Achtsamkeitsübung

 

Ich möchte von mir glauben, mein ganzes Leben schon mit dem einfachen Leben oder Zen-Spirit geflirtet zu haben. Die Wahrheit ist wohl, dass es erst als Teenager richtig losging. Was dennoch die Frage aufwirft:

Hat mich die Wahrheit bestimmter Sichtweisen gerufen, oder konnte ich das überhaupt nur wahrnehmen, weil ich mich in einem vorherigen Leben vorbereitet hatte? Bin ich ein hoffnungsloser Träumer und Romantiker, oder tatsächlich jemand, der einer tieferen (?) Wahrheit auf der Spur ist?

 

Meine ersten intensiven Hinweise erhielt ich durch drei Filme, die via TV an mich heran getragen wurden.

 

Der eine, war eine Dokumentation über einen japanischen Maler klassischer Landschafts- Seidenmalerei. Da ich gerade selbst auf der Stufe zum irrwitzigen Weg des Künstlers war, faszinierte mich sehr, wie dieser Maler vorging. Völlig anders als meine chaotische, planlose Weise, mit der ich mich damals versuchte ansatzweise auszudrücken. Ich hatte noch keinen Schimmer von Meditation, erkannte jedoch, seine meditative Vorgehensweise.

„Kein Wunder“, dachte ich, als ich sah, wo er lebte. Inmitten wunderschöner Natur. Inmitten von Stille, in einem Zen Garten und einem Haus, von dem ich überhaupt nicht zu träumen wagte.

 

Eben dieses Haus hatte sich in meiner Vorstellungswelt verankert, und wenn ich heute um mich schaue, dann ist Zypern ganz sicher kein japanischer Wald, und die Natur hier, ist fast so vergewaltigt wie in Thailand, mein Garten braucht noch viel Pflege, ehe er den Titel „Zen“ verdiente, und überall sind Spuren von Leuten, die vor mir hier hausten, und ganz eindeutig nichts mit Meditation oder Naturliebe im Sinn hatten. Dennoch ist es ein Anfang, und ich bin meiner Vision näher gekommen.

 

Die anderen beiden Filme, waren koreanische Filme über Zen-Buddhismus. Sie hießen „Mandala“ und „Warum Boddhidarma in den Orient aufbrach“. Etwas in der Langsamkeit dieser Filme hatte mich angesprochen, lang bevor ich meine ersten meditativen Erlebnisse oder Erfolge hatte verbuchen können. Sie weckten eine gewisse Liebe für alte, asiatische Mystik und Philosophie. Was mich vor vielen, vielen Jahren zwangsweise in Kontakt mit einer WG gebracht hatte, die von zwei praktizierenden Zen-Buddhisten gegründet worden war.

 

Dort, im kleinen Zen-Tempel von Alex Assmann, erfuhr ich meine eigentliche buddhistische Initiation. Alles in seinem selbst gebauten Raum atmete den Zen-Spirit. Es lagen dort unzählige Zen-Bücher herum, die ich alle verschlang. Auch da verstand ich nichtmal im Ansatz, was eigentlich gemeint war, mit diesem seltsamen Ding, genannt „Zen“. Etwas in mir verstand sehr wohl.

 

Ein paar Jahre später bekam mein Zen-Stümpertum nochmal massiv Auftrieb durch den Film „Frühling, Sommer, Herbst, Winter“. Wieder ein koreanischer Film. Dort lebte ein Mönch mit einem kleinen Jungen auf einem schwimmenden Haus in einem See. Da wurde eine Saite in mir angeschlagen, die ich in Berlin eindeutig nicht leben konnte.

 

Rückblickend ergibt alles unglaublichen Sinn. Fast, als wäre alles auf magische Weise zusammen gefügt worden. So war es wohl Bestimmung, dass ich mit einer Frau zusammen kam, die sowohl den Mut, als auch die Bereitschaft besaß, das „Abenteuer Natur“ anzugehen.

 

Zuerst war Anna Kali meine Inspiration, als sie mich mit ihrem schicken Sportwagen aus Berlin raus fuhr, und in irgendwelchen Wiesen ablud. Es war in einer dieser Wiesen, in denen ich bemerkte, dass mich das Krabbeln der Käfer dort, inzwischen mehr interessierte, als der nächsten Pussy im KitKat nachzujagen.

 

Dann kamen die immer häufigeren Momente der Traurigkeit, wenn wir wieder in die Betonwüste zurückkehrten. Es war wie eine Disharmonie. Hörbar. Spürbar. Riechbar. In die Stadt reinzufahren, erfüllte uns eines Tages mit soviel Abscheu, dass wir beschlossen, gemeinsam die Stadt Richtung Süden und Ungewiss zu verlassen.

