Die andere Seite der Not

Wie mir scheint, bedeutet spirituelle Freiheit nicht auch zwangsläufig materielle Freiheit. 
Für die, die sich wundern, dass ich nach 23 Jahren noch nicht finanziell ausgesorgt habe:
Ich versuche weiterhin spirituelle und materielle Freiheit zusammen zu bringen. Das ist, wie Alchemie. 
Teil dieses Experiments ist, immer wieder in Not zu geraten.
Manchmal ist es nur die Miete, die nicht gezahlt werden kann. Manchmal ist es aber auch,
dem unerfreulichen Gesicht des Hungers entgegen zu blicken.
Ich habe diese Zustände inzwischen so oft durch exerziert, dass ich alle Aspekte kenne,
und was Bioüberlebensangst mit Körper und Geist anstellt.
Wer das schon erfahren hat, versteht, dass ich darauf nicht mehr all zu viel Wert lege. Nur scheint mein spiritueller Weg nur bedingt meiner Kontrolle zu unterliegen.
Es ist eben nicht so, dass mehr Arbeit auch zwangsläufig mehr Geld bedeutet.
Ist ein Mythos, Leute. Begrabt den endlich. Das Spiel ist subtiler, und die verborgenen Preise haben es in sich.
Da gibt es etwas, was sich all meinen Schublanden entzieht.
Und Raum schafft für etwas, das verdächtig nach christlicher Ideologie klingt.
Es heißt, dass nur die leere Hand empfangen könne.
Das stimmt.
Und Not schafft Raum für Hilfe.
Was mir eigentlich ganz selbstverständlich sein müsste, weil ich gerne half oder helfe.
Wie mir scheint, will mich das Leben unterrichten, dass Hilfe keine Frage der Moral ist, sondern aus Loyalität geschieht.
Aus dem Wissen heraus, dass wir alle vom Lebensstrom mitgerissen werden, und ab und an untergetaucht werden.
Auch wenn ich der Position des Gebenden den Vorzug geben will, ist es sehr lehrreich, auch die andere Seite zu kennen,
und daran erinnert zu werden, wie es ist, in der Not zumpfangen.
Verhindert das doch, dass ich mich im egozentrischen Größenwahn verliere.
Aber bedeutsamer ist die Not, weil sie Raum für engelshafte Manifestationen schafft.
Not macht einen zur leeren Hand. Dann kann man erfahren, wie es ist, wenn Herzen schenken.
In der Not habe ich einige der bemerkenswertesten Wunder meines Lebens erfahren dürfen.
Und nebenbei erinnert mich erfahrene Hilfe,
dass ich tue, was ich tue, um anderen die Hand zu reichen.
Indem ich das unmögliche Lebe.
Indem ich lebendes Beispiel für andere Werte bin.
Mich nicht von den erstbesten Verlockungen blenden lasse.
Und die Schönheit des beschenkt werdens und empfangen dürfens nicht zerstöre,
weil ich einen schrägen Leistungs-Ehren-Zwang am Start habe, mit dem ich nur zu stolz wäre zuzugeben,
auch mal klein zu sein.

(1.9.2018)