dass Zypern nicht Berlin ist, zeigt sich an 3 Millionen Dingen. Dass aber mein Umzug ins neue Haus, tatsächlich bedeutete, völlig neue Wege zu beschreiten, gewissermaßen neu zu lernen, die Schuhe zu binden, das erstaunt mich jeden Tag.

 

Wut ist jedenfalls sehr hilfreich um den Berg hoch zu toben. Nassgeschwitzt und atemlos machte ich mir einen Notfallplan, was ich anstellen wollte, wenn ich nicht an mein Geld käme. Ich schlief kopfschüttelnd ein, und wachte vor Mut und Selbstvertrauen strotzend auf. Ich motivierte mich, mit den größenwansinnigsten Sätzen, die mir in den Sinn kamen. Dann machte ich mich auf den Weg. Rollte den Berg runter, schrie mir paarmal die Seele aus dem Leib, freute mich über das blaue Meer, Bus kam, ab zur Bank. Unterwegs hab ich den lustigen Gedanken, einfach mal einen Bankautomaten zu checken. Geld abgehoben, als wäre nix gewesen. Nur ein weiterer Pups im Weltall um meine Belastbarkeit zu testen...

 

 

Fortsetzung folgt...