 

Rückblickend, wiedermal, lässt sich klarer sehen, dass Anna und ich weniger durch Liebe verbunden waren (auch wenn wir dieses Wort ausgiebig strapazierten), als dadurch, uns gegenseitig anzuschubsen, wirklich aktiv zu werden. Ich bezweifle, dass wir damals ohne unsere gegenseitige Unterstützung den Mut aufbringen hätten können, wirklich aufzubrechen.

 

Irgendwann landeten wir mit und in ihrem Bus auf Ibiza. Wo wir mal zusammen, mal getrennt, doch immerhin zwei Jahre erste Naturübungen absolvierten. Naturübungen, weil Ibiza eindeutig keine Insel war, auf der fühlende Wesen glücklich werden können. Die zweibeinige Minderheit dort, ist korrupt, verlogen, egozentrisch, und im Namen von Geld und Vorteil sogar boshaft und gefährlich. Also alles andere, als ein Paradies. Und ganz sicher nicht das Paradies, das den 2- Wochen-Urlaubern vorgegaukelt wird. Ehe wir von der Insel flüchteten, hatten wir Gelegenheit viel über das Leben in der Natur zu erfahren. Den Aspekt, den ich in meinen romantischen Vorstellungen ausgeblendet hatte, bzw. der durch Filme schwer transportiert werden kann.

 

Da war zum Beispiel der Aspekt der Eigenverantwortlichkeit. Für Ibiza galt: alles was ich nicht selbst tat, geschah nie. Nicht wie in Berlin, wo jeder Schritt von anderen bereits vorgeebnet oder mit Wegezoll belegt worden war. Auch wenn ich diesen Aspekt von Freiheit auf Ibiza sehr liebte, bedeutete es eben selbst aktiv zu werden. Es machte keinen Sinn auf Wunder zu warten. So wenig, wie sich ein Garten von selbst pflegt.

 

Hier kam der andere Aspekt zu tragen, der sich aus den Filmen nicht erschlossen hatte. Manche Rituale der Asiaten, die ich schamlos romantisch idealisierte, hatten weniger mit coolen Meditationsübungen zu tun, sondern waren ritualisierte Achstamkeits-Übungen aus purer Notwendigkeit. Zum Beispiel das Ritual des Schuhe Ausziehens bevor man einen Raum betrat. Wer in der Natur lebt, und daraus kein Standartverhalten macht, wird viel Arbeit damit haben, die Räume von Staub, Sand, Steinchen, und stacheligen Pflanzenresten zu bereinigen.

 

Unachtsamkeit wird von der Natur auf ganz eigene Weise „bestraft“. Ein guter Parameter für Achtsamkeit ist die Abwesenheit von Ameisen in den eigenen vier Wänden. Wogegen Ameisen in der Küche grundsätzlich auf einen mangel an Sorgfalt hinwiesen.

 

Anfangs fluchten wir noch über die Ameisen. Aber bald sahen wir ein, dass wir sie selbst fütterten oder anlockten. Ein einziger Krümel reichte. Purer Zen Spirit. Kein Krümel, keine Ameise. So einfach.

 

Das Leben in der Natur erfordert eine andere Art von Achtsamkeit, als das Leben in der Stadt. In Berlin musste ich nur aufpassen, nicht überfahren zu werden, oder von einem Handy-Zombie überrannt zu werden. In der Natur ist es eine ganze Liste von Handlungen, die täglich beachtet werden wollen. Wie ich das Essen bereite, zum Beispiel. Nicht zu viele Insekten anlocken dabei. Anschließend alles gut sauber machen. Saubermachen ohne Tricks. Unter den Teppich kehren, gilt nicht.

 

Wie ich mich wasche, wie ich meine Kleidung ablege, wie ich mein Bett mache, wo ich meine Dinge hinlege – alles folgt einer sehr einfachen Klarheit der Notwendigkeit. Will ich im Garten nicht ständig nach meinen Werkzeugen suchen, deponiere ich sie an einem Platz, und nur da. Keine ausreden. Was ich von dort nehme, wird dort zurück gelegt.

 

Das mag für den verwöhnten Städter, der ich noch immer bin, anstrengend und aufwändig klingen, ist jedoch die beste Lehre und Schulung, die ich mir gerade vorstellen kann. Kein erhobener Zeigefinger, kein nachsichtiger Meister-Lehrer. Alles folgt einzig dem Gesetz der Natur. Meinen Platz darin zu finden, und lernen, wie ich möglichst effektiv, mit geringst möglichem Aufwand, die Ergebnisse erziele, die meinen Paradies-Utopien nahe kommen.

 

In diesem Achtsamkeits-Spiel fühle ich mich trotz meiner Vorbereitungszeit auf Ibiza, noch als Anfänger. So viel zu lernen. So viel zu beachten.

 

 

Fortsetzung folgt...